Auf- und Abwertung von Stadtteilen, "Gentrifizierungs"-Debatten

  • Der Begriff ist eigentlich eher die Beschreibung eines Symptoms, einer Folge, als der Ursache.


    Die Ursache sind dadurch gesetzt, dass die Deutschen v. a. ein Volk von Mietern sind. Insb. auch die Mittelschichtshaushalte, die bzgl. ihres Lebenseinkommens sowie auch ihrer beruflichen Stabilität durchaus Bonität und Sicherheit hätten sich eine eigene, selbstgenutzte Immobilie zuzulegen.


    Dadurch, dass man aber lediglich fremdes Eigentum nutzt (und dafür eine entsprechende Nutzungsgebühr, genannt Miete, entrichtet) ist man, ohne aktiv am Immobilienmarkt teilzunehmen (weder als Käufer noch als Verkäufer), stets den Zyklen dieses Marktes ausgesetzt, insb. natürlich den Aufwärtszyklen, einen Wertverlust einer vermieteten Immobilie im Rahmen einer Immobilienkrise geben Vermieter natürlich in aller Regel nicht über entsprechende Mietsenkungen an die Nutzer der Mietsache weiter, lediglich an Immobilienwertsteigerungen lässt man sie mittelbar "teilhaben", indem man nun ein höheres Nutzungsentgelt als gerechtfertigt betrachtet.


    Wenn Bestandsnutzer dieses Entgelt nicht tragen können und der Eigentümer auch nur gesunden Geschäftssinn hat, er muss noch kein "Entmietungs-Ekel" sein, dann führen steigende Mieten zu einem Auszug der vorherigen Nutzer und zu einem Einzug neuer, zahlungskräftigerer, Nutzer. Damit geht häufig auch ein Wechsel der soziokulturellen Zusammensetzung des Gebäudes sowie der Nachbarschaft ("Lage") einher. Dieses Endresultat wird dann als Gentrifizierung bezeichnet. Aber es ist wie gesagt nur Symptom, nicht Ursache, d. h. es wird ständig über das Symptom diskutiert oder an ihm herumgedoktort, anstatt an der Ursache.


    Selbstbestimmte Bürger kann es nur geben, wenn diese auch materiell weitgehend selbstbestimmt sind. Das heißt beim Wohnen, dass die Eigentumsquote deutlich höher sein müsste. Man muss kein Finanzmathematiker sein um sich auszurechnen, dass man damit langfristig auch stets billiger fährt, die wenigsten Menschen sind auch solche "Arbeitsnomaden", die regelmäßig den Lebensmittelpunkt wechseln, dass Immobilieneigentum hier eher störend wäre, die allermeisten Menschen sind auch heutzutage sehr "ortstreu", vgl. die Schicksale in Medienberichten im Rahmen der Gentrifizierungsdebatte, von Leuten, die erzählen, wieviele Jahrzehnte sie schon in Objekt X gelebt hätten.


    Die hätten, mit den selben Monatsbelastungen, die sie bisher als "Kaltmiete" leisteten, häufig schon jeden Wohnungskaufkredit abzahlen können und kein Mensch könnte sie jemals wieder aus ihrem eigenen Wohneigentum schmeißen. Wohneigentum insb. für Mittelschichtsfamilien wieder zu fördern wäre das beste Rezept gegen die Wohnungsknappheit. Stattdessen wird indirekt nur wieder Benzin in das Feuer gegossen, indem der Staat Vermieter von nicht selbstgenutztem Wohneigentum fördert, zB indem er einerseits Fassadendämmaktionen bezuschusst und andererseits erlaubt, dass Eigentümer diese Kosten widerspruchslos auf die Mieter umlegen dürfen (natürlich auch ohne die Maßgabe die Kaltmiete wieder zu senken, sobald diese Kosten rechnerisch "getilgt" sind - somit steigt das Niveau der Kaltmieten dauerhaft und man hat der Mieterscharf einen Bärendienst erwiesen; ein Einzelbeispiel von vielen).


    Letztlich finde ich auch die Bezeichnung "Aufwertung" relativ zynisch, das kann im Umkehrschluss nämlich nur bedeuten, dass jene Menschen und/oder Lebenswelten, die verdrängt wurden, in irgend einer Form weniger "wert" gewesen wären. Wer das für Wortklauberei hält unterschätzt fahrlässig die tiefenpsychologische Wirkung von Sprache und Wortwahl (wäre das Haarspalterei hätten die ganzen Ideologien der politischen Geschichte nicht so penible Propaganda und Agitation betrieben - Worte prägen das Denken). Das ist keine "Aufwertung", das ist eine Zerstörung des sozialen Friedens und der Stoß von immer mehr Menschen in Wohnungsnot und massive Finanzprobleme, nur damit sich vergleichsweise wenige, nämlich die politisch protegierten Eigentümer, bereichern können. Ein zutiefst politisches Problem!

  • Gentrifizierung funktioniert nur über Fluktuation als Transmissionsriemen und Eigentum ist fluktuationshemmend. Im Prinzip funktioniert Gentrifizierung aber auch bei Wohneigentum.

  • "Im Prinzip"... klar.


    Aber eben nicht mit Zwang, gegen den Willen der Leute. Das ist der riesengroße Unterschied.

  • Ende der Erhaltungssatzung im Gärtnerplatzviertel?

