Molkenmarkt, Klosterviertel - Neuplanung und kleinere BV

  • ^ Im Prinzip bin ich Deiner Meinung. Ich fahre täglich durch Mitte hindurch und mache dies wie mindestens 90% aller Strecken in Berlin mit dem Fahrrad. Außer bei erheblichem Schnee oder strakem andauernden Regen fahre ich zu allen Jahreszeiten und auch bei tiefen Minusgraden immer Fahrrad. Ich verteidige also mit dem Autoverkehr kein eigenes Interesse und bin von daher eher für gute Radwege. Aber ich bin der Überzeugung, dass man in Deutschland auch auf längere Sicht noch eine gute Erreichbarkeit mit dem Auto bei größeren Gewerbeansiedlungen erwartet. Auch der Bund wird für seine Institutionen eine hinweichende Anbindung zurecht erwarten. Berlin liegt im Vergleich sowieso schon peripher. Das Argument, dass Straßen zu Verkehr führen, finde ich pauschal nicht stichhaltig. Umwege führen z.B. auch zu zusätzlichem Verkehr. Man muss sich die Verkehrsführung genau angucken, da gibt es viele Möglichkeiten. Allein schon den Verkehr über die Spandauer Str./Rathausbrücke/Französiche/Tiergatenstr. fließen zu lassen. Die Wilhelmstr. wieder zu öffnen (Briten sollen sich was ausdenken) und den 17.Juni nicht dauernd zu sperren und die aktuellen Baustellen rasch abzuarbeiten würde schon viel bringen.


    Mich wundert es schon, dass man die ständigen Sperrungen des 17.Juni, die Dauerbaustelle auf der Invalidenstraße und die Situation an der Friedrichstraße parallel toleriert (wäre ja auch nicht notwendig gewesen, wenn man auf der Invalidenstraße schneller gewesen wäre).
    Kleist hat recht, dass der Berliner Westen, wenn man diese Probleme weiter ignoriert, langfristig wesentlich attraktiver als der Osten ist und dass die fehlenden Ansiedlungen um den Alex auch damit zusammenhängen könnten.


    Der einzige gangbare Weg scheint tatsächlich (insbesondere wegen der Finanzierung durch den Bund) der Weiterbau des Stadtringes. Man sollte ihn bis zur Landsberger ziehen und dann möglichst den Anschluss an die A114 in Pankow herstellen sowie Engpässe auf der Sreestr./Osloer/Bornholmer besser lösen (insbesondere Kreuzung mit der Schönhauser Alle). In der Innenstadt sollte man Radwege ausbauen, vielspurige Straßen intelligent verengen und Parklplätze von der Straße in Tiefgaragen verlagern. Der Verkehr sollte stetig aber eher langsam fließen (max. 50 eher 40 km/h) und nicht wie aktuell 60-70km/h oder stehen. Für große Städte bräuchten wir im Straßenverkehr eine ganz andere Kultur. Gerade Berufsfahrer sollten ruhiger und weniger aggressiv fahren.


    Es gäbe einiges zu tun, auch um endlich zu deutlich weniger Verletzten und Toten zu kommen. Leider scheint dies ein reines Sommerlochthema zu sein.

  • Es ist schon skurril sich in einem Architekturforum für den Rückbau von 9-spurigen Stadtautobahnen durch Innenstadtbereiche verteidigen zu müssen. Ein wenig ist das wie einem manifesten Alkoholiker: im Prinzip sieht man ein, dass weniger Autoverkhr sinnvoll ist, aber nicht gerde heute und nicht gerade hier. Es fehlt nur noch, dass die Untertunnelung der Linden vom Alex bis zum Großen Stern wieder aufgewärmt wird.


    Der Stadtring ist - neben Verkehrszurückdrängung - die einzige, glaubhafte Strategie. Zudem brauchen ÖPNV und Fahrrad mehr Platz. Deshalb ist für die Verbindung Alex-MM-Leipziger der Querschnitt 2 Fahrspuren je Richtung zzgl. Fahrradstreifen sinnvoll. Ob der ÖPNV als O-Bus oder Straßenbahn geführt wird ist etwas für die ÖPNV-Experten. Z. zt. - glaube ich - ist der O-Bus ökologisch vorn.


