Die künftige Last der/s modernen Architektur/Städtebaus?

  • Du schriebst


    Ein Bauwerk ohne lokale Prägung hat etwas beliebiges und wird daher nie besonders sein.


    Es genügt aber schon wenn es an einem touristisch interessanten Ort steht (Innenstadt, Bergspitze usw.) und nur irgendwie auffällig oder schlicht besonders groß oder so ist.


    Selbst wenn Gebäude eine "lokale Prägung" haben, Fachwerkhäuser, Fischerhütten, Häuser mit Reetdach whatever sind sie ja auch nur interessant wenn sie besonders groß sind oder an einem besonders idyllischen Ort stehen usw. ansonsten sehen die ja alle gleich aus und sind dann eben wieder langweilig.

  • Selbst wenn Gebäude eine "lokale Prägung" haben, Fachwerkhäuser, Fischerhütten, Häuser mit Reetdach whatever sind sie ja auch nur interessant wenn sie besonders groß sind oder an einem besonders idyllischen Ort stehen


    Es reicht, dass sie genügend Alleinstehungsmerkmale aufweisen - wieso ist etwa Bremer Schnoor stets von Touristen überlaufen? Der Stadtteil ist in der Summe besonders idyllisch, aber nur, weil die einzelnen Häuser sind, wie sie sind - eine Ansammlung der Reihenhäuser im Bauhaus-Stil würde die Touristen genausowenig anziehen wie jede andere austauschbare Reihenhäuser-Siedlung.

  • In Bremen war ich noch nie. In Potsdam war ich schon häufiger da es direkt neben Berlin liegt. Dort gibt es ein zusammenhängendes Innenstadtqaurtier mit kleinen einheitlichen Häuschen im holländischen Stil und eines mit Holzhäusern im russischen Stil. Auch die großen Repräsentationsbauten und Schlösser dort sind mal französisch, italienisch, russisch usw. usw. inspiriert. Es ist eine wilde Mischung aus aller Welt. Aber eben alt genug um nicht als Disneyland zu gelten.


    Viele schicke Gebäude im Bauhausstil findet man z.B. in Israel in Tel Aviv.


    Seit dem zweiten Weltkrieg wird halt weniger verspielt sondern mehr sachlich, rational, kosten- und nutzenorientiert gebaut. Bei einigen Repräsentationsgebäuden wie Museen, Opernhäusern oder Bankzentralen usw. erlaubt man sich noch Extravaganzen.

  • Soll heißen, dass ein Gebäude, egal ob neu oder alt, egal ob groß oder klein, eine gewisse Qualität braucht um interessant zu sein.


    Ja, ganz genau und sehr richtig. Es muss also nicht unbedingt irgendwas lokales haben. Und eine "Qualität" ist sehr subjektiv, zeit- und betrachterabhängig. Beim Bauhaus ist es ja auch nicht nur die Neuigkeit und die zahllosen Nachahmer, sondern eben auch die Handwerkliche Hochwertigkeit, das Achten auf passgenaue Details, etc. - die eben bei den meisten Nachfolgebauten insbesondere nach dem 2. Weltkrieg nicht gegeben ist.

  • Richtig, wobei man Qualität auch darin sehen kann, wenn ein Objekt aufgrund seiner lokalen Prägung eine gewisse Einzigartigkeit besitzt, die ihm dadurch eher künstlerische, historische oder soziale Qualitäten verleihen. Und so kommt es, dass für den Laien die Fachwerkhäuser überall gleich aussehen, Fachleute aber in der zimmermannsmäßigen Bauweise deutliche Unterschiede sehen und daher keines ist wie das andere.


    Beim Bauhaus ist es ja auch nicht nur die Neuigkeit und die zahllosen Nachahmer, sondern eben auch die Handwerkliche Hochwertigkeit, das Achten auf passgenaue Details, etc. - die eben bei den meisten Nachfolgebauten insbesondere nach dem 2. Weltkrieg nicht gegeben ist.


    So ist es, denn die Kunst der Reduziertheit, der Klarheit in den Proportionen sowie die Materialwahl ist dem Bauhaus zwischenzeitlich in der Form zum Verhängnis geworden, dass es heute als Stilrichtung für die ewig einfallslosen Reihenhauskisten herhalten muss. Wer Bauhaus richtig verstehen will darf sich nicht nur die Gebäude mit diesem Prädikat ansehen, sondern sollte auch mal sehen was Behrends usw. an Möbelstücken und sonstigen Gebrauchsgegenständen entworfen haben.