    Trotz Erhaltungssatzung hat sich die Zusammensetzung der Bevölkerung rund um den Gärtnerplatz in den letzten Jahren offenbar deutlicher als zuvor verändert. In nur fünf Jahren ist demnach die durchschnittliche Kaufkraft je Einwohner von € 26.900 auf nun € 33.750 im Jahr gestiegen, das wäre ein Anstieg der durchschnittlichen Kaufkraft von über 25 Prozent. Gleichzeitig - so schreibt die SZ - sei aber auch der Anteil der "armen" Haushalte im Viertel mit einem Monatseinkommen von weniger als € 1.500 von 15,6 auf 16,2 Prozent leicht gestiegen. Aufgrund dieser Zahlen schlussfolgert die Stadt, dass das "Milieu", das man schützen wollte, mittlerweile im Viertel nicht mehr vorhanden sei. Deshalb soll die Erhaltungssatzung nicht verlängert werden.


    http://www.sueddeutsche.de/mue…n-von-the-seven-1.2910713


    Hier ein Überblick über alle Gebiete mit Erhaltungssatzung: http://maps.muenchen.de/plan/erhaltungssatzung

  • Einerseits macht man aufwändige Milieustudien unter Erhebung datenschutzrelevanter Daten (Einkommen, Kaufkraft, etc.) zur Schaffung einer wirkungslosen Satzung, andererseits verweigert man ganzen Bevölkerungsgruppen den Zugang zum geförderten Wohnungsbau zugunsten anderer Gruppen, wie auch vom User Isek schon häufiger erwähnt. Hier scheint Milieuerhalt und Vertreibung von Senioren aus der Stadt dann wieder keine Rolle zu spielen.

  • In den Innenstadtvierteln trifft ein stark begrenztes Angebot auf eine riesige, immer weiter wachsende Nachfrage. Entsprechend kann jedes Loch zu Rekordpreisen vermietet oder verkauft werden. "Erhaltungssatzungen" und dergleichen dienen bestenfalls der Sozialromantik. Man versucht ein paar alteingesessene Bewohner quasi zur Dekoration im Viertel zu halten. Das ist ja durchaus legitim und kann dafür sorgen, dass es nach Außen den Anschein hat, als seien diese Gegenden immer noch "durchmischt". Preiswerter Wohnraum oder Ähnliches entsteht dadurch in diesen Gegenden nicht mehr, dafür ist der Druck im Markt derzeit zu groß.

  • Münchner Stadtteilstudie

    Stadtteilbezogene Daten zur Bevölkerungsstruktur und -Entwicklung, kombiniert mit anderen Wohnort-Faktoren, liefert die vor einigen Tagen erschienene aktuelle "Münchner Stadtteilstudie", herausgegeben vom Planungsreferat. Alles recht verkopft, aber diese Studie soll wohl einerseits eine der Grundlagen für die nötige Eingriffe seitens der Stadtplaner in diesen bestehenden Gebieten sein. Außerdem kann man bei genauer Lektüre herauslesen, in welchen Stadtgebieten die soziale Dynamik am stärksten ausgeprägt ist, und wo es zum Beispiel entsprechende Veränderung in Richtung sog. "Aufwertung", "Verdrängung", "Entmischung" etc. gibt.


    https://www.ris-muenchen.de/RI…TZUNGSVORLAGE/4044560.pdf

  • Demnach ist wohl trotz aller gegenläufiger Propaganda seitens der Stadverwaltung und Politik die Messestadt ein "epic fail".

  • Einspruch Euer Ehren: Es sind Zeitzeugnisse, wie Dome und Schlösser, alte Windmühlen usw. Die sind ja auch nicht mehr zeitgemäß. Es sollten schon eines zwei Baracken bleiben. Ganz abgesehen davon, dass Brüche in der Stadtlandschaft dem immer geschleckter werdenden München gut täten.

  • Brüche sind nur dann authentisch, wenn sie aus echter Not bestehen. Per Denkmalschutz erhaltene Brüche sind ein Widerspruch in sich, so wie etwa "Streetart" in einem Museum. Es wäre der armselige Versuch, etwas "Coolness" vorzutäuschen.

  • authentisch

    Nachkriegs-Baracken wie diese oder von der Schwabinger 7 usw. sind ja als Notbauten entstanden. Das Gap war mehr als authentisch. Da waren noch die Original-Decke und Wände drin. Neue Baracklen zu bauen wäre ein Schmarrn. Übrig geblieben ist noch das Lindwurrmstüberl. Aber das wurde so übersaniert, dass der Barackencharakter weg ist.


    Etwas älterer Artikel zum Thema:
    http://www.tz.de/muenchen/stad…pe-abriss-tz-1265648.html

  • Nachkriegs-Baracken wie diese oder von der Schwabinger 7 usw. sind ja als Notbauten entstanden. Das Gap war mehr als authentisch. Da waren noch die Original-Decke und Wände drin. Neue Baracklen zu bauen wäre ein Schmarrn. Übrig geblieben ist noch das Lindwurrmstüberl. Aber das wurde so übersaniert, dass der Barackencharakter weg ist.


    Etwas älterer Artikel zum Thema:
    http://www.tz.de/muenchen/stad…pe-abriss-tz-1265648.html


    Und das hier fällt auch in die Kategorie Nachkriegs-Notbau:
    http://www.tz.de/muenchen/stad…kunst-abriss-6179388.html

  • Ich bezweifle nicht, dass die Gemäuer original sind. Wir haben aber keine Not sie zu erhalten. Wir würden nur so tun als ab. München ist nun mal keine ARbeiterstadt voller Brüche und Häßlichkeiten. München ist schick und zeigt sich gerne von der besten Seite. Brüche sind unmünchnerisch.