Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Klarenbach arbeitet leider auch mit den Mitteln, mit denen Bauer-Ewald im SSC arbeitet. Und mit denen Modernisten generell in den Foren arbeiten. Wie Saxonia schon sagte: willkürliche Unterstellungen und Konstruktionen.


    Wir reden hier vom Städtebau, nicht von den technischen Möglichkeiten der Gründerzeit. :doof: Damals sähen auch Plattenbauten in puncto Hygiene scheiße aus. Manchmal fragt man sich echt, wozu es überhaupt Foren gibt.


    Ein wichtiger Faktor: Die Überbelegung, Stichwort Schlafgänger, Armut, Wohnungsnot.


    Komm doch endlich mal zur Räson, Klarenbach, und schildere uns, was du an den Plattenvierteln geil findest, statt immer wieder einen auf Karl-Eduard von Schnitzler zu machen.


    Für mich stellen Gründerzeitviertel städtebauliche Wohnzimmer dar. Sie erzeugen erst Heimelichkeit und Identität, definieren Kieze. Erst die Enge bringt den Wohlfühlfaktor - und läßt Weite als schöne Abwechslung erleben. Es entspricht der natürlichen conditio humana. Genau deshalb hat man auch im Mittelalter und der Antike schon so gebaut. Du bist wohl Marxist, anders kann man sich diese geschichtsphilosophische Hybris nicht erklären.


    Genauso krank wie die Machthaber in der Ostzone gedacht haben, genauso krank sieht auch deren Städtebau aus. Bis sie's dann irgendwann selbst gecheckt haben.


    Berlins Altbauviertel sind gerade durch die Auswirkungen des Krieges erfreulich modern, heterogen und aufgelockert. Das ist ein typischer Berliner Pluspunkt. Wobei ich schon manchmal denke: Schade, daß hier so viele Kriegsschäden waren und zurückgesetzt und mit großen Blöcken gearbeitet wurde, z.B. bayerisches Viertel. Da sieht man dann direkt und unvermittelt den Unterschied, wenn man wieder in eine Altbauecke kommt und auf einmal wieder sofort ein tolles angenehmes Flair vorhanden ist.

  • Nun, man muss sich eigentlich nur die heutigen sozialen Verhältnisse in Plattenbauviertel im Vergleich zu Altbauvierteln anschauen um zu erkennen, dass die (ideologisch getriebene) Neuerfindung der Stadt gründlich gescheitert ist.

  • Man mag über die DDR denken wie man will, ich verabscheue diese typisch westdeutsche Art sich darüber zu äussern, diesen Gutsherrenton.


    Ich verstehe nicht, warum hier mal wieder eine Ost-West Debatte eröffnet wird. In der Zeit der deutschen Teilung gab es im Umgang mit historischer Bausubstanz zwischen Ost & West kaum Unterschiede.


    Wenn es darum geht, eigene Kulturgüter zu zerstören, haben wir Deutschen in Ost UND West gleichermaßen ganze Arbeit geleistet. Es gibt genug Beispiele, wo man auch in Westdeutschland mit Leichtfertigkeit alte Bausubstanz zerstört hat.


    Die Argumentation von Bau-Lcfr hat nichts zu tun mit einer Ost-West-Thematik. Die Dummheit, alte Bausubstanz sinnlos zu zerstören, hat an der früheren deutsch-deutschen Grenze keinen Halt gemacht.

  • "Immerhin die Volkskammer"- Ein Scheinparlament ohne jede faktische Gewalt. Das ist jetzt nicht unbedingt ein Pluspunkt für den Lampenladen gewesen.

  • ...Erst mal muss das Gebäude als ganzes stehen und dann wird man sehen ob es funktioniert und akzeptiert wird. In frühestens 15 Jahren danach könnte man überlegen, die Ostfassade doch noch irgendwie zu ändern, sollte es dann immernoch nicht gefallen oder akzeptiert werden....


