Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • ^ Es muss nicht immer grellbunt sein - dezent reicht auch. Wieso fürchten die Besitzer nicht, dass ständiges Weiß-grau die Vermarktbarkeit schmälert? Mag sein, dass jemand die eine Farbe mehr und die andere weniger mag, wenn man sich aber etwa die Umfrage im Münchner Unterforum anschaut, ist schwarz-weiß-grau gerade die am wenigstens beliebte Variante. (Selber wohne ich in einem Haus, das braun und dunkelgrün verbindet - im grauen Bau würde ich mich unwohl fühlen.)


    Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen und Statistiken zum Thema Farbwahl/Vermarktung?

  • Bau-Lcfr & Pumpernickel: Ich begrüße doch explizit die Schloss-Reko wie auch die der Bauakademie und freue mich auf die künftige Ensemble-Wirkung der Umgebung. Ebenso schätze ich bspw. den Gendarmenmarkt. Das was Berlin noch an historischer Substanz hat, sollte man unbedingt bewahren, selektive Rekos verlorener Bauwerke können das ergänzen.


    Es ging mir allein um die beiden Thesen, dass
    a) seit dem Krieg nichts Ordentliches oder wirklich Bedeutsames in Berlin/ Deutschland mehr gebaut wurde
    b) Menschen primär wegen alter Bauwerke nach Berlin/ Deutschland kommen, etwa die Heidelberger Altstadt besser kennen als den Fernsehturm


    Beides ist mE grober Unfug.


    [D]ie Geisterbahn ist auf dem klassischen Rummel doch auch immer gut besucht. Natürlich fahren die Salzburger, Pariser oder Römer nicht auf eine Städtereise nach Berlin, weil sie eine hübsche Stadt mit geschlossenem Straßenbild, welches von vielen Jahrhunderten Geschichte zeugt, erwarten.


    Ja, auch die trashigsten Ecken Berlins werden wie Deine angeführte Geisterbahn mal mit Faszination aufgesucht, je nach Vorlieben auch öfter und länger. Und tatsächlich werden mit Holocaustmahnmal, jüdischem Museum, Stolpersteinen und konsverierten Einschusslöchern, mit Checkpoint Charlie und Eastside Gallery sowie nachgezogenem Grenzverlauf oder Mauerwegen ja auch bewusst die Wunden der Stadt inszeniert. Aber bei den mehrfach angeführten Touristenhotspots wie Potsdamer Platz oder Fernsehturm dürfte dieser Aspekt kaum eine Rolle spielen. Die sind einfach stylish.


    Deswegen wird die Rückkehr der Barockfassade des Stadtschloss in das Stadtbild eine gefühlte Verdopplung vorindustrieller Architektur in der Innenstadt bewirken (vgl. Einweihung des Doms erst 1905, usw., das meiste, was in Berlin "alt" aussieht, ist nicht wirklich Zeugnis vorindustrieller Architektur; die Barockfassade des Stadtschloss ist hier eine wertvolle Ausnahme, ein bisher vollkommen unterschätzter Faktor!).


    Sehr viele Menschen/ Touristen werden vermutlich weder wissen, noch wird sie sonderlich interessieren wie alt bspw. der Dom nun wirklich ist (und für viele IST 1905 schon alt) oder was eine Reko ist und was nicht. Die Wirkung ist hier viel eher entscheidend und die wird in der Tat mit dem Schloss beeindruckender sein. Wer hingegen wirklich authentische alte Bauwerke liebt, wird wie gesagt ohnehin nicht extra dafür nach Berlin fahren. Da sind wir uns völlig einig.


    Nach Berlin fahren die Leute v. a. wegen dem, wofür auch die ganzen Hipster Berlin so lieben + Billigpreise + schauriger Charme dieses riesigen Moloch + Geschichtsspuren der großen Zeitenwenden des 20. Jh., dazu noch etwas Bundeshauptstadt als Sightseeing-Ziel (wobei das populärste Hauptstadtgebäude, das Reichstagsgebäude, gerade nicht eines ist, dessen Gesamteindruck von moderner Architektur dominiert wird, Kuppel hin oder her).