    Wichtig wären in unserem Thread-Thema Fussgängerampeln in Verlängerung der Kloster- und Littenstraße. Zusammen mit dem lt. SenStadtUm ohnehin stattfindenden Rückgang des Verkehrs um 1% p.a. sollte es reichen.

  • Es ist schon skurril sich in einem Architekturforum für den Rückbau von 9-spurigen Stadtautobahnen durch Innenstadtbereiche verteidigen zu müssen.


    Weil das DAF ein Forum für Architektur, Städtebau und Bauwesen ist. Insofern darf hier natürlich auch die Verkehrsplanung im Plangebiet besprochen werden.

  • Das hast du falsch verstanden Bato. Es geht nicht ums Themengebiet, sondern um das Befürworten einer stadtzerstörenden und äußerst ungemütlichen "Autobahn" mitten im Zentrum. Dackor.


    Zitat von Konstatin

    Zusammen mit dem lt. SenStadtUm ohnehin stattfindenden Rückgang des Verkehrs um 1% p.a. sollte es reichen.


    Joa mei. Wo hostn des her? Das darfst du hier im Strang nicht sagen. Jedenfalls könnte das einige Leute stören.


    Du kannst den Leuten nicht verbieten, mit dem Auto zu fahren.


    Tut mir leid, aber langsam bin ich empört über die immer gleichen Schwachsinnsargumente. Das ist Verkehrs-McCarthyismus. Oder Verkehrs-Inquisition.


    Ach so, ÖPVN heißt übrigens ÖPNV. Öffentlicher Personennahverkehr. Das ist doch sehr verräterisch, daß du diese Abkürzung nicht richtig kennst. Oder sagen wir besser: vielsagend.

  • Aber natürlich verbietet Berlin "den Leuten" schon, mit dem Auto zu fahren. Sie müssen, neben KFZ- und Treibstoff- und Versicherungssteuern in bestimmten Gebieten Zusatzabgaben (Parkraum) entrichten und ihnen wird - wenn sie zuviel Schadstoffe ausstoßen - die Fahrt in und durch den S-Bahnring strafbewehrt verboten (Plakette).


    Da ist es nicht mehr weit, bestimmte Innenstadtgebiete nur bestimmten KFZ vorzubehalten, das gibt es schon in Italien oder England, gern videobasiert und auch strafbewehrt. Die Zeiten, in denen Du mit deinem Trecker überall hinfahren konntest sind definitiv vorbei, und das ist auch gut so. In Potsdam kommst Du mit keinem KFZ mehr in die Innenstadt, wenn bestimmte Werte überschritten sind (Pförtnerampel).


    Und Bato: wenn 9-spurige Straße durch die Innenstadt im Rahmen des diskutablen sind warum sollte man dann die Grunerstraße nicht auf 12 Spuren verbreitern, schließlich ist auch auf der Grunerstraße regelmäßig Stau. Da hilft nur mehr Platz für Autos!

  • ^ es gibt in Berlin keine einzige neunspurige Straße. Das breiteste sind drei Fahrspuren pro Richtung. Die Grunerstraße ist nur auf einem ganz kurzem Stück im Kreuzungsbereich auf 8 Spuren ausgedehnt,incl.Abbiegerspur. Eine Stadt mit ~ 3.3 Mio Einwohner + 1,5 Mio.im Umland erzeugt nun einmal Verkehr,auch und gerade auch im Zentrum.Mit jedem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg ist gleichzeitig eine Zunahme des Verkehr zu verzeichnen.Das ist kein Berliner Phänomen,das ist weltweit so. Just in Time Lieferungen,jede Internetbestellung setzt mehrere LKW / Kleinlaster in Bewegung. Mehr Einwohner im Innenstadtbereich,vor allem mehr bessergestellte Einwohner bedeuten mehr Verkehr.Mehr Auto,mehr Bahn und mehr Flugverkehr.


