Rekonstruktionswelle in Deutschland oder nur Ausnahmen?

  • Rekonstruktionswelle in Deutschland oder nur Ausnahmen?

    Hallo ich bin neu im Forum und möchte bevor ich zu meiner eigentlichen Frage komme erstmal ein großes Lob an alle DAF Mitglieder aussprechen. Ich habe das Forum jetzt schon seit einem knappen Jahr als Gast regelmäßig verfolgt und war immer sehr angetan von den sachlichen und stets interessanten Beiträgen. Weiter so :daumen:


    Nun zum Thema.


    Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass besonders nach dem Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche in ganz Deutschland plötzlich wieder nach der Rekonstruktion verschiedener verlorener Gebäude verlangt wird. Egal ob die Altstadt von Frankfurt, die Potsdamer Garnisionskirche oder die Berliner Bauakademie, überall tauchen Rekonstruktionspläne auf. Ist das nur der Beginn eines genrellen Umdenkens, weil man vllt erkannt hat, dass in den letzten Jahrzehnten einfach zu sorglos mit dem Thema Städtebau umgegangen wurde oder sind das nur vereinzelte Lichtblicke?
    Ich möchte dazusagen, dass ich ein großer liebhaber der alten Gründerzeitviertel und generell der deutschen Städte wie sie vor dem Krieg aussahen und dass ich mich bis vor kurzer Zeit noch garnicht so sehr mit dem Verlust historischer Bauten beschäftigt hatte. Wirklich aufgerüttelt hat mich in diesem Zusammenhang mein Besuch auf der Documenta in Kassel, denn als ich die Stadt sah war ich sehr überrascht, im negativen Sinne. Auch wenn die Stadt selbst nichts dafür kann wie sie aussieht so wurde mir wirklich klar wie groß doch der Verlust historischer Innenstädte ist.


    Ich würde mich über Meinungen zum Thema sehr freuen.

  • Willkommen im Forum, Schnack. Bezüglich der Frage, ob es in Deutschland mehr Rekonstruktion in kriegszerstörten Altstädten geben wird, kann ich nur sagen, dass die Tendenz deutlich zu Pro Rekonstruktion geht. Ob deine genannten Beispiele Ausnahmen bleiben oder zur Regel werden, wird die Zukunft zeigen. Deutlich hervorzuheben sei aber, dass Reko-Initiativen und -Vereine wie Stadtbild Deutschland hauptsächlich von jüngeren Leuten, wahrscheinlich weil ideologisch unbelasteter, ausgehen. In der Frankfurter Altstadtdebatte konnten ideologische Vorbehalte der Gegnerschaft (Altstadt sei rückwärts gewandt, nicht urban, unmodern, provinziell, falsch verstandene Heimatliebe usw.) weitgehend ausgeräumt werden, so dass die Altstadt auf dem Areal des Technischen Rathauses wohl nun größtenteils wiederaufgebaut werden wird.


    Kassel ist ein extremes Beispiel für den gescheiterten Wiederaufbau in Deutschland. Derweil musste die Stadt vor dem Krieg eine der schönsten und größten Altstädte, mit einer stattlichen Anzahl an Fachwerkhäusern, besessen haben. Letztens habe ich im Hessen-Fernsehen eine Reportage über Kassel gesehen („Bilderbogen Hessen“ oder so ähnlich), in der die Stadt baulich ziemlich schlecht wegkam. Es wurden einige Bürger zu ihrer Stadt und deren Bewohner befragt: so resignierend habe ich noch keinen von seiner Stadt reden hören.


    Soviel erstmal dazu von mir. Übrigens, meine Frau kommt aus Zwickau-Niederhohndorf, bin dort auch öfters bei den Schwiegereltern.;)

  • Ich weiß nicht, ob die Rekonstruktionswelle so groß ist. Aber das Bedürfnis der jüngeren Generationen und der ganz alten nach den alten Gebäuden ist da. Aber wenn man mal in Paris oder London war, und man danach sich nich selbst wundert, daß die deutschen Städte so häßlich sind, dann weiß ich auch nicht, ob die Leute Tomaten auf den Augen haben.


