Eschersheimer Landstraße

  • Eschersheimer Landstraße

    Auch öffentliche Bauvorhaben, vor allem Verkehrsvorhaben, kommen immer wieder vor Gericht. Einen solchen Fall, der die Frankfurter Öffentlichkeit stark bewegt hat und noch bewegt, hat das Bundesverwaltungsgericht vor 40 Jahren juristisch entschieden, ohne allerdings die Angelegenheit in der Sache wirklich befriedet zu haben.



    Prolog


    1888 hatte die Frankfurter Lokalbahn den Verkehr zwischen Eschenheimer Tor und Eschersheim* aufgenommen, 1906 wurde sie elektrifiziert, 1909 nach Heddernheim verlängert und schließlich 1910 an die Taunusstrecken nach Oberursel und Bad Homburg angeschlossen. Bis zum Beginn der U-Bahnbauarbeiten verkehrten dort vier Straßenbahnlinien (8, 23, 24, 25, 26) und man konnte an beliebiger Stelle die Gass überqueren.
    Mit dem ersten Rammschlag am 28. Juni 1963 begannen die Bauarbeiten an der ersten U-Bahn-Strecke, die zunächst vom Nordwestzentrum zur Großen Gallusstraße führte. Mit den beiden ersten Planfeststellungsbeschlüssen des U-Bahn-Projekts wurde Baurecht für den rd. 3 km langen Tunnel von der Rampe in der Eschersheimer Landstraße (Am Grünhof ) bis zur provisorischen Rampe in der Großen Gallusstraße geschaffen; provisorisch deshalb, weil die Rampe in der Gr. Gallusstraße nur knapp zehn Jahre in Betrieb war und Mitte der 80er Jahre wieder verfüllt wurde. Durch den Bau der Tiefgarage unter dem Goetheplatz wurde der verbliebene Tunnelstutzen unter dem Roßmarkt verkürzt und an Stelle der Rampe wurde in der Großen Gallusstraße die Tiefgaragenausfahrt angelegt. Bei Inbetriebnahme des Tunnels am 4.10.1968 war der Tunnel Richtung Kaiserstraße und Theaterplatz schon im Bau.


    Am 25.11.1965 beschloss die StVV, die sog. Anschlußstrecke A III von der Rampe „Am Grünhof“ bis zur Maybachbrücke oberirdisch zu verlegen. Aus einer ehemals baumbestandenen Chaussee sollte eine überwiegend 4-spurige Schnellstraße mit einem besonderen 2-gleisigen Bahnkörper in Mittellage werden. Auf der knapp 3 km langen Strecke mit fünf oberirdischen Haltestellen waren fünf Fußgängerunterführungen und an vier Stellen ebenerdige Überwege vorgesehen, u.a. je einer an der Friedleben- und an der Fritz-Reuter-Straße; die Überwege über die Richtungsfahrbahnen waren ampelgesichert, die Überwege über den Gleiskörper ohne Signalisierung in Z-Form vorgesehen (wie z.B. in der Wittelsbacher Allee an der Scheidswaldstraße).


    Im September 1966 legte die Stadt Frankfurt dem RP in Wiesbaden die Ausbaupläne für den oberirdischen Teil mit der Bitte um Zustimmung vor. Das Regierungspräsidium teilte unter dem 1.12.1966 mit, es könne auf eine förmliche Planfeststellung verzichtet werden, nur die Fußgängerüberwege müssten auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Der Verzicht auf die förmliche Planfeststellung war insofern bemerkenswert, als seit Beginn des Straßenbahnzeitalters die Anlage von Pferde-Eisenbahnen und elektrischen Straßenbahnen, ihr 2-gleisiger Ausbau, die Einrichtung, Aufgabe und Verlegung von Haltestellen wie auch die Elektrifizierung der Strecke genehmigungspflichtige Vorgänge waren. Nach Preußischem Recht erteilte der Königlich-Preußische Regierungspräsident in Wiesbaden die jeweiligen Genehmigungen, nach Offenlage der Pläne, Einholung der Zustimmung des Polizeipräsidenten sowie Abarbeitung ggf. erhobener Einwendungen. Angesichts der althergebrachten dichten Regulierung des Straßenbahnbaus ist es kaum nachzuvollziehen, dass die Anlegung eines 3 km langen besonderen, eingezäunten Bahnkörpers als bauliche Maßnahme und Änderung von unwesentlicher Bedeutung angesehen wurde und die Umbaupläne ohne Anhörung und Beteiligung der Öffentlichkeit genehmigt wurden. Aufgrund des Zustimmungsschreibens begannen die Stadtwerke im Herbst 1966 mit der Bauausführung und legten die Überwege wie geplant an.


