Die künftige Last der/s modernen Architektur/Städtebaus?

  • Die künftige Last der/s modernen Architektur/Städtebaus?


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    Thread wegen dem eher allgemeinem/nicht nur Berlin spezifischen Thema aus dem Berlin-Bereich verschoben. Jo-King.


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    Hallo ihr da! :)
    Ich verfolge ja schon seit geraumer Zeit und mit großem Interesse die bauliche Entwicklung der Stadt Berlin. Und dieses Forum eignet sich ja besonders gut dafür, zu beobachten, -was- für Gebäude hier so errichtet werden. Und ich muss sagen, dass die Entwürfe einfach nur immer hässlicher geworden sind.
    Die minimalistische Architektur nach Van der Rohe gefiel mir lange Zeit sehr gut. Aber was man sich heute zu bauen getraut, ist einfach nur die absolute Langeweile der Architekten; oder besser gesagt, der scheinbar kleine Geldbeutel der großen Auftraggeber. Der Gipfel ist ja wohl dieser triste Kubus am Hauptbahnhof. Ich meine, es wäre ja ein hervorstechendes Bauwerk, wenn es nicht schon x-mal in diesem Stil in der Stadt gebaut worden wäre. Es sieht einfach alles gleich und militant aus. Eben langweilig! Mittlerweile getraue ich mir sogar zu sagen, dass die Wohnbau-Architektur der siebziger kunstvoller war als die heutige. Ich nehme da jetzt mal gleich ein krasses Beispiel:



    Dieser Wohnblock steht direkt vor meinem Fenster. Und ich finde ihn ansprechender als einen Großteil anderer moderner Gebäude in Berlin. Dieser Plattenbau hat eine einfallsreichere struktierte Außenfassade als viele der 12-stöckigen Neubauten am Potsdamer Platz. Er besteht also nicht nur aus 4 Wänden und einer Decke obendrauf. Und mit einer gut gewählten Farbwahl der Fassade wird daraus ein ansehnlicher Wohnblock. Schaut man genauer hin, kann man sogar noch weitere kleine Details erkennen, was bei dem Glaswürfel unmöglich ist/wäre.
    Generell ist das Viertel um den Hauptbahnhof definitiv nicht bis kaum gelungen. Warum getraut man sich nicht mehr ein paar Fassadenelemente zu installieren, die über eine Glasscheibe hinausgehen!? Mit diesem Viertel kann ich mich als Mensch einfach nicht indentifizieren. Es strahlt all das aus, was man in der Regel als abstoßend empfindet; Eintönigkeit und Kälte. Warum riskiert man nicht ein paar Konstruktionen, die Wärme und Geborgenheit ausstrahlen? Ich gehe damit jetzt mal ganz weit zurück und sage, dass der Mensch ja wie alles Leben auch der Natur entstammt. Die Natur ist seine Heimat. Das ist Fakt. Und das wird auch immer so bleiben, ob sich der Mensch nun dagegen wehrt oder nicht. Warum also stemmen wir uns mit aller Macht dagegen, anstatt Gebäude zu planen, die uns an unsere Herkunft erinnern? Häuser dürfen durchaus eine gewisse "organische Ausstrahlung" haben.
    Ein wirklich gelungenes Beispiel solcher moderner Architektur steht ebenfalls direkt vor meinem Fenster, direkt neben dem oben gezeigten Wohnhochhaus. Das "Castello". Es enthält ein kleines Einkaufszentrum sowie 193 Wohneinheiten:



    Bei diesem Haus bekommt der Beobachter meines Erachtens nach wirklich das Gefühl, dass dieses "lebt". Der Mensch und das Haus sind eins. Klingt komisch, is' aber aber so.
    Es könnten zumindest wieder ein paar Gebäude nach dem Stil der postmodernen Architektur errichtet werden. Zum Beispiel mit einer einfallsreicheren Anordnung der Fenster oder einer hellen Sandsteinfassade. Warum wird denn so nicht wieder weitergemacht!?


    Ich hoffe zutiefst, dass sich die Stadt nicht mehr von diesen seelenlosen Klötzen einbrocken wird. Ansonsten kann man bald von einer Architektur à la "Seventies reloaded" sprechen. In ein paar Jahren schon wird man ebenjene Bauwerke schon als Bausünde ansehen. Genügend Differenzen diesbezüglich gibt es ja ohnehin schon. So fing es übrigens auch an, als den Stadtvätern vor 27 Jahren bewusst wurde, dass dies "Schrott" ist, was man dort baut.


    Grüße,
    Spirit84 :)

  • Ich bin zwar kein Berliner, aber wenn ich mir die Bauprojekte, die so in letzter Zeit entstanden sind anschaue, dann sehe ich nicht ganz so schwarz. Man wird niemals irgendwo, in keiner Stadt komplett zufrieden sein mit dem was Stadtplaner beschließen und umsetzen. Ich denke man könnte in Berlin leicht auch viele gute Beispiele finden, wie moderne Architektur aussehen kann. Ich habe mir z.B. auf Skyscrapercity mal alle möglichen Bauvorhaben von Barcelona angeschaut und muss sagen, dass das viel trister und langweiliger war, als das was in Berlin gebaut wird! Auch in so ziemlich jeder anderen Stadt in Europa entstehen langweilige Kisten. Ich denke aber, dass sich das in einigen Jahren ändern wird, weil dieser Minimalismus bei vielen Menschen zunehmend unebliebter wird. In Berlin kommt aber noch ein was dazu, was man auf garkeinen Fall unterschätzen sollte, diese Stadt ist für "Stararchitekten" einfach interessanter als kleine Städte und so kommen eben viele nach Berlin ( Barcelona, Paris usw ) und propagieren die Schönheit von glatten, schnörkelosen Fassaden und dem ganzen Gerede von Offenheit, ehrlicher Architektur usw. Schaut man dagegen mal in die Provinz, wo sich keine Stararchitekt drum schert was dort gebaut wird, siehts ganz anders aus. Ich war erst gestern in Freiberg meine Verwandschaft besuchen und da werden so gut wie alle Neubauten dem traditionellen Stadtbild angepasst. Ein anderes Beispiel wäre Potsdam, wo man lange gerangelt hat um die alte Schlossfassade, während am Stadtrand Villen gebaut wurden im ganz traditionellen Stil. Es hängt also schon ne Menge vom Standort ab und wer alles mitredet, was im Endeffekt gebaut wird. Berlin ist eigentlich auf einem guten Weg hin zu einem sehr ansprechenden Stadtbild, obwohl du recht hast und der Würfel am Hauptbahnhof echt mies wird.

  • Ich denke es wurde zu allen Zeiten sehr einheitlich gebaut, weil jede Epoche eben ihre bestimmten Merkmale und Stile hat. Sehr viel Kontraste gab es auch vor der Moderne nicht. Natuerlich faellt das in Berlin jetzt besonders auf, weil sehr viele Gebaeude in den Jahren nach der Wende entstanden sind und sich daher in gewisser Hinsicht gleichen.


    Ich wuerde allerings nicht grundsaetzlich von schlechter Architektur sprechen, wie immer gibt es positive und negative Beispiele. Positiv meiner Meinung nach z.B. das Schuetzen-Karree von Rossi (Stararchitekt!) und einzelne Gebaeude am Potsdamer Platz. Aber es stimmt schon, oftmals sind moderne Gebaeude einfach nur einfallslos und langweilig. Das ist aber denke ich keine Schwaeche moderner Architektur sondern einfach nur Knauserigkeit der Bauherren oder schlicht Unfaehigkeit der Architekten. Dennoch hat Berlin IMO sehr gelungene und abwechslungsreiche moderne Architektur zu bieten, vor allem im Vergleich mit anderen deutschen Grossstaedten, was angesichts der writschaftlichen Probleme doch recht erstaunlich ist.

