Wilhelmstraße - Plattenbaumoderne vs Neubebauung

  • ^ Ein Exot bist Du nicht, in der Minderheit aber schon. Ich sehe es ähnlich wie Du, auch wenn ich Abrisse als Mittel des Städtebaus nicht gänzlich ausschließlich will. (Es gibt, z.B. am Hausvogteiplatz oder in der Spandauer Vorstadt, auch Platten, die zwar funktionieren, die ich aber dennoch als störend empfinde). In der Wilhelmstraße ist das anders. Hier gibt es zumindest auf der Westseite ein stimmiges Ensemble, das erhalten werden sollte, aber weiterentwickelt werden kann. Folgende Vorschläge hatte ich schon mal aufgeschrieben:


    1. Die Häuser werden grundsaniert und behutsam aufgewertet, die ursprüngliche Fassadengestaltung und der Charakter als Plattenbau bleiben dabei erhalten. Die Blocklücken in der Voß- und der Gertrud-Kolmar-Straße werden mit zeitgenössischer Wohnbebauung geschlossen – wie ja am Mahnmal bereits geplant.


    2. Die derzeit als Parkplatz genutzte Fläche zwischen den Bäumen wird für Autos gesperrt und (z.B. von Grün Berlin) zu einer parkähnlichen Promenade mit Spielgeräten, Bänken, Restaurant-Terrassen, etc. umgestaltet. An zentraler Stelle informiert eine Tafel über die Geschichte des Areals – von Regierungsviertel über Führerbunker bis Platten-Ensemble im Schatten des Todesstreifens.


    3. Für die Vermietung der Ladenlokale beiderseits der Straße werden Richtlinien entwickelt, die eine Mischung aus hochwertigem Einzelhandel, Gastronomie und Nahversorgung zum Ziel haben. Eventkneipen und Souvenir-Geschäfte, die auf Billig- und Party-Touristen zielen, werden allmählich zurückgedrängt.


    4. Östlich der Wilhelmstraße, wo es kein geschlossenes Ensemble gibt, darf auch abgerissen werden – Voraussetzung für Baugenehmigungen sollte ein sozialverträglicher Mix aus Eigentums- und (günstigen) Mietwohnungen sein. Reine Luxus-Anlageobjekte wie "The Wilhelm" gilt es zu vermeiden.

  • Seien wir realistisch, das Bauland hier ist viel viel zu wertvoll als dass der aktuelle Zustand auf Dauer so bleibt. Warum wurden denn beim Plattenabriss auf der Ostseite so horende Ablösen an die Mieter bezahlt? Weil es sich noch immer lohnt.
    Letztlich wird es vermutlich darauf hinaus laufen, dass man das ganze Ensemble so lange abwirtschaftet, bis eine Sanierung auch unter Denkmalschutzgründen nicht mehr in Betracht kommt. Und egal ob saniert wird oder neu gebaut, am Ende werden die Platten erstens nicht mehr so aussehen wie heute, weil alles zu gedämmt würde und zweitens würde nach der Sanierung bei den dann stattfindenden Mieterhöhungen eh kein Altmieter in diesem Areal mehr wohnen können.
    Daher macht für mich eine Sanierung null Sinn, weil es eine städtebauliche Fehlleistung manifestieren würde, ohne dass sich ein Gewinn dadurch ergeben würde. Daher würde ich dann die Chance nutzen und ein stimmiges Ensemble planen, welches die Flächen optimal ausnutzt, der Geschichte des Ortes würdig ist und die Verweilqualität massiv erhöht.
    Aber wir sind in Berlin, was will man da an Visionen noch erwarten?

  • Im Grunde sind hier gerade die beiden wichtigsten Punkte ausgesprochen worden, um die es bei viele Diskussionen hier im Forum geht.


    1. Es macht keinen Sinn intakte und genutzte Gebäude (nicht nur Plattenbauten) abzureissen, nur um sie durch vermeintlich schönere Neubauten zu ersetzen. Dabei fällt auf, dass tendenziell "Schönheit" von Gebäuden, dem Nutzen, insbesondere im Sinne von günstigem Wohnraum, vorgeogen wird


    2. Auf Dauer spricht dennoch fast alles für einen Ersatz dieser Gebäude, da sie irgendwann nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind, bzw. ein Neubau für den Investor wirtschaftlicher ist (mehr Fläche, höhere Mieten, geringere Erhaltungsaufwendungen) als eine Sanierung.