    Völlig richtig: Die Menschen kommen primär wegen dem dramatischen 20. Jhdt. und dem Zeitgenössischem/ Modernen - was sich mE zwar nicht allein in der Architektur abspielt, aber letztlich auch in dieser wiederfinden lassen muss. Für die vielzitierten Brüche braucht es das Alte wie das Neue und am besten beides eng beieinander und ineinander verschlungen. Ich glaube bspw. gesagt kaum, dass der Reichstag ohne die Kuppel so populär wäre. Die Kuppel dominiert diesen zwar nicht, aber sie ist sozusagen die kongeniale Ergänzung der alten Substanz. In meinen Augen genialer als die Glaspyramiden vor dem Louvre und etwas, was es so nirgends auf der Welt gibt. Oder anders herum würden die Galeries Lafayette mitten im Sony-Center kaum so wirken wie in der altehrwürdigen von Naturstein dominierten Friedrichstraße...

  • Die Schlosskuppel im jetzigen Zustand erinnert mich an die luftige Kuppelkonstruktion am U-Bahnhof Nollendorfplatz. :)


    Hoffentlich wird uns nicht so ein Kitsch wie diese Kuppel am Nollendorfplatz in Zukunft als historische Stadtreparatur verkauft. :nono: Also man muss nun nicht jeden Kitsch wieder zurückholen. Stadtschloss okay und diverse andere Sachen auch, aber diese Kuppel finde ich ziemlich häßlich.

  • Ich kann auch auf viel Kitsch verzichten. Aber die Kuppel vom Nollendorfplatz finde ich ganz wichtig. Kennst du sie nur von Fotos oder hast du sie schon mal in echt gesehen? Ich finde nämlich, dass sie in Echt besser aussieht als auf Fotos. Außerdem hat sie eine sehr schöne Wirkung von weiter weg, sie prägt den Platz richtig. Wenn sie nachts beleuchtet ist und man mit dem Auto die Karl-Heinrich-Ulrich-Straße entlangfährt sieht die Kuppel sehr schön aus.

  • Wenn ich mich nicht irre, ging es Richard um die historische Kuppel. Wenn das stimmt, kann ich Euch beiden rechtgeben: Die neue Kuppel finde ich ganz hübsch. Auch wenn sie sicher kein architektonischer Meilenstein ist, wirkt sie auf eine angenehme Weise verspielt und unernst; gerade im Sommer vor blauem Himmel hat das was.


    Die historische Kuppel finde ich dagegen zu schwer, zu überladen, zu groß im Verhältnis zum Rest des Bahnhofs und zu aufwändig bei zu wenig Funktion. Ob man's glaubt oder nicht: Die wilhelminische Stuck-und-Dekor-Orgie war nicht der einsame Höhepunkt in der Geschichte der Bauästhetik - auch wenn das viele hier im Forum mittlerweile anders sehen... ;)

  • Ob man's glaubt oder nicht: Die wilhelminische Stuck-und-Dekor-Orgie war nicht der einsame Höhepunkt in der Geschichte der Bauästhetik - auch wenn das viele hier im Forum mittlerweile anders sehen... ;)


    Das ist letztlich auch nur eine persönliche Meinung, aber mal so rein interessenhalber: was ist denn Deiner Meinung nach der einsame Höhepunkt der Bauästhetik? Evtl. fällt es mir dann etwas leichter Deine Meldung in einen Kontext zu setzen ;-).


    PS: ausserdem würde mich als völlig unbelekten Laien einmal ernsthaft interessieren, was denn jetzt so speziell an der Wilhelminischen Stuck- und Dekororgie war, dass man das Wilhelminische extra herausstreichen muss? Worin unterscheidet sich der Wilhelminische Barock, von z.B. dem französischen?