  • Ihr könnt es nicht lassen. Immer die gleiche Leier!


    Wie kann man denn bitteschön einen W66-Turm, den man sich durch's Fenster quasi "schöngucken" musste, mit einer Miniatur-Visualisierung aus der Zeitung vergleichen - und das Ganze dann noch als Aufhänger für die alte Debatte: Früher-War-Alles-Besser-Kontra-Die-Architekten-Von-Heute-Sind-Unfähig-Und-Die-Investoren-Geldgierig benutzen wollen?


    Es scheint, trotz ausufernder Diskussionen inklusive zahlreicher, den historischen Realitäten näher kommender Ausführungen, immer mehr Leute zu geben, die mangelnden Sachverstand lieber mit waghalsigen Thesen zu kompensieren versuchen, die auf der individuellen Wahrnehmung und einer Portion Halbwissen fußen, statt sich zunächst mal mit den gesellschaftspolitischen (und daraus ableitbaren juristischen, technologischen und sonstigen) Hintergründen zu befassen, die zum Beobachteten führen. So, wie ich das wahrnehme, gibt in diesem Forum bald keinen Thread mehr, der nicht mit diesem Unfug zugemüllt wird.


    Warum wird der Threadtitel eigentlich mit einem Fragezeichen bedacht, wo doch im zugehörigen Beitrag nur noch Aussagen zu finden sind? "So fing es vor 27 Jahren auch an ..." etc. Lächerlich! So fing überhaupt nichts an! Wenn der Autor des Threads vielleicht versuchen würde zu eruieren, warum wann und wo wie gebaut wurde, statt alles leichtfertig auf die Unfähigkeit seiner Zeitgenossen zu schieben, könnte das Kartenhaus sehr schnell einstürzen. Es gibt genügend Literatur zum DDR-Baugeschehen, zur deutschen Wohnungsituation nach 1945, zu den Motiven gründerzeitlichen Bauwahns und dessen äußerer Erscheinung, zu Architektenleistungen, zur rechtlichen Situation und sogar zum Thema Volkswirtschaft! Ich habe wirklich keinen Bock, hier alles zum tausendsten Mal runterzubeten. Man scheint eh gegen Windmühlen anzurennen. Jede individuelle gestalterische Leistung ausserhalb des eigenen Erfahrungshorizontes wird herabgewürdigt und jede reine Reproduktion des Vorhanden als Kunstfertigkeit verklärt. Heutige Notwendigkeiten werden, ebenso wie einstige Verfehlungen, einfach ignoriert, Hauptsache, man kann seine eigene Sichtweise durchboxen.


    Selbstverständlich werden Fehler gemacht. Aber: je mehr Leute ein Wörtchen mitreden mögen, desto weniger wird sich das vermeiden lassen. Klar ist auch, dass sich (Fehl-)Entwicklungen zyklisch wiederholen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Küchentisch-Architekturtheoretiker die Deutungshoheit erlangt haben, oder? In dem Wahn, trotz offensichtlicher Scheuklappen alles besser wissen zu wollen, scheinen mir manche Beitragverfasser in diesem Forum ihren Feindbildern näher zu sein, als ihnen lieb sein dürfte.

  • Ich kann Dir da schon irgendwo zustimmen AeG, aber dennoch ist eine gewisse Unzufriedenheit einer anscheinend größeren Gruppe medial immer lauter wahrzunehmen.


    Ich denke trotzdem aber auch, dass die tatsächliche Unzufriedenheit mit der zeitgenössischen Architektur in Wirklichkeit viel geringer ist, als dies verkündet wird. zum einen sind die Unzufriedenen natürlich lauter als die Zufriedenen und zum anderen, da der Mensch immer dazu neigt in erster Linie Schwächen und Fehler im Ist-Zustand zu suchen und nur positives im Vergangenen zu sehen.


    @Spirit84:
    Was du da als "Natur" ansprichst hört sich für mich eher nach Sozialisation an. Strenge Geometrie ist genauso natürlich wie organische Kleinteiligkeit.
    Auch Begriffe wie "Wärme" und "Kälte" beruhen zu großen Teilen auf dem persönlichen Erfahrungshintergrund. Du wirst dir wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die eine graffitibeschmierte Sichtbetonbrücke als Teil ihrer Heimat akzeptiert haben. Und wenn diese Menschen irgendwo hinkommen wo es überhaupt keine solchen Brücken gibt, dann fühlen sie sich irgendwo weniger geborgen. Selbst wenn die Straße vielleicht Kopfsteinpflaster hat.
    Mit anderen Worten: Ich fand den Pariser Platz in Berlin kalt und anonym. Eigentlich das Gegenteil dessen, was Pflaster und Blumenbeete versprachen. Der Potsdamer Platz war das zwar auch, der will aber auch nicht heimelig sondern beeindruckend sein und war insofern ok. Neben echtem "Leben" im Gegensatz zur Fassadenshow, spielt das direkte Umfeld noch eine riesige Rolle. Die zeitgenössische Architektur ist da durchaus sensibler, als so ziemlich alles, was vorher war!


    Das gezeigte Wohnhochhaus sieht übrigens nicht schlecht aus. Es scheint historisch seine Zeit widerzuspiegeln. Außerdem harmonieren Proportionen und Gliederung der Fassade etc. miteinander. Es scheint für seinen Stil also ganz gut zu sein. Allerdings kann ich weder den Sprossen in den Fenstern, noch der Fassade, noch der Art der Balkone rein nach persönlichem Geschmack viel abgewinnen.


    Ps: Was übrigens auch sehr wichtig ist, aber hier nicht diskutiert wird sind Grundrisse und Schnitte. Mal ganz im Ernst, bei uns an der Uni gibt's während den ersten 2 Semestern den Begriff Fassade in den ersten Entwürfen eigentlich gar nicht. Da geht es erst mal nur um räumliche Dinge.
    Diese komplette Komplexität eines Gebäudes kommt erst langsam mit späteren Entwürfen. Aber Raum steht (und das ist irgendwo auch richtig so!) einfach erst mal an erster Stelle.

  • Oh je mine, der AeG.

    Ach AeG! Du kannst es nicht lassen. Immer wieder die gleiche Leier.


    Völlig egal wie miniaturisiert die Visualisierung des Cube auch sein mag, für eine grobe Bewertung seiner Wirkung reicht es allemal. Dazu sind solche Visualisierungen schliesslich gedacht. Aber es braucht auch überhaupt kein Bildchen, um zu folgern, das ein würfelförmiges Gebäude dessen Fassade nur aus gläsernen Dreiecken bestehen soll, vermutlich nicht warm, weich und organisch wirken wird. Ebenso unnötig sind irgendwelche Aufhänger für eine Debatte über die Qualität zeitgenössischer versus historischer Architektur. Das früher alles besser war, ist einfach eine naheliegende (wenn auch verallgemeinernde) Feststellung, die sich mit tausenden Beispielen belegen lässt. Man muss sich nur mal die Abfolge der drei Lehrter Bahnhöfe anschauen. Erst die prachtvolle Bahnhofskathedrale, dann der gemütliche Backstein-S-Bahnhof und zum Schluss die seelenlose Stahlträgerorgie. Wer nicht erkennt, das da über die Zeit ein ästhetischer Niedergang stattgefunden hat, muss von Blindheit geschlagen sein. Du könntest ja den Gegenbeweis antreten, aber deine Besserwisserei und dein Getue persönlichen Beleidigtseins, ob der Nichtwürdigung zeitgenössischer Architektur, wird die These wohl kaum entkräften können.


