Potsdam: Wiederherstellung historische Mitte - Diskussionsthread

  • Kein Mensch will das alte Preußen zurück oder eine sonstige soziokulturelle "Restauration", noch sonst eine Agenda. Man will einfach eine hübschere Stadt. Wer mir jetzt erzählt, dass er, wenn er in Rom ist, nicht die Altstadt besucht, sondern die Trabanten-Bürostädte, dem glaube ich das einfach nicht. Und ich habe als Mensch prinzipiell den Anspruch, dass jeder Tag meines Lebens "Urlaub" ist, seize the day. Ich möchte nicht im altbundesdeutschen Schema leben, 300 Tage im Jahr ackern und blind für meine Umgebung in einer zweckmäßigen Wohnmaschine, genannt Nachkriegsstadt, als Rädchen funktionieren um dann, übervoll mit Ansprüchen an meine Urlaubszeit, woanders hinzufahren, in den Urlaub, um dann - Zack, Zack - all das an Dolce Vita nachzuholen, was mir meine piefige, miefige deutsche Spießerumgebung nicht bieten konnte.


    Nein, ich will jeden Tag Dolce Vita. Und ja, Dolce Vita und Betonkasten, das passt nicht zusammen. So simpel ist das, so simpel. Und so wie ich, so denken einfach immer mehr Menschen. Wir wollen fantasiereiche, verzierte Gebäude, mit Patina alternde Fassaden, einfach eine Wohlfühlumgebung. Die Stadt als das erweiterte Wohnzimmer. In dem man es sich gemütlich einrichtet. Und wenn man hinter Wilhelms alter Schlossfassade in Berlin in Zukunft die Weltkulturen vermittelt - so what? Hauptsache das Gebäude ist von außen hübsch und bietet innen anständigen Raum dafür. Aber ohje was wurde da über Authentizität und hastenichgesehen geschwafelt. Ne, es geht einfach nur darum, dass die Stadt eine schöne, lebenswerte Umgebung bietet. Und ja, das hat der DDR Städtebau genauso wenig geschafft, wie der BRD Städtebau. In einer Weststadt wie Ludwigshafen würd ich nicht begraben sein wollen (sorry Ludwigshafener, nix gegen euch, ist nur auf das Stadtbild bezogen).


    Die Nachkriegsdeutschen haben sich einfach kollektiv bzgl. Architektur und Städtebau komplett verrannt und das kann und muss man einfach korrigieren. Es bietet sich an, dabei punktuell an Leitbauten anzuknüpfen, die vor diesem Nachkriegsstädtebau errichtet wurden. Und machen wir uns nichts vor: es wird auch in Zukunft bei einzelnen Leitbauten bleiben, eine komplett Reko eines historischen Potsdam als Gesamtkunstwerk, wie das zB noch erhaltene Görlitz, das wird es schon alleine deswegen nicht geben, weil das mit heutigen Baukosten schier unbezahlbar wäre. Also warum der Zank um einzelne Gebäude - warum, wenn er nicht ideologisch bedingt ist? Eine handvoll Bauplätze um die erbittert gestritten wird gegenüber zigtausenden Bauplätzen in Potsdam, wo sich gar nichts ändern wird. Schon gar keine flächendeckende Rekonstruktion.


    Schon subjektiv-geschmacklich steht es jedem frei Rekos abzulehnen, jedoch: die Regel ist doch nach wie vor, dass Architekten und Stadtplaner, in verantwortlicher Position eher die Generationen Ü50 als U30, relativ unbeirrt den Nachkriegsstädtebau, in dem sie selbst sozialisiert wurden, weiterführen; die Ausnahme sind auch in Potsdam die Rekos. Wenn man sich angesichts dieses krassen Regel-Ausnahme-Verhältnis trotzdem mit dieser Vehemenz gegen diese wenigen Ausnahmen stemmt, dann liegt der Eindruck einfach nahe, dass da jemand nach dem Motto "Jaja, du magst ja mit deinen Argumenten gar nicht so falsch liegen, aber mir gehts ums Prinzip" verfährt. Und das geht nicht, die Stadt gehört allen und nicht nur Einzelnen und darum muss jeder Kompromissbereitschaft zeigen. Wenn es einzelnen Leuten so enorm wichtig ist, hier und da einzelne wenige Leitbauten zu rekonstruieren, ja meine Güte warum lasst ihr das denen denn nicht einfach? Woher kommt dieser Absolutheitsanspruch der Freunde modernistischer Architektur? Und wie passt der mit Selbstzuschreibungen wie "progressiv" und "demokratisch" zusammen? Wenn man nichts anderes gelten lässt, als 20. Jahrhundert Style und jeden niedermacht, zumindest als beschränkt, gestrig, usw. darstellt, der nicht dem "Bauhaus" als Gipfel menschlichen Schaffens huldigt? Kokoschkas Gemälde sind cool - die von Michelangelo aber auch! Warum kann man das mit Architektur nicht genauso halten?