    Ist Kassel noch häßlicher als Ludwigshafen? Naja, aber in Ludwigshafen gabs auch vor dem Krieg keine schönen Gebäude...

  • Ich würde sogar einen Schritt weitergehen.


    Inzwischen rekonstruiert man ja nicht nur alte gebäude, sondern baut neue, die so aussehen, als wären sie alt.
    Siehe München Lenbach Gärten


    Also nicht nur Reko, sondern auch Retro.


    Ich sehe insbesondere in der Retrowelle eine reaktion auf die "globalisierung" der Architektur, den wunsch, etwas zu bauen, was eben nicht in jeder chinesischen oder amerikanischen oder russischen Boomtown stehen könnte.


    Dazu kommt, das durch die enorme weltweite Bautätigkeit sowieso inzwischen jder intellektuelle Anspruch bei grösseren Projekten untergeht.
    Es geht nur um höhe, bestimmte (Glas) Fassaden, ne nette aussenraumgestaltung und genug ladenfläche.


    Reko/Retro scheint da eine alternative zu bieten.
    Und ja, viel hat einfach auch damit zu tun, das in vielen westdeutschen Städten der Wiederaufbau gescheitert ist, und man wohl schönere städte hätte, wenn man sie so wiederaufgebaut hätte, wie sie vor dem Krieg waren.
    Das ist es ja, was man sich in München bei einem grossteil der Innenstadt zum Ziel gemacht hat, als man sich direkt nach dem krieg dazu entschied, andere Wege zu gehen als Kassel oder Hannover...

  • Ich glaub nicht dass der Wunsch nach Rekonstruktion erst mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche eingesetzt hat. Der dürfte schon immer vorhanden gewesen sein seit der Krieg vorbei ist. Allerdings war die Frauenkirche halt ziemlich symbolträchtig und hat sicherlich dazu beigetragen dass die Debatte noch mehr in die Öffentlichkeit gerückt ist und der gescheiterte Wiederaufbau an sich häufiger auch als solcher thematisiert wird.
    Ansonsten kann ich meinen Vorrednern nur zustimmen.

  • Erstmal danke für die vielen Antworten. Von einer Initiative Stadtbild Deutschland wusste ich bis jetzt noch garnichts, aber es freut mich zu hören, dass dort vor allem Junge Menschen aktiv sind. Es erscheint aber auch wenn ich mal meine Freundeskreis betrachte schon so, dass es nicht wenige gibt das alte sehr schätzen, ganz egal ob Original oder Retro.


    Bei Frankfurt kann ich jetzt nur meine Meinung als Außenstehender äußern, da ich leider noch nie dort gewesen bin, mir aber sehr viele Bilder hier im DAF angeschaut habe. Ich finde, dass ein Aufbau einer einstmals schönen Altstadt nichts mit provinzeil zu tun hätte. Ganz im Gegenteil! Es wäre eher ein weiteres Zeichen, dass man dem Alten neben all den neuen Dingen wieder etwas mehr Respekt zollt und Frankfurt hat ja anscheinend nicht mehr wirklich viel altes was es sonst noch pflegen könnte, aber das scheint ja mittlerweile im Römer verstanden worden zu sein.


    Über das alte Kassel hatte ich mich nach meinem Besuch auch sofort informiert und leider musste ich da lesen, dass z.B. das Theater nach dem Krieg noch relativ intakt war und dem heutigen weichen musste. Leider ist das ein gutes Beispiel für Dinge die erst danach richtig zerstört worden sind.