    Dafür das du hier das Fachgenie sein möchtest, ist deine Kernaussage (jede Architektur ist ein Produkt ihrer Zeit) eine ziemliche Binsenweisheit. Weshalb sich überhaupt in einem Architekturforum anmelden, wenn doch eh schon alles durch die gesellschaftspolitischen, juristischen, technologischen und sonstigen Hintergründe bestimmt ist? Neben der rein technokratischen Sichtweise auf die Architektur gab es immer auch eine kulturelle, künstlerische und psychologische Sichtweise, die du in deinen Betrachtungen vehement ignorierst. Es gibt reichlich Erkenntnisse über die Schönheitswahrnehmung und das Wohlbefinden des Menschen in Abhängigkeit von bestimmten Farben und Formen, die ebenso wissenschaftlich fundiert sind. Ausserdem hat Spirit84 ganz bewusst zwei Neubauten miteinander verglichen. Also zeitgenössisch bessere versus zeignössisch schlechtere Architektur. Es kann sich also nicht nur um die individuellen Wahrnehmungsstörungen einzelner Historismus Freaks handeln, die zu einer kritischeren Betrachtung des aktuellen Baugeschehens führen.


    Dein Versuch den ungebildeten Küchentisch-Architekturtheoretikern jede Deutungsfähigkeit abzusprechen, ist ebenso lächerlicher wie fruchtlos. Aus gutem Grund lässt man Küchenchefs nicht die Qualität ihrer eigenen Gerichte bewerten, sondern beschäftigt zu diesem Zweck Feinschmecker. Das sich manche Architekten als Einzige dazu im Stande sehen, ihre Machwerke angemessen zu bewerten, is ja gerade die Ursache von durch Betriebsblindheit ausgelösten Zyklen schlechten Geschmacks. Die Güte von Bauwerken sollte eben gerade von Jenen bewertet werden, die diese täglich nutzen oder direkt vor ihrem Fenster ertragen müssen. Dann wäre auch sichergestellt, das nicht ganze Architekturdekaden von selbstverliebten Köchen mit zuviel Beton versalzen werden. In diesem Punkt solltest du vielleicht deinem Kein-Bock-Gefühl nachgeben und deinen tausendsten Versuch, diktatorisch über die Gruppe der Auserwählten zu bestimmen, welche würdig genug sind um die Qualität zeitgenössischer Architektur zu bewerten, ein für allemal aufgeben. Architekten hatten nie die alleinige Deutungshoheit über ihre Produkte und werden sie niemals haben. Du rennst tatsächlich gegen Windmühlen und wirst deine Monsterhorden ungebildeter Architiktur Laien nicht besiegen können.

  • mik:
    Die Fassaden von Gebäuden müssen dem Auge des Betrachters immer wieder etwas Neues und hinreichend Komplexes zum Analysieren bieten, um als schön empfunden werden zu können. Dazu ist eine viel höhere Strukturiertheit und Varrianz verschiedener Fassadenelemente nötig, als sie die Rechteckgitter zeitgenössischer Gebäude bieten können. Nicht nur Begriffe wie "Wärme" und "Kälte" beruhen auf einer Sozialisation. Auch jedes Gebäude existiert innerhalb eines auf Überlieferung beruhenden Kulturkreises, dem es Rechnung tragen muss. Der "Raum" darf eben gerade nicht an erster Stelle stehen, sondern die "Umgebung" des Raums also die Gesellschaft, in die ein Gebäude eingepasst werden soll.


    Statik, Flächen und Kosten, mit denen sich die Architekten hauptsächlich beschäftigen, sind nur Constraints (Nebenbedingungen), die erfüllt werden müssen. Sie haben aber mit der eigentlichen Aufgabe des Architekturentwurfs nichts zu tun. Der Architekt ist ein Künstler, der ein fesselndes Bild entwerfen muss, das mit dem Betrachter in einer ihm bekannten Formensprache redet. Dafür, das er dabei nicht über den Rahmen hinaus malt (alle Constraints erfüllt), hat der Architekt nebenbei zu sorgen. Ein Architekt muss Maler sein, nicht Anstreicher. Er muss ein Motiv schaffen und nicht nur die Leinwand mit einer Farbe füllen. Viel zu oft geben sich Architekten damit zufrieden alle Nebenbedingungen erfüllt zu haben, ohne mit ihrer eigentlichen Arbeit überhaupt begonnen zu haben.


    Graffitibeschmierte Sichtbetonbrücken können deswegen sehr leicht Teil einer Heimat werden, weil Graffitis nicht aus standadisierten, einfarbigen Buchstaben derselben Typographie und Größe bestehen. Sondern eine eigene kulturelle Formensprache bilden, die den modernen Fassaden meist fehlt. In gewisser Weise rettet der Sprayer mit seiner Arbeit oft ein misslungenes Fassadenbild durch Übermalung. Es gehört sogar mit zum Selbstverständnis der Graffitikünstler, das sie mit ihren Bildern die oft triste Architektur der Städte verbessern (rekultivieren) wollen. Ziel eines Architekten muss es sein, auch ohne "Verschönerung" durch Sprayer ansehnliche Gebäude zu entwerfen. Auch dafür können geometrische Formen verwendet werden, diese müssen aber zwingend auch dekorativ-künstlerisch und nicht nur zweckmäßig eingesetzt werden.


    Der Grundkonflikt liegt in der Frage: Baue ich für einen Platzbedarf oder baue ich für Menschen? Richte ich mich nach dem Ersteren und betrachte nur den benötigten Raum, dann entstehen hocheffiziente Versorgungssysteme, die prächtig funktionieren, aber auf soziale Lebewesen wie Gefängnisse wirken. Der Mensch benötigt Kultur, d.h. unnötige und nutzlose Rituale, Formen und Muster, die nur der Überlieferung entspringen und keinen eigentlichen Zweck erfüllen. Über Jahrtausende haben sich überall auf der Welt regionale Baustile mit einer Vielzahl nutzloser aber dazugehörender Ornamente entwickelt, die den Menschen Wiedererkennung und damit eine Heimat gegeben haben. Heute bauen die Architekten weltweit die gleichen schmucklosen Schuhkartons und behaupten auch noch:

    Die zeitgenössische Architektur ist da durchaus sensibler, als so ziemlich alles, was vorher war!

  • Vielleicht sollte mal für die Nichtkenner des "Cubus" erstmal klar gestellt werden, um welches Gebäude es sich handelt.
    http://www.welt.de/berlin/arti…_Kanzlerin_die_Sicht.html


    2. Ist der gemachte Einwurf bei diesem Gebäude von 3x Nielsen ja wohl völlig verfehlt. Ein städtebauliches Palais mit Stuck und Türmchen würde zu dem Bahnhof nun ganz und gar nicht passen. Es muss doch möglich sein, eine individuelle aufsehenserregende Formensprache zu entwickeln, die sowohl progressive als auch füturistische Elemente enthält. Mit dem häufig hier zitierten Formenkonservativismus kommt man wohl nicht weiter. Warum gerade eine derartige Debatte bei dem Cube gemacht werden muss, erschließt sich mir überhaupt nicht! Ich verstehe, dass man mit der Rekonstruktion des Stadtschlosses städtebauliche Wunden heilen möchte. Wo ist denn aber der historische Anknüpfungspunkt neben dem Bahnhof, den man wieder herstellen möchte? Ganz klar, es gibt gar keinen! Deswegen ist die Diskussion in Bezug auf den Cube völlig verfehlt!
    Ambitionierte Architektur ist niemals fehl am Platz, man sollte die Gebäude nicht nach Alter und Stilistik beurteilen, sondern nach Qualität! Der Cube ist doch grade ein Projekt, dass Berlin weiter voran bringt!