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  • Das Totschlagargument, dass jeder Befürworter des historischen Stadtgrundrisses gleich ein pickelhaubentragender Monarchist (bestenfalls) ist kann ich nicht nachvollziehen.


    Meinst Du mich? Hast Du meinen Beitrag über den ersten Satz hinaus gelesen? Wohl kaum: Ich bin doch ganz einverstanden mit den städtebaulichen Planungen zwischen Landtag und Platz der Einheit. Auch Stadtkanal mit Wasser drin fände ich prima. Ändert aber nichts daran, dass es in Potsdam (und auch hier im Forum) eine Pickelhaubenfraktion gibt, die sich die Restauration der alten Mitte in erster Linie deshalb wünscht, weil sie in historischen Kulissen historistischen Tagträumen nachhängen will. Tschingderassabumm, Hilfsausdruck. Tu' mal nicht so, als gäbe es Spinner immer nur auf der Gegenseite! ;)

  • ^ Ich verfolge die Diskussionen seit langem und glaube ehrlich gesagt, dass in beiden Lagern im Forum weder Menschen sind, die die preußische Staatsform wieder haben wollen mit Absolutismus usw., noch welche, die die DDR-Diktatur wieder haben wollen. Mir scheinen die meisten ziemlich eingefleischte Demokraten nur eben politisch eher links oder eher bürgerlich. Gerade die bürgerlichen haben es in unserer Region aber meiner Erfahrung nach eher schwer, da der Mainstream (anders als bspw. in Bayern) sich selbst als links definiert.


    Das paradoxe Phänomen, dass jede Rekonstruktion einer Fassade schwer angegriffen wird, während man gleichzeitig tausende belanglose Neubauten hochzieht und diverses an Bestand dafür abreißt, mag damit zusammenhängen.


    Ich bin vom Wiederaufbau in Potsdam jedenfalls begeistert und hoffe, dass er weiter geht. An das bei weitem größte Politikum, dass der Landtag jetzt für immer hinter einer preußischen Königsfassade residiert, haben sich ja alle schnell gewöhnt. Es findet breite Zustimmung. Dagegen sind die Kirche und eine handvoll Häuser doch tatsächlich belanglos.


    Finanziell lohnen wird sich aber jede Rekonstruktion mit Sicherheit, da sie die lukrativen Besucherströme dauerhaft absichert und vergrößert. Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses (nur Reko-Extraleistungen) dürfte sich bereits in der Bauzeit volkswirtschaftlich amortisieren und danach zum Berliner Geldmagneten werden, weshalb die wirtschaftlichen Argumente der Kritiker (Man solle für das Geld Kitas und Schulen bauen) mir auch so lächerlich erscheinen. Die Schulen baut man mit dem Geld, welches die Touristen in unsere Stadt bringen. Dass Potsdam eine Besucherstadt ist, was Offenbach nie sein wird, liegt doch an der Altstadt und den Schlössern und nicht am Mercure und der alten FH. Es ist im langfristigen Interesse der Stadt, dass dieses Juwel an der zentralen Stelle repariert wird. Denn mit DDR-Moderne wird Potsdam niemand hinter dem Ofen hervor locken.

  • Nein Klarenbach, falsch verstanden. Und zwar bewußt.


    Es geht nicht um "modern" oder nicht. Modern im Sinne Schinkels ist nicht modern im Sinne des sog. Modernen Städtebaus mit all' seinen Verwerfungen. Schinkel hat in seinen Gestaltungen auf die gesamte Architekturgeschichte Bezug genommen und hat gern kopiert, adaptiert und zitiert. Sein Motto war stets: ich will architektonisch nicht von vorn anfangen. Ich stütze mich auf die Antike, die Gotik und die Renaissance. Einzig das Barock war ihm selten nah.


    Die sog. Architektonische Moderne verwarf die gesamte Architekturgeschichte, denunzierte diese als unoriginär und eine Kette von Nachahmungen. Zudem versuchte sie vergeblich Gesellschaftssysteme - in gut und böse geteilt - mit Architekturrichtungen zu verbinden. Ihr Motto war: alles war vor mir kam, war ein Irrweg. Mindestens seit Perikles - alles verblendete Schwachmaten.