    Ich wohne in Schöneberg,nahe dem Kleistpark. Eine Gegend mit ÖPNV Luxusversorgung.Alle paar hundert Meter eine U Bahnlinie,drei Stück an der Zahl,die S- Bahn,Busse.Man kommt schnell in fast jede Ecke der Stadt,es gibt kaum eine andere Gegend in Berlin,die so gut angebunden ist.Ein Auto benötigt man hier nicht. Ich habe mir einen Stellplatz gekauft,weil es auf der Straße extrem schwierig geworden ist,einen Parkplatz zu bekommen.Trotz Luxus ÖPNV Anbindung wollen offensichtlich viele Anwohner das Auto nicht missen.Und je höherwertiger und teuer die Sanierungen ausfallen,desto mehr Autobesitzer ziehen anschliessend ein.


    Ein Teil der Berliner Wirtschaftsschwäche ist auch auf das hier stark vertretene Widerstandspotential gegen alles Zukunftsweisende,nicht nur im Straßenverkehrssektor,zurückzuführen.
    Typisch dafür sind Argumentationslinien wie die von Konstantin. Ihm und seinen hier zahlreich anwesenden Gesinnungsbrüdern geht es nur um Wiederherstellung von Verflossenem im Maßstab und Antlitz längst vergangener Zeiten.
    Kein Hauch Verständnis für die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Gegenwart. Auf Teufel komm raus alte Strukturen wieder herstellen,selbst im Wissen,dass diese heute nicht mehr Zeitgemäß sind. Da werden aus Straßen Gassen und der Verkehr,essentiell für die Wirtschaft,hat halt Pech gehabt. Diese Ignoranz wirft die Stadt zurück. Ich möchte ausdrücklich nicht in einer Stadt leben,welche als einzige städtebauliche Zukunftsvision die Wiederherstellung vergangener Strukturen und die Einschränkung des MIV vorzuweisen hat.

  • ^ es gibt in Berlin keine einzige neunspurige Straße. Das breiteste sind drei Fahrspuren pro Richtung.


    Es gibt diverse 8-spurige Straßen (4 pro Richtung), z. B. Alt-Friedrichsfelde, Bismarckstraße, Kaiserdamm... lässt sich bei Google Maps sehr schön sehen. Zählt man Abbiege- und Parkspuren hinzu, die ja auch ausschließlich von Autos genutzt werden, kommt man sogar auf 10.


    Aber es geht nicht darum, ob diese teils überdimensionierten Trassen 6, 8, 10 oder noch mehr Spuren haben und auch nicht darum, Hauptstraßen in mittelalterliche Gassen umzuwandeln. Das hat hier niemand behauptet.


    Kaum einer der "Gesinnungsbrüder" will ausschließlich die "Wiederherstellung von Verflossenem im Maßstab und Antlitz längst vergangener Zeiten". Es geht um den sinnvollen Rückbau überbreiter Autotrassen in der Innenstadt. Es geht um den Ausbau eines modernen ÖPNV, um neue intermodale Verkehrskonzepte, um die Förderung des Radverkehrs. Und vor allem um die städtebauliche Verbesserung eines trostlosen, hässlichen und vermurksten Stadtraums im Gebiet Molkenmarkt bzw. entlang der Autopiste zwischen Alex und Spittelmarkt. Das ist weder rückwärtsgewandt, noch wirft es die Stadt zurück. Im Gegenteil: Es wertet sie auf.

    Einmal editiert, zuletzt von Backstein () aus folgendem Grund: KR

  • Das Argument, dass Straßen zu Verkehr führen, finde ich pauschal nicht stichhaltig.


    Meines Wissens kann man schon seit den 70er Jahren (1970 erschien Jane Jacobs "Economy of Cities", da stand das drin) pauschal sagen, dass mehr Straßen auch zu mehr Verkehr führen. Wenn das nicht reicht, gibt es hier über AEAweb oder hier über das Wall Street Journal noch mal Informationen.