  • Wer Bauhaus richtig verstehen will darf sich nicht nur die Gebäude mit diesem Prädikat ansehen, sondern sollte auch mal sehen was Behrends usw. an Möbelstücken und sonstigen Gebrauchsgegenständen entworfen haben.


    Die Absicht war es die Dinge so zu gestalten, dass sie einfach in Großserie hergestellt werden konnten und für jeden erschwinglich sein sollten. Heute sind sie allerdings teure Luxusgüter.

  • Naja, du beschreibst das, was aus Bauhaus schließlich geworden ist. Gedacht war das Bauhaus als eine Vereinigung von Design und Handwerk, als man den vorherigen Historismus als industriealisierten Stil identifizierte, der auf maschinelle Weise schier wahllos historisierende Elemente vervielfältigt hat. Diesem wollte man bewusst handwerkliche Qualität und klare, ehrliche Formen entgegensetzen.


    Interessanterweise sehen die Menschen das heute genau andersherum: Devotionalien des Historismus werden meist als Einzelstücke und Handarbeit beschrieben, Bauhaus gilt als industrielle Massenware.

  • 1923 hielt Walter Gropius in Weimar den Vortrag „Kunst und Technik – eine neue Einheit“, mit dem er die Abwendung vom Handwerk und die Hinwendung zur Industrie einleitete.


    Die Idee war durch Technik und Rationalisierung allen Menschen eine praktischere und schönere Umgebung zu ermöglichen. Sowohl die Wohnungen als auch die Gebrauchsgegenstände sollten so auch für Arbeiter erschwinglich werden. Massenproduktion und Standardisierung war dafür nötig.


    Die damals entworfenen Gebrauchsgegenstände und Möbel kann man zwar heute noch kaufen aber sie sind eben nicht preisgünstig sondern sehr teuer.

  • 1923 hielt Walter Gropius in Weimar den Vortrag „Kunst und Technik – eine neue Einheit“, mit dem er die Abwendung vom Handwerk und die Hinwendung zur Industrie einleitete.


    Was er dann in Gropiusstadt im großen Stil verwirklichte.

  • Was dort gebaut wurde hatte mir seinem ursprünglichen Plan aber nicht mehr viel zu tun. Er wollte eher im Stil der bisherigen Berliner Großsiedlungen bauen. Maximal 5 Geschosse und viele Grünflächen. Als es nach ihm benannt wurde war er dann schon tot und konnte sich nicht mehr wehren.

  • Das ist eben das Bauhaus, es ist gekapert und missbraucht worden für viele danach entstandenen Großprojekte. Als Gropius seine Rede hielt war nicht absehbar, dass die Städte bald in Trümmern liegen würden und dieses Bauprinzip extrem rationalisiert benutzt wurde. Dabei war der Wiederaufbau nach dem Krieg keine Umsetzung des Bauhaus, sondern eine tatsächliche Maßnahme gegen Mangel und Not.


    Aber um mal vom Bauhaus weg zu kommen, Mäckler hat sich wieder zu Wort gemeldet, und wie ich finde durchaus treffend:


    http://www.deutschlandfunk.de/…?dram%3Aarticle_id=288908

  • Seit dem zweiten Weltkrieg wird halt weniger verspielt sondern mehr sachlich, rational, kosten- und nutzenorientiert gebaut.


    Was ist der Nutzen eines Geschäftshauses? Es muss Kunden anziehen, damit die Verkaufsflächen überhaupt einen Sinn haben - die schönen Häuser der Altstädte sind absolut nutzenorientiert entstanden. Dies wird auch heute verstanden, denn die meisten neuen EKZ bieten im Inneren was für's Auge - hier mein Foto der Berliner Alexa mit Deckenfresken usw.:



    Der Kampf gegen das Hässliche fordert u.a. eine andere Ausbildung der Städteplaner - da müsste man noch Jahrzehnte warten. Das Wissen, was anzieht und was stört, ist da - es ist nur der Wille notwendig. Irgendwie muss u.a. die Wiedererkennbarkeit der Häuser durchgesetzt werden - ob durch varierte Farbgebung oder Fassadenkunst, Hauptsache keine Aneinanderreihung der weiß-grauen Schuhkartons mehr. Dass Läden-Beimischung an den Hauptstraßen gewünscht ist und belebend wirkt, ist ebenso bekannt - EG-Läden kann man doch durchaus in Bebauungsplänen einfordern.