    2 Mal editiert, zuletzt von Mercutius () aus folgendem Grund: PS

  • ^ Man kann m. E. den wilhelminischen Historismus (kein Barock, höchstens z. T. Neubarock) meist recht gut von anderene Historismus-Bauten außerhalb des ehem. Deutschen Reiches unterscheiden.


    Das Deutschen Reich entstand recht spät und hatte nach dem dt.-frz. Krieg aufgrund der gewaltigen Reparationszahlungen aus Frankreich viel Geld zur Verfügung. Bei großen Repräsentations- und Machtbauten, aber auch bei neuen repräsentativen Straßenzügen hatte man Nachholbedarf gegenüber den älteren Kulturnationen. Gleichzeitig begann eine Phase mit einem gewaltigen Bevölkerungswachstum und damit verbundener Bautätigkeit. Hinzu kam auch Großmannssucht und ein vorwiegend historisch orientierter Geschmack der herrschenden Kaiser.


    Das Ergebnis war ein meist recht üppiger, protziger, oft überladener Stil mit Mischformen überwiegend (aber nicht nur) aus Neubarock, -renaissance und -gotik.


    Rathäuser, Bahnhöfe, Postgebäude, Gerichtsgebäude, Schulen, Kirchen usw. sind fast ausnahmslos in diesem (oft als schwülstig empfundenen) wilhelminischen Historismus gebaut worden.


    Natürlich sind es z. T. trotzdem prachtvolle, schöne, beeindruckende und erhaltenswerte Gebäude.

  • Backstein: vielen Dank! Gibt es besonders hervorstechende Bauten, wo auch der Laie erkennen kann 'hier also Wilheminischer Historismus'? Wo ist denn protziger und üppiger als zB. in Paris oder Wahrschau? Oder meinetwegen St. Petersburg? :)


    Nicht falsch verstehen, ich mag diese Bauten ja, kann daran liegen, dass ich von den modernen, immergleichen Investorenbauten eher enttäuscht bin, aber wie gesagt, für mich sieht das in den genannten Städten immer gleich üppig und verschwenderisch aus :-).


    Davon mal ganz abgesehen, und einen ticken nächer am Thema: ich freue mich für alle Berliner, dass das Stadtschloss wieder aufgebaut wird, beteilige mich im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten, und würde mir wünschen, dass wir noch mehr Leuchtturmprojekte in Deutschland bekommen würden. Von mir ein *Plus* zur Garnisonskirche in Potzdamm, z.B.


    Hach, würden wir doch auch in Köln mal so etwas tolles auf die Beine stellen *träum* :)

  • Zum wilhelminischen Historismus hat Backstein eigentlich alles gesagt, nur das noch als Nachtrag: Wir reden hier von der Epoche zwischen der Reichsgründung 1871 und dem Ersten Weltkrieg ab 1914 - das Schloss ist viel älter. Damals wurden ältere Baustile kopiert, eigenständig ist der Stil eigentlich nur in seiner Durchmischung und Überzeichnung aller Stile. In Paris gab und gibt es übrigens durchaus vergleichbares (z.B. die Garnier-Oper), die auch erstmal überwältigend wirkt, m.E. aber viel zu dick aufträgt.


    Zu Deiner Frage nach dem "einsamen Höhepunkt der Bauästhetik": Den gab es natürlich nicht, denn Architektur muss immer in dem historischen, sozialen und auch technischen Kontext betrachtet werden, in dem sie entsteht. Ich kann mich z.B. für die Werke Balthasar Neumanns ebenso begeistern wie für die Ludwig Mies van der Rohes - auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein könnten.


    Aber ich finde durchaus, dass es bessere und schlechtere Stil-Epochen gibt - so fällt m.E. der Wilhelminismus deutlich ab, wenn man ihn mit dem hundert Jahre älteren Klassizismus vergleicht, der ja auch in Potsdam und Berlin eine Hochburg hatte.

  • Bevor die Diskussion im Stadtschloss-Thread zu sehr OT wird habe ich die Beiträge mal hierher verschoben. Auf Seite 21 dieses Threads findet sich zum Thema eine ganz ähnliche Diskussion.