  • Zum "Cube" das Ding passt ganz gut nach Berlin. Es hat was nobles, wertiges in seiner Schlichtheit ohne aber wirklich toll oder Avantgarde zu sein. Also der Hammerentwurf ist es nicht, aber auch keine Katastrophe. Außerdem passt es doch absolut perfekt in die Umgebung. Kanzleramt und Bundesband muss man ja nicht mit nem Wolkenkratzer unterwerfen. Was zu kleinteiliges würde der Vorplatz nicht vertragen. Da müssen so große Formen hin, sonst wirkt dass ganze zu kahl.


    Wenn ich mir versuch da was historisierendes oder postmodernes Vorzustellen... Das geht gar nicht. Maximal den Frankfurter Messeturm. Aber das wäre natürlich ein Affront gegen die Regierungsbauten, oder?


    Guderian
    hmm, ich richte mich in meiner Antwort nach Deinen 4 Absätzen.


    Also zu 1:
    Komplexität, Struktur etc. sind auch Fragen des Maßstabs. Da werden heute meines Erachtens auch sehr viele Fehler begangen. Ein Bauwerk, umgeben von großen Plätzen, welches auch noch Mobilität symbolisiert sollte eine "große Form" haben. Der Lehrter Bahnhof ist mir fast noch zu kleinteilig in der Fassade. Das ist aber die Frage "Monumentalität - ja/nein?".
    Du sagst weiterhin, die Fassaden sollten Gesellschaft und Kultur entsprechen. Andererseits sollten sie auf Tradition und Überlieferung Rücksicht nehmen. Das ist doch ein Widerspruch?
    Unsere Gesellschaft hat sich dermaßen radikal gewandelt, dass historisierende Fassaden doch nur noch etwas vorspielen. Sie lassen die Menschen von einer angeblich besseren Zeit träumen. Mit Formalästhetik hat das überhaupt nix zu tun!
    Zum Raun: Du forderst also den "dekorierten Schuppen"? Solche Architektur mag in einigen Situationen berechtigt sein. Allerdings ist das dermaßen unhistorisch und flach. Und außerdem wird's nicht funktionieren.
    Gerade Berlin ist da ein gutes Beispiel. Ein Großteil der sozialen Migration im Wedding wird hier durch die ungünstigen, unflexiblen Gründerzeit-Wohnungszuschnitte erzeugt. Soziale Durchmischung ist da nicht im geringsten möglich. Die moderne Architektur ist kreativer, die Vielzahl an Wohnungs und Erchließungstypologien könnte eigentlich etliche soziale Problematiken verbessern. Das Problem ist nur, dass sowas zu selten gebaut wird. Das ist aber nicht schuld des Stils oder der Architekten. Innen-"Raum" ist also doch wichtig.
    Mal abgesehen davon - die typischen Gründerzeitsockel am Gehweg finde ich immer sehr abweisend. Auch die historische Haussmann-inspirierte Stadtplanung ist kein Allheilmittel. Da hab ich schon sehr gutes und sehr schlechtes gesehen. Genauso wie bei Wohnparks mit fließendem Raum im Grünen. Alles keine prinzipielle Stilfrage und nix was früher prinzipiell besser wäre. Man hat nur das schlechte von früher länger überarbeiten können!


    zu Absatz 2:
    Deutschland hat 60 000 Architekten. Frankreich nur 30 000. Ich bau Dir alles was du willst. Ich streich Dir auch dein Garagentor schweinchenrosa...
    Aber darauf kann man's natürlich nicht schieben. Gerade finanzstarke Großprojekte missfallen ja vielen mehr als der postmoderne Einfamilienhaus-kitsch. Das liegt aber eben auch gerade daran, dass sich hier die Architekten als "Maler" und nicht als "Anstreicher" verstehen. Geh doch mal in ein zeitgenössisches Kunstmuseum. Da malt auch keiner mehr wie DaVinci. Den Vorwurf kannst du also so nicht machen.


    Zu3:
    Mir ging es nicht um Graffiti. Ohne wärs auch ok. das wäre dann halt ne andere Gesellschaft. Mir geht's eher darum, dass viele, auf alt getrimmte Sachen sehr künstlich und distanziert sind. Das sind Orte die nicht "gemütlich" sind. Gemütlich, geborgener, lebendiger, natürlicher ist dabei nicht zwangsweise urbaner Schmutz, sondern dass kann die Kaffee und Kuchen-Theke von einem dörflichen Geschichtsverein in einem 70er Jahre Beton-Utopie Rathaus sein. Da steckt dann sogar mehr Tradition drin, als in jeder Reko. Und wenn du meinen solltest, dann läge das nicht an der Architektur, dann irrst du dich. Denn gerade der Kontrast, dass alte Omis in einem fortschrittsgläubigen Bau so zusammensitzen, dass macht es aus.
    Ps: Ich meine damit, dass sich gerade in Verbindung mit moderner Architektur ein echtes, nachempfindbares Gefühl von Ehrlichkeit und Unverfälschtheit einstellt.


    Zu4:
    Ich stimme Dir beim regionalen Problem zu. Der globale Einheitsbrei ist zwar die natürlichste Entwicklung, aber dennoch sollte sich das letzte bisschen kulturelles Selbstverständnis in der Architektur wiederspiegeln. Nur da ist das Problem. Du forderst die Fortführung von traditioneller Architektur, ohne Rücksicht auf das kulturelle Selbstverständnis.
    Deutsche Architektur sollte anders aussehen als Preußens Protzerei von damals. Ob sie aber nun in Richtung bunt oder nüchtern, monumental oder kleinteilig, etc. tendiert, darüber fehlt wirklich eine Debatte.


    Was das Zitat betrifft: Früher gab's nen Stil, mit bestimmten "Idealen" als Merkmale und der wurde überall gebaut.
    Heute baut man eben Sozialwohnungen wirklich sozial und keine "Arbeiterpaläste" wie an der Frankfurter Allee, die nen A**** voll Geld gekostet haben und in der Not ein menschliches Verbrechen waren. Einzelhandel bekommt einen ebenen Eingang und keinen Sockel, nur weil alles repräsentativ sein muss und jedes Büro hat Tageslicht...
    Ich könnte so ne Aufzählung fortführen. Das meinte ich mit sensibel. Es wird funktionales nicht mehr radikal einer Mode unterworfen, die sich nur durch reine Formen definiert. Die Mode besteht seit der Moderne aus mehr: Ökologie, Soziales, Wirtschaftlichkeit, Funktion usw.

  • Ich finde, das gderade in Berlin die Entwicklung einer neuen, deutschen Architektursprache sichtbar. Woanders könnte ich mir Projekte wie die drei Leipziger, die Falkoniergasse oder den Friedrichswerder nicht vorstellen. Berlin nimmt in meinen Augen eine Vorreiterrolle im Städtebau ein. Besondere Bewunderung verdienen, meiner Meinung nach, die Planwerke, welche helfen, planerische Fehler, egal ob durch Kapitalistische oder sozialistische Städteplanung verursacht, zu beheben. Berlin befindet sich in einer Zeit der Restauration, geprägt nicht zuletzt durch ein neues Bürgertum.


    Zu einigen anderen Beiträgen kann man sich nur schlecht äussern, da sie so ideologisch durchtränkt sind. Alles was man dazu sagen kann, ist das das Kapital die Gesichter unserer Städte prägt und wer das ändern möchte, muss selbst vermögend werden und neue Wege beschreiten. Gestaltungsvorgaben können sich nur Städte leisten, die sehr attraktiv sind und sich deshalb Ihre Investoren nach ihren Kriterien aussuchen können!