    Übrigens - die Foto-Unterschrift unter dem Link erwähnt die Politikerrufe nach Grüne-Wiese-Neubausiedlungen. Etwa in Düsseldorf haben wohl die meisten verstanden, dass diese nicht nur die Natur verbrauchen, sondern (vor allem) extraorbitante Infrastrukturkosten generieren - dort lehnen die meisten Kommunalpolitiker neue Grüne-Wiese-Trabantenstädte ab. Dass die allermeisten Städte bankrott sind und sich sowas nicht leisten können, müssten derer Lokalpolitiker wissen.

  • Was ist der Nutzen eines Geschäftshauses? Es muss Kunden anziehen, damit die Verkaufsflächen überhaupt einen Sinn haben - die schönen Häuser der Altstädte sind absolut nutzenorientiert entstanden.


    Die Fassaden sahen einfach so aus wie es zur Entstehungszeit üblich war. Dass die städtischen Bürgerhäuser seinerzeit Gesims und Figurenschmuck hatten lag wohl daran, dass versucht wurde die Schlösser des Adels nachzuahmen. Alle wollten gern irgendwie in Verbindung mit dem "Hof" gebracht werden.


    Da ist so als würdest du dich heute mit deinem Neubau am Kanzleramt bzw. dem Band des Bundes orientieren.

  • ^ Acha, also als etwa 1912 die prächtige Jugendstil-Glaskuppel der Galeries Lafayette errichtet wurde, ist die Erklärung dafür, dass man sich an der Glaskuppel über dem Hof des damals amtierenden französischen Königs orientierte? Langsam muss man einsehen, dass es um das Anziehen der Kundschaft geht - eine Funktion, die übrigens gerade das Kanzleramt nicht nötig hat.


    Wenn dies im Falle der EKZ gemacht wird - sollte auch mit jeder Fassade der innenstädtischen Geschäftshäuser genauso sein. Man kann nicht nur darauf hoffen, dass die Nachbarn Anziehung schaffen - erstens entstehen solche öden Straßen wie im Ruhrgebiet, wenn alle so machen und zweitens - wenn die Nachbarn es besser machen, was für einen Vorteil hat man dann, gerade die ödeste Immobilie der ganzen Straße zu haben?

  • Wir schreiben wohl aneinander vorbei. Das recht neue Galeries Lafayette Kaufhaus in der Berliner Friedrichstraße hat auch eine große Glaskuppel. Bei besonders hohen Räumen und Glaskuppeln geht es immer darum den Besucher zu beeindrucken. Also um die Wirkung des Raumes und um die Demonstration von Reichtum. Unabhängig davon ob es nun Kaufhäuser, Kirchen, Regierungsgebäude oder Privathäuser sind.


    Wie das nun im Detail aussehen soll ist eben wie immer Geschmackssache. Wie auch in Sachen Mode, Musik, Malerei, Wohnungseinrichtung, Gartengestaltung usw. usf.
    Meist werden Gebäude dem Trend der Zeit gemäß gestaltet. Wobei die Bandbreite bei aktuellen Neubauten und in allen anderen kulturellen Bereichen wohl größer ist als in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten.

    Einmal editiert, zuletzt von Chandler ()

  • ^ Dann zur Erinnerung - es geht um die Aussage, dass nicht nur das Übertragen der statischen Kräfte, die Wärmedämmung usw. zu den Funktionen eines Gebäudes gehören, sondern etwa bei den Kaufhäusern oder Wohn-/Geschäftshäusern das Anziehen der Kundschaft - dies sogar vor allem. Zu lange und zu oft wurden öde Bauten mit dem Funktionalismus als Ausrede errichtet - die erfüllen aber die wichtigste Funktion nicht.