    Mit Wirkung vom 6.5.1968 war das RP Wiesbaden aufgelöst worden, das RP Darmstadt wurde zuständig und damit einher ging ein personeller Wechsel. Zwar bestätigte auch das RP Darmstadt den Verzicht auf das Planfeststellungsverfahren, aber entgegen der bereits genehmigten Pläne erhob die nunmehr zuständige Technische Aufsichtsbehörde (TAB) in Darmstadt unter dem 12.6.1968 – die Strecke war praktisch schon fertig gestellt – Bedenken gegen die vorgesehenen Überwege. Es wurde befürchtet, dass sich am Ende der Bahnsteige in den Spitzenzeiten zu viele Fußgänger ansammeln und dann die Entstehung unfallträchtiger Situationen nicht zu vermeiden seien. Weder Gespräch am 20.6.1968 brachte eine Einigung noch die Intervention des Spitzenpersonals von Stadt und Land (Verkehrsdezernent Möller und Verkehrsminister Arndt) konnte oder wollte sich gegen die TAB durchsetzen und so erklärten die Stadtwerke schließlich am 26.9.1968 den Verzicht auf vier Fußgängerüberwege, nämlich
    – südlich der Station Lindenbaum,
    – südlich des stadtauswärts führenden Bahnsteigs der Station Hügelstraße
    – nördlich der Station Fritz-Tarnow-Straße und
    – südlich der Station Dornbusch
    Mit dieser Änderung wurde die Betriebsaufnahme genehmigt.


    Nachdem die Strecke am 4.10.1968 als U-Bahn-Strecke neu eröffnet wurde, regte sich alsbald großer Ärger in der Bewohnerschaft im Dornbusch und in Eschersheim über die Tatsache, dass die beliebige Überquerung der Eschersheimer Landstraße nicht mehr möglich war, sondern nur noch unter Inkaufnahme langer Umwege und der Mühsal des Treppensteigens. Vor allem die Gewerbetreibenden entlang der Eschersheimer beklagten, die Stadtbahnstrecke schneide sie von Teilen ihrer Kundschaft ab, weil der rd. 3 km lange eingezäunte Streckenabschnitt praktisch nur noch an den Station unterquert werden könne. Forderungen aus der Öffentlichkeit und Anträge aus den kommunalen Gremien zur Einrichtung zusätzlicher Überwege lehnte der Magistrat mit der Begründung ab, zusätzliche Überwege führten zu einer Rückkehr der Stadtbahn zu straßenbahnähnlichem Betrieb, was nicht zu vertreten sei.



    Aber die lokale Öffentlichkeit ließ nicht locker. Insbesondere die Eheleute Dr. Elfriede und Dr. Kurt Becker, die westlich der Eschersheimer Landstraße wohnten, aber östlich in der Eschersheimer 358 und 360 zwei Arztpraxen hatten, gaben nicht auf und forderten, dass zumindest zwei der vorgenannten Überwege an der Friedlebenstraße und an der Fritz-Reuter-Straße eingerichtet würden; sie selbst und ein Teil ihrer Patienten könnten die Praxisräume nur noch über lange Umwege erreichen, zur Überquerung der Straße müssten sie jetzt Umwege von 700 m zurücklegen, statt bisher 20 m. Die Beckers versuchten ihr Ziel – um im Bild zu bleiben – zweigleisig zu erreichen. Zum einen verklagten sie Stadt Frankfurt direkt auf Herstellung eines zusätzlichen Überwegs zwischen den Stationen Hügel- und Fritz-Tarnow-Straße, zum anderen verklagten die das Land Hessen auf nachträgliche Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens.