    Um mal einen kleinen Verlgeich zu meiner Heimatstadt zu ziehen. Es heißt ja oft, dass die DDR ein Glücksfall für viele Altbauten war, aber komplett kann man das auch nicht unterschreiben. Zwickau war so gut wie nicht zerstört, die Innenstadt verlor vllt 5 Häuser, aber dennoch wurden zu DDR Zeiten auch hier kleine Arbeitersiedlungen aus niedrigen Häusern bestehend für Plattenbauten abgerissen, mitten in der Innenstadt :nono: Gott sei dank gilt aber auch hier, dass sehr viele Gründerzeitbauten erhalten blieben und heute sehr begehrt sind. Ich denke ich werde mal ein paar Fotos machen.


    LeFay Ich kann zwar nur für mich sprechen, aber als ich 2005 in London war, fand ich die Stadt nicht umwerfend, aber das ist Geschmackssache. Generell stimmt es schon, dass viele Städte im Ausland wie Wien oder Prag schöner sind als der deutsche Nachkriegsmurks.


    pflo777 Du hast recht München hats bessser gemacht. Es machte auf mich auch den Anschein als sei es im Krieg garnicht so zerstört gewesen. Da sieht man mal was gute Reko alles bewirkt.


    Aber von der Reko- zur Retrowelle zu kommen wäre wirklich verlockend, da ich denke dass ältere Elemente vor allem aus der Gründerzeit auch heute noch problemlos mit moderner Architektur verbunden werden könnte. Welcher deutscher Stadt würde soetwas nicht stehen? ;)


    p.s. @ Cowboy manchmal überrascht es mich wirklich wer alles schon in Zwigge war :)

  • Doch, Frankfurt hat noch viel Altes, was es pflegen könnte. Doch steht das überwiegend nicht (mehr) in der Innenstadt, sondern in den Stadtteilen. In einem von der SPD kürzlich ins Stadtparlament eingebrachten Antrag war von 3.000 verputzten Fachwerkhäusern auf dem Stadtgebiet die Rede! Natürlich ist auch hier vieles saniert worden und daher in gutem Zustand. Auch zeigt die Stadt durchaus Initiative - doch m. E. nicht genug. Besonders der Stadtteil Höchst mit seiner großen und fast unversehrt gebliebenen Altstadt (s. Bild unten) sowie Alt-Sachsenhausen müssten noch mehr Zuwendung erfahren.



    Bild (mit GNU-FDL @Wikipedia:( EvaK

  • Hmmm. Hannover wurde schon erwähnt. Als ich heute mal wieder da war, und ein wenig mehr auf die Stadt geachtet habe, hab ich regelrecht Verständniss für die Retro/Reko-Welle aufbringen können.
    Wie sehr die Menschen sich Rekos wünschen hängt glaube ich ganz enorm von der Stadt selber ab. in weniger zerstörten Ländern, und das dürften wohl so ziemlich alle sein rekonstruiert man ja kaum, oder bedeutend weniger und bewertet die "Gründerzeit" auch ganz anders.


    Dass wir aber in ein Retro-Welle kommen glaube ich mal gar nicht.


    Überhaupt sollte man sich mal fragen, wie die Städte die wir heute so schön finden aussehen würden, wenn man Altem immer so sehr nachhängen würde wie die Deutschen. Rom müsste dann wohl auf 80% seiner Baudenkmale verzichten.

  • Ich denke, dass der Trend zu Rekonstruktionen und auch Retro-Architektur anhalten und sich noch verstärken wird. Das ist allein schon der Tatsache geschuldet, dass viele Bauten der 50er/60er/70er Jahre so langsam baufällig werden und man anfängt über ihren Abriss nachzudenken. Die Debatte um den Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt konnte sich letztlich nur deswegen so entwickeln, weil mit dem beschlossenen Abriss des TR plötzlich ein Areal frei wird, dass komplett neu überplant werden kann.


    Eine kurze Anmerkung zu Kassel. So übel ist die Stadt gar nicht, im Westen gibt es noch schöne Gründerzeitviertel und die Lage im Fuldatal ist landschaftlich nicht zu verachten. Leider ist das Stadtzentrum im Krieg schwer zerstört und nicht besonders gelungen wiederaufgebaut worden, ähnlich wie in Frankfurt nur schlimmer. Insofern eindeutig ein Kandidat für Rekonstruktionen in meinen Augen. Die wirtschaftliche Schwäche der Region Nordhessen lässt allerdings in den nächsten Jahren teure Stadterneuerungsprojekte nicht erwarten.