  • ^ Es werden bereits sehr viele Bauten der Nachkriegszeit abgerissen, auch der 1980er Jahre - darunter im Westen Berlins ein bekannter Bürobau der Postmoderne. Dadurch kann auf Dauer, welche Zeitangabe die Lebensperspektive der Plattenbauten markiert, bereits jetzt sein. Es ist nicht die einzige Wohnsiedlung, die abgerissen und ersetzt wird. (Wenn es irgendwen tröstet - meine Mutter musste letztes Jahr umziehen, weil ihr Wohnhaus der Nachkriegszeit abgerissen werden soll - künftig soll es auf dem Areal die doppelte WE-Anzahl geben. Zum Glück hat der institutionelle Vermieter alle Umzüge bezahlt.)


    Auf dem Areal standen einst Paläste, die für die übergroße Kanzlei des Größten Malers aller Zeiten (GröMaZ) abgerissen wurden. Da kommt mir das Frankfurter Palaisquartier mit einem rekonstruierten Palast und Hochhäusern in den Sinn. Vielleicht wäre auch hier eine Rekonstruktion zumindest von Teilen der alten Palastfassaden und dahinter (Wohn-)Bauten mit mehr Geschossigkeit sinnvoll.

    3 Mal editiert, zuletzt von Bau-Lcfr ()

  • ^^^ Dafür, dass es sich so toll lohnt, müssen die Berliner aber ziemlich lang auf das noch viel tollere "The Wilhelm" warten. Es tut sich nichts. Angesichts des geplanten Grauens eigentlich auch ganz gut so.

  • Weiss vielleicht jemand hier im Forum wie es sich mit den Grundstück- und Besitzverhältnissen in der Wilhelmstrasse verhält?
    Ein Großteil war doch vor dem Krieg in staatlichem Besitz, Ministerien, Reichspräsidentenpalais, Reichskanzlerpalais, dazu Organisationen und einige Private?
    Schliesslich soll es ja „die Strasse der Macht” gewesen sein, wie man beim Lesen von Laurenz Demps fantastischen Buch zur Strasse, erfährt.
    Es wäre wirklich völlig unverständlich diese einfach dem freien Markt zu überlassen um negative Entwicklungen besser zu begrenzen wie sie sich hier ja schon abzeichnen.

  • ^ Was für negative Entwicklungen - dass auf sehr teuren Grundstücken teure Wohnungen entstehen und das begehrte Land mit möglichst viel BGF ausgenutzt wird? Wer billigere Wohnungen anstrebt, sollte diese auf billigeren Grundstücken lokalisieren, die gibt es in Berlin ebenso, nur nicht im zentralsten Kern der City. Ich sehe nicht ein, dass der Markt in zentraler Lage schon wieder ausgeschaltet werden sollte, was beim letzten Mal zur Mindernutzung geführt hat.


    Erinnerungshalber - soweit ich mich entsinne, einer von den Berliner Grünen sagte vor ein paar Jahren, ein Recht auf eine geförderte Wohnung in beliebig ausgewählter Lage, im bevorzugten Stadtteil, gebe es nicht.

  • ^^ Die Platten aus den späten 80ern wurden doch von Wowereit und der Linkspartei privatisiert und gehören wohl einem börsennotierten Unternehmen.


    Die gleichen Parteien würden jetzt gerne alles wieder haben. In der nächsten wirtschaftlichen Abwärtsbewegung, wenn plötzlich die Bauindustrie Arbeitslose produziert und die Staatskasse leer ist, wird man sich freuen, wenn Investoren alles abreißen, neu bauen, aufwerten.



    Bis dahin kann natürlich einiges passieren, aber wohl wenig erfreuliches. Neben dem Erhalt der DDR-Optik sind ausschließlich wirtschaftliche Aspekte von Interesse. Der Politik geht es um preiswerten Wohnraum und Investoren um Gewinn. Die Zeiten für Ästhetik und Städtebau waren in Berlin selten so schlecht.

  • Es ist nicht die einzige Wohnsiedlung, die abgerissen und ersetzt wird.


    Woher hast Du diese Information? Das Viertel steht seit 2016 unter Ensembleschutz (siehe hier). Auch sind mir für die Westseite der Straße keinerlei Neubaupläne bekannt, die über Ergänzungen des Bestands hinausgingen. Beides zusammen ist zwar noch lange keine Ewigkeitsgarantie, aber doch etwas völlig anderes als der Indikativ "wird abgerissen".