    Auch wenn ich deinen Eindruck der Rückwärtsgewandtheit manchmal teile Kleist, muss ich Backstein zustimmen, dass Straßenrückbau doch eher eine zukunftsweisende Aufgabe ist. Ich glaube in Berlin gibt es kaum eine Gegend, die für den Individualverkehr großzügiger ausgelegt und angebunden ist als der Alexanderplatz. Karl-Markx-Allee, Karl-Liebknecht/Prenzlauer, Alexander/Holzmarktstr., Otto-Braun-Str usw., mir wird richtig unangenehm wenn ich die alle aufzähle. Ich denke eher, dass darin ein Problem für die Entwicklung des Alex steckt.


    Dass positive wirtschaftliche Entwicklung auch in Gegenden funktioniert, die vermeintlich schlechter für den Individualverkehr zugänglich sind beweist ja die nebenan liegende Spandauer Vorstadt/Scheunenviertel, die mittlerweile über Galerien hinaus eine recht ansehnliche Entwicklung genommen und mit SAP (mit eigener Tiefgarage) und der AOK (meines Wissens ohne eigene Tiefgarage) sogar richtig große Brocken unterbringen konnte. Die Alte Schönhauser ist trotzdem oft wie leergefegt von Autos.


    Dass Gut-verdienende mehr Autos haben ist tatsächlich ein Luxusproblem (wenn auch das Parkproblem ernst ist, das gebe ich zu), aver die Tatsache, dass einige progressive Stadtbürger sich mittlerweile Autos teilen, könnte dieses längerfristig auch verringern. Wenn wir schon von der Zukunft der Stadt reden, dann sollten wir sie auch so gestalten, wie wir sie gern hätten. Auto-Verbot fordert dabei niemand ernsthaft.

  • Also wenn Leiferverkehr und Ähnliches extrem wichtig in diesem Bereich ist, dann kann man diesen ja durchaus fördern und den privaten KFZ-Verkehr dort etwas limitieren.


    Gerade bei letzterem werden Resourcen verschwendet, daß es schon nicht mehr schön ist (1 Person pro KFZ) und man ruhig auch im Interesse der Umwelt (Abgase etc) da als Gesellschaft und Staat eingreifen kann.


    Hat den jemand eine Statistik parat, wie hoch der private und gewerbliche Anteil am KFZ-Verkehr in diesem Gebiet Grunerstraße/Mühlendamm/Leipziger Straße ist? Daraus lassen sich doch bestimmt Rückschlüsse auf das Verhalten und dadurch Planungsinstrumente ableiten (City-Maut für den Privatverkehr bspw.)

  • Ich möchte ausdrücklich nicht in einer Stadt leben,welche als einzige städtebauliche Zukunftsvision die Wiederherstellung vergangener Strukturen und die Einschränkung des MIV vorzuweisen hat.


    Da wirst du wohl in eine andere große deutsche Stadt ziehen müssen, Kleist. Nur läuft da leider das gleiche Programm ab wie hier. Du solltest mal langsam überlegen, ob du hier nicht etwas überdramatisierst.


    million und Backstein
    Ich bewundere Euch dafür, wie ihr angesichts des hier vorzufindenden mantraartigen Argumentationsniveaus solch sachliche Antworten zu verfassen vermögt. Mir persönlich fallen immer mehr Radfahrer in Business-Kluft auf. Ich will auch keine ideologischen Hauruck-Maßnahmen gegen den Autoverkehr. Aber manche Leute können sich offenbar nicht vorstellen, daß sich in unserer Gesellschaft etwas fundamental verändert.


    Man sollte mal aus seinem isolierten, gesellschaftlich angepaßten ökonomischen Intellekt heraustreten und eine ganzheitliche ästhetisch-emotionale Perspektive einnehmen. Manche Leute sind offenbar völlig verfangen in etablierten Pseudorationalitäten und können sich nur innerhalb dieser bewegen, anstatt sie mal grundsätzlich auf mögliche Pathologien zu hinterfragen. Wir wollen das Gute und das Schöne anstreben - und nicht das in einem pervertierten System Zweckmäßige. :)


    John Lennon - Imagine

  • Ein Teil der Berliner Wirtschaftsschwäche ist auch auf das hier stark vertretene Widerstandspotential gegen alles Zukunftsweisende.


