In memoriam: Campanile

  • ^^Ich weiß nicht von welcher Stadt du sprichst?


    Meinst Du Frankfurter in den Achtzigern??


    Fassbinder hatte nicht umsonst ein Theaterstück geschrieben dass: "Die Stadt, der Müll und Tod" hieß. Er hat es zwar 1975 geschrieben aber populär wurde es vor allem in den Achtzigern und gemeint war Frankfurt.


    Die Stadt war in den Achtzigern eine einzige Drecksstadt, dessen Negativ-Geist bis heute in der Generation der Babyboomer (und älter) weiterbesteht und dazu führt, dass viele Auswärtige dieses Negativbild im Kopf haben.


    Auf dem Baseler Platz und in den Taunusanlagen spritzen sich zeitweise bis zu tausend Drogensüchtige das Gehirn weg. Am Deutschherrenufer spielte sich ein lustiges Schilbürgerstreich-Drama ab (erst Schlachthof neu bauen und dann aber doch verlagern). Das Mainufer war voller parkender Autos, Westhafen und Osthafen eine gesperrte, unzugängliche postindustrielle Landschaft. Der Main war zu diesem Zeitpunkt noch eines der schlimmsten Kloaken Deutschlands, ein Aufenthalt an seinen Ufern daher sowieso nicht empfehlenswert. Die Luft in Frankfurt stank widerlich.
    Kampfkapitalisten hätten beinahe das Westend plattgemacht, wenn die damalige
    außerparlamentarische Opposition nicht auf die Strasse gegangen wäre, oder die schönen leerstehenden Westendvillen besetzt hätten, dann wären sie jetzt unwiederbringlich weg und durch hässliche Achtzigerklötzchen ersetzt worden.


    Das war die Aufbruchstimmung der Wucherer und Spekulanten mit Ignaz Bubis an der Spitze der "Bewegung". Dass man nach ihm eine Brücke benannt hat, ist daher eher beschämend*!


    Diesen Spekulanten-Aufbrüchlern hat man daher zu Recht Ihren Leuchtturm weggenommen und mal ganz ehrlich, er wäre für diese Zeit und für den Platz einfach auch zu überdimensioniert gewesen.


    Frankfurt (Krankfurt) galt für niemanden attraktiv zu dieser Zeit, Berlin, Hamburg und Köln waren die Städte wo es kreative Menschen hinzog, wenn man von ein paar Werbeagenturen die es damals noch gab, mal absieht.


    Noch andere Fakten sprechen gegen Deine These. Die Abwanderung von Frankfurt weg hatte in den Achtzigern ihren absoluten Höhepunkt (damals 140.000 Einwohner weniger als heute!!). Eine Abstimmung zur Attraktivität der Stadt mit den Füßen, wenn du so willst. Jetzt hat Frankfurt mehr Zuwanderung und Bewohner als je zuvor.





    *OK und ich weiß, er hat diese Namensgebung nicht seiner Eigenschaft als Kapitalist sondern der Stärkung der jüdischen Gemeinden in Deutschland zu verdanken hat (was wiederum für ihn spricht).

  • Ich sehe das ähnlich wie itchedSky. Frankfurt war im Umland als Dreckloch verschrien. Durch die Taunusanlage traute man sich nicht.
    Es mag sein, dass die Stimmung in der Immobilienbranche eine andere war und sich Teile der Kommunalpolitik davon anstecken ließ, aber ich bezweifle, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Gefühl hatte, dass Frankfurt "rockt" und dass es des Campaniles als Ausdruck dieses Gefühl bedurfte.


    Im Übrigen meine ich, dass es bis heute generell nicht dem Verständnis der BRD und ihrer Einwohner entspricht, durch überdimensionierte Projekte Eindruck zu schinden und sich Denkmale zu setzen, um international aufzufallen.

  • Ernst gemeinte Frage: ist dir nie der Gedanke gekommen, dass die Immobilienbranche recht hatte und mit ihren massiven Investitionen der letzten 20 Jahre in FFM eine selbsterfüllende Prophezeiung schuf? Eine Stadt ist nicht stationär, sie kann sich nach unten wie auch nach oben entwickeln. In FFM wird seit 20 Jahren sehr angestrengt und ambitioniert investiert und die halbe Stadt umgekrempelt. Dass FFM heute kein "Dreckloch" mehr ist, wie du es nanntest, ist da sicher kein Zufall. Und wer weiss, wo FFM heute stehen könnte, wenn in Deutschland die Bedenkenträger nicht immer soviel Zeit und Mühe kosten würden und soviel Ambition im Keim ersticken würden. Selten genug, dass ein Politiker sich nicht von der Phalanx der Nein-Sager beeindrucken lässt.


