Mehr Straßen = mehr Autoverkehr?

  • Mehr Straßen = mehr Autoverkehr?


    - neuen kommerziellen Verkehr (womit wir bei Kleists Argumentation der Wirtschaftsförderung von Straßen wären, vielleicht kommen wir noch mal darauf zurück),


    Wirtschaftswachstum könnte somit zu mehr Verkehr führen, nicht aber Straßen. Neue Straßen führen nur zu einer Verlagerung des Verkehrs. Es gibt ja nicht mehr Menschen, mehr Geld, mehr Zeit oder mehr Gründe für eine Fahrt.



    - zusätzliche Fahrten von Anwohnern sowie


    Man fährt nicht zusätzlich wegen einer Strasse. Man hat einen Grund sich zu bewegen. Solange die Anzahl der Gründe sich nicht ändert gibt es auch nicht mehr Verkehr. Einzig erhöhte Fahrtdauer oder Fahrstrecken durch Migration (evtl. wegen besserer Infrastruktur) können zu mehr Verkehr führen



    - zusätzliche Anwohner durch die Erschließung neuer Gebiete durch neue Straßen.


    Somit fallen an anderen Orten zwangsläufig Fahrten mangels Fortgezogener weg. Die Migration ist aber wahrscheinlich der Punkt warum es diesen "mehr Straßen erzeugen mehr Verkehr"-Mythos überhaupt gibt.



    Verhältnismäßig irrelevant war das Ausweichen von bereits existierenden Verkehrsteilnehmern, genauso wie das Angebot von öffentlichem Verkehr.


    Ohne ÖPNV muss man zu Fahrrad oder Auto greifen. Durch neue Straßen aber ändert sich eben einfach nichts.

  • @ Million: Danke auch an Dich für den sachlichen Einstieg und an Hausschwamm für deine Entgegnungen zu den Punkten aus der Studie.


    Zum Thema: Die Quelle meiner Argumentation ist in erster Linie der gesunde Menschenverstand, aber auch ein wenig hobbymäßiges Interesse für Verkehrsökonomie in meinem Studium. Da sich Verkehrsflusssysteme sehr gut mit Wasserdurchflusssystemen vergleichen lassen, ist der Zusammenhang auch gut intuitiv zu rekonstruieren und auf die Situation übertragbar.


    Die Studie, die du zitierst, ist mir zuerst einmal nicht im Original zugänglich, da ich dafür zahlen müsste. Aber wenn ich mir das "Abstract" durchlese, fallen mir schon zwei Dinge auf:


    1.) Im Abstract steht:

    VKT increases proportionately to roadway lane kilometers for interstate highways and probably slightly less rapidly for other types of roads.


    Auf Deutsch:


    VKT erhöhen sich proportional zu den Straßenkilometern von Interstate Highways und wahrscheinlich etwas weniger stark für andere Straßentypen.


    VKT heißt vehicle-kilometers traveled (zurückgelegte Fahrzeugkilometer) und ist definiert als Produkt aus: Anzahl der Fahrzeuge auf einer bestimmten Straße / Straßennnetzwerk * Durchschnittliche Länge der Fahrtstrecken in Kilometern.


    Das heißt, diese Formel allein besagt gar nichts zu dem Effekt "Mehr Straßen = mehr Verkehr" in Form von zusätzlichen Fahrzeugen, denn: Ich erreiche bei dieser simplen Formel sowohl höhere VKT durch eine Erhöhung der Anzahl der Fahrzeuge. Aber eben auch durch einen Ausbau des Straßennetzes, denn je mehr Kilometer Straße beobachtet werden, desto länger werden die durchschnittlichen Fahrdistanzen, ohne dass auch nur ein einziges zusätzliches Auto unterwegs ist.


    Ergo: Die Verkehrsleistung steigt, aber nicht der Verkehr in Form von mehr Fahrzeugen. Die darauf aufbauende Behauptung mehr Straßen führten zu mehr Verkehr ist also falsch. Was steigt ist die Verkehrsleistung durch im Schnitt höhere Streckendistanzen. Warum sich die VKT auf Interstates stärker erhöht als auf anderen Straßentypen ist auch intuitiv klar: Interstates haben ein höheres Speedlimit und sind kreuzungsfrei, daher laden sie zu längeren Fahrtstrecken ein, die durchschnittlich gefahrenen Strecken erhöhen sich.