    Autobahnartige Trassen in der Innenstadt waren höchstens in den 60er Jahren zukunftsweisend.
    Wenn ich mit dem Rad morgens am Stau der verstopften Greifswalder Straße vorbeifahre denke ich immer, von Außen betrachtet muss das Ganze Szenario wie ein Schildbürgerstreich wirken. Da steht eine Anzahl von Menschen, die wahrscheinlich zusammen in 3 Straßenbahnen passen würden, frustriert in einer kilometerlangen Schlange aus viel zu großen Blechbüchsen und stößt dabei krebserregende Schadstoffe aus. "Zukunftsweisend" sieht anders aus.

  • Das Argument, die Berliner Wirtschaft bräche bei Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehres zusammen, ist ebenfalls alt. 2011 kam es zur Sperrung der Leipziger Straße in eine Richtung. Die Folge waren drei Tage Stau mit anschließendem geringeren Verkehr, weil die Leute woanders lang fuhren oder den ÖPNV nutzten. Das Bruttoinlandsprodukt ist 2011 nicht gesunken.


    Die Ausweichhaltung der Autofahrer wird im übrigen in keiner Verkehrsprognose berechnet.

  • ^ Guter Punkt. Es wäre grundsätzlich interessant, inwiefern es der Wirtschaft auch nur theoretisch schaden sollte, wenn weniger breite Trassen für den motorisierten Verkehr zur Verfügung stehen. Gefühlt 90% des Verkehrsaufkommens sind Privat-KfZ mit einer Person drin. Wo entsteht ein wirtschaftlicher Schaden wenn die teilweise mit Öffis ins Büro fahren müssen?

  • Nirgends entsteht da wirtschaftlicher Schaden. Bei Kleist (^) kannst Du ja lesen, dass die Autofahrer trotz Verknappung von Parkraum und Verschmälerung von Straßen sich sogar noch Stellplätze für ihr liebstes Kind kaufen. TG-Stellplätze sind von etwa 10.000 Euro (vor 10 Jahren im Zentrum) auf jetzt über 30.000 Euro gestiegen - die Leute kaufen sie immer noch, obwohl es in B keine StellplatzVO mehr gibt.


    Die vorhandenen Erschließungstraßen müsste zuvörderst für den Wirtschaftsverkehr freigegben werden, das wird ja in Europa auch schon gemacht. Zweite Priorität Anwohner - die Parkhäuser in der Innenstadt (z. B. Alexanderstraße oder Grunerstraße) sind ja halbleer.

  • Lieber Kleist, auch wenn ich mir mit dir (im Gegensatz zu manch anderem hier) durchaus einig bin, daß Stadtentwicklung nicht ein zurück zu einer Art Biedermeierlichkeit des 19. Jahrhunderts bedeuten sollte und wir beide sogar (Gott bewahre!) ein Herz für richtig schönen sperrigen Brutalismus und Modernismus haben, bin ich über deine fast schon suchtartige Autoabhängigkeit irritiert.
    Ich denke wenn ein Konzept der Moderne wirklich gescheitert ist, dann ist es die autogerechte Stadt.
    Ich habe manchmal bei dir den Eindruck, daß du in dieser Hinsicht wirklich in einer 60er-Jahre-Zeitschleife feststeckst, die auch nur ein längst vergangener Retro-Futurismus ist. Wenn ich es richtig zusammenfasse, dann plädierst du für großräumige Zersiedlung durch ausgedehnte Einfamilienhausgebiete, für völlige Autogerechtheit der Innenstadt, du findest Busse(!) moderner und angemessener als Stadt- oder Straßenbahnen...
    Das riecht alles verdammt nach 1965...
    Dazu paßt es dann auch, daß die geposteten Fotos megalomane hochhausbewehrte Urban Highways aus den Metropolen der Schwellenländer Südamerikas zeigen; solch eine Moderne findet man heute vielleicht in Brasilien noch modern (aber auch dort gibt es großartige Gegenbeispiele wie Jaime Lerners Strategie für Curitiba), aber ich finde es ist eine Art Zombie-Moderne der du da anhängst.
    In den wirklich entwickelten Ländern (z.B. Niederlande, Dänemark, Schweiz u.a.) fährt der Zug (und das Rad!) seit Jahrzehnten in eine ganz andere Richtung, und wenn Deutschland nicht so abhängig von seiner Autoindustrie-Mafia wäre, dann würde auch hier der Wind noch viel entschiedener den Träumen von der autogerechten Stadt entgegenwehen.
    Versuch einfach mal von dem Stoff runterzukommen; ein Anfang wäre, nachdem du in deinem letzten Beitrag ÖPNV tatsächlich richtig geschrieben hast die Annäherung fortzusetzen und ihn vielleicht sogar mal zu benutzen, wenn es in deiner Nachbarschaft wie du ja selber schreibst schon so ein luxuriöses Angebot gibt...