    Die Mehrheit der Bevölkerung ist v. a. in einer Sache in Deutschland immer ganz groß - im Dagegensein, Verhindern, Bedenkentragen, "problemorientierten" Debatten. Was dem Amerikaner das "can do" ist, das ist dem Deutschen sein "Ja, aber..." und ständiges auf der Bremse stehen. Und die Geschichte bzw. das Ende des Campanile ist dafür geradezu ein gedankliches Mahnmal.

  • Um den Campanile an sich ist es jetzt nicht so schade. Aber es ist schade, dass der Stil der 80er und frühen 90er in Frankfurt nicht mehr Spuren hinterlassen hat. Das war eine leichte Retro-Entwicklung zum Chrysler-Building/Empire-State-Building Stil, mit der klassischen Skyscraper-Grundform. Da wurde in den USA mehr gebaut, leider gibt es da in FFM nur den Messeturm und der wird irgendwie beinahe von allen Stadtansichten ziemlich von den anderen Gebäuden "verschluckt" und ist überdies auch ein viel zu schlankes Gebäude, um der Skyline einen Stempel aufzudrücken.


    Wäre nicht der Coba-Turm sondern z. B. sowas die Krone der Skyline, dann würde mir das schon mehr gefallen. Der Campanile ging zumindest etwas in die Richtung und hätte am geplanten Bauplatz die Skyline auch mitgeprägt.


    Auf den Millennium-Tower ist auch nicht mehr zu hoffen - irgendwie wurde seit Ende der 90er zwar mehr "Masse" gebaut, als man damals wohl nur zu hoffen gewagt hätte und nach wie vor ist unglaublich viel in Bau oder in konkreter Planung, aber solche mutigen, ruhig auch etwas protzigen und extrovertierten "Landmark"-Wolkenkratzer a lá Campanile, das fehlt FFM in meinen Augen einfach etwas.

  • Wir reden ja nicht über die letzten 20 Jahre, sondern von Ende der 80er. Es wäre ja geradezu prophetisch, wenn die Planer des Campanile die vergangenen 20 Jahre vorausgeahnt hätten. Mag sein, bleibt aber Spekulation.
    Mich wundert eigentlich nur, wie der Campanile hier von (einem?) einzelnen zu einem Symbol einer pulsierenden Stadt (ja gar der BRD), als Ausdruck eines Lebensgefühls in den 80ern hochstilisiert wird. Das kann man so empfinden, ist aber m.E. nur schwer belegbar und für meinen Geschmack ein bisschen übertrieben.

  • Sehr interessante, gemischte, Anmerkungen hier !
    Ich möchte meinerseits nicht weiter "nerven", aber doch noch kurz zu den obigen Beiträgen anmerken:


    a.) Kein Zweifel: In den 60er und 70er Jahren ging es hier hart zu. Das sind (auch politisch / soziologisch) Zustände gewesen, die keiner mehr zurück haben möchte.


    b.) Grundsätzlich waren alle (deutschen) Städte in den 80ern weit weniger "sauber" als heute. Es lag im Trend ein "Stück draussen" zu leben und nicht in der klassischen Innenstadt. Wir wohnten damals im Bereich Langen / Dreieich. Zur Arbeit ging es mit der "S-Bahn" (damals noch der "RE") in die Innenstadt. Dennoch fühlten wir uns als "Frankfurter" - und sind das heute (Nordend) erst recht wieder.
    Dass (ALLE !) dt. Grosstädte so enorm an Einwohnern zugelegt haben (allein München ist in den letzten 15 Jahren um rund 200 t Einwohner gewachsen !) hat verschiedene Gründe: Die "Jungen" leben lieber urban, als sich ein Häuschen weiter draussen zu kaufen. Auch die geänderte "Pändler-Pauschale" befeuert diesen Trend zusätzlich. Da lassen sich spezifische Ffm-Rückschlüsse ("...mit den Füssen abstimmen") nicht wirklich ziehen.