  • Ich würde Rekonstruktionen getrennt von Gründerzeit und Retrowelle betrachten. Bei Rekonstruktionen, wie sie heute debattiert werden, handelt es sich ja meist um Gebäude und Ensembles, die vor 1800 entstanden (also wie z.B. Frankfurt, Hildesheim, Dresden, Köln). Der Historismus der Gründerzeit, so sehr ich ihn liebe und so sehr man in dieser Zeit bestrebt war, keinen Bruch mit der historischen Bebauung herbeizuführen, griff ja schon massiv in historisch gewachsene Strukturen ein. Die Frankfurter Altstadt stand schon bei den Stadtplanern und Architekten des ausgehenden 19. Jahrhunderts immer wieder zur Disposition. Im Altstadtkern blieb es aber lediglich beim Bau der Braubachstraße: anders als in Leipzig oder Hamburg, deren Zentren gründerzeitlich fast vollständig überformt wurden.


    Also reine Rekonstruktionen würde ich mir lediglich in vom Krieg zerstörten Altstädten wünschen, vor allem dann, wenn sich die Möglichkeit ergibt, dass die eine oder andere Nachkriegsbausünde abgerissen wird. Also wie beim TR in Frankfurt.


    Mit traditionellen Neubauten (wenn damit hier die Retrowelle gemeint ist) habe ich so meine Probleme, weil sie nicht selten pseudohistorisch und billig anmuten. Beispiel: Novotel in Leipzig.


    Schon besser finde ich den traditionellen Neubau in der Universitätsstraße. Klassisch schlicht, aber ordentlich ausgeführt (Bild 2006 kurz nach Fertigstellung von mir geknipst).



    Noch besser, und in meinen Augen völlig zu unrecht kritisiert, ist die Sanierung bzw. der Wiederaufbau von Webers Hof. Der einstige Messehof wurde im 19. Jhd. gründerzeitlich verformt, indem 2 Vollgeschosse draufgesetzt wurden und das Dach fast völlig verschwand. Der Bauherr ließ in den 1990er-Jahren nicht den gewachsenen Zustand mit den 2 Vollgeschossen wiederherstellen, sondern anhand von einer Skizze den Ursprungszustand von 1662, weil in seinen Augen die ursprüngliche Dachform den Übergang von der Renaissance zum Barock eindrucksvoll dokumentiert. Nützte ihm wenig, denn selbst nach der für mich überzeugenden Dachreko schallte es Ohrfeigen. Sogar Wolfgang Hocquéls ansonsten sehr eindrucksvoller Architekturführer "Leipzig - Architektur von der Romanik bis zur Gegenwart" spricht von einer fragwürdigen Rekonstruktion, bei der das gewachsene Zeugnis der städtebaulichen Entwicklung zerstört wurde.


    Webers Hof nach dessen Sanierung und Wiedergewinnung des Ursprungsdach von 1662 (Bild von mir):

  • Ohne direkt Bezug zu den vorhergehenden Posts zu nehmen stelle ich mal ein paar Bilder von "Oldtown" hier rein, einem riesigem Neubauprojekt zu Füßen des Burj Dubai in Dubai.


    Der Name ist Programm, und es gibt keine direkten historischen Vorbilder...es wird also eine arabische "Altstadt" bzw. das, was der Immobilienkunde sich darunter vorstellt gebaut..