    2.) Diese Studie beschäftigt sich mit US-Städten und dem dortigen Interstate Highwaysystem und ich bezweifle stark, dass sich die dortigen Verhältnisse einfach auf Deutschland bzw. speziell den innerstädtischen Verkehr von Berlin übertragen lassen. Zudem macht die Studie eine Aussage, die einigen Straßenrückbaubefürwortern sauer aufstoßen dürfte:


    We conclude that increased provision of roads or public transit is unlikely to relieve congestion.


    Auf Deutsch:


    Wir schlussfolgern, dass der Ausbau von Straßen oder ÖPNV es nicht vermag Staus aufzulösen


    D.h. auch der ÖPNV wäre nicht unsere Rettung und wir müssten mit dem Stau so oder so leben, warum also nicht gleich beim Auto bleiben? Ich hoffe wir sind uns einig, dass das eine unsinnige und recht fatalistische Schlussfolgerung ist.


    Übertragen auf Berlin hieße das: Okay, der Ausbau von Straßen führt zu nichts, aber der Ausbau des ÖPNV auch nicht: "Hey, let's spend the money elsewhere!"


    Ich kann mir aber vorstellen, warum die Studie in Bezug auf US-Städte zu dieser Schlussfolgerung kommt: In den USA verfügen die meisten Großstädte nicht über ein ÖPNV-System im europäischen Maßstab, es ist allenfalls rudimentär vorhanden und existiert vornehmlich in Form von Bussystemen, die häufig auch chronisch überlastet sind. D.h. sie wären gar nicht in der Lage zusätzlichen Verkehr von der Straße abzuziehen. Außerdem ist das auch eine Statusfrage: In Amerika ist der ÖPNV eher etwas für Arme oder Studenten, die sich kein Auto leisten können. Daher allein schon statusbedingt nicht attraktiv für die Durchschnittsbürger, zumal das Netzwerk eben nicht so dicht und divers ist wie hierzulande. Ein nicht leistungsfähiges ÖPNV-Netz kann demnach auch keine Verringerung von Staus auf Straßen bewirken, weil es schlicht keine Alternative darstellt. Dazu kommt noch die hohe Zersiedlung der US-Großstädte, als Extrembeispiel mag Los Angeles gelten. Eine große Fläche erzeugt mehr Verkehr, vor allem auch mehr Durchgangsverkehr und erschwert die lückenlose Erschließung durch den ÖPNV. Dadurch ist der Autoverkehr per se attraktiver und wird entsprechend ausgiebig genutzt.


    3.) Ich weiß nicht was die Studie ursprünglich genau beweisen oder untersuchen wollte, aber was ich bisher gelesen habe sehe ich nicht als Argument gegen meine obigen Aussagen. Bei solchen statistischen Studien besteht auch immer die Gefahr, dass statistische Daten falsch interpretiert oder missverständlich benannt werden. In ökonomischen Modellen wird immer erst vereinfacht, indem man Außenvariablen fixiert und sich auf die interessanten Kernvariablen konzentriert. Manchmal passiert aber der Fehler, dass man externe Effekte vernachlässigt, die eine erhebliche Wirkung auf den untersuchten Effekt haben und zieht dann falsche Schlussfolgerungen. Bestes Beispiel dafür die obige Untersuchung der VKT, die ein zweischneidiges Schwert zu sein scheinen oder die Nicht-berücksichtigung der Tatsache, dass in US-Städten meistens gar kein ÖPNV-Netz in dem Maße vorhanden ist, als dass es Autoverkehr substituieren könnte. Daher ist eine apodiktische Ausschließung der Möglichkeit, dass ÖPNV entlastend auf die Stausituation wirken könnte, ziemlich kurios.
    Als illustratives Beispiel: Ein voller Eimer kann das bei einem Rohrbruch durch die Decke tropfende Wasser nicht mehr aufnehmen und der Boden wird nass. Keiner würde aber auf die Idee kommen gleich gar keinen Eimer hinzustellen, weil der Eimer im vollen Zustand die Überflutung des Bodens nicht verhindern kann, sondern würde es stattdessen mit einem leeren Eimer versuchen.


