Die Dresdner Weichbildgrenze

  • Die Dresdner Weichbildgrenze

    Jahrhundertelang lagen die Flurgrenzen der Stadt Dresden weit vor den eigentlichen Befestigungswerken. Die zwischen den Mauern der Stadt und der äußeren Grenze des sogenannten städtischen Weichbildes gelegenen Fluren unterstanden dabei der städtischen Gerichtsbarkeit, waren aber in der Regel unbebaut und wurden landwirtschaftlich genutzt.



    Gesüdeter Plan des Dresdner Weichbildes, Samuel Nienborg 1732, Deutsche Fotothek Dresden.



    Im 16. Jahrhundert führten einschneidende Ereignisse dazu, dass jener Abgrenzung zwischen städtischem und landesherrlichem Territorium erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Die Albertiner erhielten 1547 die sächsische Kurwürde, und Dresden stieg zur Hauptstadt des neugeordneten Kurfürstentums Sachsen auf. Der damit verbundene dramatische Bedeutungsgewinn wurde noch verstärkt durch die 1549 auf landesherrlichen Befehl vollzogene zwangsweise Vereinigung Altendresdens mit der linkselbischen Residenz. Der Kurfürst stattete diese mit neuen Privilegien und Territorien aus, was zu einer Neufestlegung der überkommenen mittelalterlichen Weichbildgrenzen führte. Die Stadt konnte es sich dabei leisten, an den die Grenze querenden Straßen und Wegen eine Vielzahl massiver und großer Markierungssteine aufzustellen, die dem Reisenden unmissverständlich anzeigten, dass er sich nun auf städtischem Gebiet und damit unter der Gerichtsbarkeit der Stadt Dresden befand.


    Bis zu den großflächigen Eingemeindungen der Neuzeit blieb die nunmehr fixierte Stadtgrenze für Jahrhunderte unverändert, auch wenn sie zuletzt kaum noch eine praktische Rolle spielte. Mitunter folgen heute Straßenzüge der alten Weichbildlinie, manchmal entspricht diese der Grenze zwischen den Vorstädten namentlich der Altstadt und den anrainenden ehemals selbstständigen Gemeinden, oft aber verläuft sie quer durch die Grundstücke und ist in ihrem Verlauf kaum noch nachzuvollziehen.


    Zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die Weichbildsteine fast noch durchgehend vorhanden, dann aber fielen die meisten der einsetzenden Bebauung zum Opfer. Einige Exemplare wurden 1911 dem Stadtmuseum übergeben, nur wenige überlebten bis heute an althergebrachter Stelle. Mittlerweile wurden allerdings die meisten noch vorhandenen Originale restauriert und an historischem Ort neu aufgestellt, dabei aus nachvollziehbaren Gründen manchmal auch leicht versetzt von ihren Originalstandorten. Grund genug, diesen unscheinbaren, aber immens bedeutenden historischen Zeitzeugen einen Besuch abzustatten und uns auf die Spuren der uralten Stadtgrenze zu begeben. Wir beginnen dabei auf Altendresdener, also Neustädter, Seite.

  • Die Dresdner Weichbildgrenze - Teil I


    Weichbildgrenze in Altendresden. Die vorhandenen Steine sind durchnummeriert, wobei sich diese Kategorisierung durch Neusetzungen im Laufe der Zeit veränderte. Der noch vorhandene Stein N° 13 ist auf dem Plan als Nummer 15 eingezeichnet, da an den Scheunenhöfen nachträglich zwei Steine eingefügt wurden.


    Das Altendresdner Weichbild wurde ab 1550 festgelegt. Dabei begann man in Neudorf, das exakt von Pieschen abgegrenzt und somit in das städtische Territorium einbezogen wurde. Der anschließende, recht geradlinige Grenzverlauf über dünigen Heidesand war eher formaler Bedeutung und wurde in regelmäßigen Abständen durch Weichbildsteine markiert. Dabei wurde der uralte Bischofsweg bewusst außerhalb des städtischen Territoriums belassen, so dass sich die Grenze diagonal durch den späteren Anbau auf dem Sande zog. Spätestens bei dessen Bebauung Ende des 18. Jahrhunderts war die alte Stadtgrenze hier de facto obsolet geworden.


    Nur noch ein originaler Weichbildstein hat auf Altendresdner Seite überlebt. Er befindet sich seit 1993 vor der Post an der Königsbrücker Straße, der ursprüngliche Standort lag im Bereich des Gaswerkes an der Lößnitzstraße.