    I. Instanz


    Mit der Klage gegen die Stadt Frankfurt wollten sie die Stadt zu verpflichten, nach Wahl der Stadt Frankfurt entweder eine ebenerdige oder eine unterirdische oder eine Brückenanlage zu errichten, die es den Klägern ermögliche, als Fußgänger die obere Eschersheimer Landstraße im Bereich zwischen Fritz-Tarnow-, Rosegger- und Hügelstraße zu überqueren. In diesem Rechtsstreit gelangten den Klägern die vorgenannten Freistellungsbescheide der Regierungspräsidenten in Wiesbaden und in Darmstadt von 1966 und 1968 über den Wegfall eines Planfeststellungsverfahrens erstmals zur Kenntnis; unverzüglich erhoben sie Widerspruch, nach dessen prompter Zurückweisung sie eine zweite Klage erhoben.


    Mit dem zweiten Verfahren wollten sie das Land Hessen zur nachträglichen Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens verpflichten; sie wollten ferner erzwingen, dass der Stadt Frankfurt in ihrer Eigenschaft als Trägerin des Eigenbetriebes der Stadtwerke Frankfurt und damit als Unternehmerin der Frankfurter Stadtbahn in dem zu erlassenden Planfeststellungsbeschluss auferlegt würde, „eine Anlage zu errichten, die es Fußgängern ermögliche, die Eschersheimer Landstraße und die Stadtbahn in dem Bereich zwischen Rosegger- und Hügelstraße zu über- oder unterqueren.“


    Streitgegenstand war zwar aus prozessualen Gründen nur dieser eine Übergang, aber im Kern wollten sie die Stadt Frankfurt zwingen, die vier zunächst vorgesehenen, fertig gebauten und dann doch wieder beseitigten Übergänge zwischen den Haltestellen Dornbusch und Weißer Stein erneut zu öffnen. Die Stadt hatte in beiden Prozessen vorgetragen, die Technische Aufsichtsbehörde hätte deren Beseitigung gefordert - eine Fehlinformation, wie sich später herausstellte.


    Rechtlich ging es also darum, ob
    – die Stadt Umbauten des Gleiskörpers wie in der Eschersheimer ohne förmliches Verfahren durchführen darf,
    – umgekehrt Anwohner einen subjektiven Anspruch auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens haben und - falls nicht -
    – Anwohner einen unmittelbaren Anspruch gegen den Vorhabenträger auf Einrichtung von Überwegen an bestimmten Stellen haben.


    Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt hat mit Urteil vom 7.7.1970 -VI/V E 54/70- zunächst die zweite Klage abgewiesen und ausgeführt, das Land Hessen sei für das angestrebte Ziel, Fußgängerüberwege anzulegen, der falsche Beklagte. Da sie mit genau diesem Begehren schon bei der 3. Kammer eine Klage gegen die Stadt Frankfurt anhängig gemacht hätten, fehle ihnen für den zweiten Prozess gegen das Land das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis; auf die Frage, ob ein Planfeststellungsverfahren hätte durchgeführt werden müssen, ging das Verwaltungsgericht gar nicht mehr ein. Das Verfahren ist also mit einem prozessrechtlichen Argument beendet worden, ohne irgendwelche materiell-rechtlichen Erwägungen in der Sache.