    Der andere Fehler wird im Anschluss an die Studien gemacht: Man verallgemeinert Ergebnisse ohne die spezifischen Annahmen und Externalitäten dieser Studie zu berücksichtigen. Welche anderen Umstände im Vergleich zu Berlin dieser Studie zugrunde liegen habe ich zum Teil in Punkt 2.) ausgeführt. Wir wissen auch gar nicht, welche Annahmen dieses Modell gemacht hat, welche Daten wann und wo erhoben wurden etc. Unklar ist zum Beispiel auch ob Wachstumseffekte des Verkehrs in den USA auf Grund der deutlich wachsenden Bevölkerung und auch zunehmender Wirtschaftsverkehr bei der Durchführung der statistischen Analyse rausgerechnet wurden, um die wahren Effekte aufzudecken. Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum wären Beispiele für solche externen Effekte, die in einer simplen Verkehrsstudie schnell vernachlässigt werden, die Ergebnisse aber sehr stark verzerren können.



    Das war jetzt sehr viel Text, um zum Kern zurückzukommen: Ich bezweifle den Zusammenhang von "mehr Straßen = mehr Verkehr" mit Verkehr = mehr Fahrzeuge und sehe in dieser Studie keinen schlüssigen Beweis des Gegenteils.

  • ^^ Ich behaupte mal, dass gerade im Strassenverkehr Sättigungseffekte eine sehr große Rolle spielen und oft einfach nicht berücksichtigt werden.


    Beispiel: Mehr Strassen = mehr Verkehr kann immer nur eine Näherung sein, der in einem kleinen Definitionsbereich gültig ist. Grund für die Steigung können z.B. die bereits genannten Effekte sein, also geändertes Fahrverhalten oder indirekte Streckenführung. Allerdings lassen sich solche linearen Zusammenhänge nicht einfach beliebig extrapolieren. Ab einem gewissen Punkt sind nämlich bereits alle verfügbaren Autofahrer unterwegs, bzw. die von jedem Fahrer zurückgelegte Strecke ist am individuellen Maximum angekommen - es gibt also eine Sättigung weil nicht plötzlich mehr Autofahrer aus dem Nichts auftauchen und diese auch nicht länger als 24h pro Tag auf der Strasse verringen. Natürlich liegt die Sättigung wiet unterhalb 100% Autofahrer in der Bevölkerung bei 24h Fahrzeit/Tag. ;)

  • Richard Neutra
    Es ist deine subjektive Meinung und auch dein Recht an der Studie zu zweifeln.
    Sie besagt auch nicht dass mehr Straßen = mehr Fahrzeuge bedeutet, sondern lediglich dass es mehr Fahrten gibt. Hier eine andere Interpretation der Studie:
    http://verkehrt.info/2009/11/2…aeht-wird-verkehr-ernten/
    Und wenn man mit dem gesunden Menschenverstand argumentiert, dann finde ich es mehr als nachvollziehbar, dass bei besserem Straßenangebot auch mehr (Bequemlichkeits-)Fahrten unternommen werden.

  • Mehr Verkehr entsteht in der Tat durch eine Gesamtheit an Raumplanung, die die starke Trennung von Wohnen, Einkaufen, Freizeit und Arbeiten zum Ziel hat, mit entsprechendem Mobilitätsbedarf "dazwischen". Das größte Merkmal dieser Art der Planung ist nun einmal die Fixierung auf starken Ausbau des Straßennetzes als Priorität, daher ist dieser Zusammenhang sicherlich nicht falsch. Aber es muss schon der Gesamtzusammenhang gesehen werden. Bei anderer Raumplanung und mehr Straßen gäbe es auch nicht mehr Verkehr, die Straßen wären dann eben "leer" und würden gar nicht erst gebraucht.


    Die klassische Metropole in Europa zeichnete sich eigentlich durch Kiezbildung aus, nicht nur in Berlin, die aus Amerika nach dem Krieg "importierte" starke funktionale Trennung hat sich indes über die Jahrzehnte immer mehr ausgebreitet. Das wird inzwischen nicht nur ein landschaftliches und ökologisches Ärgernis, sondern für viele Menschen zunehmend unbezahlbar. Wenn jeden Monat mehrere hundert Euro Spritkosten für eine Durchschnittsfamilie anfallen läuft was schief. Ölpreis hin oder her.