    In 15 Jahren wird gegenüber auf dem ehemaligen Marx-Engels-Forum möglicherweise ein "Schloßhotel" stehen, dessen Gäste vielleicht doch ganz gerne auch ne Schlossfassade vor der Nase hätten.
    Ich finde jedenfalls, man könnte auf der Spreeseite ebensogut die Barockfassade weiterführen und ich möchte wetten, daß man genau so vor hundert Jahren verfahren wäre, wenn die Spreefassade aus irgendwelchen Gründen eingestürzt wäre. Und eine gewisse Kontinuität in der Fassadenfortführung vom Neuen Marstall hin zum Dom und zu den Kolonnaden der Alten Nationalgalerie könnte sicherlich auch nicht schaden. Einfach als weithin sichtbarer Hinweis, daß hier das alte Berlin beginnt und das Alexanderplatzareal definitiv endet.

    Einmal editiert, zuletzt von Kreuzberger () aus folgendem Grund: "Neuer" Marstall natürlich, sorry...:-)

  • Ich verstehe nicht, warum hier mal wieder eine Ost-West Debatte eröffnet wird. In der Zeit der deutschen Teilung gab es im Umgang mit historischer Bausubstanz zwischen Ost & West kaum Unterschiede.


    Geh' in die Stralauer Vorstadt und laß dich eines besseren belehren. Ich finde es immer wieder beklemmend, wenn hier relativiert wird. Hört doch bitte endlich mal auf damit. Es gibt sehr deutliche Unterschiede in Ost und West.


    Im Westen hätte man nie und nimmer die Kommandantur, das Marienviertel oder das Schloß aufgegeben. Den Dom wollte man auch weghaben.


    Ich kriege immer Riesenbeklemmungen bei der obigen Argumentationsfigur. Westberlin ist städtebaulich wesentlich angenehmer zu erleben als der totalitäre Osten. Da nützen auch die erhaltenen schönen Altbauquartiere wenig, wenn ich nur einen Kilometer in eine bestimmte Richtung gehen muß, um schlimmste Plattenbaumonotonie en masse zu erleben. Diesen Brachialstädtebau gibt es in Westberlin nicht.


    Und jetzt bitte nicht auf's Märkische Viertel oder so verweisen. Wir reden vom alten Berlin, von der Innenstadt.


    Die Moderne hat in beiden Deutschländern gewütet. Im Osten war sie aber noch von geschichtsphilosophischer Hybris und den Möglichkeiten einer Diktatur flankiert.


    Für mich sind die Unterschiede jedenfalls so hyperoffensichtlich und bei jeder Naherkundung erfahrbar, daß ich schon sehr verwundert bin.

  • Man sehe sich Teile Kreuzbergs oder das Brunnenviertel im Wedding an. Kahlschlag ohne Ende. Und hätten sich die Leute in Kreuzberg nicht dem West-Berliner Abrisswahn widersetzt, dann sehe das alte SO36 aus wie die Gegend um den Wassertorplatz.

  • ^DerBe hat Recht. Im Westen stand das Schloß Charlottenburg auch lange auf Abbruch - nur die zeitlich zuerst kommende Sprengung des Berliner Schlosses hat die Vernichtung von Charlottenburg verhindert. Und welcher Radikalschlag ist denn mit dem alten Hansaviertel geschehen - unzweifelhaft Innenstadt? Alles platt gemacht.


    Ich kann da graduell kaum einen Unterschied erkennen.


  • Im Westen hätte man nie und nimmer die Kommandantur, das Marienviertel oder das Schloß aufgegeben. Den Dom wollte man auch weghaben.


    Also da habe ich doch arge Zweifel, gerade im Berlin der Nachkriegszeit. Ich erinnere an Scharoun's Kollektivplan und einige seiner Hinterlassenschaften, die das Stadtbild bis in die heutige Zeit nachhaltig verunstalten.
    Auch der Blick in Richtung alte Bundesrepublik lässt nichts Positives erkennen - eher im Gegenteil.