  • Das Problem ist eben bei der LS, dass sie unumständlichste Ost-West-Verbindung ist und die Zahl der Ausweichmöglichkeiten um ohne allzu große Umwege die Spree zu überqueren eher gering ist. Man müsste eben Ausweichmöglichkeiten schaffen, die für alle verträglich sind. Das Problem besteht schon seit jeher, weil Alt-Berlin keine vernünftige/durchgehende Ringstraße hat. Lösungsvorschläge hat schon Martin Wagner gebracht, auch wenn zu seiner Zeit das Auto noch was Neues und Innovatives war.


    Also sollten wir doch hier lieber darüber nachdenken, statt immer wieder diese müßige Auto-Fahrrad-Diskussion zu führen. Dafür gibts nen eigenen Thread, wo schon alles gesagt wurde und einig wird man sich doch eh nicht! Nachdem ich jetzt seit einem Monat 2h/Tag mit der S-Bahn fahre, weiß ich umso mehr, was ich in meinem Auto habe. Ausnahmsweise gehts mit der S-Bahn aber mal schneller und preiswerter. Trotzdem bin ich dafür, die LS und den MM zurückzubauen. Ebenso die Bundesallee oder die Lietzenburger. Bei der Bundesallee stelle ichs mir gar nicht mal so schwer vor. Die ist ja von Natur aus breit und wenn die Tunnel weg sind, bleibt immer noch genug Platz für alle Teilnehmer. Lediglich der Bundesplatz stellt heute wie im Falle eines Rückbaus wohl das größte Problem dar.

    2 Mal editiert, zuletzt von Ben ()

  • ^^ Ich glaube nicht, dass der Widerspruch, der hier zum Ausdruck kommt, durch Temporalisierungen ("Biedermeier" versus "autogerechte Stadt" der 60er Jahre) gelöst werden kann. Vielleicht sollten wir stattdessen anerkennen, dass der Widerspruch tiefer liegt und bei vielen von uns vorliegt, da ja viele hier (mich eingeschlossen) Rekonstruktionen (des Schlosses, der Schinkel-Bauakademie etc.) ebenso herbeisehnen wie den Neubau von Wolkenkratzern. Klar, beides soll voneinander getrennt beiben, aber wahrscheinlich entzünden sich die Konflikte gerade an der Leipziger Straße und der östlichen Fortsetzung Richtung Alex, weil hier dieser Widerspruch schwerer zu vermitteln ist. Hier leiden viele, ich zumindest, an der Überdimensionierung der Straße am Molkenmarkt und genießen zugleich die Möglichkeit der schnellen Durchquerung.


    Rein ästhetisch gesehen besteht der zugrundeliegende Widerspruch m.E. darin, dass man sich sowohl nach einer Reparatur dieser historisch wichtigen Gegend sehnt, nach mehr "menschlichen Maßstab", dass man aber nur wenig später, besonders an der Leipziger Straße, die moderne, brutal-antihumanistische Größe bis zu einem gewissen Grad ästhetisch genießen kann. Man kann, um diesen Widerspruch zu fassen, auf die beiden ästhetischen Grundbegriffe des Schönen und des Erhabenen rekurrieren. Viele hier sehnen sich nach beidem: nach mehr Schönheit und nach mehr Erhabenheit. Und diese gegenläufigen Sehnsüchte lassen sich prinzipiell nicht bruchlos miteinander versöhnen, denn das wäre dann wiederum zu schön und zu wenig erhaben.