  • Also bzl Hausschwamm: bitte das Reisezeitgesetz beachten, dass mit hoher Präzision gilt - demnach wächst der Verkehr zwischen den zwei Orten A und B umgekehrt mit dem Quadrat der Reisezeit zwischen den Orten A und B - halbe reisezeit, viel mal so viel Fahrten.
    Ansonsten: die Studie ist extrem USA-spezifisch, klammert die Themen Bebauung und Bebauungsichten aus, sowie Städte in anderen Ländern, die nicht so Autozentrisch aufgebaut sind wie die städte in den USA- Curitiba in Brasilien erreicht 84% ÖV, 16% IV - durch strikte Politik bei der Bebauung der stadt und strikte ÖV-Bevorrechtigung - genau der Inverse Split zu anderen städten: http://de.wikipedia.org/wiki/C….96ffentlicher_Nahverkehr
    Auch Wien erreicht etwa 50% ÖV-Anteil. Das stadtzentrum von München erreicht um 80% ÖV-Anteil - alles unverträglich mit der Studie.

  • Wie sind denn eigentlich die Erfahrungen am Breitscheidplatz seit Zuschüttung des Autotunnels? Gibt es in Berlin oder anderen Städten Bereiche, wo man Straßen verengt hat und Erfahrungen seit dem gesammelt hat, was das Verkehrsaufkommen betrifft?

  • Grundsätzlich werden in Deutschland nur noch Entlastungsstrassen zusätzlich gebaut oder bestehende Strassen ausgebaut.


    Wenn man sich die Situation in den deutschen Großstädten anschaut, so würden Entlastungsstrassen eben nur den Effekt von Entlastung und nicht zusätzlichen Verkehr haben, da nach wie vor niemand aus Spass an der Freude durch die Gegend fährt.


    Auch ist es nicht so, dass an den verstopften Strassen parallel leere Züge oder Busse vorbeifahren. Der ÖPNV wird schon nach Möglichkeit genutzt.


    Natürlich wird so mancher die eine oder andere"Spassstrasse" in Deutschland kennen, diese sind aber eher lokal politisch motiviert => Generell gilt meine Aussage.


    Ich will das am Beispiel der Nordostumfahrung in Stuttgart festmachen. Diese wird von Egoisten seit Ewigkeiten blockiert, weil diese fürchten in 300m Entfernung einer neuen 2-Spurigen Entlastungsstrasse zu wohnen. Die Einwohner, die die belasteten Strassen 1-2 Meter vor der Haustür haben interessieren die nicht. Daher werden auch von den Egoisten immer wieder diese "Mehrverkehrsgeschichten" aufgetischt.


    Fakt ist, ein Mensch und sein Auto können nur am 1 Ort sein und nicht an 2 gleichzeitig. Entweder er nutzt Möglichkeit A oder Möglichkeit B zur Arbeit zu kommen. Das er nach Feierabend erstmal noch ein paar mal Möglichkeit A oder Möglichkeit B aus Spass an der Freude rauf und runterbraust ist doch wohl nur in extremen Ausnahmefällen zu erwarten.

  • Mich wundert jetzt irgendwie doch die Diskussionskultur. Es geht zwar alles sehr gesittet vor, aber von den Fakten nach denen hier vor kurzem noch gerufen wurde ist nicht viel übrig. Zumindest nicht anhand von belastbaren Daten. Ich habe hier nicht versucht meine Meinung aufzutischen, sondern die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie auf den Punkt zu bringen. Haussschwamm kontert ausschließlich mit Vermutungen und ignoriert teilweise die Informationen, die ich vorher zusammengefasst habe. Neutra, wenn deine Quelle der gesunde Menschenverstand ist, dann ist das leider letztlich auch nur eine Meinung. Ich kann deine Argumentation ja zum Teil nachvollziehen (insbesondere die Übertragbarkeit von amerikanischen auf europäische Städte), aber aus diesem Grund gibt es ja Menschen, die sich hinsetzen und richtig Mühe in so eine Studie stecken. Dass dann Ergebnisse herauskommen, die zum Teil überraschen ist ja das tolle daran. Du kannst die Studie unter dem von Vertical geposteten Link auch vollständig einsehen. Der Artikel, der sie dort zusammenfasst schreib im Übrigen auch, dass die Ergebnisse unabhängig von der Bevölkerungsentwicklung, der Wirtschaftsentwicklung und sozioökonomischer Faktoren ist, ergo diese herausgerechnet wurden.