    Deshalb ist der Vergleich natürlich zulässig, die Unterschiede beider Fälle zeigen aber einen eklatanten Widerspruch auf, der eine Gleichsetzung deiner beiden Fälle von Modernität verbietet.


    @ Architektenkind. Dich meinte ich nicht. mein Satz bleibt trotzdem richtig.

  • Konstantin
    Welcher moderne Architekt oder Stadtplaner in Potsdam hat denn die Ansicht vertreten, dass alle früheren Architekten und Landschaftsarchitekten, wie Schinkel, Persius, Gontard, Lenne´ etc., "unoriginär" und "verblendete Schwachmaten" waren?

  • Stimmt, meistens werden Architekten, die auf den reichen historischen Formenkanon zurückgreifen mit weit schlimmeren Schimpfworten und Unterstellungen belegt.

  • Klarenbach, was mich am meisten ärgert ist es was du mir an Intelligenz zutraust.


    Die vorsätzlich irreführende Verwendung des Begriffs "modern" mit den sich daraus kalkuliert ergebenden Widersprüchen mögen dich befriedigen, jedoch nicht mich. Dass die sog. architektonische Moderne die gesamte Architekturgeschichte verwarf und diese als unoriginär und eine Kette von Nachahmungen denunziert - so schrieb ich - ich eine Binse und ich werde hier jetzt sicher nicht einen Aufsatz nach den nächsten der bekanntesten Mainstream-Architektkritiker heraussuchen.


    Dein Problem ist, dass du mit aller Macht versuchst aus der Moderne die architekturgeschichtliche Krone der Menschheitsgeschichte herbeizuschreiben und dabei die exekutierende Wirkung (Atticus) auf die Innenstädte Europas ausblendest. Den Gegnern des modernen Städtebaus stets geistige Rückständigkeit und "ideologische Schlamschlachten" unterzuschieben dient ja nur einem Zweck: sich selbst mit seiner Position als vermeidlich modern, unideologisch und weitsichtig darzustellen. Das Gegenteil ist leider der Fall: Glaubwürdigkeit würde manche deiner Argumente dadurch bekommen, wenn du dich einmal mit den Schattenseiten der Moderen beschäftigtest.

  • Ich habe nie behauptet, dass die Moderne die "architekturgeschichtliche Krone der Menschheitsgeschichte" wäre. Die Moderne ist für mich eine Epoche, die die gleiche Berechtigung hat wie andere Epochen auch. Ich habe auch nie gefordert, vormoderne Bereiche im Sinne des Städtebaus der Moderne umzugestalten.


    Ich bin allerdings ganz entschieden gegen eine Haltung, die die Moderne als eine besonders verdammungswürdige Epoche auszugrenzen und zu zerstören versucht. Ich bin für eine Stadtentwicklung, die die modernen Ensembles genauso bewahrt wie die Denkmäler im Welterbebereich.


    Ansonsten ist Deine Behauptung, dass die modernen Architekten alle vorherigen Architekten für "Schwachmaten" gehalten hätten, großer Unsinn. Gerade Schinkel wurde in der DDR verehrt wie ein Nationalheiliger, Architekten und Landschaftsarchitekten wie Gontard, Langhans, Persius, Lenne´ wurden ebenfalls hoch geschätzt. Und selbstverständlich haben Architekten wie Werner Berg, Horst Görl, Sepp Weber die Werke dieser Architekten geschätzt und auf ihre Weise ergänzt.

  • Ich bin für eine Stadtentwicklung, die die modernen Ensembles genauso bewahrt wie die Denkmäler im Welterbebereich.


    Das klingt so, als ob jedes Ensemble der Moderne wie Welterbe behandelt werden sollte. Da solche Bauten in den Großstädten genauso im Osten wie im Westen die große Mehrheit der Bausubstanz ausmachen, wäre es ein absurdes Vorgehen - so wären die Städte für die Ewigkeit zementiert.


    Das die Moderne selbst nicht so für den Erhalt früherer Bauwerke war, ist belegbar - man braucht nur zu schauen, was der Plan Voisin mit der Pariser Innenstadt anstellen wollte. Nach solchen Prinzipien mit uniformen Blöcken und undefinierten Stadträumen dazwischen wurden durchaus Großsiedlungen errichtet, die im Westen zu berüchtigten sozialen Brennpunkten wurden - Düsseldorf-Garath, Köln-Chorweiler usw. Nach ähnlichen Prinzipien gab es auch Gestaltungen in Berlin und in Potsdam, die genauso als städtebauliche Bausünden einzustufen sind. Wer auf die Ostalgie steht, sollte bedenken, dass es keinesfalls heimische östliche Erfindung war - zuerst wurden wie im Osten der Karl-Marx-Allee durchaus klare städtische Straßenräume mit individuelleren Fassaden errichtet, erst mit der Übernahme der westlichen Moderne wurden die Neubau-Ensembles zu Solitäre-Ansammlungen. Wenn man wie hier die Fehlentwicklungen korrigieren kann, sollte man es unbedingt tun.

