Nürnberger Epitaphienkultur auf St. Rochus und St. Johannis

  • Nürnberger Epitaphienkultur auf St. Rochus und St. Johannis


    Nürnberg besitzt etwas, dass es so kein zweites Mal in der Welt gibt. Im Jahr 2015 hat es sogar Vorstöße gegeben (Bericht), diese Spezialität als „immatierelles Kulturerbe“ bei der UNESCO schützen lassen! Die Epitaphienkunst auf Nürnbergs historischen Friedhöfen St. Johannis im gleichnamigen Stadtteil und St. Rochus in Gostenhof ist nicht nur in Nürnberg etwas ganz besonderes, sondern ein internationales Alleinstellungsmerkmal! Sie stehen selbstverständlich mit allen Details auch unter Denkmalschutz. Nun hat zumindest der Freistaat ein Einsehen, und diese Kunst auf die Liste des bayerische Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes gesetzt - und damit sind sowohl die erhalten gebliebenen Stücke sowie die schaffende Kunstfertigkeit derer, die sie immernoch herzustellen vermögen, umfasst. Der ganze Bericht der NN:


    http://www.nordbayern.de/regio…lles-kulturerbe-1.7067548


    Aber die Kunstwerke sind in Gefahr, denn nicht nur die Witterung lassen sie altern und macht an den Epitaphien und den Grabsteinen immer wieder Pflege und Restaurierungen notwendig. Zu allem Übel kam hinzu, als vor bald 4 Jahren, im Oktober 2014, eine aufsehenerregende Friedhofschändung durch die Presse ging. Unbekannte drangen in den Friedhof St. Rochus ein, und brachen über 40 der historischen Bronzeplastiken mit der Brechstange von den Grabplatten und verschwanden damit unerkannt. Die Kripo ist der Angelegenheit erst durch einen Hinweis eines Altmetallhändlers auf die Spur gekommen, der einige der Platten angeboten bekam, aber offensichtlich Lunte roch, als er erkannte das es sich nicht um normalen Schrott handeln könne. Aufgrund der Ermittlungen ist man der Altmetalldiebesbande auf die Spur gekommen. Letztes Jahr wurden die Beschuldigten zu jeweils teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Aber es ist leider nur die Hälfte der gestohlenen Grabplatten wieder aufgetaucht, diese waren leider teils stark beschädigt. Vom Rest wird angenommen, dass sie eingeschmolzen wurden.


    Aus diesem Grunde fanden sich im Jahr 2015 mehrere Unterstützer zusammen, und gründeten den Verein „Nürnberger Epitaphienkunst e.V.“. Ziel ist es diese Kunstwerke nicht nur zu erhalten und zu pflegen, sondern die ganze Kunst, die noch immer lebendig ist, weiter zu pflegen und zu unterstützen. Seit kurzem ist die Website des Vereins online und freut sich über Unterstützer und Spender für den Erhalt und die Pflege der wertvollen Kunstwerke:


    http://www.epitaphienkultur.de/

  • St. Rochus

    Und da die Friedhöfe auch nicht trauender Besucher durch ihre einzigartige Atmosphäre bezaubern können sind sie wohl unbedingt ein paar Fotos in einem Galeriestrang wert. Zunächst einige aus Gostenhof, vom 1518 angelegten Friedhof St. Rochus, der jetzt 500 Jahre alt wird. Ziemlich nah am Eingang zur Rothenburger Straße findet man eine passende Übersichtskarte in Bronze gegossen:



    Sie zeigt die Lage der prominenten Grablegen Nürnberger Namen an, deren Gräber vermutlich auch aufwändigere Epitaphien aufweisen. Wer es genauer wissen möchte findet auf der Vereinsseite einen Detailplan zur Lage der Gräber: http://www.epitaphienkultur.de/images/rochus_plan.png oder auf Wikipedia weitere Infos.


    Ich bin leider damals so über den Friedhof spaziert - ohne viel Zeit im gepäch gehabt zu haben - und habe die Übersicht erst am Ende meines Spaziergangs entdeckt, daher folgt nun eher ein Gesamteindruck von der Gesamtanlage:




    St. Rochus nehme ich in seiner Anlage eher streng gegliedert und sehr aufgeräumt wahr. Deutlich erkennbar ist v.a. in den kühleren Jahreszeiten seine Einbettung in die Innenstadt in der Nähe des Plärrer, im Hintergrund ist das Plärrerhochhaus und das leerstehende Volksbad erkennbar:




    Auf dem Friedhof befinden sich nicht viele Bauwerke. Neben der historischen St. Rochuskapelle steht nur noch an der Nordkante der Anlage das Friedhofsgebäude. Dieses widerum fand ich nicht uninteressant, denn es zeichnet sich als kriegsbedingter Wiederaufbau durch die Architektursprache der 50 Jahre aus:




    In direkter Eingangsnähe um die Rochuskapelle herum kann man kürzlich restaurierte Epitaphien finden, die noch den Glanz des jungen Bronzegusses mit frischer Patina tragen:




    Etwas unscheinbar abseits im Westen davon gelegen befindet sich ein alter Militärfriedhof vermutlich für die gefallenen des 1. WK.:




    Abgesehen von der Info auf dem oben gezeigten bronzenen Friedhofsplan taucht zu diesem Abschnitt sonst keinerlei Info auf. Es handelt sich dabei um eine ganz andere Klasse von Friedhof, auf den die Besucher sonst nicht weiter aufmerksam gemacht oder hingewiesen werden; zugänglich ist er wohl auch nur in Ausnahmefällen.

  • St. Johannis

    Der bekanntere Friedhof mit Epitaphienkultur ist St. Johannis im Westen der Stadt. Er geht auf das 14. Jahrhundert zurück und ist damit noch älter als der etwas kleinere St. Rochus. Ich war demzufolge auch etwas früher da, und habe ihn im Herbstlaub besucht. Der Haupteingang an der Johannisstraße:



    Direkt dahinter befindet sich die kleine, aber feine St. Johanniskirche, die wie einst überall üblich bis heute von Gräbern umgeben ist. Kaum mehr vorstellbar, dass das bis in das späte Mittelalter bei allen Kirchenbauten so gewesen ist. Erst im Zuge der pestepidemien hat man die Grabstätten konsequent vor die Tore der Stadt gelegt, weit weg von den Wohnungen der Menschen.



    Foto aus 2014


    Das Innere der Kirche ist zwar schlicht, aber dennoch mit zahlreichen Kunstwerken ausgestattet:



    Demzufolge befindet sich bereits im engerem Umfeld des Kirchenbaus eine Reihe repräsentativer Grabanlagen:






    Man kann sich gut vorstellen wie aufwändig die Pflege des Friedhofs und seiner Grabsteine sein muss. Die Wege sind eng und setzen sich schnell mit Laub zu. Für die Bearbeitung mit grobem Reinigungsgerät sind sie nicht geeignet, da ist Handarbeit erforderlich. Dort wo dem noch nicht nachgekommen wurde bietet sich ein märchenhafter Eindruck:




    Deutlich zu erkennen ist dass die friedhofskultur noch lebendig ist. Man hat nicht den Eindruck auf einem Mahnmal oder in einem Freilichtmuseum zu sein. Uralte, scheinbar seit Jahrzehnten unberührte Gräber liegen neben jenen, die mit frischen Blumen geschmückt und deren Inschriften klar lesebar sind.





    Deutlich wird das auch da die Friedhofsverwaltung freie "Liegeplätze" bewirbt und Besucher dazu ermuntert, sich über die Möglichkeit zu informiert, ein historisches Grab auf dem außergewöhnlichen Friedhof zu bekommen. Denn auch in Nürnberg haben die Friedhöfe mit einer nachlassenden Gräberkultur zu kämpfen. Kaum jemand mag sich heute noch ein aufwändiges Grab mit jahrelanger Pflege leisten bzw. seinen Angehörigen zumuten, wo doch schon eine "einfache" Feuerbestattung in die Tausende EUR geht.





    Neben unzähligen mit historischen und nagelneuen Epitaphien ausgestatteten Grabsteinen gibt es aber auch noch "Hochbauten" auf diesem Friedhof, die ihn m.E. am deutlichsten vom Rochusfriedhof unterscheiden. Zum einen die sog. Holzschuherkapelle, gestiftet von der einst reichen und mächtigen Händlerfamilie Holzschuher. Eine Familiengruft und Gedenkkapelle zugleich, die jüngst restauriert wurde:



    Sie ist auch nicht zu betreten, sondern kann nur durch die Türe angesehen werden:



    Eine kunsthistorisch wertvolle Stele, die es bis zum 2. WK an einigen Stellen in der Altstadt gegeben hatte, und im Hintergrund links das Steinschreiberhaus an der Friedhofsmauer gelegen:



    Sowie die neugotische Aussegnungshalle mit den Arkaden, eine Zutat aus dem Historismus:




    letzte 5 Fotos aus 2014


    Der Ostzugang:



    Insgesamt ist St. Johannis der bekanntere der beiden Friedhofsanlagen. Er ist nicht nur etwa doppelt so groß und architektonisch reichhaltiger ausgestattet, er liegt auch noch reizvoller eingebettet in seine Umgebung, dem beliebten Wohnviertel St. Johannis mit seiner mehrheitlich erhaltenen historischen Bebauung und ist bequemer mit der Straßenbahn direkt erreichbar.