    In den EKZs denkt man durchaus an die Erlebniswelt-Funktion und schafft auch was für's Auge. Besonders im Ruhrgebiet sieht man, wie die öden Innenstädte aussterben - so sehr, dass Auslagen massenweise mit irgendwelchem Dekor zugeklebt werden. Vielleicht sollte man auch dort mit schöneren Fassaden (!= Wellblech, Weißputz & Co) etwas Erlebnis schaffen - wenn einem Immobilienbesitzer ein paar Groschen dafür zuviel sind, sollte er sich ob der Leerstände nicht beklagen.


    Wie ich mal geschrieben habe - ob im Mittelalter, bei den Pariser Kaufhäusern, bei den berühmt-prächtigen Food Halls des Londoner Harrods oder in den modernen EKZs - stets wurde in optisches Anziehen der Kundschaft investiert.

  • Das Dogma der strengen Reduktion in der Architektur hat nicht nur die Kunst der Architektur selbst fast ans Aussterben gebracht, sondern entspricht auch nicht dem Naturell des Menschen. Ich möchte mal denjenigen sehen, der sich "streng funktional" kleidet, oder der sich so einrichtet, oder der bei der Wahl seines Autos, seines Smartphones oder seiner Einrichtung ausschließlich nach funktionalen Kriterien vorgeht. Das ist schlichtweg eine überholte Religion des Architkekturdogmatismus, die gefüttert wird von Renditeberechnungen. Das Alexa ist ein gutes Beispiel. Die Verfechter des reduzierenden Bauens verteufeln es, die Menschen lieben es. Ich halte es für das attraktivste EKZ in der Mitte Berlins, und es ist sogar angenehm einfach nur mit wachen Augen durchzuspazieren ohne etwas einkaufen zu wollen. Die "Gropius-Passagen" hingegen sind doch für den kunstsensiblen ein Alptraum.


    Ebenfalls ist das Argument


    ..... Dass die städtischen Bürgerhäuser seinerzeit Gesims und Figurenschmuck hatten lag wohl daran, dass versucht wurde die Schlösser des Adels nachzuahmen. ...


    habe ich selbst in der Schule so gelernt, ist aber wohl schlichtweg Blödsinn. Die künstlerische Gestaltung von Gebrauchsgegenständen über den praktischen Nutzen hinaus hat in jeder Epoche Wohlstand und Status ausgedrückt. Es geht hier nicht um Nähe oder Treue zum Monarchen, sondern um das Zurschaustellen, dass man sich das Engagement der Fähigsten Künstler und Handwerker leisten kann. Das hat mit Treue, Willfährigkeit und Untertänigkeit nichts zu tun, denn das ist heute noch genau so.


    Und mit "damals hat man eben so gebaut" unterschlägt man natürlich auch die tausende Gebäude, die es aufgrund mangelnder Wertigkeit nicht bis in die heutige Zeit geschafft haben. Das Otto-Normalverbraucher-Handwerkerhaus oder -Wohnhaus hat gewiss nicht so ausgesehen wie die paar Bürgerhäuser, die in den Innenstädten bisweilen übrig geblieben sind. Flügeltüren, Stuckdecken und zweieinhalb Meter hohe Kachelöfen in jedem Raum waren gewiss nicht Standard.

  • Mir gefällt auch die zeitgenössische Galeries Lafayette Berlin.
    http://www.galerieslafayette.d…9976cdddc4499f7a2e4b6c46f


    Ich habe dieses "vor hundert Jahren war aber alles schöner" Syndrom nicht. Mag sein, dass ich eines Tages mein schlichtes Glas-Metall Smartphone in eine Goldbrokathülle kleide und in einer reich verzierten mit rotem Samt ausgekleideten Schmuckschatulle auf das Häkeldeckchen auf einem reich verzierten antiken Tisch ....


    Derzeit liegt es einfach auf dem schlichten Glas-Stahl-Tisch an dem ich sitze. Kein Problem so weit. Soll halt jeder machen wie er mag.

  • Das sollte auch nicht speziell auf dich gemünzt sein, Chandler. Es ist aber das oft zu lesende Argument, dass man damals nunmal eine bestimmte Art von Formen und Materialien verwendet hat, weil es eben so üblich war. Aber das stimmt soweit nicht, es war nur en vogue für diejenigen, die sich das leisten wollten, was Mode war. Die überwiegende Anzahl hat dann eben doch bescheidener gebaut und gelebt.