    Somit also "Retro at its best"....


    http://www.ameinfo.com/images/news/2/8972-reehan.jpg


    http://img222.imageshack.us/img222/3080/img00062jv5.jpg


    http://www.true-dubai.com/home…island-old-town-dubai.jpg


    http://www.alec.ae/Uploads/Ima…s%20-%20hotel%20a%201.jpg


    http://img91.imageshack.us/img91/6365/93961374wy5.jpg


    http://img175.imageshack.us/img175/2426/imresolt091ip2.jpg


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    http://i20.tinypic.com/biuxbd


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    ich halte also die Retrowelle an sich für ein globales phänomen, auch mit Blick auf die USA.


    Das sowas dann natürlich Rekonstruktionen einfacher durchsetzen lässt liegt auf der Hand.


    Wenn schon neu gebaut wird, und es sowieso alt aussehen würde, kann man auch gleich das Alte wieder aufbauen...

  • Ich finde das gezeigte Beispiel aus Dubai entspricht nicht so ganz dem was die Leute in Deutschland unter Rekonstruktion verstehen. Ich meine bei uns gab es diese Altstädte ja wirklich einmal.


    Das manches was heute alt wirken soll billig wirkt, darüber kann man sehr geteilter Meinung sein, siehe Dresdner Neumarkt. Für mich ist das ein absoluter Gewinn, während viele Kritiker darin nur sehr schlechte Rekos sehen, denen zu viel moderner Geist eingehaucht wurde hinter ihren Fassaden.


    Vielleicht würde diese Diskussion auch wirklich nicht so in der Art geführt werden, wenn der Wiederaufbau architektonisch anders verlaufen wäre. So hört man z.B. selten etwas von einem "hässlichen" Rotterdam, obwohl dort so gut wie nichts mehr nach dem Krieg stand.


    Ich denke das lässt aber auch irgendwo eins vermuten. Betrachtet man sich das was nach dem Krieg entstand in Innenstädten von Kassel oder Hannover u.a. schwer zerstörten Städten, dann kommt einem manchmal dieses "Kenn ich irgendwo her" Gefühl, weil alles gleich aussieht, leider gleich mies. Vorher hatte jede Stadt ihre Individuellen Gebäude. Theater, Rathäuser oder sogar Bahnhöfe waren irgendwo auch Idenditätspunkte. Bahnhöfe meine ich ernst, denn sieht man sich mal die Bahnhöfe von Essen, Dortmund, Köln usw an und vergleicht die mit früher merkt man schnell dass aus vormals Einzelstücken sehr beliebige Dinge wurden. Das gilt logischerweise auch für andere Gebäude.

  • Also als Fan des Historismus der Gründerzeit solltest du der Moderne weniger vorwerfen, sie sei einfach zu international. Was machen die ganzen Gründerzeitbauten im Stil florentiner Renaissance in Deutschland? Oder ganz plötzlich vollkommen untypische französische Gotik? Geh mal in Zwickau (ich kenne Zwickau gar nicht) und schau dir all die Gründerzeitler an, und frag dich ob das alles typische Beispiele deutscher Architektur sind, oder ob sie wenigstens besonders gut auf den Ort eingehen. Ich habe gestern in Hannover ein wunderschönes backsteinenernes gotisches Kontorhaus gesehen, daneben ein neugotischen Apothekenbau. Die Apotheke, die über und über voll mit allen nur erdenklichen gotischen Stilmitteln war, überhaupt keinerlei Rücksicht vor dem Kontorhaus zeigte, weder in Höhe noch in der Form hat dieses Zeugniss der Gotik vollkommen lächerlich gemacht. Der Historismus hat leider das grundlegende Problem, dass er eben nicht die Harmonie zum Ziel hat, wie es fälschlicherweise oft behauptet wird, sondern die historischen Baustile einfach besser, prächtiger, und überhaupt viel toller zu nutzen, als man es in Wirklichkeit tat. Die Ergebnisse zeigen dann oft wesentlich größere Brüche, als es die Moderne geschafft hat. zumindest in der breiten Masse.


    Ich glaube auch, dass das was wir an Historismus zur zeit in Deutschland haben genauso skuril auf die Dubaier (Dabaiesen, Dubanen ???) wirkt, wie das dubaier Beispiel auf uns.