    Aber wieder konkreter: Das (ästhetische) Problem des Raumes östlich der Spree (Mühlendamm, Grunerstraße) ist, dass er z.Z. weder schön noch erhaben ist, sondern einfach nur ein desolater und trostloser Unort. Obwohl die Argumente zum verkehrsfluss gewichtig sind und nicht einfach übergangen werden können, halte ich diese Gegend für städtebaulich und historisch so wichtig, dass ich hier eindeutig auf der Seite jener stehe, die eine Neufassung begrüßen und Einschränkungen der Autofahrer in Kauf zu nehmen bereit sind.

  • Die Verengung von Straßen ist nicht das Problem, auch die Neufassung nicht. Bei Verengung wird der Verkehr sich andere Mittel und Wege suchen, was entweder zu einer Nutzung anderer Verkehrsträger führt oder zur Zunahme von Autoverkehr auf Alternativrouten, wahrscheinlich eine Mischung aus allen drei Möglichkeiten: Ein Teil steigt auf andere Träger um, ein Teil benutzt andere Routen und der Rest nutzt weiterhin diese Strecke. Dessen muss man sich bewusst sein. Für das Stadtbild am Molkenmarkt ist es sicher ein Plus, wenn der dort vorbeirauschende MIV sich besser auf andere Routen und Verkehrsträger verteilt, aber der Gesamtverkehr reduziert sich durch keine der zur Disposition stehenden Maßnahmen.



    Das Niveau der Diskussion beim Thema "Auto vs. ÖPNV" ist und bleibt teilweise unterirdisch und ich würde es begrüßen, wenn sich die hiervon angesprochenen Diskutanten mehr auf Fakten und Argumente verließen, anstatt auf gefühlige Ergüsse und ideologisches Schwadronieren. Die Welt ist nicht schwarz oder weiß, sie ist bunt. Und dementsprechend ist eine ignorante Bekämpfung des MIV um jeden Preis ebenso wenig zielführend wie die Beibehaltung von Riesenstraßen durch das Stadtzentrum.


    Und zum Thema "Mehr Straßen = mehr Verkehr": Die Verkehrsforschung besagt, dass gut ausgebaute Straßen punktuell mehr Verkehr anziehen, der Gesamtverkehr steigt aber nicht durch eine besser ausgebaute Straße. Mit anderen Worten: Nur weil eine neue Autobahn oder eine neue mehrspurige Stadtstraße gebaut wird, werden für gewöhnlich nicht signifikant mehr Leute beschließen künftig mit dem Auto zu fahren, wenn sie vorher andere Verkehrsträger benutzt haben. Die Zahl der Autofahrer wird dadurch also nicht steigen.


    Die triviale Quintessenz dieser oft zitierten (und aus dem Zusammenhang gerissenen) Aussage ist, dass gut ausbaute Straßen den Verkehr von anderen, schlechter ausgebauten Routen abziehen und somit eine Konzentration des Verkehrsstroms im Schnittgebiet mehrerer Ströme bewirken. Das hat wiederum meist eine Überlastung dieser neuen Verbindung zur Folge, die aber meist nur temporär zu den Stoßzeiten erfolgt, wenn die Konzentration des Verkehrsstroms sich besonders stark auswirkt, weil zu diesen Zeitpunkten ein Vielfaches des normalen Verkehrs bedient werden muss. Das Problem ist daher die potenzielle Veränderung von Verkehrsstromkonzentrationen, nicht die Zunahme des Autoverkehrs ingesamt in solchen Fällen.

  • Danke, Richard Neutra, für deine Bitte um eine sachliche Diskussion.


    Für deine Argumente hätte ich dann auch gerne noch eine Quelle. Der Artikel im WSJ, den ich weiter oben verlinkt habe bespricht die Gründe für den Anstieg des Verkehrs und nennt dabei als wichtigste Faktoren


    - neuen kommerziellen Verkehr (womit wir bei Kleists Argumentation der Wirtschaftsförderung von Straßen wären, vielleicht kommen wir noch mal darauf zurück),
    - zusätzliche Fahrten von Anwohnern sowie
    - zusätzliche Anwohner durch die Erschließung neuer Gebiete durch neue Straßen.