    Nahansicht. Der Stein trug ursprünglich die Nummer 13, auf der Vorderseite ist die originale Nummer mit der Jahreszahl 1550 vermerkt.




    Zwar ist von den Altendresdner Steinen mutmaßlich nur noch einer übriggeblieben, dafür aber gibt es diesen dreimal! Eine Kopie wurde 1993 zeitgleich mit der Versetzung des Originals an dessen vorherigem Standort im Zwickel Großenhainer/Hansastraße aufgestellt, deutlich näher der ursprünglichen Position als die Lage vor der Post.



    Eine weitere Kopie ist ebenfalls seit 1993 am Dr.-Külz-Ring vor dem Rathaus zu bewundern.




    Nahaufnahme der Vorderseite.




    Die Rückseite mit den oben erwähnten Inschriften.





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    Begeben wir uns auf die Altstädter Elbseite. Hier wurden die Steine ab dem Elbufer gegenüber der Saloppe im Uhrzeigersinn durchnummeriert und die Weichbildgrenze vollzog einen weiten Bogen rund um die Stadt. Der letzte Stein mit der Nummer 82 befand sich am Weißeritzufer in Höhe der Friedrichsbrücke, heute die Kreuzung Friedrichstraße/Weißeritzstraße. Die folgende Grafik zeigt sowohl den östlichen wie den westlichen Verlauf. Auf eine Darstellung der einzelnen Weichbildsteine wurde hier aus Übersichtlichkeitsgründen verzichtet, eingezeichnet sind nur die heute noch vorhandenen Exemplare.




    Noch heute ist die Grenze zwischen der Johannstadt und Blasewitz identisch mit der Weichbildgrenze. Der Blick geht zum Elbufer, wo sich früher der Stein Nummer 1 befand. Die Nummer 2 sehen wir leicht versetzt vom alten Standort im Gras…




    Weichbildstein Nummer 2 mit den Loschwitzer Elbschlössern und in Nahaufnahme. Er trägt die Jahreszahl 1729, kam 1911 ins Stadtmuseum und wurde erst 1993 wieder aufgestellt.





    Im weiteren Verlauf südwärts folgt die Schubertstraße der alten Stadtgrenze. An der Kreuzung Goetheallee/Schubertstraße. Neben den Schaltkästen erspähen wir im Eckverbau…




    …den Weichbildstein Nummer 4 (ebenfalls 1729). Das Wappen zeigt sich stark verwittert. Das Exemplar befindet sich etwa 100 Meter nördlich seines Ursprungsstandortes.




    Städtisches Stillleben mit Schaltkästen und Weichbildstein N° 4. Es wird Zeit, dass der optischen Umweltverschmutzung in Form grobschlächtiger technischer Anlagen Einhalt geboten wird.




    Wir folgen der Schubertstraße in Richtung Königsheimplatz. Der Europabrunnen befindet sich direkt auf der Stadtgrenze.




    Südlich des Platzes, hinter dem Studentenwohnheim werden wir wieder fündig. Stein Nummer 7 wurde ebenfalls 1993 nahe der Kreuzung Löscherstraße/Teutoburgstraße wieder aufgestellt. Er trägt die Jahreszahl 1729, Wappen und Inschrift sind stark verwittert.





    Beim benachbarten Weichbildstein Nummer 9 (1550/1729) handelt es sich allerhöchstwahrscheinlich um das zweite noch original vorhandene Altendresdner Exemplar, ehemals nahe der Liststraße aufgestellt. Darauf weist die Jahreszahl 1550 hin, denn in jenem Jahr begann man zunächst im gearde einverleibten Altendresden mit der Neufestlegung der Weichbildgrenze. Auch dieser Stein befand sich seit 1911 im Stadtmuseum und wurde 1993 an der Wohnheimzufahrt an der Blasewitzer Straße neu aufgerichtet.





    Die Stadtgrenze folgte nun ein Stück der Blasewitzer und dann in südlicher Richtung einer Linie Huttenstraße – Krenkelstraße – Stresemannplatz –Heubnerstraße –Müller-Berset-Straße bis zum Großen Garten. Keinerlei Weichbildsteine haben hier überlebt, führte die Grenze doch mitten durch die Grundstücke. An der Huttenstraße.




    Krenkelstraße mit Turm der Herz-Jesu-Kirche.




