• Sonnenring

    Im Kontext des Frankfurter Baugeschehens der 60er und 70er Jahre ist der Sonnenring ein Sonderfall insofern, als er eng mit zwei politischen Affären verknüpft ist: mit der Helaba-Affäre, die vor 41 Jahren mit dem Rücktritt des Hessischen Ministerpräsidenten Albert Oswald (SPD) ihren Höhepunkt erreichte, und einer SPD-Parteispenden-Affäre, die 1977 zum Verlust der jahrzehntelangen absoluten Mehrheit der SPD und zum Wahlsieg der CDU in Frankfurt entscheidend beigetragen haben dürfte. Vor diesem Hintergrund erscheint der Sonnenring als so etwas wie das Beton gewordene Menetekel für den Niedergang der Frankfurter SPD.


    Das Engagement der Hessischen Landesbank in Bank- und Industriebeteiligungen sowie in zwei spekulativen Immobilienprojekten, was neben dem Sonnenring das Münchener „Schwabylon“ war, hat fast zum Ruin der Helaba geführt, der Konkurs konnte nur durch Kredite des Landes und der Hessischen Sparkassen abgewendet werden. Der „Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses 2/8 zu Drucksache 8/3060“ vom 17.2.1978 (LTDrs 8/5637) und der „Abweichende Bericht der Mitglieder der CDU-Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß 2/8“ vom 18.4.1978 (LTDrs. 8/5910) geben haarsträubende Einzelheiten zu Interna der Kreditvergabe bei der Helaba preis und zur Baugenehmigungspraxis des Frankfurter Magistrats in dieser Zeit, die CDU-Fraktion hat das in ihrem Sondervotum sehr anschaulich herausgearbeitet.


    Wir schauen zurück in eine Zeit, da Frankfurt als „Bankfurt“ und „Krankfurt“ verschrien war und unter einem besonders schlechten Image litt; es war die Hochzeit des U-Bahnbaus und der Beginn des Häuserkampfs (die erste Hausbesetzung war im September 1970) gleichzeitig eine Phase der Stadtflucht, dramatischer Bevölkerungsschwund einhergehend mit massenhafter Wohnraumzweckentfremdung sowie eine extreme Hochzinsphase: für Baugeld mussten über 10% Zinsen gezahlt werden.


    Nachdem vor allem im Westend der Unmut über das Bauen ohne B-Plan laut geworden war, haben die Stadtverordneten Planungsangelegenheiten an sich gezogen. 1968 beschlossen sie, in Bereichen ohne B-Plan dürfe die Bauaufsicht ohne einen zustimmenden Beschluss des Bau- und Planungsausschusses keine Baugenehmigungen mehr erteilen, so auch hier. Als der Investor Mitte der 60er Jahre seinen Bauwunsch für das Büro-Hotel-Hochhaus („Bürotel“), den Sonnenring und das sog. Trade Center bekannt gab, gab es kein Baurecht (das Trade Center lassen wir hier mal aus, es betraf die Fläche unterhalb (nördlich) der Mailänder Straße, zwischen Grethenweg und Darmstädter Landstraße, gegenüber den Brauereien) und nur Ansätze einer Planung. Zwar hatte die Stadt Frankfurt schon 1967 mit der Aufstellung entsprechender B-Pläne begonnen, aber die Tatsache, dass es dort bis heute keine Bebauungspläne gibt, zeigt allen Beteuerungen zum Trotz, dass keine Besserung eintrat, wieder sind die Baugenehmigungen ohne planungsrechtliche Grundlage erteilt worden. Und das kam so:


    1. Die Planung

    Der Sachsenhäuser Berg westlich der Darmstädter Landstraße war schon in den Zonenbauordnungen der Vorkriegszeit überwiegend als Baugebiet ausgewiesen, teils als Mischbauzone, teils als Wohnbau- und als Landhauszone; wäre der Sachsenhäuser Berg schon damals bebaut worden, sähe es dort vielleicht aus wie an der unteren Darmstädter Landstraße oder südlich des Mittleren Schafhofweges (Wormser, Niersteiner, Walldorfer Straße): klassische Blockrandbebauung in regelmäßigen Baublöcken.


    Auszug aus dem Bauzonenplan von 1910, gemeinfrei Auszug aus dem Fluchtlinienplan F 250 Bl.5 v. 20.12.1898 c: Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main