    c.) Speziell zu Ffm:
    Ich denke nicht, dass ich mich täusche:
    Schon zu Beginn der 80er wandelte sich das Bild bzgl. Ffm. grundlegend. Das MERIAN-Heft von 1985 (http://images.google.de/imgres…gaKAAwAA&bih=657&biw=1366) beschreibt Ffm. äussert positiv als eine im Aufbruch befindliche Metropole. Auf dem Cover sieht man Ungers "Messe-Torhaus".
    Nur 6 Jahre später (1991) wieder ein MERIAN-Heft über Ffm (damals dann der Messeturm im Cover. Da hätte auch der <Campanile> stehen können !!) Bezeichnend: Erst zwölf (!) Jahre später, dann im Jahr 2003, das nächte MERIAN-Heft bzgl. Ffm. So viel zum Aspekt "Abstieg", "zweite Reihe" und so ... (man achte auf das "Kaffee-Haus-Cover" jener Ausgabe. "Stadt mit Lebensart ..." - klingt wie ein Gruss aus dem Seniorenheim).https://images.booklooker.de/b…bensart-Merian-9-2003.jpg



    Geradezu herausragend das "GEO-spezial" über Ffm. im Oktober 1988:


    http://images.google.de/imgres…gaKAAwAA&bih=657&biw=1366 (funktioniert dieser Link ?!)


    Da will mir einer sagen, diese Stadt sei (in den 80ern) nicht aufregend / spannend / inspirierend gewesen ?!
    Die DAMALIGE Journaille wird schon gewusst haben, welche Themen sich verkaufen.
    Ich wüsste nicht, dass "GEO" seither nochmal ein ganzes Heft dieser Stadt gewidmet hätte (Refrain: "Abstieg", "zweite Reihe" und so...).



    Zum Schluss noch zu dem Einwand, die Deutschen hätten Probleme mit "Prestige-Projekten". Ich würde mich freuen, ich könnte das unterschreiben.
    Aber selbst wenn das stimmt: Ein Investoren-finanzierter <Campanile> ist da immer noch viel, viel zeitgemässer als ein Steuer-finanziertes <Stadtschloss>.

    3 Mal editiert, zuletzt von m.Ro80 ()

  • Polen hat baumassentechnisch hunderte Stadtschlösser nach dem Krieg rekonstruiert (und gerade die Berührungsangst der Deutschen mit der Architektur und Kultur VOR der NS Zeit ist nicht einmal im Zuge eines Bekenntnisses zu "Deutscher Kollektivschuld" schlüssig, das Berliner Stadtschloss ist NS mäßig absolut "unbelastet" die Barockfassade wurde auch lange vor Bismarcks "Blut und Eisen" gebaut). Die Deutschen haben, entgegen des "Historikerstreits" sehr wohl einen Schlußstrich gezogen, sogar schon sehr früh. Nämlich unter die gesamte eigene Geschichte und Kultur. Durch betonten "Anti-Patriotismus" suchte man maximal glaubwürdige Distanzierung von den Naziverbrechern mit ihrem extremen Nationalstolz. Das war ja auch zigfache Begründung für die zweite Zerstörungswelle in Deutschland nach dem Krieg, beim Wiederaufbau.


    Zig prächtige Bauten, die mit wenig Aufwand wieder voll hergestellt hätten werden können, wurden abgerißen, weil man mit der eigenen Geschichte nichts mehr zu tun haben wollte und Pracht als "nicht mehr zeitgemäß" empfand. Ein Neuanfang bei Null. Aber damit hat sich die Nachkriegsgeneration an ihren eigenen Nachfahren versündigt, niemand hatte das Recht, deren Erbe in dieser Form vorsätzlich auszulöschen, niemand durfte das für alle nachkommenden Generationen so entscheiden. Das war ignorant und anmaßend. Aber soweit dachte man damals einfach noch nicht.


    Nein, ich finde vollkommen korrekt, dass diese Hybris (!) der Nachkriegsgenerationen, die Anmaßung dieses "Verwerfen" von Jahrhunderten Architektur und Stadtentwicklung ja auch für alle Nachfahren zu entscheiden, langsam wieder etwas überdacht wird und hier und da vereinzelte - mehr sind das ja bis heute nicht - Rekos als "Wiedergutmachung" kommen. Das ist aber ein ganz anderes Thema und nur Vordergründig - wenn man nicht bereit ist historische Architektur als "Wert an sich" zu nehmen, sondern eine sicherlich teurere Rekonstruktion bloß als "Geldverschwendung" sieht, im Vergleich zum Stahlbetonwürfel - eine Frage von Prestige.