  • Ich habe mich hier nie als "Fachgenie" ausgegeben! Aber um das hohle Geschwafel der Besserwisser zu entlarven, bedarf es auch nicht unbedingt besonderer Fachkenntnisse. Es hat in diesem forum noch niemand schlüssig erklären können, warum der angebliche Niedergang ausgerechnet an Typen wie Guderian spurlos vorbei gegsangen sein soll. Ich wage zu behaupten, dass hingegen solche Äußerungen, wie oben zu finden, elementarer Bestandteil des Werteverfalls sind. Statt die Rahmenbedingungen zu erkennen und zu akzeptieren, die da u. a. lauten: der Architekt ist Handlanger des Bauherren und wird von diesem ausgewählt oder: was nicht bezahlt werden kann oder nicht erlaubt ist, wird nicht gebaut, wird hier einseitig auf einer imaginären Masse gleichgeschalteter Kilturkiller rumgehackt. Das ist ja auch wunderbar einfach. Der gemeine Architekt sitzt garantiert lieber bei 800,- Euro netto wochenweise in einem Großraumbüro und tüftelt aus, wie er am besten Augenkrebs fördern kann, statt die tollen Aufträge anzunehmen, die ihm Guderian und Co. ach so gerne vor die Füße werfen würden. :nono: Früher hat man noch die Klappe gehalten oder erstmal Fragen gestellt, bevor man sich mit klugen Sprüchen zu wort melden durfte.


    Da gibt es mal einen, Chipperfield, der es sich leisten kann, seine eigene Meinung zu vertreten (die man nicht teilen muss), schon wird ein großer Sack gebunden, in den alle Berufsgenossen hinein geworfen werden um kräftig darauf einzuprügeln. Jeder einzelne der Kritiker hat die Chance, ganz persönlich gegen den angeblichen Verfall vorzugehen. Aber bitte nicht mit hohlen Worten, sondern mit wasserfesten Alternativvorschlägen - die dann meinetwegen auch mehrheitsfähig sein dürfen.


    Zur WS66-Reihe: die "Architektur" dieser Bauten ist eng gekoppelt an die Traglasten der Wandelemente, die widerum von den zur Verfügung stehenden Beton-Zuschlagstoffen und der Stahlqualität der Bewehrung abhing, von der Infrastruktur von Betonwerk und Transportweg, von den Kranbahnen und Baustelleneinrichtungen, vom damaligen Wohnungsschlüssel, von den baugesetztlichen Erfordernissen, von der Wirtschaftlichkeit etc. Die äußere Erscheinung dieses Typs ergab sich daraus mehr oder weniger von selbst. Dass dieser Typ ab den 80ern kaum noch gebaut wurde, hing vor allem mit der schlechten Kostenbilanz der über-11-geschossigen Bauten zusammen (zwei Fahrstühle, zwei Fluchttreppen, Steigleitungstechnik etc.). Der sechsgeschossige WBS70 war einfach effektiver und flexibler einsetzbar um "die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 zu lösen". Ähnliche Notwendigkeiten, wie die hier aufgezählten, betreffen auch die heutigen Bauten. Wenn mir ausgerechnet die Unkundigen und scheinbar Unbelehrbaren rote Pünktchen verteilen und etwas von Arroganz faseln, dann erinnert mich das irgendwie an ein Erlebnis von letzter Woche: junger Mann wird in der Drogerie vom Detektiv des Ladendiebstahls überführt, zieht darauf hin sein Messer, schreit: "Scheiß Deutsche! Euch mach ich platt! Ich weiß wo ihr wohnt!". Könnt Ihr nicht einmal innehalten oder lieber Fragen stellen, statt die Welt vom Spielfeldrand aus erklären zu wollen? Müsst Ihr ständig Eure Argumentationskacke durchboxen, wo die Kausalketten immer an der Stelle aufgebröselt werden, wo es gerade am genehmsten ist? Ich finde auch, dass eine Menge falsch läuft. Aber diese rückwärtsgewandte Grütze: "früher war eh alles besser, deshalb imitieren wir das jetzt" ist nun wirklich nicht sonderlich konstruktiv. Mal seh'n, wie Ihr den Rosinenkuchen ohne Teig hinbekommt.

  • mik:
    Über den Cube kann man noch im "Lehrter Quartier & Hauptbahnhof" Thread ausführlicher diskutieren. Grundsätzlich sehe ich das wie du, er ist weder Hammer, noch Avangarde, noch Katastrophe. Für den Ort an dem er steht, ist er vielleicht genau richtig. Anders als Kanzleramt und Bahnhof, die mir schon deutlich weniger zusagen.


    zu 1) Komplexität ist nicht nur eine Frage des Maßstabs sondern der Gliederungstiefe. Moderne Gebäude haben meist nur eine Gliederungsebene das Rechteckraster. Antike Gebäude sind viel stärker strukturiert. Jedes Fenster jede Säule teilt sich nochmals in eigenständige Einheiten, die sich weiter unterteilen und dabei nicht nur aus Rechtecken sondern auch Bögen, Dreiecken, Kreisen bestehen. Giebel, Sims, Basis, Kapitel, Echinus, Abacus, Architrav, Fries. Alles hat die Moderne abgeschaft und durch nichts ersetzt. Die Moderne hat die Formensprache einfach zu stark vereinfacht und damit übersimplifiziert. Ja, der Hauptbahnhof sähe besser aus, wenn die Fassade weniger kleinteilig wäre. Aber er wäre dann immer noch nicht wirklich toll, dazu muss er mehr reden ein Gesicht bekommen.


    "Du sagst weiterhin, die Fassaden sollten Gesellschaft und Kultur entsprechen. Andererseits sollten sie auf Tradition und Überlieferung Rücksicht nehmen. Das ist doch ein Widerspruch?" Nein nur wenn man annimmt, die Gegenwart stünde im Gegensatz zur Vergangenheit. Das sehe ich nicht so. Jegliches Wissen, das wir heute haben, ist nur das Ergebnis von jahrhunderte langer Überlieferung. Wir sind nur die Erben all Jener die vor uns lebten. Weshalb sollte man dieser Überlieferung stunde-null-mäßig komplett als unmodern und nicht in die heutige Zeit passend abtun. Unsere Gesellschaft hat sich nicht radikal gewandelt, die Reichswehr heisst Bundeswehr aber das Kochgeschirr ist dasselbe. Kleinstaaterei, Zünfte und die Hansestädte leben in der Gegenwart unter anderem Namen weiter. Es gibt keinen Bruch in der Geschichte, der technologische Fortschritt zwingt uns nicht, allen vorherigen Baustilen radikal abzuschwören.


    Ich fordere aber auch keinen "dekorierten Schuppen" sondern ein Haus, das mit mir spricht. Dazu reicht schon eine gewisse Varianz in Formen und Materialien. Die Bügelbauten des Hauptbahnhofs bestehen ebenso wie der Cube aus einer Struktur, die über die gesamte Aussenhaut gezogen wurde. Das ist schwach. Ich will am Hauptbahnhof keinen Historismus. Von was auch? Dann schon eher in Richtung Postmoderne. Jedenfalls in der Kritik an der Moderne bin ich mit den Postmodernisten einer Meinung.


    Raum und Innenraum sind nicht unwichtig, sondern eben jene Nebenbedingungen, die ein Architekt beachten muss. Aber zu glauben, der Zuschnitt der Wohnungen, könne die Migration beeinflussen oder Soziale Probleme lösen, ist ein bisschen übertrieben. Von den Gründerzeitwohnungen könnten heutige Architekten erstmal lernen, was eine gescheite Deckenhöhe ist. Obwohl die Menschen immer größer wachsen, fällt ihnen heute bald die Decke auf den Kopf. Licht und Atemluft sind in Altbauten prinzipiell viel besser.


    zu 2) Jipp guter Punkt. Warum missfallen gerade finanzstarke Großprojekte vielen Leuten mehr als der postmoderne Einfamilienhauskitsch? Ganz einfach die Form des Einfamilienhauses wird vom Käufer bestimmt und der interessiert sich nicht die Bohne dafür, ob Kartoffelkeller und rotgeschindelte Spitzdächer heute unnötig und überholt sind. Auch wenn ein simples Betonflachdach die Schneelast genauso tragen könnte, gehört das rote Dach einfach zum Heim zur Heimat dazu, weil Opa auch schon eins hatte. Das unterscheidet ein deutsches Einfamilenhaus von einem japanischen. Identität und historischer Bezug, sowas nenne ich der Kulutur und Gesellschaft angemessenes Bauen. Deshalb bitte auch mehr Kitsch in finanzstarken Großprojekten. Man kann sich ruhig mal anschauen, wie deutsche Bahnhöfe früher gebaut wurden und Anleihen daran nehmen.