  • Im Westen hätte man nie und nimmer die Kommandantur, das Marienviertel oder das Schloß aufgegeben.


    Ach wirklich?


    Beispiel 1: Die ursprünglichen Planungen in West-Berlin nach Kriegsende sahen vor, das Schloss Charlottenburg komplett abzureißen.


    Beispiel 2: Ebenso war in West-Berlin geplant, die Gedächtniskirche komplett abzureißen. Nur massive Proteste in der damaligen Westberliner Bevölkerung haben dazu geführt, daß die Ruine der Gedächtniskirche heute noch steht.


    Beispiel 3: Ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Stuttgart. Am Stuttgarter Schlossplatz standen bis Mitte der 80er Jahre die wiederaufbaufähigen Reste des Kronprinzenpalais. Dieser Bestand wurde Mitte der 80er Jahre abgerissen und ein Treppen-Provisorium aus Beton errichtet. Dieses Provisorium wurde mittlerweile ebenfalls abgerissen und heute steht dort der Glaswürfel des Städtischen Museums der Stadt Stuttgart.


    Das sind 3 Beispiele aus Westdeutschland, die mir spontan in wenigen Sekunden eingefallen sind. Ich denke, ich könnte diese Liste locker auf 20 oder 30 Beispiele erhöhen. Die Moderne hat damals überall gewütet. Ich behaupte sogar, daß es im Westen noch schlimmer war als im Osten. Und weißt du warum? Weil man im Westen mehr Geld zur Verfügung hatte, um traditionelles Altes durch modernes Neues zu ersetzen.

  • Abgegsehen von den genannten Gründerzeitvierteln, viele mir spontan auch die Kroll-Oper ein. Die hätte durchaus auch aufgebaut werden können. klick

  • von Echter Berliner: Im Osten war sie aber noch von geschichtsphilosophischer Hybris und den Möglichkeiten einer Diktatur flankiert


    und

    von Architektur-Fan: Weil man im Westen mehr Geld zur Verfügung hatte, um traditionelles Altes durch modernes Neues zu ersetzen


    Ihr habt beide recht. Der Osten hatte es leichter, da man sich nicht mit Privateigentümern herumschlagen musste, dafür weniger Kohle. Der Westen hatte zwar den Widerstand der Eigentümer, man konnte jedoch, wo es möglich war, dicke klotzen.


    Die Abrisse nach dem Krieg (nach einer kurzen Heimatstil/ Nationale Bautradition-Phase) waren in beiden Deutschlands vor allem möglich, weil dieselbe Generation am Werk war - traumatisiert nach dem Krieg, fortschrittsgläubig bis zur Selbstverleugnung, die Vergangenheit wegräumend. Das war in Polen insofern anders, als dass man ohne schlechtes Gefühl an die Vergangenheit anknüpfen konnte, was den Deutschen jahrzehntelang selbstgeißelnd verwehrt blieb.


    Was man jedoch konstatieren muss, ist dass man im Osten womöglich im Karl-Marx-Allee-Stil weitergebaut hätte, aber die Platte aus Geldgründen forciert wurde, während man im Westen womöglich etwas ideologischer heranging, das Geld war nicht sooo sehr Thema. Ich lasse jetzt Kirchen und Schlösser außen vor (da war der Osten trotz Westabrissen wie Hannover oder Braunschweig tatsächlich brutaler), sondern meine reine Wohnviertel, also Profanbauten.

  • Dann erklärt mir einfältigem Laien doch mal, wieso ich im Westen nirgends auf Areale wie den Alexanderplatz stoße, die Leipziger Straße Ost, die Fischerinsel, die Karl-Marx-Allee 2, den Leninplatz, die Mollstraße, die Lichtenberger Straße, die Landsberger Allee und vieles vieles mehr.


    Kann mir auch jemand erklären, wieso hier offenbar einige allen Ernstes meinen, man könne An der Urania mit der Leipziger Straße Ost vergleichen?


