Mehr Lebensqualität durch "bessere" Architektur?

  • Ich denke nachdem das Bauvolumen bei Wohnungen endlich angezogen hat, ist die Gestaltung die verbliebene wirklich große Baustelle. Der monotone Siedlungsbrei in Münchner Neubauvierteln muss endlich aufhören. Hoffentlich wird insbesondere bei der Gestaltung von Wohnvierteln auch mehr auf die Bürger/Anwohner eingegangen - beispielsweise hinsichtlich der Fassadengestaltung. Dann wären Totalschäden wie die Welfenhöfe womöglich nicht so gebaut worden.


    Die Frage ist nur, ob Hr. Pretzl nur Parolen raushaut oder tatsächlich eine Veränderung initiiert.

  • ^^


    Ich glaube, in der Debatte muss unterschieden werden, zwischen dem Geschmack eines jeden Einzelnen und den gesetzten Rahmenbedingungen bzw. den geschaffenen Gestaltungsfreiheiten.


    Daher halte ich es nicht für zielführend, wenn Herr Pretzl mit Begriffen wie "hässlich" hantiert, da eine solche Wertung im Auge des Betrachters liegt und nie objektiver Maßstab sein kann. So wird auch mutige, innovative Architektur ihre Kritiker finden, die damit nichts anfangen können. Aktuell zeigt dies selbst das moderate Beispiel Heimeranplatz.


    Ziel der Politik muss es sein - und da gebe ich dem Vertreter der Architekten Recht - die richtigen Voraussetzungen für einen urbanen und lebenswerten Städtebau zu schaffen und sinnvolle Anforderungen diesbezüglich abzustecken. Nicht, Architektur mit subjektiven Wertungen zu versehen und zu lamentieren, wenn sie einem nicht gefällt. Damit wäre am Ist-Zustand nichts verändert.


    Konkret heißt das, dass insbesondere der Stadtrat als das entscheidende Gremium in der Stadt, dafür zu sorgen hat, dass in einem Neubaugebiet die Dichte, die Höhe, die Stellplatzanzahl, die planerischen Auflagen so definiert werden, dass eben nicht Ergebnisse wie am Hirschgarten herauskommen.


    Kritiken an den Jurys, an den Wettbewerben sind berechtigt und wichtig. Doch verantwortlich für die Miseren wie Hirschgarten oder Ackermannbogen ist in erster Linie der Stadtrat. Punkt. Er allein hätte dort auf die 120m Hochhäuser bestehen können, er allein hätte dort mehr Wohnraum ermöglichen können, er allein hätte über die Architektur bestimmen können, indem er die Wettbewerbe entsprechend gestalten lassen hätte.


    Herr Pretzl ist ein Segen für die Diskussionskultur, mit Selbstkritik am Stadtrat darf er aber -wenn er ehrlich ist - auch nicht sparen.



    LugPaj: Wir haben doch dafür einen eigenen Thread ;)
    http://www.deutsches-architekt…thread.php?t=13586&page=4

  • Wenn Politik, Architekten, Investoren über Stadterweiterungen, Bauformen und Infrastruktur in München nachdenken, sprechen, handeln........


    .......dann kommt es für mich so vor, als gäbe es auf der Welt nur eine einzige Grossstadt, (in dem Fall München) und man hätte keine Vorbilder, wie man Probleme lösen könnt.


    Wie hilflos ist man zB bei den Formen und Fassadengestaltungen ?
    Ähnlich wie Le Baron Jenney vor 1890, als es noch wirklich keine Vorbilder gab.

  • Definitiv. Aber das Verhalten finde ich kommt in der Politik oft vor. Dabei wäre es viel leichter aus den vielen Beispielen, die es in der Welt gibt, die passenden, erfolgreichen zu kopieren, als dass man immer selbst versucht ein besseres Konzept zu entwickeln.


    Aber ich kenne mich hier international auch zu wenig aus. Weiß jemand, wie das Verfahren (Bebauungsplan / Wettbewerb) für ein Entwicklungsgebiet bei einer Stadt wie Wien / Amsterdam / Berlin / ... von dem in München abweichen würde?

  • Selbstverständlich ist Architektur zu einem großen Teil subjektiv, das ist klar. Es wäre jedoch ein leichtes die Qualität von Neubauten zu steigern durch gezielte Vorgaben.