    Ich benutzte ja auch nicht den Begriff Prestige, sondern Ambition. Das sind zwei sehr, sehr verschiedene Dinge. Amibitionen haben Substanz - Prestige ist hingegen nur schöner Schein. Nach dem Wirtschaftswunder und der wiederholt unter Beweis gestellten Fähigkeit, unser Land neu zu erfinden kann man doch mit Fug und Recht feststellen - heute Multikulti (was man auch davon halten mag!), noch im Jahr 2000 hatte die deutsche Volkswirtschaft ein Handelsdefizit, heute sind wir Exportweltmeister (was man auch davon halten mag!), 2015 hatte kein anderes Industrieland solch hohe Zuwanderung wie die Bundesrepublik (was man auch davon halten mag!), die historisch weltweit einmalige Last der Wiedervereinigung und im Vergleich mit dem Zustand 1989 sind die Neuen Länder inzwischen blühende Landschaften geworden (was man auch davon halten mag!), die Aufgabe unserer DM für das gemeinsame europäische Projekt (was immer man davon halten mag!) - ja, wir sind ein ambitioniertes Volk.


    Ob man diese Ambitionen benennt oder mit künstlicher Bescheidenheit und zur Schau gestellter Demut kokettiert oder nicht. In Frankfurt WIRD geklotzt, nicht gekleckert. Nur halt alles immer betont in Mausgrau und Aschgrau. GELEGENTLICHER nobler Purismus a lá Opernturm ist schön und gut. Das nutzt sich aber ab, wenn das nicht konstrastiert, sondern die gesamte Skyline brav und bieder und betont unambitioniert daherkommt. Am Campanile hätte man sich reiben können, hätte man sich stilistisch brechen können - gerade das wäre doch so spannend gewesen! Und ehrlicher wäre es auch gewesen. Denn so klein und grau wie wir uns immer machen sind wir Deutschen schlicht nicht. Und Frankfurt am Main schon gar nicht.

  • Ich sehe das auch so wie itchedSky


    Ich bin in Bad Homburg aufgewachsen (nein, keine Villengegend ;-)).
    Wenn ich damals als Kind bzw. Jugendlicher nach FfM mit der S-Bahn reingefahren bin, waren mir diese Eindrücke auch sehr präsent.
    Hundertschaften von Junkies, die sich in der Taunusanlage die Spritze gaben. :(
    Müll, Verkehr, weniger grün, viel mehr Bausünden...


    Und gerade gastronomisch hat sich m.E. in den letzten 20 Jahren viel getan.


    Einzig allein dem Weggang einiger Clubs trauere ich hinterher... Music Hall, Omen, Skytower, U60311, Loft Housecund natürlich am FLughafen das Gray... :(


  • Frankfurt (Krankfurt) galt für niemanden attraktiv zu dieser Zeit, Berlin, Hamburg und Köln waren die Städte wo es kreative Menschen hinzog, wenn man von ein paar Werbeagenturen die es damals noch gab, mal absieht.



    Dem kann ich nicht zustimmen. Ich war in der 1980er ein Teenager und lebte in einem Kaff 60 suedlich von Frankfurt. Mannheim, Heideberg und Worms waren eigentlich die naechst gelegenen Staedte. Aber, Frankfurt war fuer mich sehr viel attaktiver.
    Nachtleben war klasse. Laeden wie die Music-Hall, oder das Dorian Gray waren Bundesweit bekannt.
    Die Techno Bewegung startete zwar erst so richtig Anfang der 1990er, aber der Musikstil entwickelte sich in den späten 80ern in Frankfurt (und Berlin).
    Besuche auf der Auto-Messe, dem Senkenberg-Museum und der Zeil sind mir noch positiv in Erinnerung.


    Die Debatte um den Campanile hatte ich auch am Rande durch die Medien mitbekommen. Ich fand es schade, dass der Campanile nicht gebaut wurde. Die genauen Hintergruende wieso der Campanile nicht gebaut wurde, hatte Tunnelklick im Eingangspost dargelegt. Ich hatte es damals so verstanden, das eine eigensinnige alte Frau mit Unterstuetzung der SPD das Projekt verhindert hatten.

  • Polarisierung

    Es ist erstaunlich, wie sehr dieses Thema polarisiert.


    Hinsichtlich des Turmes bin ich zwiegespalten.


    Optisch finde ich es nicht tragisch, dass der Turm nicht gebaut wurde. Die Architektur sagt mir einfach nicht zu.


    Hinsichtlich des zu erwarten gewesenen Ausstrahlungseffektes auf die Umgebung, wäre dieser jedoch wünschenswert gewesen. Diese Ecke hätte wohl schon damals eine enorme qualitative Aufwertung erhalten, was dem Viertel insgesamt gut zu Gesicht gestanden hätte.