    "Geh doch mal in ein zeitgenössisches Kunstmuseum. Da malt auch keiner mehr wie DaVinci. Den Vorwurf kannst du also so nicht machen." Doch kann ich, denn mein Vorwurf richtet sich nicht nur an die Architektur sondern auch an die anderen Künste wie Malerei und Bildhauerei. Das man heute nicht mehr alles aus Marmor macht, ist ja verständlich. Aber das [url=http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,485938,00.html]kotzende Pferd[/url] hinterm Hauptbahnhof, ist noch viel hässlicher als das Gebäude selber. Und wie immer bin ich nicht der Erste, dem diese "Misshandlung des öffentlichen Raumes" missfällt. Gemessen an den modernen Malern und Bildhauern sind die Architekten noch harmlos.


    zu3 ) "Mir geht's eher darum, dass viele, auf alt getrimmte Sachen sehr künstlich und distanziert sind." Dann sind sie schlecht gemacht. Die Architektur muss der Gegenwart ebenso entsprechen wie der Vergangenheit. Es muss eine sinnvolle Mischung von alten und neuen Elementen geben. Gesellschaft und Tradition, erneuern und bewahren. Eine Kaffee und Kuchen-Theke hebt die Gemütlichkeit jeden Ortes. Ob aber das 70er Jahre Rathaus die Gemütlichkeit der Kuchen-Theke hebt oder senkt, hängt von dem Verhältnis Beton zu Utopie ab. Da Gebäude muss schon mehr Aussage haben, als nur in den 70ern war der Beton billig, ansonsten schmeckt der Kuchen gleich schlechter. Wie würde den das Gebäude ohne die Omis aussehen. Immernoch gemütlich?


    "Ich meine damit, dass sich gerade in Verbindung mit moderner Architektur ein echtes, nachempfindbares Gefühl von Ehrlichkeit und Unverfälschtheit einstellt." Ja die modernen Architketen haben ehrlich nichts zu sagen und bringen dies unverfälscht rüber. Die heutigen Architekten sollen garkeine alten Geschichten nacherzählen (dazu hat man Resaturatoren), sie sollen überhaupt Geschichten erzählen. An heutigen Gebäuden kann man ja noch nicht einmal Fortschrittsgläubigkeit ablesen. Alles nur seelenlose Zweckbauten.


    zu 4) "Du forderst die Fortführung von traditioneller Architektur, ohne Rücksicht auf das kulturelle Selbstverständnis." Nicht Fortführung sondern Weiterentwicklung. Ihrem kulturellen Selbstverständnis nach sind Deutsche trotz aller Globalisierung immer noch keine Japaner, also sollte man ihren Häusern auch ansehen, das sie nicht nach Japan gehören. Weshalb sich gegen rote Dachschindeln wehren und diese nationale Besonderheit als Kitsch abtun. Lernt von den Häuslebauern und macht es ihnen nach.


    "Deutsche Architektur sollte anders aussehen als Preußens Protzerei von damals." Ja, aber Berliner Architektur kann doch ruhig an Berliner Hinterhöfen, Berliner Zimmern (und bei Repräsentationsbauten natürlich auch an Schinkel) Anleihen nehmen und diese zu einem zeitgemäßen Berliner Baustil weiter entwickeln. Wozu hat Deutschland 60.000 Architekten, wenn alle das Gleiche bauen?


    "Das meinte ich mit sensibel. Es wird funktionales nicht mehr radikal einer Mode unterworfen, die sich nur durch reine Formen definiert. Die Mode besteht seit der Moderne aus mehr: Ökologie, Soziales, Wirtschaftlichkeit, Funktion usw." Alles Randbedingngen, die der Architekt sensibel beachten muss. Diese Randbedingungen sind in der Tat mehr geworden. Ökologie gab es früher nicht, so gesehen ist moderne Architektur tatsächlich sensibler geworden. Es gibt aber durchaus eine Mode, die Mode der völligen Schmucklosigkeit und Schlichtheit. Wieviele Menschen haben sich schon das Leben genommen, weil sie diese kulturelle Kälte und Haltlosigkeit in Depressionen gestürzt hat. Traditionen sind für ein gesundes Leben wichtig. Weihnachtskerzen werden nicht angezündet um ein Beleuchtungsproblem zu lösen. Das sich eine große Zahl von Menschen mit modernen Bauten partout nicht anfreunden kann, ist ein echter Mangel, der ebenso sensibel gehandhabt werden sollte, wie die CO2 Bilanz.

  • AeG
    "Ich wage zu behaupten, dass hingegen solche Äußerungen, wie oben zu finden, elementarer Bestandteil des Werteverfalls sind." Natürlich sind sie das. Auch Sprache und Netiquette gehen mit schreitendem Fortschritt den Bach runter. Früher schrieb Goethe heute schreibt Kübelböck. Das sich in der Zwischenzeit die Alphabetisierungsrate und der Druckkosten verändert haben, ist wohl wahr, ändert aber nichts an dem Qualitätsverlust. Keineswegs ist der (angebliche) Niedergang ausgerechnet an Typen wie mir spurlos vorbei gegangen. Aber an Typen wie dir offensichtlich auch nicht. Zu "solchen Äußerungen, wie sie oben zu finden sind", zählt nämlich auch dein Posting, das mit der tollen Zeile: "Ihr könnt es nicht lassen. Immer die gleiche Leier!" anfängt. Das du dafür rote Punkte kassieren würdest, hättest du dir auch vorher denken können.


    Deine ach so wichtigen Rahmenbedingungen:

    • der Architekt ist Handlanger des Bauherren und wird von diesem ausgewählt
    • was nicht bezahlt werden kann oder nicht erlaubt ist, wird nicht gebaut


    sind wieder nichts als Binsenweisheiten. Wir können davon ausgehen, das sich Spirit84 dieses Umstands wohl bewusst war, als er seine Kritik wie folgt formuliert hat: "Aber was man sich heute zu bauen getraut, ist einfach nur die absolute Langeweile der Architekten; oder besser gesagt, der scheinbar kleine Geldbeutel der großen Auftraggeber."


    Es ist auch belanglos, ob der Architekt, der Bauherr oder der Gesetzgeber daran schuld ist, wenn Spirit84 meint, die 70 Jahre Architektur war teilweise besser als heute, dann hat er das Recht dies zu sagen, ohne von dir als unwissender Idiot hingestellt zu werden. Ohnehin hast du wahrscheinlich eher ein Problem mit mir als mit ihm, da du hier Chipperfield in ein Forum wirfst, in dem er absolut nichts zu suchen hat. Was für die Historische Mitte Berlins (Museumsinsel, Unter den Linden, Schlossplatz) das Richtige ist, ist nochmal eine ganz andere Frage als die nach dem allgemeinen Baugeschehen in der Stadt.