    Vier Monate später hat dann die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts auch die erste Klage gegen die Stadt Frankfurt abgewiesen. Zur Begründung argumentierte die 3. Kammer straßenrechtlich, weder der allgemeine Verkehr noch der Zugang oder die Zufahrt zu den Häusern mit den Praxisräumen würden durch das Fehlen eines Überwegs beeinträchtigt. Einen Rechtsanspruch der Kläger auf einen Überweg an einer bestimmten Stelle hat das Gericht verneint. Auch dagegen haben die Kläger natürlich Berufung eingelegt; denn weder die Frage des ausgefallenen Planfeststellungsverfahrens noch die angebliche Anweisung der Technischen Aufsichtsbehörde zur Beseitigung schon gebauter Überwege wurde vom Gericht berücksichtigt.



    II. Instanz


    Ganz anders sah der HessVGH die Dinge. In dem Berufungsverfahren gegen das erste Urteil vom 7.7.1970 folgte der 2. Senat der Ansicht der Kläger, dass beide Verfahren zwar dasselbe Ziel verfolgten, sich aber gegen unterschiedliche Beklagte richteten, Land Hessen hier, Stadt Frankfurt dort. Auf den Antrag der Kläger hat der Senat mit Urteil vom 27.6.1972 (Az. II OE 79/70) das erste Frankfurter Urteil vom 7.7.1970 abgeändert und das Land Hessen verpflichtet, für den Ausbau der Frankfurter Straßenbahn zur Stadtbahn im Bereich der oberen Eschersheimer Landstraße in Planfeststellungsverfahren nachträglich durchführen zu lassen.


    Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Kläger hätten einen Rechtsanspruch auf die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens, das zu Unrecht unterblieben sei, weil sie möglicherweise in ihrem Anliegerrecht beeinträchtigt seien. Der bereits ausgeführte Bau der Stadtbahn stehe der Nachholung des Verfahrens nicht entgegen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die beiden Ausnahmen, die einen Verzicht auf das Planfeststellungsverfahren zulassen, hätten nicht vorgelegen.



    a. keine Maßnahme von unwesentlicher Bedeutung


    Ein Fall von unwesentlicher Bedeutung läge nur vor, wenn Rechte anderer nicht beeinflusst würden. Das setze voraus, das der Kreis der Betroffenen bekannt sei, was hier nicht gegeben sei. Im Übrigen sei es „nicht von unwesentlicher Bedeutung, wenn die seither in den Straßenkörper eingelassenen Schienen, die von Fußgängern an beinahe jeder beliebigen Stelle überquert und von Fahrzeugen befahren werden durften, herausgerissen und stattdessen in einem dicht besiedelten Gebiet auf mehrere Kilometer Länge ein gegenüber der übrigen Verkehrsfläche herausragender, besonderer Gleiskörper hergestellt wird, der die Eschersheimer Landstraße in zwei Hälften zerteilt, zudem auf beiden Seiten mit Absperrgittern versehen ist und nur noch an wenigen Stellen ein Über- oder Unterqueren zuläßt.“


    b. keine Festsetzung durch Bebauungsplan


    Nur wenn Straßenbahnanlagen in förmlich festgestellten städtebaulichen Plänen unter Mitwirkung der Genehmigungsbehörden (damals bedurften B-Pläne noch der Genehmigung) ausgewiesen werden, ersetzten die städtebaulichen Pläne die Planfeststellung nach PBefG. Die von der Stadt vorgelegten Bebauungspläne „Hügelstraße“ (NW 61a Nr. 1) und „Roseggerstraße“ (NW 61c Nr. 1) enthielten keine konkrete Feststellung über die Stadtbahnanlage. Beide B-Pläne enthalten bei dem in Betracht stehenden Straßenstück die Bezeichnung „Eschersheimer Landstraße“ in Sperrschrift. Nur sowie vor und hinter dieser Schrift noch geringfügig Platz verblieben sei, seien etwa in der Mitte der Straßenmarkierung zwei parallel nebeneinander verlaufende dunkle Striche gezogen worden.