    Ich vertrete nach wie vor die Meinung, daß es hanebüchener Unsinn ist, den Umgang mit historischer Bausubstanz und erst recht den modernen Städtebau beider Stadthälften miteinander zu vergleichen bzw. gleichzusetzen.


    Wieso fühle ich mich eigentlich in Westberlin völlig anders als im Osten?


    Ich kapiere nicht, wieso hier einige, nur weil sie die Westmoderne ärgert, gleich das Kind mit dem Bade ausschütten müssen. Ich bin mir auch sicher, daß Hannover wesentlich besser als Ostberlin abschneidet und daß es in Hannover viel Kriegszerstörung gab.


    Wir reden hier nichtsdestotrotz von Berlin.


    Aufforderung an die Moderation: Diese Diskussion bitte in die Lounge verschieben. Entweder neuer Thread oder Architektur kontrovers.

  • Ich hatte vor längerer Zeit einmal eine Statistik zu Wohnungsneubauten und -abrissen in Ost- und Westberlin gebracht, auf diese will ich nochmals hinweisen:


    Westberlin:
    Wohnungsbestand 1988 gesamt: 1.096.744 WE
    Neubau 1949-1988: 549.521 WE
    Abriss 1949-1988: 144.585 WE
    Anteil der Neubauwohnungen am gesamten Wohnungsbestand: 50,1 Prozent
    Verhältnis zwischen Wohnungsabrissen und Gesamtwohnungsbestand: 13,2 Prozent


    Ostberlin:
    Wohnungsbestand 1988 gesamt: 618.887 WE
    Neubau 1949-1988: 343.880 WE
    Abriss 1949-1988: 81.272 WE
    Anteil der Neubauwohnungen am gesamten Wohnungsbestand: 55,6 Prozent
    Verhältnis zwischen Wohnungsabrissen und Gesamtwohnungsbestand: 13,1 Prozent


    Ich denke also, dass sich Ost- und Westberlin in ihrer baulichen Entwicklung nicht so sehr unterscheiden.


    Noch ein paar Bemerkungen zum Buch "Armutszeugnisse". Ich denke schon, dass es einen weit verbreiteten Diskurs gibt, nach dem die Städte vor den Veränderungen der Moderne attraktiver gewesen wären als heute. Dieser Diskurs schlägt sich in bestimmten Formulierungen wieder, wenn etwa von "Wunden" die Rede ist, die "geheilt" werden müssen, oder wenn die Zerstörung moderner Strukturen als "Stadtreparatur" bezeichnet wird. Durch diese Formulierungen wird suggeriert, dass die Stadt früher "heil" und intakt gewesen wäre, und dass die Baumaßnahmen der Ära der Moderne diese intakte Stadt zerstört hätten. Häufig wird dieser Diskurs mit Fotos illustriert, die allerdings selten den konkreten Alltag in dieser Stadt zeigen, die realen Wohn- und Lebensbedingungen, sondern die sich auf vordergründige Dinge, wie Fassaden, Platzgestaltungen etc. beschränken.


    Die Fotos im Buch "Armutszeugnisse" werfen ein Blick hinter die Fassaden. Sie zeigen, wie elend das Leben früher tatsächlich war, dass sich hinter stuckverzierten Fassaden oft trostlose Wohnbedingungen verbargen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Bauboom der Moderne in Ost- wie Westberlin tatsächlich eine bedeutende Verbesserung der städtischen Wohn- und Lebensqualität gebracht hat.


    Ich selbst stamme ja ursprünglich aus dem Ostteil und habe mich früher auch stärker mit den Siedlungen im Ostteil identifiziert. Mittlerweile finde ich aber, dass auch in Westberlin tolle Siedlungen gebaut wurden. Wenn ich etwa vom Heinrich-Heine-Viertel (Ost) über den Mauerstreifen in die Otto-Suhr-Siedlung (West) gehe, dann gefallen mir beide Siedlungen gleichermaßen. Auch die Ernst-Reuter-Siedlung, das Spring-Projekt, die Siedlung Britz Süd, der Mehringplatz und bestimmte Wohnanlagen in Kreuzberg gefallen mir sehr gut. Ich denke, dass wir 24 Jahre nach der Einheit beide Stadthälften nicht gegeneinander ausspielen sollten.


