Historische Stadtentwicklung Frankfurts

  • Historische Stadtentwicklung Frankfurts

    Mod: Erster Beitrag aus Thread "Goetheplatz, Roßmarkt und Rathenauplatz" kopiert, Folgebeiträge verschoben.
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    @RMA2000: Das ist halt das grundsätzliche Problem, dass der Erhalt von Gebäuden neben den tatsächlich dafür aufzuwendenden Mitteln die "Opportunitätskosten" mit sich bringt: Das Geld, das man nicht verdient, wenn man nicht abreißt und neu baut.


    Wenn Du dir das alte Hettlage-Gebäude ansiehst, erkennst Du, dass bereits im Erdgeschoss intensiv die Fassadenstruktur durch den Einbau der Schaufensterfront gestört wurde, im Versuch, eine dem Ort und der Zeit angemessene Nutzung des Gebäudes zu finden.


    Versuche doch einmal zu verstehen, dass Stadtgeschichte nichts statisches ist. Häuser verlieren für den Eigentümer ihren Nutzwert und werden dann durch neue, andere Gebäude ersetzt, die zu ihrem jeweiligen Entstehungszeitpunkt dem Eigentümer das mit seinen Mitteln mögliche Nutzenmaximum bringen.


    Wenn dann noch die Repräsentationsfunktion des Gebäudes minimal ist, weil der Besitzer eben nicht mehr darin wohnt (sondern in der Villa im Taunus, sofern es sich wenigstens noch um einen Menschen und keine Firma handelt), dann kommen eben Quader aus Glas und Beton raus.


    Das ist etwas anderes, wenn der Erbauer hinterher seinen Namen dranschreibt - siehe regelmäßige Anpassungen an den Zeitgeschmack bei Kaufhof.

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    Vor lauter Theorie verlierst du die traurige Realität aus den Augen: von über 2000 Fachwerkhäusern sind nach dem Krieg auf der altstädtischen Seite nicht einmal fünf übrig geblieben. Vor diesem Hintergrund ist es schlicht und ergreifend Kulturbarbarei, die in etwa mit der Sprengung der Paulinerkirche in Leipzig auf eine Stufe zu stellen ist, diesen letzten Rest des Bauerbes fast zwanzig Jahre nach der Zäsur des Feuersturms dann auch noch zu opfern.


    Der Typus des großstädtischen barocken Bürgerhauses, an denen Frankfurt einen unglaublich reichen Fundus besaß, ist somit an keinem einzigen Beispiel mehr überliefert - sieht man mal vom Goethe-Haus ab.


    Wenn es nach deiner Logik ginge, dürfte es überhaupt keine profanen Baudenkmäler mehr geben, die einzig dazu da sind, Stadtgeschichte zu dokumentieren, weil sie natürlich nicht - wen wundert's - zeitgemäß (was auch immer das sein soll) zu nutzen sind.


    Was du lieferst, ist wahrscheinlich die Begründung, mit der man anno 1965 das "alte Gelärsch" beseitigt hat. Findest du das nicht etwas fragwürdig? Wenn ja: bravo.

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    Vielleicht bin ich auch nur zu realistisch.
    Ich habe mal den Mietwert des alten Gebäudes mit dem des neuen verglichen unter der Annahme, dass das alte Gebäude seit 1965 erhalten geblieben wäre und dass die Mehreinnahmen wieder angelegt wurden.
    Dabei komme ich auf eine Differenz von ca. 60 Millionen Euro, die der Eigentümer durch den Neubau hinzugewonnen hat.


    Ich denke, auch heute wäre es schwierig, den Eigentümer dazu zu bewegen, das alte Gebäude stehen zu lassen.


    Stadtgeschichte ist durchaus nicht uninteressant, aber vielleicht ist eine weniger emotionale Sicht der Dinge erforderlich um zu verstehen, warum sich trotz guter Argumente deinerseits die Dinge einfach anders entwickeln.

  • Xalinai: Vordergründig hast Du mit Deiner kühlen Analyse sicherlich Recht. Trotzdem gibt es noch andere Faktoren, die erklärbar machen, warum viele der letzten historischen Gebäude in Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg verschwunden sind. Außerdem will ich die Frage aufstellen ob diese Abrisse wirklich einen kulturellen Verlust darstellen.


    Zur Einleitung ist es hilfreich, die Frage aufzuwerfen, warum Städte heute so aussehen wie sie aussehen. Dabei wird schnell erkennbar, dass historisch gewachsene Städte wie Frankfurt/M. einen „ortstypischen Charakter“ besitzen, der für eine gewisse Einzigartigkeit steht. D.h. vor 100 und mehr Jahren hat man i. d. Regel, um den Transport zu bewältigen, die Bau-Materialien verwendet die in der Nähe verfügbar waren. Deswegen hat Frankfurt seine ortstypischen roten Sandstein und Hamburg seinen Backstein. Je nach dem welche Materialien verwendet wurden, haben sich natürlich auch die Handwerker und Architekten darauf spezialisiert und konnten somit unverwechselbare Stadtensembles schaffen. Eine kulturhistorische Leistung, die gerade die historischen Stadtzentren schützenswert machen. Was wir heute als Gestaltungssatzung kennen, gab es auch schon früher, wobei natürlich bei Stadterweiterungen der jeweilige Zeitgeschmack mitentscheidend war. Die Zentren der meisten europäischen Metropolen waren spätestens in den Anfangsjahren des zwanzigsten Jahrhunderts fertig gestellt.