    Auszug aus dem B-Plan NW 61a nr. 1 "Hügelstraße", C: Stadtplanungsamt Frankfurt a.M.



    Auszug aus der Legende zum B-Plan NW 61a Nr. 1



    Die Striche sollten möglicherweise die Stadtbahn darstellen; möglicherweise, weil in der Zeichenerklärung der B-Pläne angegeben sei, die Stadtbahn werde durch die Buchstaben „STB“ und eine zwischen Punkten und kurzen Strichen abwechselnde Markierung kenntlich gemacht. Außerdem sei angegeben: “Nachrichtlich übernommene Festsetzungen aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften.“ das sei zwar grundsätzlich möglich, setze aber doch voraus, dass solche Festsetzungen an derer Stelle auch tatsächlich getroffen worden sind. Aber darauf sei hier ja gerade verzichtet worden. „Eine Festsetzung hat nicht stattgefunden, wenn auch in den B-Plänen das Gegenteil behauptet wird.


    Eher nebenbei ging der Senat noch auf ein wenig beachtetes Detail ein. Entgegen der Auffassung der Stadt Frankfurt hatte die TAB nicht grundsätzlich gegen besagte Übergänge votiert, sondern nur gegen die Art, wie sie von der Stadt hergestellt worden sind. Da das Gleisbett gegenüber der Straße etwas niedriger angelegt war, musste dieser Niveauunterschied mit Stufen ausgeglichen werden. Die TAB hatte sich anscheinend nur gegen die diese Stufen ausgesprochen, weil es dadurch möglich sei, dass Fußgänger beim Stolpern über eine der Stufen ins Gleisbett zu stürzen. Gegen stufenlose Übergänge habe sich die TAB hingegen nicht ausgesprochen. Die Stadt Frankfurt habe sich jedoch nicht etwa entschlossen, die Stufen entfallen zu lassen, sondern von der Einrichtung mehrerer Überwege völlig Abstand genommen, obwohl nach dem Schreiben des RP Darmstadt vom 12.6.1968 so nicht hätte verfahren werden müssen.



    Hier erkennt man, wie hoch die Stufe mal gewesen sei mag...


    Dieser kleine, aber feine Unterschied hat in der verwaltungsinternen wie in der öffentlichen Diskussion ersichtlich keine Rolle mehr gespielt, was daran gelegen haben wird, dass das Kasseler Urteil nicht rechtskräftig wurde.



    III. Instanz


    Stadt und Land riefen unverzüglich das BVerwG an, vor allem die Stadt Frankfurt befürchtete, nach einem Planfeststellungsverfahren mit einer Fülle von Klagen konfrontiert zu werden. Ein klagbarer Anspruch auf Einrichtung von Bahnübergängen würde durch reduzierte Geschwindigkeit die Kapazität der Stadtbahn mindern, die Betriebssicherheit und Fahrplanstabilität der Stadtbahnstrecken beeinträchtigen.


    Mit Urteil vom 8.10.1976 – VII C 24.73- hob das BVerwG die Kasseler Entscheidung auf und stellte das Frankfurter Urteil der 6. Kammer vom 7.7.1970 wieder her:


    1.) Planfeststellung nicht erforderlich


    Die Kläger seien zwar zur Anfechtung der Verfügungen des Regierungspräsidenten, wonach das Planfeststellungsverfahren unterbleiben könne, nicht befugt, aber anders als die Vorinstanz sah das BVerwG darin keinen Rechtsverlust für die Kläger. Wird nämlich kein Planfeststellungsverfahren durchgeführt, gibt es auch keinen Planfeststellungsbeschluss und etwaige Ansprüche der Kläger, gleichgültig, ob sie sich aus dem öffentlichen oder privaten Recht ableiten lassen, bleiben ungeschmälert erhalten. Die Kläger können sie unbeschadet der tatsächlichen Ausführung der baulichen Anlage gegenüber dem Unternehmer und möglicherweise auch gegenüber der Planfeststellungsbehörde oder ihrem Rechtsträger jederzeit geltend machen. Das bedeutet, will die Aufsichtsbehörde die privaten und öffentlichen Rechte Dritter mit Wirkung für die Zukunft rechtssicher gestalten, d.h. ggf. auch einschränken, muss sie das förmliche Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchführen; unterbleibt das Verfahren, kann die rechtsgestaltende Wirkung des Planfeststellungsbeschlusses nicht eintreten. Ein rechtlich anerkennenswertes Interesse der Betroffenen diese - ihnen meist nachteilige - Entscheidung herbeizuführen, bestünde in aller Regel nicht.