    Der Verein Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur e.V. kümmert sich natürlich um beide Friedhofe gleichermaßen und nimmt dabei speziell die Epitaphien als besondere Teile der Grabanlagen in den Fokus. Dabei geht esnicht nur um den Erhalt der wertvollen historischen Bronzeplatten und deren lückenlose Dokumentation und Sicherung vor Witterung und Vandalismus. Es geht ausdrücklich auch um die Pflege udn Weiterentwicklung der Kultur der Grabplatten, die sich wunderbar in die moderne zeit überführen lässt. Die Bronzegießerkunst ist insgesamt keineswegs ausgestorben, besetzt hier aber eine ganz besondere Nische. Die Würdigung durch den Freistaat Bayern ist daher unbedingt zu begrüßen und dürfte wohl auch ein Baustein sein bei den Bemühungen der Stadt für die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas.

  • Eine kunsthistorisch wertvolle Stele, die es bis zum 2. WK an einigen Stellen in der Altstadt gegeben hatte, und im Hintergrund links das Steinschreiberhaus an der Friedhofsmauer gelegen:



    Kleine Korrektur: Das ist das frühere städtische Brause- und Wannenbad auf der anderen Seite der Johannisstraße. Das Steinschreiberhaus ist auf diesem Bild nicht zusehen, dafür auf dem folgenden (links vom Portal; im Portal wieder das Brause- und Wannenbad):


    Sowie die neugotische Aussegnungshalle mit den Arkaden, eine Zutat aus dem Historismus:




    Das ist meines Wissens neben der Maxbrücke das einzige erhaltene Bauwerk von Bernhard Solger, Mitte des 19. Jahrhunderts städtischer Baurat und Architekt vieler öffentlicher Gebäude in Nürnberg, die aber fast alle den Krieg nicht überlebt haben oder schon vorher abgerissen wurden (wie die zusätzlichen Tore in der Stadtmauer, die nur wenige Jahrzehnte existiert haben, weil sie dann wieder zu klein waren und inzwischen ersatzlos abgerissen werden konnten, weil Nürnberg seit dem Krieg 1866 keine Festung mehr war).


    Auf dem Johannisfriedhof bin ich auch immer wieder, Rochus sehr selten. Der Johannisfriedhof ist halt doch schöner, hat die prominenteren Gräber (Dürer! Auch wenn er dort längst nicht mehr liegt) und der Weg von/zur Altstadt und die Umgebung sind auch schöner (Hallerwiese, Großweidenmühle, Hesperidengärten, Johannisstraße/Burgschmietstraße mit einigen erhaltenen Häusern der barocken Gartenanwesen, dem Kreuzweg von Adam Kraft - nur noch in Kopien - und der Lenzschen Kunstgießerei, wenngleich v. a. die Burgschmietstraße ansonsten nicht besonders bemerkenswert ist). Da können der Plärrer und die Rothenburger Straße nicht mithalten.

  • Du hast mit deinen Korrekturen natürlich vollkommen Recht! Und selbstverständlich könnte man die Galerie hier noch weit ausbauen, allein wenn man nur die prominenten Gräber zeigen würde. Nimmt man dann noch die Friedhofsbauten hinzu, und vlt. deren Ausstattung und Details, dann würde das eine umfangreiche Fotosammlung.


    Die Unterschiede zwischen dem Rochus- und dem Johannisfriedhof wollte ich dann nicht so sehr betonen, denn es wäre ja doch schade, wenn sich sein Schattendasein im Zuge der Aufmerksamkeit für den Johannisfriedhof noch verstärken würde. Es stimmt natürlich, der Johannisfriedhof ist in allen Punkten vorne. Aber man könnte dem Rochusfriedhof etwas gewichtiges zur Seite stellen, wenn das Volksbad endlich revitalisiert würde! Stichwort "Kulturhauptstadt". Soweit ich weiß sollte man sich dazu nicht nur mit dem bewerben, was man schon hat, sondern auch mit dem, was man beabsichtigt zu tun, und da wäre ein Konzept zur Revitalisierung des Volksbades schon hilfreich. Aber das führt jetzt hier zu weit.