    EDIT:
    Ich bin nochmal grob durchgegangen, was mir so an Rekos nur in BS einfällt, und da ist in allen Dekaden was vorhanden. Zuletzt durch Zufall halt das Schloss, aber davor war es immer sehr gleichmäßig alle 7-8 Jahre mal ein einzelnes Gebäude, oder gleih ein Block. Vielleicht liegt es eher an den neuen Medien, dass man einfach von mehr Rekos Wind bekommt, und es einem so als Rekowelle vorkommt. Die deutsche Einheit könnte auch ein Grund sein, dass ein wenig mehr rekonstruiert wird, im Westen scheint es aber sehr gleichmäßig zu sein.

  • Dvorak


    Versteh mich nicht falsch, aber ich bin kein Gegner der Moderne. Das habe ich ja auch am Beispiel Rotterdams versucht deutlich zu machen. Nur kann ich mir vorstellen, dass es nicht wenige auch hier Forum gibt, die, wenn sie hören, dass an einer Stelle wo früher mal ein Altbau stand, ein neues Gebäude enstehen soll, vorher mit einer großen Skepsis rangehen und dann oft Ergebisse zustande kommen mit denen man ungkücklich ist.


    Ich kann auch mit dem internationalen Baustil leben, nur eben nicht überall. Ich würde mich auch nicht hinstellen und sagen, dass man z.B. die Prager Straße in Dresden abreißen soll und wieder alt aufbauen nur weil sie eben nichts architektonisch besonderes darstellt.
    Ob die älteren Bauten von italienischen oder französichen Baustilen inspiriert wurden ist doch egal oder? Ich meine nur weil man sich was abgeschaut hat, wirkte eine deutsche Stadt dennoch nicht gleich so wie in Italien.


    Dein Beispiel aus Hannover verstehe ich, denn nicht erst 1950 begann man damit Brüche in Städte reinzubringen. Wer Faust II gelesen hat, weiß dass auch zu Goethes Zeiten z.B. die Frankfurter Altstadt mit ihren mittelalterlichen Häusern verspottet wurde. Es hängt viel vom jeweiligen Zeitgeist ab, aber irgendwie wirken diese Brüche auf mich doch noch anders als z.B. ein Plattenbau im Zentrum einer Stadt.


    Und was Dubai über uns denkt ist doch egal. Dort hat man nunmal andere Ansichten, Möglichkeiten und Bedürfinisse nach denen geplant bzw gebaut wird.

  • Entschuldige Dvorak, aber irgendwie kann ich deine Meinungen im DAF nie so richtig nachvollziehen. Du tust hier zuweilen (meines Erachtens nach) recht haarsträubende Meinungen kund, die du oft auch ohne jedweden Respekt (so scheint mir) gegenüber den anderen Forenmitgliedern behaupten willst. Ich möchte damit jetzt wirklich keinen Konflikt hinaufbeschwören (und auch nicht stellvertretend für die anderen hier sprechen), aber das musste ich einfach mal loswerden.


    Nun zu meiner Meinung zur aktuellen Rekonstruktionseuphorie: Das kann man als Deutscher beim Anblick unserer geschundenen Innenstädte (vorallem in den Großstädten) doch nur gutheißen. Durch die Wiederherstellung der alten, gewachsenen und ursprünglich sehr urbanen Strukturen gewinnen wir etwas wieder, das durch die allermeisten modernen Bauten im Leben nicht zu ersetzen wäre. Gerade Deutschland sollte von nun an als vorzeigbares Beispiel für gelungene Rekonstruktionen dienen können - und das auch über Großprojekte wie die Frauenkirche hinausgehend.


    Deutschland ist zwar trotz aller Schäden und nachkriegszeitlichen Stadtbildvergewaltigungen noch immer eines der weltweit besuchenswertesten und auch kulturell bedeutendsten Staaten (das kann man nun auch im Hinblick der globalen Ausstrahlung nicht abstreiten) - aber es wäre soviel mehr möglich, und das spüren auch die Deutschen. Und das wahrlich nicht erst seit heute. Es fehlt unserem Volk irgendwie etwas, so als hätte man uns unseres wertvollsten Besitzes beraubt.