    Dieser Teil der Urteilsgründe wird der Stadt nicht gefallen haben, weil sie demnach auch ohne förmliche Feststellung der Pläne jederzeit mit Klage rechnen muss.


    2.) keine Einschränkung des Anliegergebrauchs der Straße


    In der Sache selbst kamen die Kläger trotzdem nicht zum Ziel, weil das BVerwG die materiellen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Anordnung von Schutzanlagen (hier: Fußgängerüberwegen, -unterführungen oder -brücken) als nicht gegeben ansah und insoweit, wie schon die Frankfurter Entscheidung, straßenrechtlich argumentierte. Die Errichtung der von den Klägern begehrten Anlage käme nur dann in Betracht, wenn sie zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile erforderlich wären, was nicht der Fall sei.


    Die Grundstücke, auf denen die Kläger ihre Arztpraxen haben, seien zu ihrem bestimmungsgemäßen Zweck der Berufsausübung nach wie vor benutzbar. Eine unmittelbare Verbindung mit dem vor den Grundstücken gelegenen Straßenteil sei erhalten geblieben, so dass der Anschluss an das öffentliche Straßennetz gewährleistet bleibe. Auch sei die Nutzung des Gebäudes zu Wohn- und sonstigen Zwecken erhalten geblieben und nicht durch erhöhten Lärm oder durch Lichteinbuße und ähnliche Nachteile eingeschränkt worden.


    Was die Kläger als Nachteile betrachteten, sei der durch den Stadtbahnbau eingetretene Wegfall der bisherigen Überquerungsmöglichkeit der Straße an jeder beliebigen Stelle und die damit verbundenen mehr oder weniger großen Umwege. Diese Erschwernisse hätten jedoch keinen konkreten Bezug auf die von den Klägern teilweise genutzten Grundstücke und auf die von ihnen betriebenen Arztpraxen, sondern beträfen in gleicher Weise alle Anlieger im Bereich der nördlichen Eschersheimer Landstraße. Belange der Fußgänger könnten die Kläger jedoch nicht aus ihrer Position als Grundstückseigentümer wahrnehmen, insoweit stünden ihnen besondere subjektive Rechte nicht zu.


    3.) keine unzumutbaren Beeinträchtigungen - Veränderung ist hinzunehmen


    Soweit die Kläger einen besonderen Nachteil in dem Abwandern älterer Patienten, die den Umweg scheuen, und in dem Anwachsen der Hausbesuche erblickten, was beides zu erheblichen Umsatzrückgängen geführt habe, sah das BVerwG darin keine rechtswidrige Benachteiligung, sondern eine Folge von Veränderungen, die grundsätzlich hinzunehmen seien.


    Zwar könnten auch dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, worunter hier auch Arztpraxen gerechnet werden könnten, Nachteile durch den Straßenumbau erwachsen, die eine Anordnung von Schutzauflagen nach § 29 Abs. 2 PBefG rechtfertigten, wenn solche Nachteile die Substanz dieses Gewerbes unmittelbar beeinträchtigten und geeignete Schutzanlagen möglich seien, um diese Nachteile auszuschließen oder zu mindern. Allerdings habe der für einen Gewerbebetrieb notwendige "Kontakt nach außen" für eine Arztpraxis nicht die gleiche Bedeutung wie für ein Ladengeschäft, weil hier das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient im Vordergrund stehe, doch könnten Lagevorteile, zu denen die gute und leichte Erreichbarkeit gehört, auch bei einer Arztpraxis einen nicht zu vernachlässigenden Vorteil bilden.