    Wie dem auch sei, im Molkenmarkt-Thread ging es letztlich um den umgedrehten Fall (ob man durch Rückbau der Straße einen tatsächlichen Rückgang des Verkehrs erreichen kann). Dazu gibts es sicherlich auch belastbare Untersuchungen, ich mach mich noch mal auf die Suche.

  • Naja, die Sache ist die: Wir sind alle keine studierten Verkehrsexperten (vermute ich mal) und haben demnach auch wenig wissenschaftlichen Kredit um in einer entsprechenden Diskussion fundiert argumentieren zu können. Aber wie in jeder Wissenschaft gibt es den wissenschaftlichen Konsens und diverse Gegenströmungen. Wir kennen einige Grundsätze der Verkehrswissenschaft und teilweise auch Studien mit spektakulären Ergebnissen, die wir so nicht erwartet hätten.


    Was uns allen bleibt ist sich diese Studien durchzulesen und zu versuchen sie mit eigenen Erfahrungen und praktischen Beispielen vor Ort in Einklang zu bringen. Eine wissenschaftliche Studie allein kann nicht verallgemeinert werden und das war auch eine der Kernaussagen in meinem letzten Beitrag. Es gibt viele Möglichkeiten wie statistische Daten erhoben, ausgewählt, gewichtet und bewertet werden. Dazu kommt die schon erwähnte Vergleichbarkeit von verschiedenen Ländern und Städten, die in der oben zitierten Studie nicht gegeben war.


    Deswegen sollten wir diese Diskussion auf einem Niveau führen, das uns allen zupass kommt: Anschaulich und situationsbezogen ohne sich in irgendwelchen theoretischen Konstrukten von Studien zu verheddern, denn es gibt mit Sicherheit auch jede Menge Studien, die genau das Gegenteil zu beweisen versuchen und sich untereinander widersprechen.

  • Mich wundert jetzt irgendwie doch die Diskussionskultur. Es geht zwar alles sehr gesittet vor, aber von den Fakten nach denen hier vor kurzem noch gerufen wurde ist nicht viel übrig. Zumindest nicht anhand von belastbaren Daten. Ich habe hier nicht versucht meine Meinung aufzutischen, sondern die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie auf den Punkt zu bringen.


    Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien beruhen auf die Geisteshaltung dessen, der sie in Auftrag gegeben hat.


    Da diese Studie "Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten" nur eine Einzelmeinung wiederspiegelt, diese aber dir gut in den Kram passt hast du diese halt verlinkt.
    Ob diese der Realität entspricht sei mal dahingestellt, denn je nach dem gibt es auch andere Studien die andere Aussagen haben.


    Wenn du das Thema "Diskussionskultur" ansprichst, so gehört es zu einer Diskussionskultur, dass auch andere Meinungen akzeptiert werden müssen und nicht "Ich habe eine Studie verlinkt und bin jetzt unfehlbar wie der Papst".

  • So sollte mein Post auch nicht verstanden werden. Tut mir leid, wenn das falsch rüberkam. Ich möchte ja nicht belehrend wirken, ich bin nur der Meinung, dass man seine Meinung irgendwie untermauern muss. Meines Erachtens sind Diskussionen im Internet oft so schwierig, weil jeder eine Meinung postet ohne diese selbst zu hinterfragen oder eben mit Fakten zu füttern. Zu einer fundierten Meinung auf dem Gebiet der Verkehrsplanung können doch nicht nur subjektive Eindrücke beitragen. (Ich bin übrigens kein Verkehrsplaner.) Man kann jetzt wieder behaupten, dass eine Studie kein Fakt ist, aber ich meine als Diskussionsgrundlage taugt sie allemal mehr als der vermeintliche "gesunde Menschenverstand". Im Molkenmarkt-Thread hatte ich noch noch über einen Auszug von einem Jane Jacobs Buch geschrieben. Der besprochene Abschnitt hieß nicht ohne Grund "Science Abandoned", also soviel wie "Missachtete Wissenschaft". Postet doch mal eine wissenschaftliche Arbeit, die belegt, dass weniger Straßen auch mehr Stau bedeuten. Dann könnte man vergleichen, abwägen, welche besser nach Berlin passt und den Rahmenbedingungen der Leipziger/Grunerstraße entspricht und so weiter. Und ich meine damit nicht eine Stellungnahme vom ADAC oder IHK. Im Übrigen ist die von mir verlinkte Studie zum Thema "Weniger Straßen, weniger Verkehr" auch nicht von der Fahrrad-Lobby oder ähnlichem, sondern im Auftrag der Stadt London bzw. Groß Britanniens entstanden. Die haben sicherlich kein Interesse an Meinungen, sondern wollen tatsächlich ihren Verkehr sinnvoll regeln.