    "Früher hat man noch die Klappe gehalten oder ..." oder erstmal das Eingangsposting gründlich gelesen, bevor man einen frischen Thread mit Konflikten vollmüllt, die hier garniemand aufgeworfen hat. Dein wasserfester Alternativvorschlag hängt mit Bildchen im ersten Posting. Ich bin gespannt welche Rahmenbedingungen du findest, die heutzutage den Bau eines Castellos unmöglich machen, wo es doch erst vor wenigen Jahren errichtet wurde.


    "Aber diese rückwärtsgewandte Grütze: "früher war eh alles besser, deshalb imitieren wir das jetzt" ist nun wirklich nicht sonderlich konstruktiv." Natürlich ist sie nicht konstruktiv, weil niemand versteht, was du damit meinst. Ich kann mich noch daran erinnern, was du mir vor Monaten im "Museimsinsel und Erweiterungsbauten" Thread an den Kopf geworfen hast. Aber wer von den andern Lesern weiss, was damit gemeint ist?


    Nur weil Sprit84 fragt: "Warum getraut man sich nicht mehr ein paar Fassadenelemente zu installieren, die über eine Glasscheibe hinausgehen!?" kannst du hier nicht unsere alte Chipperfield versus Paschkes Diskussion wieder aufleben lassen. Da kommt nämlich keiner mehr mit.


    Ja ich finde:

    • Chipperfields Eingangsgebäude für die Museumsinsel unpassend,
    • seine Betontreppe im Alten Museum eine Zumutung,
    • seine Ansichten zu einem modernen Stadtschloss widerlich.


    Aber

    • Ich bin nicht identisch mit Spirit84.
    • Wir beiden sind keine Masse gleichdenkender Immitationsfreaks.
    • Spirit84 könnte durchaus andere Ansichten zu Chipperfield haben als ich.
    • Sowas wie ein -Ihr- in: "Ihr könnt es nicht lassen. Immer die gleiche Leier!" gibt es überhaupt nicht.


    Wenn du jetzt bitte bereit wärst zum Thema des Threads Stellung zu nehmen. Dann würde dir vielleicht auffallen, das Spirit84 schon im ersten Posting ein Gebäude vorgestellt hat, das seine Forderung nach organischeren, natürlicheren Formen erfüllt. Und das aus mehr als nur 4 Wänden und eine Decke obendrauf besteht. Offenbar ist es im Fall des Castello einem Bauherren (und seinem 800,- € netto Architekten) gelungen, ein nicht rechteckiges Haus zu bauen, ohne das Guderian sein Konto dafür plündern musste. Scheinbar sind doch nicht alle Architekten "gleichgeschaltete Kulturkiller". Wer hat das noch gleich wo behauptet? Ich hoffe du klärst uns noch darüber auf.

  • Wenn sämtliche Anforderungen der späteren Nutzer nur unwichtige Randbedingungen sin, was sind denn bitte die Hauptaspekte von Architektur? Ich lese die ganze Zeit nur, dass Nutzen, Wirtschaftlichkeit, Ökologie unwichtig seien, kann mir aber partout nicht ausmalen, was dann noch großarttig übrigbleibt.
    Die Moderne Kunst wegen dem "Rolling Horse" ist mal vollkommen ganeben, immerhin wird dieses Ding, das steht auch ganz oben im Artikel gerade von Künstlern kritisiert.



    Generell wird (in letzter Zeit) im Forum viel zu wenig über Architektur geredet. Seitenlange Diskussionen, wie man eindeutige Umfragen interpretieren soll, nur damit sie der eigenen Auffassung nicht im Weg stehen, es wird darüber geredet, wer wann was blödes gesagt hat, oder wo er wohnt, pausenlos die unsinnigsten Vergleiche angestellt, wenn sie nur die eigenen Position stärken. Das mal jemand eine anständige Kritik zu einem Gebäude schreibt, und sei es auch nur eine DIN A4-Seite gibt es praktisch nicht.
    Das man wie mik anspricht sich weder Schnitte noch Grundrisse anguckt, wundert mich auch nicht, man liest eigentlich auch nur sehr selten über rudimentäre Sachen wie Nutzung oder Städtebau.

  • So jetzt mal zu den 20-Geschossern (für Klugscheisser WS66-Reihe). Natürlich kann es sein, das man sich ein solches Gebäude über die Jahre "schöngeguckt" hat. Aber es hat auch viele Design Qualitäten, die neueren Gebäude oft abgehen.



    Nicht mit Traglasten und Kranhöhen begründen, lässt sich die Farbwahl. Die abwechselnd hellen und dunklen Balkone, deren Farbwechsel sich an der Seite wiederfindet. Diese Dinge sind rein optisch, haben keinen zweckmäßigen Nutzen und sind nicht durch die (in der DDR zur damaligen Zeit) verfügbare Menge grauer Farbe bestimmt gewesen. Es ist ein reines Schmuckelement, das dem Gebäude etwas von seiner Masse nimmt und ihm ein regelmäßiges Muster verleiht. Auf Höhe der 14 Etage gibt es ein blassgelbes Band, damit wird der eigentlich unveränderte Baukörper in einen oberen und einen unteren Teil gegliedert. Ohne diesen kleinen Trick würde die Masse an Fenstern noch viel erschlagender wirken. Durch die Balkonreihe wird der Bau außerdem in einen linken und einen rechten Teil unterteilt und er bekommt eine ausgezeichnete Mitte. Das ist wichtiger als man denkt. Alle Pflanzen, alle Tiere, alle Gesichter, alle Dinge zu denen wir Menschen Beziehungen aufbauen können, sind symmetrisch und verfügen über einen ausgezeichneten Mittelpunkt.


    Jeder Autodesigner versucht der Front seines Entwurfs eine Nase zu geben. Irgend ein Designelement, meist das Herrstelleremblem, das genau in der Mitte sitzt und von dem aus unser Gehirn dann die Abstände ausmessen und sich an deren Symmetrie erfreuen kann. Symmetrie macht Menschen glücklich, denn sie ist in der Natur ein Zeichen für Gesundheit. Aber Autoherrsteller gehen noch weiter, sie interpretieren die Scheinwerfer als Augen, die Lufteinlässe als Mund und geben so ihren Fahrzeugen ein lachendes oder auch sportlich grimmiges Gesicht. Je nach dem ob die Zielgruppe männlich oder weiblich ist. Jeder Autoherrsteller weiss, das durch das Design unwillkürlich Emotionen ausgelöst werden, die eine Kaufentscheidung massgeblich beeinflussen und schwerer wiegen als Preis und Leistung. Nur Architekten denken, alles drehe sich nur um den Raum und jede schmückende Fassade wäre irgendwie unehrlich. Vermutlich tragen Architektenfrauen deswegen auch kein MakeUp.


    Viele neuere Bürohäuser, deren Architekten "sensibel" aber nicht "dekorativ" bauen wollten, bestehen nur aus einem Raster von Fenstern. Alle Fensterrahmen haben die gleiche Farbe. Kein farbliches Muster unterbricht das Einheitsraster, keine Stilelement gibt dem Gebäude eine Mitte. Unser Gehirn, das immerfort darauf programmiert ist, Gesichter zu erkennen, findet nichts als eine Wand von Rechtecken und verliert sofort wieder das Interesse. Aber man hätte nicht warten müssen, bis man sowas in einer Neurologievorlesung das erste Mal hört. Es hätte gericht, einfach nicht alles, was frühere Architekten Generationen getan haben, auf den Müll der Geschichte zu kippen. Mein Tipp: Einfach auch mal Dinge nachmachen, von denen man nicht genau weiss, wofür sie eigentlich gut sind.