    Beispielsweise:
    - Kleinere Parzellierung der Grundstücke, mit der Vorgabe individuelle Fassaden je Haus zu gestalten (also weg von langen, monotonen Riegeln)
    - Gestalterische Vorgaben um sich in umliegende Altbauquartiere einzufügen (hinsichtlich Farbgebung, Fenster-/Balkongestaltung oder Fassadenmaterialien)
    - Klassische Dreiteilung einfordern mit klar unterschiedlich gestalteten Sockelgeschoss(-en), Regelgeschossen und Dachgeschoss
    - Strengere Regeln für Grünflächen (Mindestlänge/-breite und Dichte der Begrünung), um bizarre Rasengebilde ohne Aufenthaltsqualität zu verhindern

  • ^


    Oder wir vereinfachen und lockern die Vorgaben, gestalten die Wettbewerbe teilnehmer- und ergebnisoffener und orientieren uns künftig nicht mehr nur am kleinsten gemeinsamen Nenner (z.B. bzgl. Traufhöhe).


    Ich bin eigentlich weniger ein Freund von Reglementierung und starren Vorgaben, die z.T. mutige, innovative Architektur wieder im Keim ersticken. In der Altstadt und bestimmten Gebieten der Innenstadt sind sie sinnvoll - dort gibt es sie heute z.T. ja schon - überall sonst würde ich einen Wandel über die Kreativität der Architekten und Bauherren bevorzugen und zwar nicht nur derjenigen der handvoll Münchner Architekten sondern häufiger auch weltweiter Büros. Genügend Beispiele zeigen, dass optisch tolle Gebäude auch ohne Gestaltungsvorgaben herauskommen können, wenn man sie nur lässt (z.B. Macherei), d.h. die Politik die richtigen Rahmenbedingungen (Dichte, Höhe, Infrastruktur) liefert.


    @Mods: Ab #1772 bitte in diesen Thread verschieben.

  • Ehrlich gesagt, ich bin zunehmend Gegner der mutigen, innovativen Architektur. Dadurch sind unsere Städte so hässlich geworden wie sie heute sind. Denn jede derart exzentrische Art von Gestaltung unterliegt einem rapiden Verfall - des Geschmacks. Die meisten Avantgardebauten werden 20 Jahre später als potthässlich empfunden und zum Abriss freigegeben. Das Potential zum Architekturklassiker haben nur sehr wenige Gebäude.


    Ich würde lieber gerne enge Vorgaben haben, die zu harmonischen und lebenswerten Stadtbildern führen. Das schließt einzelne innovative Leuchtturmprojekte (via Wettbewerb) natürlich nicht aus. Solange sie die Gesamtharmonie auflockern aber nicht zerstören.

  • Auch die SPD-Fraktion springt nun auf den Zug auf...allerdings in abgeschwächter Form, dafür mit etwas konkreteren Vorschlägen. Bauträger sollen verpflichtet werden, möglichst nah am Siegerentwurf zu realisieren.


    Qualität der Architektur sichern!
    Antrag:
    Die Stadtverwaltung wird gebeten, mit den Akteuren des Wohnungsbaus in München Vorschläge zur Sicherung der Qualität im Neubau, insbesondere im Hinblick auf Gestaltung und Fassade, zu erarbeiten.
    Begründung:
    In allen großen Siedlungsmaßnahmen verpflichten sich die Bauträger gegenüber der Stadt, mittels Realisierungswettbewerben hohe architektonische Qualität zu erzielen. Leider ist immer wieder zu beobachten, dass die gebauten Ergebnisse in der architektonischen Qualität vom prämierten Entwurf abweichen. Denkbar ist beispielsweise, dass der Urheber des Siegerentwurfs im Wettbewerb auch mit der Leistungsphase 5 (Ausführungs- und Detailplanung) beauftragt wird und so die Ideen und Merkmale des Siegerentwurfes erhalten bleiben.


    Quelle: https://ru.muenchen.de/pdf/2018/ru-2018-05-22.pdf#page=15

  • So, und auch die Bayernpartei kocht jetzt ihr Süppchen zum Thema:



    Quelle: https://ru.muenchen.de/pdf/2018/ru-2018-05-30.pdf#page=16

  • Beispiel Prinz-Eugen-Kaserne

    Ich hatte gestern bei einem Rundgang auf dem Areal die Gelegenheit, mich länger mit einem Bauherren der Wohnbaugenossenschaft Wagnis zu unterhalten. Seine Grundaussage war: Man bewege sich als Projektentwickler in München innerhalb eines extrem engen Rahmens von Gesetzen, Richtlinien und Vorschriften und es geht eigentlich nur darum, diese Regeln bestmöglich auszutricksen, bzw. das Maximale an Qualität und Rentabilität herauszuholen. Das Interesse an architektonischer Gestaltung und/oder sogar innovativen Ideen stehe dabei quasi an letzter Stelle. All die anderen Dinge seien eben schon viel zu kompliziert. Dabei nahm er ausdrücklich auch Projektentwickler im freifinanzierten Wohnungsbau wie Klaus, Baywobau, Terrafinanz etc. in Schutz. Er machte in etwa folgende Rechnung auf: Auf einem Areal wie der Prinz-Eugen-Kaserne koste das Grundstück auf den qm Wohnraum gerechnet derzeit € 4.000,-. Die eigentlichen Bau- und Entwicklungskosten lägen dann bei normaler Ausstattung bei ca. € 3.800,-., wobei da dann noch im Fall PEK unerwartete Bodenkontaminierungen dazukamen, die für weitere ca. € 500,- /qm behoben werden müssten. Beim Bau und bei der Entwicklung bewege man sich in einem sehr engen Rahmen, u.a. mit strikten Begrenzungen der Geschossflächenzahlen, Vorschriften zum Autostellplatzbau, Feuerwehrzufahrten, Abstandsflächen, Gestaltungssatzungen usw. Um auf die tatsächlichen städtebaulichen und /oder architektonischen Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner einzugehen, sei da kaum noch Raum. Die architektonische Gestaltung sei da längst zur reinen Nebensache verkommen.


    Auch würden sich viele Käufer und Bewohner eine höhere Dichte und mehr Durchmischung mit Gewerbe wünschen. Die Probleme seien aber auch hier hausgemacht. In München werde auch im Stadtgebiet noch immer mit Verkehrskonzepten, die weitestgehend auf das Auto setzen, geplant. Durch die komplexe und platzintensive Erschließung für regelmäßigen Autoverkehr pro Einwohner und die Verordnungen für Stellplätze, sind die zugelassenen Geschossflächenzahlen seit Mitte der 1970er Jahre stark gesunken. All dies erhöht die Baukosten extrem und erstickt in Zusammenhang mit Gestaltungs- und Höhenvorgaben den Spielraum für architektonische Gestaltung praktisch völlig. Durch die zu geringe Baudichte lohne es sich nun auch nicht, in den Erdgeschossen Gewerbe unterzubringen. Dadurch entstehen mehr oder wenige reine Wohnsiedlungen ohne Lebendigkeit und damit auch eine geringere Lebensqualität für die Bewohner. Denn, so das Wagnis-Mitglied, die meisten der Käufer und zukünftigen Bewohner würden sich mehr Dichte im Zusammenspiel mit Nutzungsmischung und Urbanität wünschen – wenn sie denn gebaut würde. Auf das Auto hingegen – Hauptargument für die starken Einschränkungen beim Siedlungsbau – verzichten immer mehr freiwillig: von den 66 vorgeschriebenen Stellplätzen würden nicht einmal die Hälfte genutzt.


    Das nur mal als Beispiel, ohne dass ich weiß, ob diese Erfahrungen genau richtig sind. Es klingt aber in jedem Fall plausibel. Ich denke, es ist wichtig und richtig, dass es vonseiten der Stadt etc. eine Lenkung gibt und nicht jeder bauen darf wie er will. Ganz offenbar sind es aber die falschen Vorgaben, die schon lange nicht mehr den Bedürfnissen der Bewohner entsprechen.

  • ^^


    Danke! Sehr interessant.


    Die 4.000 Euro Grundstückspreis pro qm Wohnfläche sind schon der absolute Wahnsinn. In der PGA sind es auch an die 4.000!

  • OT: Hmm, dabei fällt mir ein, PEK ist doch ein ehemals städtisches Areal. Hätte die Stadt hier nicht auch billiger verkaufen können?

  • Antrag der CSU-Stadtratsfraktion:



    Quelle: https://ru.muenchen.de/pdf/2018/ru-2018-07-06.pdf#page=34


    Das halte ich nun genau für den falschen Weg. Innovative Architektur entsteht nicht dadurch, dass man noch mehr Vorgaben erlässt. Das Gegenteil sollte passieren: Nur durch eine Lockerung der Gestaltungsvorgaben, Satzungen und Bauvorschriften wird wieder mehr abwechslungsreiche Architektur möglich werden.

  • Anbei ein Artikel der SZ zum Thema Umbau der Stadtgestaltungskommission:
    https://www.sueddeutsche.de/mu…hitektur-reform-1.4214272


    Insgesamt scheint es mittlerweile allgemeiner Tenor zu sein dass die Qualität von neuer Architektur in München in Deutschland Schlusslicht ist. Als Ursache sieht der Artikel die Kombination von pseudoelitären Entscheiderkreisen und zu langsame Projektentwicklung, wodurch die Qualität von Entwürfen oft nachträglich noch reduziert wird...