    Das Internet bietet zahllose Möglichkeiten an fundierte Informationen heranzukommen. Niemand muss hier aus dem Bauch heraus argumentieren. Es spricht nichts dagegen seine Eindrücke zu schildern, man kann auch andere Foristen fragen (wie es Hobbyist hier getan hat), man kann sich Verkehrszählungen im FIS-Broker angucken und dann eben argumentieren. Dazu kommt, dass ich hier zum Beispiel Eindrücke auch höher gewichte, wenn der Poster erklärt, dass er eine bestimmte Strecke jeden Tag fährt. Das würde ich dann zumindest fundiert bezeichnen.

  • ... Man fährt nicht zusätzlich wegen einer Strasse. Man hat einen Grund sich zu bewegen. ...


    ... da nach wie vor niemand aus Spass an der Freude durch die Gegend fährt.


    Das stimmt einfach nicht. Natürlich fahren nicht wenige Menschen aus Spaß an der Freud - sowohl mit dem Fahrrad als auch mit dem Motorrad und dem Auto. Im Falle des Fahrrades (oder eines anderen nicht-motorisierten Fahrzeugs) ist das ja auch sinnvoll und sollte gefördert werden.


    Ich meine damit auch nicht nur die Spritztour mit dem Cabrio am Wochenende die Havelchaussee entlang, sondern durchaus Menschen, die Stau und Kosten in Kauf nehmen, weil sie GERNE mit dem Auto zur Arbeit / zum Arzt / zum Shoppen oder sonstwo hin fahren, selbst wenn es schnellere und preisgünstigere Alternativen gibt. Aber auch da wird irgendwann abgewogen und das Zeit/Kosten-Nutzen-Verhältnis geprüft. Wird der Nahverkehr oder die Radstrecke attraktiver, steigt man ggf. doch um. Werden hingegen neue Straßen(verbindungen) gebaut, wird dann doch wieder das Auto genommen.


    Wer gern Auto fährt und bisher dennoch die U-Bahn zur Arbeit nahm, weil es mit dem Auto zu lange dauert und dann eine attraktive neue Straße bekommt, ja was macht er dann wohl? Genau.

  • Ich meine damit auch nicht nur die Spritztour mit dem Cabrio am Wochenende die Havelchaussee entlang, sondern durchaus Menschen, die Stau und Kosten in Kauf nehmen, weil sie GERNE mit dem Auto zur Arbeit / zum Arzt / zum Shoppen oder sonstwo hin fahren, selbst wenn es schnellere und preisgünstigere Alternativen gibt.


    ...


    Wer gern Auto fährt und bisher dennoch die U-Bahn zur Arbeit nahm, weil es mit dem Auto zu lange dauert und dann eine attraktive neue Straße bekommt, ja was macht er dann wohl? Genau.


    Sind denn besagte Anlässe in Deinen Augen qualitativ negativer zu bewerten, als wenn diese Anlässe nicht gegeben wären und jemand unter Zwang irgendwo mit dem Auto hinfahren würde, z.B. aus beruflichen Gründen?

  • Stuttgart ist Stauhauptstadt Nr.1 in Deutschland (Auf dem Niveau von Rom, Paris, N.Y., L.A. . Die Tatsache, dass die Menschen hier trotzdem das Auto nutzen kann doch nicht als Ursache eine überdurchschnittlichen Hang zum Masochismus sein. Es geht hier darum, dass die Leute zur Rush-Hour zu ihren Arbeitsplätze müssen.