    Ehemalige Stadtgrenze an der Kreuzung Krenkelstraße/Borsbergstraße. Wir blicken nach Striesen hinein.




    Weichbildgrenze, Krenkelstraße vom Stresemannplatz nordwärts geblickt.




    Nordseite des Stresemannplatzes. Hier folgte die Grenze der Nord- und Ostseite des Platzes und war mit zwei Steinen markiert.




    Blick in die Heubnerstraße. Direkt durch die Villengrundstücke zickzackte die alte Stadtgrenze, die kurz darauf auf den Großen Garten trifft.





    Noch immer markiert hier die Grunaer Flurgrenze die alte Weichbildlinie. Statt des Schildes traf der Reisende hier auf den Stein Nummer 26. Der Große Garten nahm auf die Stadtgrenze keine Rücksicht, denn er wurde direkt über diese hinweg angelegt.




    Standort des Steins Nummer 27 in der Nordostecke des Großen Gartens.




    Partie entlang der Weichbildlinie, die hier durch den östlichen Großen Garten führt. Herkulesstatuen an der gleichnamigen Allee.




    Hauptallee, Osttor an der Pikardie.




    Nach dem Überqueren der Hauptallee muss man sich ins Buschwerk schlagen, um den letzten von ehemals fünf Steinen im Großen Garten aufzusuchen. Hinter der Pikardie wird man fündig.




    Stein Nummer 23/2 ist auf 1679 datiert. Er ist der letzte aus einer Gruppe von ehemals drei Steinen, die beiderseitig und entlang der Hauptallee die Stadtgrenze markierten.


  • Die Dresdner Weichbildgrenze - Teil II

    In Teil Nummer Zwo klappern wir den südlichen Abschnitt der Weichbildlinie ab und begeben uns von Strehlen über Räcknitz bis hin zur Stadtgrenze zu Plauen. Die Linie verlief vom Großen Garten geradlinig nach Strehlen, wo sie südlich der Christuskirche nach Osten verschwenkte. Ab der Caspar-David-Friedrich-Straße entsprach sie dem Zelleschen Weg.




    Weichbildgrenze an der Elsa-Brandström-Straße, Blick zur Christuskirche.




    Elsa-Brandström-Straße/Ecke Schindergässchen. Tief verbuddelt zeigt sich der Stein Nummer 34 an seinem Originalstandort. Hier knickte die Grenze in westliche Richtung ab.





    Das sehr schmale und sehr unscheinbare Schindergässchen folgt der alten Stadtgrenze.




    Dohnaer Straße 23/Ecke Schindergäßchen. Im Garten finden wir den Stein Nummer 35. Das Vorhandensein zweier fortlaufender Exemplare hat absoluten Seltenheitswert.




    Das Originalfragment des Steines wurde 1992 entnommen, vervollständigt und ziert seitdem wieder den alten Standort. Die Jahreszahl 1543 ist zu erahnen, es handelt sich also wohl um das älteste noch vorhandene Exemplar auf Altstädter Seite.




    Dohnaer Straße/An der Christuskirche. Der größte Teil des Dorfes Strehlen lag innerhalb des Weichbildes und somit unter städtischer Ägide. In etwa an dieser Stelle befand sich Stein N° 36, den man heute vergeblich sucht. Schnurgerade führte die Grenze ab hier zur heutigen Kreuzung Teplitzer/Caspar-David-Friedrich-Straße mit dem ebenfalls abgängigen Stein N° 37.




    Besagte Kreuzung (Sommerbild aus dem eigenen Fundus). Bis in Höhe der Heinrich-Greif-Straße entspricht die Weichbildgrenze dem Zelleschen Weg, der als Teil des uralten Verbindungsweges vom Kloster Altenzella zu deren Besitzungen in Leubnitz bereits Jahrhunderte vor der Grenzziehung vorhanden war.




    Bei Zschertnitz und Räcknitz wurde es knifflig. Zunächst führte die Grenze nun nach Süden, um die Ländereien des Stadtgutes Räcknitz zu umschließen, anschließend parallel der Kohlenstraße bis fast nach Coschütz, dann kehrte sie wieder nach Räcknitz zum Stadtgut zurück.




    Blick vom Bismarckturm auf das Moreaudenkmal, Räcknitz und die Stadt.




    Man könnte den Bismarckturm fast als überdimensionierten Weichbildstein betrachten, denn hier vollzog die Grenze einen 90-Grad-Winkel.