    Dieser Vorteil ergebe sich aus dem Gemeingebrauch an der Straße. Der Anlieger ist auf ihn besonders angewiesen und übt einen "gesteigerten" Gemeingebrauch aus, der sich vom schlichten Gemeingebrauch des normalen Passanten darin unterscheidet, dass er dem Schutz der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG untersteht. Nur um diesen Kern des Gemeingebrauchs ging im Falle der Eheleute Becker; denn nur seine Beeinträchtigung kann als Nachteil im Sinne des § 29 Abs. 2 PBefG angesehen werden. Zum Kern des gesteigerten Anlieger-Gemeingebrauchs gehört, dass die Verbindung des Anliegergrundstücks und damit die Verbindung der Arztpraxen zu dem davor liegenden Straßenteil und die Anbindung dieses Straßenteils an das allgemeine Verkehrsnetz in ausreichender Weise erhalten bleiben. Das sei bei dem Grundstück, auf dem die Kläger ihre Praxen haben, der Fall. Nur der Fortbestand dieser Verbindung mit Anschluss an das allgemeine Straßennetz sei geschützt und müsse im Fall einer Beeinträchtigung durch Anordnung von Schutzauflagen sichergestellt werden.


    Hingegen sei die Ausgestaltung dieses Anschlusses und seiner konkreten Form Änderungen oder Wandlungen nicht entzogen. Der Straßenanlieger teile in gewisser Hinsicht das Schicksal der Straße, das von dem Verkehr auf dieser Straße abhängt, der wiederum einem ständigen Wandel unterworfen sei. Daraus folge, dass der Anlieger Veränderungen der Straße, die den bisherigen Gemeingebrauch hinsichtlich seines Umfanges einschränken, hinnehmen muss, wenn die Straße den weitergehenden Bedürfnissen des Verkehrs angepasst wird. Ein solches Anpassen der Straße an die wachsenden oder sich wandelnden Verkehrsbedürfnisse sei auch gegeben, wenn eine seit langem auf ihr betriebene Straßenbahn den Erfordernissen eines modernen leistungsfähigeren Nahverkehrs entsprechend umgestaltet wird.


    Dass die Anlage eines besonderen Bahnkörpers kein außergewöhnlicher Eingriff in den Straßenraum ist, ergebe sich aus § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung - BOStrab -), der die Trennung des in der Mitte liegenden Bahnkörpers vom übrigen Verkehr vorsehe. Die sich daraus ergebenden Folgen seien nicht anders als diejenigen, die Anlieger im Interesse des Verkehrs auch sonst hinnehmen müssten. Der Umstand, dass das Grundstück mit dem Kraftfahrzeug nur noch in einer Richtung verlassen und nur noch aus einer Richtung angefahren werden kann, sei eine von den Anliegern hinzunehmende Verkehrsbeschränkung, die sich aus der Einführung des Einbahnverkehrs ergibt.



    An der Hügelstraße gehts nur untenrum...


    Die für die Fußgänger entstandene Erschwerung in der Überschreitung der Straße wäre auch ohne den Gleiskörper eine im Interesse der Verkehrssicherheit liegende Beschränkung, die in § 25 Abs. 3-5 StVO ihren Ausdruck findet. Derartige Beschränkungen müssten hingenommen werden, sofern die Straße als Kommunikationsmittel erhalten bleibe. Die Vorteile, die vor dem Stadtbahnbau bestanden, hätten keinen konkreten Bezug zu den Arztpraxen der Kläger gehabt und könnten dementsprechend auch nicht zur Substanz ihrer Berufsausübung gerechnet werden. Sie beruhten allein auf dem Gemeingebrauch an der Straße.
    Mit dieser Begründung hat das BVerwG zugleich das zweite Frankfurter Urteil der 3. Kammer in der Sache indirekt bestätigt und der dagegen geführten Berufung die Grundlage entzogen, weshalb sie von den Klägern anscheinend zurückgenommen wurde.