    Gleichzeitig liegt nun etwas in der Luft, man schnuppert förmlich dieses Verlangen zur Genesung unserer Städte. Und hier muss nun angesetzt werden, auch in der breiten Bevölkerung, sprich all den Otto-Normalverbrauchern da draußen, dieses Engagement und das Bewusstsein für die Immanenz einer gesunden Stadt zu wecken.
    Ich bin guter Hoffnung, dass dies in Zukunft besser denn je gelingen wird. Und so behaupte ich: Ja, Deutschland ist im Begriff, von einer nachhaltigen Rekonstruktionswelle überrollt zu werden.


    Im Übrigen: Es heißt tatsächlich Dubaier. Klingt komisch, ist aber so ;)

  • Auf einen Punkt, den Dvorak genannt hat, würde ich gerne nochmals eingehen:


    Die Verbreitung bestimmter architektonischer Moden in ganz Europa ist eben schon eine Tatsache, die besonders ab dem 19. Jahrhundert die Erscheinungsbilder der Städte zumindest in den großflächig neu bebauten Teilen deutlich aneinander angenähert hat - ohne dass dies den Städten erkennbar geschadet hätte.


    Die hier thematisierte Debatte über die (Wieder-)Herstellung historischer Gebäude und Gebäudeensembles gewinnt denke ich vor allem deshalb an Fahrt, weil in der Wiederaufbauzeit viele Pläne mangelhaft umgesetzt wurden oder in Extremfällen städtebauliche Utopien darstellten, die mit vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen nicht vereinbar waren.
    Da wurden dann Strukturen in die Stadt geklotzt, die, durchaus bewusst, nicht im Kontext ihres Umfeldes standen, eben weil sie dieses neu definieren wollten. Auch die Verkehrsschneisen und die Lockerung oder Aufhebung der Blockstruktur waren nur teilweise funktional begründet. Vielmehr waren sie häufig auch Teil eines radikalen Stadtumbaukonzeptes, dass dann in der Verwirklichung an mangelnder baulicher Qualität, konzeptuellen Schwächen oder auch an der Finanzierung scheiterte.
    Die so entstandenen städtebaulichen Ruinen sind m.E. vielmehr das Problem als bestimmte Architekturstile an sich (wenngleich ich persönlich typischen 50er Jahre Reihenhäuschen auch nicht viel Wohlwollen entgegenbringen kann, schon gar nicht in der Innenstadt).
    Versagt hat hier also eher der Städtebau als die Architektur, nur um das Meinungsbild mal etwas zu differenzieren.


    Um die Klammer zum eigentlichen Thema dieses Threads zu schließen, möchte ich in den Raum stellen , dass viele wohl zufriedener mit den großen städtischen Räumen wären, wenn diese nicht aus einer Ansammlung von Relikten einander funktional ausschließender Konzepte bestünden. Mit "modern" oder nicht hat das an dieser Stelle schon weniger zu tun.
    Oder etwas salopper: Fachwerk allein macht auch nicht glücklich (zumindest nicht mich)!


    Im übrigen:
    Die vielbeschworene Verbindung von "Identität" und "Genius Loci" will sich mir nach wie vor nicht so recht erschließen. Ich halte es gemeinhin für etwas übertrieben sein eigenes geistiges Wohlergehen an der Existenz oder Nichtexistenz einiger spezieller Bauwerke zu messen. Ich glaube jedenfalls nicht, dass in mir und meinen Mitbürgern eine genetisch verankerte Vorliebe für Schieferdächer existiert.
    Das ist natürlich überzeichnet und ein wenig scharf formuliert, wenn ich mir verschiedentliche Debatten zum Thema ansehe, habe ich aber schon den Eindruck, dass das ein mancher so ähnlich sehen mag.