    Sie folgte nun der Ludwig-Renn-Allee bis zur Südhöhe.




    Nur noch kümmerliche Reste zeugen vom Stein 47 an der Südhöhe (1729).




    Wir folgen der Grenze entlang der Südhöhe und der Kohlenstraße. An der Ecke zum Höckendorfer Weg stößt man auf den Stein Nummer 50 (1729). Der ursprüngliche Stanort befand sich weiter westlich am Langen Rain, Höhe Döbraer Straße. Das gute Stück hat eine sehr bewegte jüngere Geschichte: Bis 1990 stand es am Originalstandort, wurde dann ausgebaut und brach dabei auseinander. Der Stein wurde saniert und zum Wiedereinbau bereitgelegt, dann aber verschwand er spurlos und ist in der Literatur als seit 1993 verschollen angegeben. Offenbar hat er sich aber wieder eingefunden.





    Rückseite mit der Jahreszahl.




    Die Grenze verlief nun in nördlicher und östlicher Richtung und umschloss die Fluren des Stadtguts Räcknitz. An der Nöthnitzer Straße/Bergstraße steht fast am Originalstandort Stein N° 55 von 1679, zweite Jahreszahl 1729.





    Im Zickzack durchquerte die Stadtgrenze das Dörfchen Räcknitz, um die eigenständige Dorfgemeinde vom Stadtgut abzugrenzen. Von den hier zahlreichen Weichbildsteinen hat sich nur die Nummer 61 gegenüber der Stadtgutstraße 33 erhalten.




    Die Nahaufnahme zeigt den nachträglich in das Wappen getriebenen Höhenbolzen. Wappen und Inschrift (Jahreszahl 1729) zeigen sich stark verwittert.




    Es geht wieder hinunter zum Zelleschen Weg. In der Nähe des Fritz-Foerster-Platzes wurde 1994 der Stein 63 wieder aufgestellt. Nach der Wappenform zu urteilen zählt er zu den ältesten Steinen überhaupt, leider ist die Jahreszahl über dem beschädigten Wappen nicht mehr erkennbar.





    Erst hinter dem Münchner Platz sind wieder Weichbildsteine zu finden. Im Eckverbau der Kreuzung Bamberger/Kaitzer Straße ist der eingemauerte Stein 72 zu sehen, leider von Vandalen beschmiert.




    Nahaufnahme. Das Wappen ist kaum noch erkennbar, dafür aber die laufende Nummer und die Jahreszahl 1729.




    Unweit stoßen wir auf im Grundstück Hohe Straße 40 auf den erst 1995 wiederentdeckten Stein Nummer 74 direkt an der südlichen Grundstücksgrenze.




    Nahaufnahme mit Jahreszahl 1679, der laufenden Nummer 74, auf der nicht zu fotografierenden Rückseite befindet sich die Jahreszahl 1729.




    Letzter noch vorhandener Stein im Uhrzeigersinn ist die Nummer 73 an der Chemnitzer Straße neben der Südostecke des Alten Annenfriedhofs. Da Stein 74 am Originalstandort befindlich ist, handelt es sich wohl um eine Versetzung in Position des nicht mehr vorhandenen Steins Nummer 75. Die 73 stand einst in unmittelbarer Nähe der 74 an der Hohen Straße und musste wohl deren Ausbau weichen.




    Die Vorderseite zeigt wie üblich das Stadtwappen, die laufende Nummer und die Jahreszahl 1679.




    Rückseite mit Nummer 73 und Jahreszahl 1729. Auch Stein 73 befand sich ab 1911 im Stadtmuseum und wurde 1993 neu aufgestellt.




    Ab hier folgte die Weichbildlinie weitgehend dem alten Verlauf der Weißeritz bis in die Friedrichstadt. Ich hoffe, Euch mit diesem Exkurs in die Historie der Dresdner Stadtgrenzen ein weitgehend unbekanntes Kapitel lebendiger Stadtgeschichte nahe gebracht zu haben. Einen schönen Sonntag noch!

  • Vielen Dank, Antonstädter. Wie immer sehr interessant. Zwar kenne ich ähnliche Steine aus anderen Städten, aber dabei handelt es sich meist um einzelne Exemplare, teilweise auch später zweckentfremdet in Mauern oder Fundamenten. Die doch recht zahlreichen Exemplare in Dresden sind schon außergewöhnlich. Auch dass offenbar einige Steine zunächst ins Museum gewandert sind statt auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.