    Was geblieben ist...


    Die oben genannten Rechtsfragen wurden beantwortet: ja, die Stadt darf solche Umbauten der Gleisanlagen wie in der Eschersheimer ohne förmliches Verfahren durchführen und – nein - die Anwohner haben keinen subjektiven Anspruch auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens; aber ohne ein solches Verfahren haben Anwohner unter Umständen auch später noch unmittelbare Ansprüche gegen den Vorhabenträger, d.h. die Stadt muss Klagen immer fürchten, ob mit oder ohne förmliches Verfahren.


    Das hatte Folgen. Im weiteren Verlauf des Stadtbahnbaus ist - soweit ersichtlich - nicht mehr ohne förmliche Planfeststellung gebaut worden; selbst kleinste Maßnahmen wie der barrierefreie Ausbau von Haltestellen oder die Neuordnung von Fahrleitungsmasten werden heute planfestgestellt (ein Beispiel dafür ist die Versetzung von ein paar Masten vom Gehweg auf ein benachbartes städtisches Grundstück und der Einbau eines Gleichwechsels an der Balduinstraße in Oberrad oder der barrierefreie Umbau der Straßenbahnhaltestelle Rohrbachstraße im „Wiener Modell“, was eigentlich nur ein Umbau der Fahrbahn war). Der Grund liegt auf der Hand: will der Vorhabenträger Rechtssicherheit, muss er - um künftige Klage gegen das Vorhaben auszuschließen - die Mühsal eines förmlichen Verfahrens auf sich nehmen, mit allem, was dazu gehört: Offenlage der Pläne, öffentliche Kritik, Erörterungstermin und Abarbeitung aller Einwendungen, zuletzt in zwei Fällen praktiziert beim Umbau der Haltestellen Musterschule und Glauburgstraße in der unteren Eckenheimer Landstraße.


    Auch wenn die Entbindung des Landes von einem nachträglichen Planfeststellungsverfahren damals vielleicht Investitionen in zusätzliche Überwege vermieden hat, langfristig dürfte dieser Fall das Image der Stadtbahn nachhaltig negativ beeinflusst haben, bis heute: der Fall Eschersheimer Landstraße hat sich ins kollektive Bewusstsein förmlich eingebrannt, wo immer ein oberirdischer Schienenweg oder sein Umbau auch nur angedacht wird, reflexartig wird das Schreckgespenst Eschersheimer beschworen, auf den „Eisernen Vorhang“, die Trennwirkung und die Gefahren selbst dort verwiesen, wo diese Effekte gar nicht auftreten, wie z.B. in der unteren Eckenheimer Landstraße.




    Überweg Malßstraße (Haus Dornbusch)


    Spätestens die Pflicht, den ÖPNV barrierefrei zu gestalten, hat bei Stadt und VGF ein Umdenken erzwungen und ebenerdige Haltestellenzugänge und damit Straßenübergänge ermöglicht, die damals kategorisch abgelehnt wurden; heute kann man im fraglichen Streckenabschnitt an zwölf ebenerdigen, stufenlosen signalisierten Übergängen Gleise und Straße überqueren. Was heute möglich ist, wäre vermutlich auch schon damals möglich gewesen, allein der Wille hat gefehlt. Auf anderen Strecken, etwa in der Europaallee, wird für den Verzicht auf Zäune entlang der Stadtbahnstrecke eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Kauf genommen, die man auf der Eschersheimer keinesfalls wollte.


    (Alle Bilder von mir)
    * Quelle: ISG, Magistratsakte R1822, Blatt 235, zu finden hier