  • Wie oben schon angesprochen diskutiert ein aktueller Artikel der NN die zahlreichen noch ungelösten Probleme auf den Friedhöfen:


    http://www.nordbayern.de/regio…t-1.7100483?searched=true


    Angesprochen werden:
    - Hohe Endverbraucherkosten
    - Zuständigkeitswirrwar zwischen Stadt und Kirche
    - Vandalismus und Dokumentation
    - Monopolstellung von Handwerksfirmen (?)


    Damit am Ende mehr bleibt als bloße Schlagzeilen als Titel als Kulturerbe auf dem Papier, sondern damit tatsächlich eine einzigartige Kultur unterstützt und gepflegt wird, ist noch einiges zu regeln. Hoffentlich ist der Titel ein nachhaltiger Anstoß dazu.

  • Epitaphienkunst: Erzgießerei Lenz


    Bereits am 09. Juni bot sich die Gelegenheit für einen Besuch der Kunstgießerei Lenz in der Burgschmietstraße in Johannis. Diese bald 200 Jahre alte Gießerei ist heute noch eng verbunden mit der Epitaphienkultur Nürnbergs und damit Teil des Projektes "immaterielles Kulturerbe", das sich die lebendige Epitaphienkultur zum Inhalt nahm. Meine Besichtigung der Gießerei an diesem heißen Samstag war dennoch eher ein Zufall, da ich eher ungeplant die Straße entlang gefahren war und die Tore offen stehen sah.



    Das alte Werkstattgebäude neben dem großzügigen Wohnhaus straht eine unnahbare Historie aus, sehr verheißungsvoll:



    Hinein:



    Direkt hinter dem Eingang fällt der riesige Ofen auf, in dem man wohl einen Kleinwagen hinstellen und backen könnte. Groß genug also für Bronzefiguren, Brunnenteile usw.


    Rechts die Werkstatträume:



    mit zwar uralten, aber immernoch funktionalen und zuverlässigen Gerätschaften. Die Rußschwarzen Wände seien selbstverständlich und gehörten zu einer guten Gießereiwerkstatt, sagte man mir.



    Zusätzlich waren halt auch einige Epitaphien ausgestellt. Solche, die frisch hergestellt wurden, welche die restauriert werden sollten und ebensolche, die eben durch Aufgabe des Grabes nicht mehr auf den Friedhof bleiben konnten:



    Der Inbegriff von gründerzeitlicher Urbanität ist natürlich die gesamte Anlage mit dem Wohnhaus des Gießereiinhabers und angeschlossener Werkstatt: kurze Wege und schnelle Erreichbarkeit waren dadurch gegeben, siehe auch die historische Klingelplatte, die man noch vor Ort finden kann. Ein sehr kurzweiliger Besuch, danke an die Werkstatt für die Erlaubnis ein paar Fotos zu machen!


  • Ausstellung: 500 Jahre Epitaphienkultur Nürnberg


    Bevor sie am kommenden Samstag zuende geht sollte an dieser Stelle noch auf die wunderbare Ausstellung "KUNST GESCHICHTE GEDENKEN - 500 Jahre Epitaphienkultur" im Offenen Büro im DLZ Bau (Lorenzer Straße 30) hingewiesen werden.



    Der Verein "Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur e.V." zeigt anlässlich des Jubiläums eine hochinteressante Ausstellung zu einem bir vor wenigen Jahren eher angestaubten Thema. Am kommenden Samstag, den 17.11. wird um 14 Uhr eine kostenlose Führung durch die Ausstellung angeboten.



    Ein Fokus der Ausstellung liegt darauf zu zeigen, dass diese Kunst noch lebendig ist und weiterentwirkelt wird. Auch heute noch kann man von begabten Künstlern ein Grabepitaph anfertigen lassen und so eine letzte Ruhestätte schmücken.



    Auch der Presse war immer wieder zu entnehmen, dass die historischen Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus keineswegs ruhende Denkmäler seien, sondern in ihrer Funktion ganz normale Friedhöfe, wo, wer will, seine letzte Ruhestätte finden könne. Passend hierzu stand auch letztens in der NZ, dass die Gebühren für eine Urnenbestattung stiegen, die für eine Grabstätte aber sinken würden. Angebot und Nachfrage.



    Könnte sein, dass ich nicht alles mitbekomme, aber das Engagement des noch kleinen Vereins Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur e.V hat es immerhin vermocht, die Epitaphienkunst als immaterielles kulturerbe des Bayerischen Staates hervorzuheben und zu würdigen. Und im Kontext der Bewerbung der Stadt Nürnberg als Kulturhauptstadt ist das bislang der einzig wahrnehmbare, substanzielle Beitrag dazu, den ich erkennen kann. Dafür allerdings ein umso besonderer!