  • ^ Man kann m. E. den wilhelminischen Historismus (kein Barock, höchstens z. T. Neubarock) meist recht gut von anderene Historismus-Bauten außerhalb des ehem. Deutschen Reiches unterscheiden.


    Ich denke nicht, dass man es sich so leicht machen kann. Generell sollte man eher sagen, dass natürlich öffentliche Gebäude häufig sehr prunkvoll waren. Aber das ist keine deutsche oder wilheminische Besonderheit (siehe Budapest oder Prag). Überhaupt da irgendeine Grenze zu ziehen, was wilhelminisch und "anderer Historismus" sein soll, halte ich für höchst spekulativ und willkürlich.



    Das Deutschen Reich entstand recht spät und hatte nach dem dt.-frz. Krieg aufgrund der gewaltigen Reparationszahlungen aus Frankreich viel Geld zur Verfügung. Bei großen Repräsentations- und Machtbauten, aber auch bei neuen repräsentativen Straßenzügen hatte man Nachholbedarf gegenüber den älteren Kulturnationen. Gleichzeitig begann eine Phase mit einem gewaltigen Bevölkerungswachstum und damit verbundener Bautätigkeit. Hinzu kam auch Großmannssucht und ein vorwiegend historisch orientierter Geschmack der herrschenden Kaiser.
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    Naja das Reich entstand spät, aber die weiter existierenden Gliedstaaten gab es schon. Die meisten öffentlichen Gebäude entstanden unter der Regie der Länder. In Sachsen war man gerade was Schulen angeht schon vor der Reichsgründung recht weit. Da kann ich jetzt eigentlich nichts spezifisch wilhelminisches erkennen, vel eher lokale Vorlieben. In Bayern war der Neobarock sehr beliebt, in Sachsen eher die Neorenaissance und im Norden natürlich die Neogotik. Ausnahmen bestätigen die Regel.
    Der Juliusturm hatte auf das Baugeschehen insgesamt sehr wenig Einfluss. Hier und da wurden Projekte gefördert. Aber allein wegen der schieren Masse an Neubauten ist das völlig unbedeutend. Auch rein städtisch finanzierte Projekte wie die neuen Rathäuser sind wahre Schlösser (Hannover, Leipzig)


    Was stimmt, ist das besonders für offizielle Reichsbauten (meist in Berlin) noch lange strenger Historismus gebaut wurde, als andernorts schon Jugend- und Reformstil Einzug hielten.

  • Saxonia: herzlichen Dank für diese Klarstellung! Da ich von Architektur keine Ahnung habe, ich halte das da genau so wie beim Whiskey und den Schallplatten (jo, die schwaren Scheiben mit dem Loch in der Mitte), gut finde ich einfach was mir gefällt, wollte ich da noch genauer nachfragen.
    Aber letztlich ist es denn dann doch genau wie ich dachte: nichts weiter als ein politisches Statement vom Architektenkind. Gut, dass ich nicht darauf angesprungen bin, diese Disskussionen habe ich schon ausserhalb der Foren verleidet bekommen, und ich weiß wie schnell man da einen unsinnigen 'Meinungsaustausch' starten kann :).


    Oder um es kurz zu machen: keine weiteren Fragen euer Ehren :-).

  • https://de.wikipedia.org/wiki/…Berlin_1907,_Missmann.jpg


    Wer nicht erkennt, wie stadtbildprägend und auch zentral für diesen städtischen Raum die Ornamentik dieses Verkehrsbauwerk nebst Freiflächengestaltung war, dann weiss ich auch nicht, was ich noch argumentieren soll. Hier wurde eine verkehrliche Zwecknutzung geradezu kongenial mit hochwertiger Grünflächengestaltung und repräsentativer Architektur kombiniert.