    Die Ideen einer aufgelockerten Stadt der zwanziger Jahre konnten Stadtplaner deshalb in der Regel nur noch in neuen Vorort-Siedlungen verwirklichen. Doch der Zweite Weltkrieg sah für Deutschland etwas anderes vor. Plötzlich gab es in vorher dicht bebauten Zentren eingeebnete Freiflächen und die Pläne einer aufgelockerten Stadt, die ansonsten größtenteils in der Schublade verschwunden wären, wurden umgesetzt. Später, bis rein in die siebziger Jahre kam dann zur gegliederten und aufgelockerten Stadt auch noch die autogerechte Stadt mit weiteren Zerstörungen hinzu.


    Entscheidend für die Umsetzung aller Stadtumbaupläne in Deutschland nach dem Weltkrieg war aber nicht nur der plötzliche „Reichtum“ an Freiflächen, sondern, und das ist entscheidend, die „Entkoppelung“ der Besitzverhältnisse. Alteingesessene Hauseigentümer und Mieter fielen im Krieg, waren entwurzelt und verarmt, oder waren in Kriegsgefangenschaft. Die Verantwortlichkeit über viele Häuser, Grundstücke lag demnach nicht mehr bei den ursprünglichen Eigentümern und Mietern, sondern vielfach bei städtischen Aufbaugesellschaften oder anderen Nachkriegsinstitutionen. Häuser die über Generationen von alteingesessenen Familien bewohnt wurden wechselten den Besitzer. Diese Entfremdung vom Besitz machte in der Folge auch erst die Stadtzerstörung im Frankfurter Westend Anfang der siebziger Jahre möglich. Hier wurden sogar noch Spekulanten als Aufkäufer der Immobilien zwischengeschaltet, so dass es quasi keine Verbindung mehr von Altbesitzern zur Abrissimmobilie gab.


    Die Anonymität der Besitzverhältnisse im Nachkriegsdeutschland machte also, bis in die heutige Zeit, erst die Abrisspolitik in unseren Großstädten erst möglich. Ich möchte behaupten dass die Tilgung vieler Nachkriegsbauten nicht der kühlen Kalkulation von Alteigentümern geschuldet ist, sondern hauptsächlich der Entfremdung von Eigentümern zur Immobilie entstammt. Besitz stiftet Identifikation und Heimatbewusstsein. Wer mit seiner Immobilie über Jahrzehnte als Besitzer oder Mieter verwurzelt ist der macht diese auch nicht einfach Platt. Dieses hohe Verantwortungsbewusstsein ist in den meisten europäischen Städten größtenteils noch vorhanden – in Deutschland aufgrund der beschriebenen Nachkriegsproblematik der Eigentumsverhältnisse nicht mehr. Dass wir durch die Aufgabe eines ortstypischen Charakters kulturelle Werte verlieren versteht sich von selbst. Deshalb muss in Deutschland Denkmalschutz eine Aufgabe übernehmen, die von Eigentümern nicht mehr geleistet wird.

  • Wikos: Danke, Du bestärktst meine Einschätzung - siehe weiter oben: So lange es eine Bindung zwischen den Gebäuden und dem Eigentümer gibt, und sei es nur ein Firmenschild, wird auch die Wirkung des Gebäudes (bei Neubauten) und ggf. sogar dessen historischer, emotionaler Wert beachtet.
    In dem Moment, wenn der Eigentümer in erster Linie als Verwalter handelt (eigentlich jeder angestellte Manager einer Kapitalgesellschaft) entfallen diese Aspekte weitgehend.

  • ^^ Das muss nicht die Regel sein. Gestern habe ich eine neue Wohnanlage mit 130 Wohnungen besichtigt, die von einer Kapitalgesellschaft vermietet werden (DAF-Bericht). Der Manager des Investors betonte mehrmals, wie wichtig es war, ähnliche kleinteilig wirkende Struktur zu schaffen wie bei den zum Teil vor dem WKII errichteten Nachbarn. Auf individuelle Gestaltung - sogar der Lampen der Eingangsbereiche - und emotionale Bindung wurde großer Wert gelegt. Dahinter steckt nichts als betriebswirtschaftliche Logik - in der ganzen Anlage sind nur eine Loftwohnung und ein kleiner Laden unbelegt. Wenn jemand anders es anders macht, dann wird einfach nur schlechter Job gemacht.