    Verhältnismäßig irrelevant war das Ausweichen von bereits existierenden Verkehrsteilnehmern, genauso wie das Angebot von öffentlichem Verkehr.


    Die Zusammenfassung der Studie besagt einen für Interstates (mehr oder weniger Autobahnen) proportionalen Anstieg der gefahrenen Kilometer zu den neu gebauten Kilometern Straße und für andere Arten von Straßen einen leicht geringeren Anstieg.


    Im Übrigen sei zur Veringerung von Verkehrsproblemen eine Maut sinnvoller als der Ausbau von Straßen.


    Wer nachlesen möchte: Gilles Duranton and Matthew A. Turner, The Fundamental Law of Road Congestion, American Economic Review 101, Oktober 2011: 2616–2652



    Meines Wissens gibt es für den Rückbau von Straßen und den damit verbundenen Rückgang des Verkehrs ähnliche Studien. Damit wäre der Bogen zum Molkenmarkt wieder gespannt. Ich werde mich eventuell noch einmal auf die Suche machen.


    Ich hab die Verkehrsdiskussion an dieser Stelle gekappt da das eigentliche Thread-Thema hier etwas untergeht. Zum anderen Thema kann hier weiter diskutiert werden.
    Bato

  • Weniger Straßen, weniger Verkehr?

    Wiederum bei Jane Jacobs bin ich fündig geworden was die Untersuchungen zum Verkehrsrückgang bei Straßenrückbau angeht. Ausgehend von eigenen Beobachtungen in New York und Toronto schreibt sie in "Dark Age Ahead" im Kapitel "Science Abandoned" (an sich schon ein aussagekräftiger Titel) über eine Studie, die 1998 beim University College London für London Transport und Britain's Department of the Environment, Transport and the Regions durchgeführt wurde.


    Demnach würden Verkehrsplaner in der Regel mit Modellen rechnen, die Verkehr wie Wasser behandeln. Sei ein Weg versperrt, so suche sich der Verkehr eben den nächstbesten. Dies lässt sich laut der Studie aber nicht mit Fakten belegen.


    Anhand von 60 Fällen weltweit hat das Londoner Forschungsteam das Gegenteil feststellen können. Durchschnittlich 20% des vorher herrschenden Verkehrs verschwinden bei Straßensperren oder -rückbau (in Extremfällen bis zu 60%, in anderen Fällen natürlich auch weniger). Die meisten Fälle wurden in Städten untersucht, man könne die Ergebnisse aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf den suburbanen Raum übertragen.


    Eine Zusammenfassung der Ergebnisse kann man hier nachlesen. Interessant finde ich, dass auch größere deutsche Städte (Nürnberg, Freiburg) in die Untersuchung aufgenommen wurden.


    Kann jemand sagen, wie sich der Ost-West-Verkehr innerhalb der Stadt momentan verhält. Leiden Leipziger und Grunerstraße enorm unter den Sperrungen Unter den Linden und in der Invalidenstraße oder ist deren Entfernung schon zu weit um sich dort auszuwirken? Wie sieht es mit dem Verkehr auf der Französischen Straße aus? Quält sich jemand aus dem Forum öfter durch diese Schneisen oder ist das alles gar kein Problem? Hat die momentane Ausnahmesituation den Senat vielleicht dazu bewegt Verkehrsströme zu messen und eventuell Konsequenzen zu ziehen?


    [...] Durch die Senatspläne werden Sichtachsen zerstört und eine beklemmende Enge geschaffen, die [...]


    Dieses Sichtachsenthema würde ich auch gern nochmal aufnehmen. Ich sehe da nämlich kein Problem. Im Gegenteil finde ich die beiden Türme der Nikolaikirche als Point de Vue der neuen Grunerstraße wunderbar. Nach Osten wäre dann auch das Haus des Lehrers gut in Szene gesetzt. Wo dann bei einer immernoch 6-Spurigen Straße die "beklemmende Enge" herkommen soll erschließt sich mir auch nicht so recht.


    [Bato, im Prinzip kann man den Post hier auch wieder in den Verkehrsthread schieben, aber ich fand ihn für die Diskussion am Molkenmarkt doch wichtig.]