    Aber gut, wer meint


    Zur Verdeutlichung: DAS ist für mich typisch Berlin.



    der hat natürlich kein repräsentatives, harmonisches Stadtbild für Berlin vor Augen. Ist legitim. Ich fühle mich eben eher im kommoden, preußisch gestalteten Berlin heimisch, als bei den "Brüchen der Nachkriegszeit" oder gar in Gegenden wie Marzahn.


    Hier und da gibt es noch solche Oasen des alten Berlin, bevor es "arm aber sexy" wurde:


    https://de.wikipedia.org/wiki/…lphWildePark_Berlin_2.JPG


    Auch hier wieder eine kongeniale Verbindung eines Zweck-Verkehrsbauwerks mit einem Stadtpark. Für alle Ortsfremden: es handelt sich hier um den U-Bahnhof Rathaus Schöneberg, der durch diese wirklich geniale Gestaltung von der Fensterfront zum Park hin nicht nur Tageslicht bekommt, sondern auch einen wirklich hübschen Ausblick (den man auch als Fahrgast wahrnimmt), statt der üblichen Düsternis im U-Bahnbereich. Und als wäre das nicht schon Verkehrsnutzen genug befindet sich auf dem dem Dach dieses U-Bahnhofes eine Straßenverkehrsbrücke. Von der Parkseite aus sieht dieses Multifunktions-Verkehrsbauwerk hingegen fast so aus, wie eine Orangerie in einem Schloßpark. In jeglicher Hinsicht eine geniale städtebauliche Lösung, die dazu noch ästhetisch ist.


    Wie kann man sich nicht nach dieser reichhaltigen Ästhetik sehnen, sondern sich stattdessen mit sowas zufrieden geben? Oh, Berlin...

  • Aber letztlich ist es denn dann doch genau wie ich dachte: nichts weiter als ein politisches Statement vom Architektenkind. Gut, dass ich nicht darauf angesprungen bin, diese Disskussionen habe ich schon ausserhalb der Foren verleidet bekommen, und ich weiß wie schnell man da einen unsinnigen 'Meinungsaustausch' starten kann.


    Darf ich kurz nachfragen, worauf sich das bezieht? Ich habe doch rein ästhetisch argumentiert? :confused:

  • Wertes Pumpernickel, wieso verknüpfst Du meine alte Aussage mit der jüngste Diskussion über die alte und neue Kuppel am Nollendorfplatz? Ich habe bisher kein einziges Wort darüber verloren und habe das momentan auch gar nicht vor. Zu der folgenden Aussage möchte ich mich aber trotzdem äußern:


    http://Aber gut, wer meint [[URL='http://www.deutsches-architektur-forum.de/forum/showpost.php?p=447066&postcount=230']das sei typisch Berlin]der hat natürlich kein repräsentatives, harmonisches Stadtbild für Berlin vor Augen. Ist legitim. Ich fühle mich eben eher im kommoden, preußisch gestalteten Berlin heimisch, als bei den "Brüchen der Nachkriegszeit" oder gar in Gegenden wie Marzahn.