  • Auch von mir gibt es ein paar aktuelle Impressionen aus Potsdam.
    Das ist die Alte Fahrt in Höhe Burgstraße.





    Man sieht, dass hier eine sehr schöne Parklandschaft vorhanden ist. Dieser Park wurde zwischen 1970 und 1980 nach Entwürfen von Heinz Karn angelegt. Ziel der Planer war es, die östlich der Innenstadt gelegene Parklandschaft mit dem Babelsberger Park in die Innenstadt zu verlängern.


    Leider findet diese Parklandschaft ihr jähes Ende. Hier sieht man schon den Sperrzaun im Hintergrund.



    Hier wird gebaggert:



    Und hier sieht man die bunkerartigen Gebäude, durch die diese Parklandschaft zerstört wird.





    Alle Fotos: Klarenbach

  • *lautlach* Der "Sperrzaun" von Klarenbach, der die idyllische Gartenlandschaft von 1980 abbricht. Wahrscheinlich wird da noch scharf geschossen. Ich lach mich tod.


    Wie sah das denn vorher aus. Ein Riesenparkplatz.



    (C) akg-images

  • @ Klarenbach


    ich hoffe, dass du das Barberini als Bunker bezeichnet hast, war ein nicht ernst gemeinter Scherz, ich fürchte aber, du meinst das ernst.


    Man sollte vielleicht mal festhalten, dass hier gar kein Park zerstört wurde, weil hier nie ein Park war, sondern Parkplätze und eine öde Brachfläche. Es ist manchmal echt bemerkenswert, wie du dir die Geschichte hier zurecht biegst.


    Und das Barberini als Bunker zu bezeichnen und auf die FH architektonische Loblieder zu verfassen, das will in meinem Kopf nur schwer zusammen kommen, aber jeder hat da ja vielleicht seine eigene Betrachtung.


    Auch wenn es einige hier nicht hören wollen, aber ich bin mir fast sicher, dass das gesamte Gebiet vom Alten Markt bis zur ehemaligen Heilig-Geist-Kirche ín den nächsten 30 Jahren völlig neu geordnet wird. Auf die wertvollen Grundstücke am Wasser und die riesige Fläche, die heute nur sehr unzureichend genutzt wird, wird man auf Dauer bei der Einwohnerentwicklung nicht verzichten können.

  • Klarenbach hat doch vollkommen Recht mit seiner Aussage:



    Und hier sieht man die bunkerartigen Gebäude, durch die diese Parklandschaft zerstört wird.



    Alle Fotos: Klarenbach


    Das besagte Gebäude ist oben Links im Bild zu sehen und trägt den Schriftzug "Hotel Mercure" und zerstört die Parklandschaft des Lustgartens ;)

  • Richtig erkannt! Wenn Klarenbach jetzt noch Fotos von der Fachhochschule, dem Staudenhof und dem Rechenzentrum hochlädt, ist die Liste der bunkerartigen Gebäude in Potsdams historischer Mitte komplett.

  • Gott sei Dank hat Klarenbach seinen Blick nicht nach Norden gewendet. Sonst hätte ihn die den schönen Park jäh beendende Burgstraßenbebauung wahrscheinlich einen Herzinfarkt versetzt.

  • Auf dem Bild von Konstantin ist eigentlich recht gut zu sehen das der Parkplatz nur einen kleinen Teil der Fläche belegt.
    An das Ifl schloß sich eine Grünanlage mit Blumenrabatten, Brunnen und Skulpturen an. Dann folgte eine Wegung und der Parklatz zur Wasserseite schloß sich dann wieder eine gestaltete Grünanlage an. Hier befand sich zu den Weltfestspielen die längste Bank Europas. Nach den Weltfestspielen wurde diese Anlage dann vernachlässigt, war aber als Grünzug immer vorhanden.

  • Wenn man seinen Blick mal ans andere Ufer schweifen lässt, erblickt man die malerische Freundschaftsinsel mit einem nicht minder pittoresken Park. Vielleicht wäre ein filigraner Holzsteg im Stile eines englischen Gartens zw. Festland und Insel eine Möglichkeit, um den Anwohnern den langen Weg zur ebenso Langen Brücke zu ersparen.


    Dabei ist Klärchen doch eigentlich Anhänger des Bunkerismus?