    Das bedeutet nicht, dass die Moderne keine Fehler gemacht hätte. Sicher haben die damaligen Planer die bautechnische Haltbarkeit und die Wandlungsfähigkeit der Altbauten unterschätzt. Nicht jeder Abriss wäre nötig gewesen. Dennoch sollte man die Leistungen der damaligen Zeit anerkennen.

  • Ich will an eine Debatte anschließen, die im Alea 101 - Thread begonnen hat. Letztendlich ging es um die Frage, ob die Nachkriegszeit eine Verbesserung oder eine Verschlechterung der Lebensqualität in Berlin gebracht hat. Chandler vertrat die Meinung, dass einige Foristen die Kaiserzeit verklären würden.


    Ich würde mich dieser Meinung anschließen. Die Lebensbedingungen im Berlin der Kaiserzeit sind ziemlich gut dokumentiert. Vor allem die regelmäßigen Wohnungsenqueten der Berliner Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker OKK, die zwischen 1901 und 1920 durchgeführt wurden und die auch zahlreiche Fotos umfassen, dokumentieren sehr gut die Wohnbedingungen der Kaiserzeit. Sichtbar wird in diesen Fotos, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in miserablen Wohnungen leben musste. Ich will ein paar Fotos aus dem Jahr 1904 zeigen:








    Von "gut funktionierenden" Vierteln kann man angesichts dieser Fotos kaum reden.


    Richtig ist aber auch, dass viele dieser Gebäude heute ganz passable Wohnbedingungen bieten. Diese Qualitäten hängen aber mit den aufwendigen Umbauten dieser Gebäude in der Nachkriegszeit zusammen, die oft mit Grundrissänderungen, Einbau von Bädern, Blockentkernungen etc. einhergingen.


    Quelle: Berliner Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker (OKK) , gemeinfrei

  • Ich hab mir die Stellen jetzt noch mal durchgelesen, konnte aber bis auf Eisbers Stuckbemerkung keinen Beitrag finden, der zu einer Diskussion über die "Verbesserung oder eine Verschlechterung der Lebensqualität" in der Nachkriegszeit taugt.


    Ich kann abermals die Intention hinter dieser Debatte nicht richtig wirklich erkennen. Aus meiner Sicht steht das doch außer Frage. Meine Familie hat bis 1997 selbst in einem Altbau mit Dusche im Flur und Toilette im Treppenhaus gelebt. Ich kann also zumindest annähernd erahnen, wie die Lebensbedingungen in Altbauquartieren ausgesehen haben könnten. Selbstverständlich hat sich der Lebensstandard nach dem Krieg verbessert.
    Und ich kann auch immer den Hinweis auf später erfolgte Umbauten nicht nachvollziehen, die die Altbauquartiere erst attraktiv gemacht hätten. Auch das ist völlig usus. Sonst würde heute auch kein Mensch mehr in Fachwerkaltstädten wohnen, wenn diese nicht über Jahrhunderte in der Ausstattung an die Bedürfnisse angepasst wurden. Will heute noch jemand in einen Altneubau aus den 50ern oder eine Platte aus den 80ern im Originalzustand ziehen? Wohl kaum.
    Die Debatten die immer wieder entflammen, drehen sich doch nicht um die Ausstattung der einzelnen Wohnungen, sondern um städtebauliche Aspekte. Die Menschen lebten nicht im Elend, weil im geschlossenen Blockrand gebaut wurde. Mit dem Hinweis auf den deutlich gehobenen Lebensstandard können Freunde des Nackriegsstädtebau gerne auf die Rechtmäßigkeit der damals ergriffenen Maßnahmen verweisen. Die Frage ist, welche Lehren man daraus für die Zukunft zieht? Das Argument der überbelegten Mietskaserne zieht ganz einfach nicht mehr.