    Ich habe einen Beitrag vor dem zitierten doch geschrieben, dass ich das wachsende historische Ensemble rund um die Linden sehr freue. Aber das ist eben nicht (mehr) das charakteristische Berlin für mich, nur ein Teil davon und die Bedeutung dieses Puzzlestücks wird nun wieder etwas zunehmen. Für mich sind eben die besagten Kontraste und auch mal krasse Brüche tatsächlich irgendwo typisch für Berlin. Dabei gibt es mE durchaus ästhetisch gelungene (und irgendwo auch überaus harmonische) Beispiele wie etwa die Reichstagskuppel. Repräsentativ und harmonisch ist für mich persönlich und auf seine spezielle Art auch der Potsdamer Platz - wie Du schreibst alles Geschmacksache. Beim Bild vom Zoo ist es aber in der Tat weniger die Harmonie, die mich fasziniert. Geballter als hier prallen die Geschichten und "Zeitschichten" der Stadt kaum irgendwo aufeinander. Trotzdem eine sehr urbane Ecke mit hoher Aufenthaltsqualität (wieder nur mein Empfinden). Im Übrigen genieße ich aber alle diese Bereiche sehr und besuche sie gerne. Denn sie ergänzen sich für mich sehr reizvoll. Aber heimisch fühle ich persönlich mich in meinem gewohnten Umfeld (nicht Marzahn aber mit der Gropiusstadt doch genau Dein Horrorszenario) und habe mich an die dortige Ästhetik auch längst gewöhnt. Fast jeder den ich hier treffe, fühlt sich hier sehr wohl und viele wohnen hier glücklich seit Jahrzehnten. Ein erfülltes Leben außerhalb des Blockrands ist entgegen anderslautender Gerüchte möglich. Für mich gibt es auch kaum etwas Harmonischeres als die vielen hohen Bäume direkt vor meinem Fenster und den Vogelgesang (immer im stillen Wissen, dass ich zu Fuß in weniger als 5 Minuten bei Bib, Schwimmbad, Läden oder aber der U-Bahn sein kann - wenn ich nicht doch lieber zum Feld oder kleinen Wäldchen will). Jedem das Seine ;)

  • Ja, jedem das seine. Nur dass beim Städtebau inkl. den von diversen Bausenatoren gesetzten Stadtentwicklunsgslinien seit Jahrzehnten nur noch "deine Heimat" vorkommt. Ich fühle mich halt im verstuckten Blockrand Schönebergs heimisch, der ja nun wirklich auch eher das Gegenteil von biederer Spießigkeit beherbergt (Hotspot der berliner Schwulenszene; weiter von Kleinbürgermief kann man kaum weg sein, als in Schöneberg).


    Und ich wünsche mir, dass das klassischere berliner Stadtbild, welches, wie du richtig sagst, eben AUCH zur Stadt gehört, auch mal wieder eine Rolle spielt. Das heißt: starke Mischnutzung eines Kiezes (also gerade nicht diese funktionale Trennung von Wohnen und Gewerbe), was ja schon aus ökologischen und verkehrlichen Gesichtspunkten anzustreben wäre; das heißt, viele, kleine und wohnortnahe, dezentrale Grünflächen und "Grünflächelchen", abwechslungsreiche, verwinkelte Grundriße und gern auch mal ein zweiter Hinterhof mit ruhigem Bewohnergärtchen o. ä. Einfach Urbanität, Abwechslung, keine sterilen Wohnghettos aus Stahlbeton. Das macht für mich das klassische berliner Leben aus.


    Seit Jahrzehnten holen wir uns Trabantenstadt-Provinzarchitektur nach Berlin rein und merken gar nicht, wie das den Charakter der Stadt zerstört. Aus Stadt wird ein bloßer Ballungsraum, nicht mehr definiert durch Dichte und Strukturen sondern nur noch durch eine gemeinsame Jurisdiktion. Schöneberg (:colgate9:) und Gropiusstadt könnten eigentlich nicht mehr gegensätzlicher sein.

  • ^Ich muss keinen überzeugen. Aber diese "Gegenüberstellung" ist ein schlechter Witz. Oberflächlicher kann man die Gropiusstadt nicht mehr darstellen. Ich werd bei Gelegenheit mal ein paar nette Fotos von der raussuchen raussuchen oder notfalls selbst machen.

  • ^
    Im Tagesspiegel schlägt Barbara Nolte in die gleiche Kerbe. Die 10er Jahre seien geprägt von einem internationaler Fantasiestil - historisierende Bauten die gefühlig und repräsentativ wirken sollen. Die Marktgängigkeit solcher Projekte mache es Planern von moderner Architektur nicht leicht mit ihren Projekten bei Investoren zu landen.
    Auch auf R. Lüscher wird nochmal eingegangen. Zwar könne sie keinem Investor direkt vorschreiben welchen Stil die Fassade seines Projekte haben soll, aber dennoch sei sie in der Lage Druck auszuüben um Änderungen anzuregen.