    Die Platten aus den späten 80ern wurden doch von Wowereit und der Linkspartei privatisiert und gehören wohl einem börsennotierten Unternehmen.


    Das ist leider richtig. Das Ensemble gehörte mal der WBM und wurde in den Nullerjahren privatisiert – in einer Phase, wo bundesweit die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände en vogue war. Statt des höhnischen Untertones angesichts des Gesinnungswandels könntest Du auch anerkennen, dass sich a) die Situation in der Stadt seit damals geändert und b) der Senat aus Fehlern gelernt hat.

  • Aus Fehlern gelernt also, so so.


    Das wäre schön, ist aber mitnichten der Fall. Der Sparsenat von Wowereit hat notgedrungen mehr richtig gemacht als der Freibiersenat von MM. Gegensätzliches Handeln gleicher politischer Parteien, nur wegen der Zinsentwicklung.


    Naja, meine Meinung. Diskutieren wir mal in 5-10 Jahren weiter.

  • ^^ Muss ich schon wieder Beispiele wie den Düsseldorfer Tausendfüßler zitieren, die einmal gar auf der Denkmalliste standen, aber dann beseitigt wurden? Der verlinkte Artikel beginnt damit, die Dinger seien grau und hässlich - für den Schutz sollte die vermeintliche "Klarheit" sprechen, doch einmalig ist diese nicht. Bei jedem Bau und jeder Siedlung der Moderne ist von einer Klarheit die Rede. Vielleicht sind die meisten Plattenbauten noch grauer und noch hässlicher, doch das ist längst kein Grund so zu tun, als wäre es die Berliner Alhambra. Ich meine - es gibt Architektur-Wunderwerke der Weltklasse und es gibt Bauten, die nur so lange nice to have sind, bis bessere Nutzung des Areals in Frage kommt. Bei dem derzeitigen Bedarf an mehr BGF müsste es nur eine Frage der Zeit sein.


    Immer noch sehe ich keine vernünftige Erklärung, wieso das Areal im Staatsbesitz sein sollte - um mitten im Zentrum ein Reservat der Mindernutzung und der relativ geringen (für eine Millionenstadt) Urbanität zu konservieren? Hier könnte es weit mehr Wohnfläche geben und wenn die Bauten angemessen gestaltet werden sollten - nicht zwingend sollte dies eine Sozialwohnungen-Großsiedlung sein. Etwas gehobener Bebauung darf auch mal sein. (Ich hoffe auf einige rekonstruierte alte Fassadenteile - im Gegenzug könnte man dahinter Höhen weit über 24 Meter erlauben.)


    Bei Gelegenheit gleich noch das Frankfurter Zürich-Haus, die Stichworte stehen gleich im ersten Absatz - Denkmalschutz und war. Der Folgebau ist ungefähr doppelt so hoch, mit entsprechend mehr Nutzfläche - 62.500 Qm statt 14.000 Qm.

  • ^ Du musst überhaupt nichts, außer vielleicht lesen, was ich geschrieben habe, bevor Du mir antwortest. Nämlich explizit, dass weder Ensembleschutz noch derzeit fehlende Abrisspläne eine Ewigkeitsgarantie sind. Im Übrigen beginnt der verlinkte Artikel nicht damit, dass "die Dinger" grau und hässlich sind, sondern dass man sie so empfinden mag (ich tue das nicht). Als Grund für den Schutz wird die stadthistorische Bedeutung genannt, Klarheit wird lediglich als Attribut erwähnt. Und wo nimmst Du schon wieder die "Sozialwohnungen" her. Wer redet denn hier irgendwo von Sozialwohnungen? Meines Wissens gibt es dort keine, und niemand hat gefordert, welche zu bauen.


    Du bist für Flächenabriss, schön und gut. Du solltest Dir bloß nicht einbilden, dass dort danach mehr Leute wohnen würden als heute. Ein ödes, totes Anlage-Ghetto würde entstehen - mit weniger Wohnungen als jetzt, die zudem die Hälfte der Zeit über leerstehen. Aber das wäre natürlich keine "Mindernutzung", weil "gehoben", und in London und Paris macht man sowas ja auch...

  • ^ Es ist die allerbeste zentrale Lage wenige Schritte von Unter den Linden, vom Leipziger Platz, vom Potsdamer Platz, von der U-Bahn-Station Möhrenstraße. Ich könnte mir durchaus ein hochurbanes gemischtes Gebiet wie Frankfurter Four vorstellen, allerdings mit (realistisch) niedrigeren Hochhäusern, größerem Wohnen-Anteil und einer GFZ von 8-10 statt über 15. Ich glaube nicht, dass das Ensemble tot sein wird.