  • Schnack:
    Das Rotterdamer Beispiel hab ich glaube ich nicht verstanden. Ich persönlich höre oft vom hässlichen Rotterdam, was vielleicht auch daran liegt, dass mein Vater holländische Wurzeln hat, und ich generell of in den Niederlanden bin. Kannste das nochmal erklären?


    Was die "Dubaier" denken ist mir ohnehin Wurst. Wer sich so eine Stadt wie Dubai baut, der kann einfach keine Ahnung haben. In 20 Jahren schauen die auf ihre Stadt, wie wir heute auf die megalomanischen Planungen der 60er und 70er.


    Das Abgucken oder Kopieren finde ich gar nicht schlimm, meistens hilft es aber kaum dabei ein gewachsenes und ortstypisches Stadtbild zu generieren. Kopieren will einfach gekonnt sein. Der Historismus in Deutschland hat m.M.n. auch das Problem, dass er sich nur selten dem Ort unterwirft, und sich stattdessen das prächtigste beispiel nimmt, das man finden konnte. Neben schlichten Ortstypischen Fassaden entstehen dann extrem geltungshungrige und überladene Gebäude. Viel zu selten - auch heute - macht man sich Gedanken um das Ganze, und betrachtet ein Gebäude als isolierte Einheit anstatt es aufgrund der Wirkung im Stadtraum zu beurteilen. Zur Spitze treiben das dann Stararchitekten wie Foster oder Teherani.


    Ich glaube es ist die TU-berlin, die gerade eine Ausstellung über die "Diffamierung der Moderne in Deutschland und Russland" macht. Es ist einfach schade, dass der einzige Baustil den wir in Deutschland maßgeblich mitentwickelt haben kaum Rückhalt in der Bevölkerung findet und selbst der schlechteste Gründerzeitler und fiesete Retro-Entwurf mehr Zuspruch findet.


    @Erbsenzähler:
    Ich finde es ziemlich respektlos, dass du so etwas öffentlich über meine Person äußerst. Wenn du ein Problem mit meiner Meinung hast, kannst du mir das per PN mitteilen, aber nicht so.

  • Dvorak: Dann müßte man aber auch die Neue Wache und die ganzen Schinkelbauten abreißen, weil sie eine moderne, prachtvollere Version alter griechischer und römischer Bauten sind. Trotzdem gelten sie inzwischen als typisch deutsch. Genauso wie die Großmannssucht der Gründerzeitler. Sie sind ein Relikt des gewonnen Krieges 1871 und strahlen so ein überhebliches Selbstbewußtsein aus. Und kopiert wurde immer. Solang man es gut macht, spricht nichts dagegen...
    Besser gut kopiert als schlecht selbst gemacht.

  • Schinkel hat ja ganz andere Qualitäten, als nur das gute (bessere) Kopieren. Er benutz zwar den antiken Formenkanon, geht damit wie seine Zeitgenossen sehr kreativ und teilweise fortschrittlich um. Die Bauakademie nimmt ja einige Aspekt der Moderne vorweg, wie den Modularismus, das Schauspielhaus hat einen äußerst fortschrittlichen Wandaufbau. Der Historismus hat dagegen den Anspruch möglichst gut zu kopieren, nicht aber etwas Neues zu schaffen, wie der Klassizismus.

  • @ dvorak


    Das Beispiel Rotterdam war eigentlich nur so gemeint, dass ich sehr oft in anderen Foren wie skyscrapercity.com viel Lob über die Stadt und ihre Architektur las und für mich las sich das immer so als wäre der Wiederaufbau dort besser verlaufen als in Deutschland. Aber wenn du da etwas näher an der Quelle sitzt könntest du ja vllt auch mal sagen, warum Rotterdamm in den Niederlanden dann doch oft als hässlich bezeichnet wird. Ich gebe ja zu, dass ich da nur als Betrachter argumentieren kann, weil ich die Stadt nicht kenne.