    Auf diesem Prinzip beruht auch die traditionelle Ausbildung in Japan. Der Schüler macht erstmal drei Jahre lang alles exakt nach, was ihm sein Sensei vormacht. Dadurch lernt er auch Dinge, die sein Lehrer schon ganz unbewusst macht, ohne groß darüber nachzudenken. Es besteht natürlich die Gefahr, das man viel unnötigen Mist mitschleppt. Aber das meiste hat doch irgendwo einen Sinn, auch wenn man ihn nicht sieht. Woher will man wissen, welche Traditionen noch sinnvoll sind und welche nicht. Heute müssen die japanischen Architekten erst wieder lernen, wie man erdbebensichere Häuser baut, während traditionelle Bauernhäuser aus zusammengebundenen Bambusstangen schon vor hundert Jahren schadlos mit einem Erdbeben mitschwingen konnten.

  • Wenn sämtliche Anforderungen der späteren Nutzer nur unwichtige Randbedingungen sind, was sind denn bitte die Hauptaspekte von Architektur? Ich lese die ganze Zeit nur, dass Nutzen, Wirtschaftlichkeit, Ökologie unwichtig seien, kann mir aber partout nicht ausmalen, was dann noch großarttig übrigbleibt.

    Tut mir leid, da hab ich ein bisschen zuviel in Informationstheorie gedacht. Also Randbedingungen sind keinesfalls unwichtig! Randbedingnugen oder Constraints (wörtlich Zwänge) sind Anforderungen, die eine gültige Lösung erfüllen muss. Der Suchraum, der in diesem Fall alle nur denkbaren Möglichkeiten umfassen würde, wie man irgendwas bauen könnte, wird durch die Ranbedingungen eingeschränkt. Das heisst, wir wollen nicht irgend ein Gebäude errichten, sondern eines, das eine Menge von Randbedingungen erfüllt. Man muss sich das so vorstellen, das aus dem Suchraum aller möglichen Gebäude schrittweise ungültige Lösungen, also Gebäude die eine Randbedingung verletzen, entfernt werden. Am Ende, wenn man alle Varianten eliminiert hat, die keine gültigen Lösungen für das Problem sind, bleiben immernoch unendlich viele Lösungen übrig, die alle sämtliche Anforderungen der Nutzer erfüllen, sich aber trotzdem in ihrer Qualität unterscheiden.


    An dem Punkt beginnt erst das Design bzw. die Arbeit des Archtitekten, denn er muss sich zwischen vielen verschiedenen Möglichkeiten wie ein Problem gelöst werden kann, entscheiden. Diese Einzelentscheidungen sind jede für sich richtig, müssen aber aufeinander abgestimmt werden. Und zwar so, das am Ende ein Gesamtpaket entsteht, das in sich schlüssig ist und einer klaren Linie folgt. Man könnte als Beispiel auch ein Handymenü nehmen. Es gibt viele Handys mit denen man telefonieren, fotografieren und surfen kann. Aber nicht bei jedem sind alle Funktionen optimal erreichbar und einheitlich bedienbar, obwohl prinzipiell alles irgendwie funktioniert. Eine Sache rund und einfach zu machen, darin besteht ja erst die kreative Leistung des Entwicklers bzw. Architekten im Designprozess. Ein Gebäude das "nur" sämtliche Anforderugen erfüllt, könnte doch jeder Architekt bauen, der sein Handwerk richtig beherrscht. Die besseren unterscheiden sich von den schlechteren Architekten dadurch, das ihre Lösung für das gestellte Problem einfach überzeugt.


    Ich geh hier immer davon aus, das sowieso alle Gebäude von denen wir hier sprechen, bewohnbar sind und alle an sie gestellten Anforderungen erfüllen. Aber manche sehen dabei auch noch gut aus, machen eine Gegend wohnlicher, heben die Stimmung des Betrachters, sind ein Gewinn für ihre Stadt.

  • Ich verstehe dieses "die Architekten" nicht. Die ganze Reko-Welle wird doch auch von Architekten geplant.
    Architekten sind keine geschlossene Gruppe außerhalb der Gesellschaft und sie sind auch nicht ihre eigenen Kritiker.
    Einfach nur Dinge nachzuahmen wäre übrigens sogar leichter für die Architekten, anstatt sich Ewigkeiten den Kopf über einen Entwurf zu zerbrechen der irgendwie alle örtlichen und zeitlichen Parameter irgendwie berücksichtigt.


    Mal zum Thema Japan und Tradition:
    Durch den großen kulturellen Unterschied kann man in Japan Traditionen meist auf den ersten Blick erkennen. Gerade in der japanischen Moderne sieht man oftmals die echte Sensibilität für die kulturelle Idendität. Und dabei ist diese Architektur um ein vielfaches "brutaler", als die meisten westlichen Werke.


    Was traditionelle Häuser betrifft: Ich kann mich noch an eine Vorlesung über die japanischen Zimmermannsverbindungen erinnern. Die waren unglaublich komplex, faktisch heute unbezahlbar. Wenn man so baut, dann braucht man aber auch wieder ne aristokratische Oberschicht und ein versklavtes Volk.


    Die waren Werte der japanischen Architektur, wie z.B. eine komplexe Rasterung, den Lichteinfall, die Anordnung der Flure als Zwischenzone zur Außenwand etc.
    Alles das findet man auch bei Gebäuden von Tadao Ando, aber auch bei riesigen, per Laubengang erschlossenen Wohnmaschinen in Tokyo aus neuester Zeit. Aber das sind wohl die Dinge, die die Tarditionsfreunde am meisten an Japan verabscheuen - weil sie eigentlich doch nicht begriffen haben, was die echten Werte eines Bauwerks sind.

  • ^
    Ich verstehe dieses "die Architekten" nicht


    - genau das ist doch der Punkt, da werden Pappkameraden aufgestellt an denen man dann die eigene Weltanschauung reiben kann.


    Dass die meisten Fragen nach dem angeblichen und tatsächlichen Nichtfunktionieren mancher deutscher Städte (das nach Belieben in bester Feuilletonmanier gleich zum Nichtfunktionieren der ganzen Gesellschaft aufgebläht wird) zuvorderst eine städtebauliche Frage sein dürfte, interessiert dann natürlich auch nicht mehr.


    Eine gegenwärtige und künftige Last ist dieser Umstand wohl eher für die Architekten (in Deutschland), denn für die Architektur.

  • Guderian,


    selbstverständlich hat jeder das Recht, alles zu sagen, was ihm in den Kram passt. Das gilt aber auch für mich - speziell in Bezug auf die Kommetierung Deiner Ergüsse.


    Apropos Ergüsse: könnte es sein, dass beim gezeigten Wohnhaus ausgerechnet jene gestalterischen Attribute als "besser" als das heutige Vokabular empfunden werden, die erst bei dessen Sanierung irgendwann in den vergangenen 15 Jahren hinzu gekommen sind? Und könnte es auch sein, dass die Materialwahl - und im Besonderen die Farbgebung - für die Beurteilung von Architektur reichlich sekundär sind?


    Fakt ist, dass der Hauptbahnhof als gotische Kathedrale oder wilhelministischer Tempel weder mit der beabsichtigten Aussenwirkung der Bahn, noch mit der Forderung nach günstigeren Fahrpreisen und erst recht nicht mit dessen Funktionen in Einklang zu bringen gewesen wäre. Ausserdem ist es nicht die Aufgabe eines Zweckbaues, den gestalterischen Willen der Marktschreier zu repräsentieren. Wenn nun aber dieser Verkehrsbau gemeinsam mit der von der Politik auserwählten Aussenwirkung von Großformen, wie Kanzleramt und Co., erst einmal raum- und stilbildend gewirkt hat, welchen Zweck macht es dann, losgelößt vom Umfeld statt des Glaskubus - dessen beabsichtigte Wirkung sich dem unaufgeschlossenen Betrachter visuell bisher nicht eröffnet haben dürfte(!) - ein Plädoyer für das Bekannte zu verfassen?