    Laut Artikel sind es jetzt 1000 WE und etwa 4000 Einwohner auf 7 Hektar. Rechnen wir mit 70 Tsd. Qm mal GFZ=8, macht 560 Tsd. Qm. Gäbe es 2/3 der Nutzfläche als Wohnraum, macht dies bei 40 Qm/EW über 9300 Einwohner - und zusätzlich mehr Läden als jetzt, Gastronomie, Büros, vielleicht ein Hotel.


    Die eine Gestaltung der Plattenbauten wiederholt sich quer durch mehrere Straßenblöcke - für die Zukunft stelle ich mir differenzierte Gestaltung der Folgebauten vor.

    Einmal editiert, zuletzt von Bau-Lcfr ()

  • Die Diskussion hatten wir hier schon mehrmals und immer wieder dreht sie sich im Kreis. Da ich hier arbeite, kenne ich die Gegend ganz gut. Meine Meinung: Solange man an dieser Stelle keine wirklich überzeugende Idee präsentiert, wie die Gegend ohne die Platten aussehen könnte, sollte man (auch angesichts der Besitzverhältnisse) erst einmal alles lassen wie es ist. Was wären denn die Alternativen? Büros? Noch mehr Luxuswohnungen? (Bei "The Wilhelm" ist noch nicht einmal die BAugrube angefangen worden...) Einkaufsmöglichkeiten? Parkplätze? (gut, das letzeres war nicht ernst gemeint :lach:).


    Die bestehende Mischung ist doch gar nicht sooo schlecht. In der Mall kann man einkaufen und trotzdem brummt der umgebaute Ullrich Hit-Markt. Es gibt ne Schule und nen Kindergarten, ein paar Bäume...


    Also ich kann mit der Wilhelmstrasse im Ist-Zustand ganz gut leben.

  • Anlässlich des "Zirkeltages" oder der "Zeitengleiche" (ca. 28 Jahre mit und nun auch ohne die Mauer) und des Kunstprojekts bei der Architektur-Biennale „Unbuilding walls“ äußerten sich auch die „Graft“-Architekten: http://www.tagesspiegel.de/ber…brueche/20924176-all.html
    Die Vielartigkeit des Umgangs mit der alten Todeszone sei ein bleibendes Geschenk für Berlin; demnach hatte zum Glück niemand einen Masterplan in der Tasche, die Stadt habe ihre Antworten an vielen Orten selbst gesucht. Diese Ambivalenzen seien auch Ausdruck von Demokratie: Jeder heile anders, und zum Glück gebe es für eine lebendige Stadt keinen Chefchirurgen. In Berlin existierten die Ambivalenzen im Umgang mit der Teilung auch städtebaulich nebeneinander: Erinnern und Vergessen, Verbinden und Trennen.


    Und: Wenn man von 1961, dem Jahr des Mauerbaus, noch einmal um 28 Jahre zurückgeht, landet man bei 1933. Wie viel Epochales in 28 Jahren passieren und was diese Zeitspanne bedeuten könne, sei eine der Lehren, die man aus einer solchen Rückschau ziehen könne.


    In diesem Sinne:
    Auf weitere 28 Jahre! :daumen:

  • Abriss Fress- und Tourishop-Baracken am Holocaust Mahnmal

    Damals eigentlich nur 3 Jahre geplant, standen die schäbigen Tourishops an der Ostseite des Holocaust Mahnmals ganz schön lange.


    Jetzt ist aber Schluss:


  • In der Tat ne gute Nachricht. Eine Fassadenreko ist wohl kaum zu erwarten, aber dieser riesen Komplex ist ne ziemliche Bruchbude. Die Fassaden scheinen zwar gemacht worden zu sein, aber die Fenster sind alt und morsch, die Gitter vorm Souterrain verrostet usw. Innen (z.B. die sanitären Anlagen) wirds auch nicht besser sein.

  • Ja, das ist eine von den Gegenden, der man den fehlenden Masterplan ansieht.
    Eigentlich gibt es tolle Gebäude in zentraler Lage und trotzdem scheint seit der Wende noch kaum was geschehen zu sein.

  • Ist eigentlich schon mit dem Bauaushub für das Projekt "The Wilhelm" begonnen worden?