    Stuttgarts Straßennetz ist nicht ansatzweise für einen Großraum ausgelegt, der eine sehr geringe Arbeitslosigkeit aufweist. Es ist vollkommen ersichtlich, dass wenn eine Fahrt mangels Alternativen immer durch die Stadt führt wenn man von A-B es zum Kollaps kommt.


    Mit neuen Strassen meine ich ja nicht, neue Strassen im Stadtzentrum von Stuttgart, sondern außen herum (In Stuttgart selbst könnten Strassen sogar zurückgebaut werden bei entsprechender Infrastruktur).


    Ich selbst würde ja den ÖPNV auf dem Weg zur Arbeit nutzen, aber ich muss halt mit 2 Bussen und 2 S-Bahnen fahren, durch die Umsteigerei verliert man viel Zeit => Auto.


    Der ÖPNV kann nicht das Groß der Pendler aufnehmen, selbst wenn man den Landesanteil von 900 Mio. für S21 in den ÖPNV in Stuttgart investieren würde. Auch wird es bestimmte Verbindungen niemals geben, egal wie der ÖPNV ausgebaut wird.


    Aktuell nutzen ca. 15% der Pendler den ÖPNV, was würde passieren, wenn weitere 15 oder gar 30% umsteigen? Die Züge sind in der Rush-hour bereits brechend voll, daher lässt sich erahnen welche Kapazitätssteigerungen notwendig wären um die Zahl der Fahrgäste einigermaßen bewältigen zu können.


    => Es müsste ja bereits zu jetzigen Bedingungen das Bestandsnetz ausgebaut werden (u.a. 2. Röhre von Rohr bis Hauptbahnhof (Alleine das würde die 900 Mio. schon auffressen) und es müssten Erweiterungen kommen (z.B. S-Bahn-Ring).


    Generell bin ich ja für den Ausbau des ÖPNV und das sollte auf dem maximalen Niveau auch geschehen, aber nur dadurch Stuttgart staufrei zu machen wird nicht erfolgen.

  • @ Jack000 : Da werden mal wieder viele Faktoren unterchätzt:
    ad 1) Ignorierst Du schlicht das Reisezeitgesetz. Sorry, das wird von den Verkehrswissenschaftlern nicht umsonst mit dem Namensteil "gesetz" verwendet, weil es seit weit über 100 Jahren in allen untersuchungen so sicher eintritt wie das Amen in der Kirche kommt. Kommen neue Ziele in eine zeitlich attraktive Erreichbarkeit, werden diese auch angesteuert - sei es durch Wahl eines weiter entfernten Arbeitsplatzes oder Wohnorts, durch Ansteuern eines anderen Bäckers oder was auch sonst immer.
    Ad 2) Übergehst Du die aktuelle Erkenntnisse der Verkehrstechniker, dass gebündelte Trassen (lieber an einer stelle ganz viel Verkehr statt an 5 Stellen viel Verkehr) per Saldo mehr Verkehrsqualität lifert. WEnn man von einer Hauptstrasse mit 20.000 kfz /Tag/richtung 10.000 auf eine Umgehungsstrasse am Ortsrand verlegt, dann wird es für die Leute am Ortsrand 30 oder mehr dB lauter- bis in Gesundheitsgefährdende Bereiche, an der Hauptstrasse aber nur 3dB leiser - an der Wahrnehmbarkeitsschwelle. Ergo schlägt man eher vor, an der Hauptstrasse die Bebauung für die dort herschenden dB auszulegen (Fenster, KWL etc) statt die Bebauung flächendeckend zu verlärmen.
    ad 3) beim Umstieg MIV - ÖV wird ein Faktor gerne übersehen : auff den radialen wo der ÖV aktuell ausgebaut ist liegen die ÖV-Anteil weit, weit höher als 15-30 (Stadtbereich)% (Innenstadt 60%), ergo ist dort keine so grosse Erhöhung mehr zu erwarten. Käme es zu Verlagerungen wären aktuell primär tangentiale Strecken betroffen, wo die dort häufig laufenden Buslinien heute eher warme Luft spazierenfahren. In vielen Fällen kann hier der ÖV mit relativ geringen Mitteln um zusätzliche Tangentiale Linien erweitert werden (Schiene, auch dichterer Busverkehr) Siehe z.B. in Stuttgart die Optionen T-Spange, Nordkreuz, S-Bahn Feuerbach-Vaihingen auf der Gäubahn, S-Bahn auf der Schusterbahn, Option einer Rampe am neuen Flughafenbahnhof von NBS in Richtung Böblingen, Option von der S4 über die Güterzugkurve zur Schwarzwaldbahn und von dort weiter nach Böblingen zu fahren, etc...
    Ebenso sollte mal die Signaltechnik der Stammstrecke (Stuttgart) getauscht werden - allein schon wegen überalterung. auch da sind nebenher noch +20% drin - das reicht rechnerisch um den Cityring in stuttgart Autofrei zu bekommen. Ergo wenn die Fahrgäste kommen, kommen sie nicht da wo heute schon viele fahren, sondern auf anderen Routen, und dort kann dann auch mit kleinem Aufwand die Kapazität hochgefahren werden.