  • ^^ Ein sehr guter Einwand, finde ich. Letztendlich ist die ganze Diskussion recht ideologisch geprägt, wo doch Pragmatismus wie du ihn schliderst angebracht wäre.


    Zum Thema Platte, kann ich beitragen dass ich für etwa 16 Jahre in einem DDR-Elfgeschosser gewohnt habe. Die Wohnungen waren im Prinzip gut geschnitten, jedoch waren die nicht-tragenden Wände krumm und schief, der Fußboden und die Türrahmen derart dass man Mühe beim Türschliessen hatte. Die elektrischen Anlagen waren minderwertig, die Lüftung in Bad und Küche mangelhaft. Die Heizung leckte permanent und die Isolierung... ja welche Isolierung... war so dass bei Regen nasse Flecken an den Wänden erschienen. Der Fahrstuhl war permanent defekt und die Grünanlagen im Wohngebiet nannte man damals Schlammlöcher. Nun war die Wohnung unserer Familie eher durchschnittlich für die DDR und kein Bonzenstandard. Außerdem wurden die meisten Sachen bald nach der Wende repariert. Dennoch sollte man die Minderwertigkeit beim Bau der Platten nicht vergessen, wenn man sie als Vergleich für die Qualität klassischer Altbauwohnungen heranzieht.

  • Also wenn die These, dass die Nachkriegszeit einen wesentlichen Fortschritt im Hinblick auf die Attraktivität vieler Städte gebracht hätte, jetzt "Usus" wäre, wie Saxonia schreibt, dann soll mir das nur Recht sein.


    Ich nehme allerdings schon eine andere Debatte wahr. Demnach wären die Städte vor dem Krieg attraktiv und intakt gewesen. Die Moderne in der Nachkriegszeit hätte dann "Stadtzerstörung" betrieben, sie hätte "Wunden" in den intakten Stadtkörper geschlagen, kurzum, sie hätte die Attraktivität der Städte massiv verschlechtert. Ich denke schon, dass dieser Diskurs sehr wirkungsmächtig ist, und er zeigt sich bis hin zu ganz konkreten Formulierungen, wenn etwa die Wiederherstellung von Straßenverläufen und Baufluchten aus der Vorkriegszeit als "Stadtreparatur" oder als "Heilung von Wunden" verkauft wird. Diese ganze Semantik wäre schon ein Thema für sich, weil hier eigentlich völlig unpassende sprachliche Bilder eingesetzt werden, um den Diskurs in die gewünschte Richtung zu lenken. Daher finde ich die Auseinandersetzung mit solch einer Verklärung der Vergangenheit schon wichtig.

  • Wie Saxonia schon schrieb, man sollte den Städtebau und den Standard der Wohnungen sowie die Lebensverhältnisse unabhängig voneinander betrachten. Große, komfortable Wohnungen gab es auch schon vor dem sozialen Wohnungsbau der Nachkriegszeit, in den bürgerlichen Gegenden und auch im Blockrand. Dass wir heute die Bebauungsstrukturen auf Basis der heutigen Verhältnisse beurteilen ist doch nur logisch. Ich habe auch nirgendwo gelesen, dass irgendjemand jemals behauptet hätte, die hygienischen Verhältnisse oder der Wohnkomfort hätten sich durch den Wohnungsbau der Nachkriegszeit verschlechtert. Die Probleme, die wir heute mit städtebaulichen Aspekten haben sind ja gewissermaßen Luxusprobleme verglichen mit den Zuständen direkt nach dem Krieg. Logischerweise führen wir deshalb andere Diskussionen als 1950 und setzen auch andere Bewertungsmaßstäbe an. Die städtebaulichen Aspekte sollten daher auch als Orientierungspunkt für die Diskussion dienen. Hier treffen ganz offenbar gegensätzliche Vorstellungen von Stadt aufeinander.