  • Ich sehe so langsam vor allem ein Parkplatzproblem.
    Es ist auch in den letzten 2-3 Jahren enorm angestiegen und
    nahezu unmöglich in manchen Straßenzügen Parkplätze zu finden.


    Ich muss mittlerweile wirklich mehre Blöcke laufen um zu meinem Auto zu kommen. Bin mal gespannt wie das weiter geht.

  • Mehr Autos = mehr Autoverkehr?

    Ich pack die Meldung mal hier rein...


    PM: "Obwohl in Deutschland im Jahr 2030 voraussichtlich weniger Menschen als heute leben werden, wird sich der Bestand an Autos weiter erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Die Forscher erwarten, dass die Bevölkerungszahlen um rund 4,7 Prozent auf etwa 77,4 Millionen sinkt, während es rund 3,9 Prozent mehr private Pkws geben wird (44,8 Millionen).
    Ein wesentlichen Grund für die steigende Zahl von Autos sieht das RWI die Zunahmen von Haushalten trotz des Bevölkerungsrückgangs. Außerdem gehen die Forscher bei ihrer Prognose davon aus, dass die Einkommen weiter steigen. Sollten diese stagnieren, ergeben die Simulationen einen privaten Pkw-Bestand von rund 41,7 Millionen im Jahr 2030. Er läge damit unter dem aktuellen Fahrzeugbestand."


    Quelle: idr
    Infos: www.rwi-essen.de

  • Weniger Straßen = weniger Autoverkehr?

    "Je weniger wir uns individuell motorisiert fortbewegen und je mehr wir auf eine flexiblere Nutzung von Fahrrad, öffentlichem Verkehr und Fußgängerverkehr setzen, desto freier werden wir die Stadt gestalten können."


    Der Architekt, Designer und Ausstellungskurator Friedrich von Borries plädiert in der ZEIT für einen Rückbau der innerstädtischen Verkehrsflächen (Auto). Der durch Straßenrückbau entstande Freiraum sollte dann in Grünflächen und Fahrradverkehrswege umgestaltet werden. Damit einhergehen müsse natürlich auch eine Verbesserung des ÖPNV (Mitnahme von Fahrrädern in U-& S-Bahnen, etc.).
    Allein auf diesem Wege ließen sich städtbauliche Ziele wie Reduzierung von Feinstaub und Lärmbelastung und somit eine Qualitätssteigerung des innerstädtischen Wohnens, Lebens und Arbeitens nachhhaltig verwirklichen.


    Es geht also um angebotsinduzierte Änderung des Nachfrageverhaltens: Weniger Straßen + adäquate Alternativen = weniger individueller Autoverkehr

  • Damit einhergehen müsse natürlich auch eine Verbesserung des ÖPNV


    Man kann auch ganz ohne Umbau der Stadt den ÖPNV verbessern, indem man beispielsweise Fahrzeuge mit genügend Beinfreiheit und bequemen Sitzen einsetzt. Dazu noch noch geräusch- und viberationsarme Antriebe und eine gute Belüftung. Außerdem die Fahrpläne besser den Spitzenlasten anpassen.


    All das wird man aber leider nicht machen, weil es Geld kostet und weil es die Effizienz der Verkehrsmittel senkt.