    Die Aufbaupläne der Nachkriegszeit zeigten den Sachsenhäuser Berg entsprechend als Stadterweiterungsgebiet mit Wohn- und Gewerbegebietsausweisungen. Faktisch war die Gegend aber überwiegend Grünland, eigentumsrechtlich total zersplittert, was eine Bebauung ohne vorherige - private oder öffentliche - Umlegung praktisch unmöglich machte. Nach den Definitionen des damals neuen Bundesbaugesetzes vom 23.6.1960 (BBauG) war der südliche Teil des Sachsenhäuser Bergs größtenteils Außenbereich, was für die Erteilung von Baugenehmigungen zwingend eine aus dem Flächennutzungsplan (FNP) abgeleitete qualifizierte Bauleitplanung voraussetzte. Ein Gebiet durfte in einem Bebauungsplan regelmäßig nicht als Baugebiet ausgewiesen werden, solange es nicht eine entsprechende Ausweisung in einem FNP gab. Daran sollte es eigentlich nicht scheitern, denn es gab einen Aufbauplan nach dem HessAufbauG von 1949, den die Stadtverordneten in den 50er Jahren als Generalbebauungsplan beschlossen hatten und der nach einer landesrechtlichen Vorschrift als FNP im Sinne des BBauG fortgalt. Somit war eigentlich nichts dagegen zu erinnern, dass die StVV auf Antrag des Magistrats am 11.6.1970 beschloss, den FNP zu ändern:


    „Die Trasse des geplanten Stadtrings einschließlich des Verkehrsknotens mit der Babenhäuser Landstraße und der vom Norden angebundenen Darmstädter Landstraße, dem verlängerten Letzten Hasenpfad und Großen Hasenpfad sind aus dem Gesamtverkehrsplan (Straße) übernommen.“


    GVP 1964 StadtplanungsamtAusschnitt Süd GVP 1964


    Dieser Teil des Stadtrings, die Sachsenhäuser Südumgehung, sollte die Babenhäuser Landstraße auf einer Trasse südlich des Sachsenhäuser Landwehrweges vierspurig mit der zu verlängernden Stresemannallee, Mörfelder Landstraße und Kennedyallee verbinden, die Hasenpfade sollten über neue Straßen nach Süden verlängert und an den Stadtring angeschlossen werden. Nach Osten sollte der Stadtring bei teilweiser Tunnelung des Südfriedhofs Sachsenhausen umfahren und bei der Eisenbahnbrücke das Deutschherrnufer erreichen. Die 111. Änderung des FNP, die im Detail etwas anders aussah, wurde Anfang Juli 1970 öffentlich ausgelegt.



    Die Übernahme des (gegenüber dem GVP'64 etwas abgewandelten) Verkehrsknotens in die Bauleitplanung hat naturgemäß die Komplexität und Konfliktanfälligkeit des Planwerks erhöht, Verzögerungen waren vorprogrammiert, obwohl die Planer es eigentlich eilig hatten, das Baurecht für Sonnenhügel und Sonnenring zu schaffen. Das Problem war, allein durch die Verlängerung der Hasenpfade zum Stadtring wären etliche Grundstücke unbebaubar geworden. Mehrere Hundert Einwendungen sind gegen die Planung erhoben worden; von daher war eine Rolle rückwärts nur konsequent:


    „Nach einer Gemeinsamen Erörterung von alternativen Trassierungen mit von der Änderung im Bereich südlich des Sachsenhäuser Landwehrweges Betroffenen erweist es sich als erforderlich, die bislang geplante Verkehrsführung im Südteil des Sachsenhäuser Berges noch einmal zu überprüfen. Um die zur Durchführung anstehenden Wohnungsbaumaßnahmen im Bereich der FNP-Änderung nicht aufzuhalten, wird dieser Änderungsbereich im Süden des Sachsenhäuser Landwehrweges neu abgegrenzt, der südlich angrenzende Bereich (vgl. gelbe Umrandung) wird ausgeklammert.“


    Zusammen mit der „kleinen“ FNP-Änderung haben die Stadtverordneten am 27.5.1971 die beiden B-Pläne SO 41a Nr. 1 – Sachsenhäuser Warte – und SO 21c Nr. 1 – Südfriedhof – als Satzung beschlossen. Während der Bereich der 111. Änderung im Süden zuvor durch den Bischofsweg begrenzt war, bildete jetzt der Sachsenhäuser Landwehrweg die südliche Grenze.


    ISG, Kartensammlung

  • Sonnenring II

    2. Das Urteil


    Dadurch wurde zwar das Projekt Stadtring wieder ausgespart, aber die Änderung der Änderung wurde nicht nochmals öffentlich ausgelegt. Für eine Gruppe von Grundstückseigentümern aus dem Bereich der Hasenpfade ebnete diese Unterlassung den Weg für eine Normenkontrollklage gegen die B-Pläne. Mit Beschluss vom 28.4.1972 ( IV N 6/71 und 7/71) erklärte der HessVGH die beiden B-Pläne für ungültig, wodurch die Rechtsgrundlage für die dringend benötigten Baugenehmigungen für Sonnenhügel und Sonnenring im Papierkorb landete. In der FAZ war ein leitender Amtsjurist anlässlich der Urteilsverkündung zitiert worden, die Stadt könne das Urteil nicht weiter kommentieren, man wisse nicht wie es weitergehe, da nicht klar sei, was die Stadt eigentlich falsch gemacht habe. Das konnte der Magistrat etwas später in den Entscheidungsgründen nachlesen:


    a. die Grundzüge der Planung


    „In der ausgelegten FNP-Änderung Nr. 111 liefen die Hauptverkehrszüge Großer Hasenpfad und Letzter Hasenpfad in einem großen Verkehrsknotenpunkt zusammen, in dem noch weitere von Osten und Westen kommende Straßen einmündeten. Durch diese großzügige Verkehrsplanung war sichergestellt, daß der von Norden kommende Verkehr, insbesondere der von den geplanten Hochhäusern, reibungslos nach allen Seiten über den Verkehrsknotenpunkt abfließen konnte. Nachdem aber im weiteren Aufstellungsverfahren der südlich des Sachsenhäuser Landwehrweges liegende Teil der FNP-Änderung Nr. 111 aus der Planung herausgenommen worden war, endet in der FNP-Änderung Nr. 111 die Verlängerung des Letzten und des Großen Hasenpfades, der die Grundstücke der Antragsteller zum Opfer fallen am Sachsenhäuser Landwehrweg statt in dem großzügig geplanten Verkehrsknotenpunkt. Jetzt muss der Sachsenhäuser Landwehrweg den von Norden kommenden Verkehr aufnehmen und weiterleiten. So ändert die Herausnahme des südlichen Teils der FNP-Änderung Nr. 111 die Grundzüge der Planung.“


    Nur zum Vergleich: der „großzügig geplante Verkehrsknotenpunkt“ hätte ungefähr die Ausmaße des Miquelknotens gehabt. Da die 111. FNP-Änderung wegen der unterlassenen nochmaligen Auslegung unwirksam war, war nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die Unwirksamkeit der B-Pläne die zwangsläufige Folge. Es blieb also beim alten FNP, dem Generalbebauungsplan vom 9.2.1956/22.1.1959, in dem die breiten Straßen nicht vorgesehen waren, die die Grundstücke der Kläger in Anspruch genommen hätten.


    b. fehlende Flächen für Garagen und Stellplätze


    Der B-Plan „SO 21c Nr. 1 – Südfriedhof“, der die Festsetzungen für Sonnenring und Sonnenhügel enthalten sollte, war noch aus dem weiteren Grund ungültig, weil er die erforderlichen Flächen für Stellplätze und Garagen nicht festsetzte. Die Stadt hatte argumentiert, es läge in ihrem Planungsermessen, ob sie in den B-Plänen Flächen für Stellplätze und Garagen festsetze. Falsch, urteilte der Senat, wegen der Hochhausbebauung sei es erforderlich, Flächen für Stellplätze und Garagen auszuweisen. In einem Wohngebiet mit EFH in offener Bauweise mag die Ausweisung von Stellplatzflächen obsolet sein, nicht aber in einem Gebiet mit intensiver Bebauung wie hier. Gerade bei Hochhäusern bestehe die Notwendigkeit der Festsetzung, denn nur dann könne beurteilt werden, ob bei dieser Hochhausplanung an dieser Stelle die öffentlichen und privaten Belange, insbesondere auch die des Verkehrs, gegeneinander abgewogen worden sind.


    Auf der Grundlage der ersten Stellplatzsatzung von 1964 hatte die Stadt einen Bedarf von 2.122 Stellplätzen ermittelt (1.262 für den Sonnenhügel, 404 für den Sonnenring und 456 für das Bürotel). Pro Stellplatz war eine Verkehrsfläche 25 m² vorzusehen, was bei 2.122 Stellplätzen eine auszuweisenden Stellplatzfläche von 53.022 m² erforderte. Zum Vergleich: das Parkhaus Hauptwache birgt 430 Plätze und stellt dafür fast 11.000 m² Stell- und Verkehrsfläche bereit.


    c. Fluglärm


    „Ob schließlich die Antragsgegnerin, wenn sie durch die Ausweisung in den Bebauungsplänen in der Einflugschneise des Rhein-Main-Flughafens eine Intensivbebauung vorsah, eine…vertretbare Abwägung der berücksichtigenden Belange vorgenommen und insbesondere die durch den Fluglärm bedrohten gesundheitlichen Interessen der dort anzusiedelnden Wohnbevölkerung hinreichend berücksichtigt hat, erscheint zweifelhaft.“


    Der Senat wollte dieser Frage aber nicht weiter nachgehen, weil er dazu eine umfangreiche Beweisaufnahme zu den durch Fluglärm hervorgerufenen Schädigungen hätte durchführen müssen, was er für nicht gerechtfertigt hielt, da die B-Pläne ja schon aus anderen Gründen unwirksam waren.


    Es ist deshalb auch die Frage offen geblieben, ob die Stadt jenseits der Höchstgrenzen der BauNVO für Sonnenring und Sonnenhügel eine GFZ >2,0 zulässigerweise festsetzen durfte. Diese Frage war aber von ganz praktischer Bedeutung für die Zahl der Stockwerke. Kurzum: die Stadt konnte rechtmäßigerweise keine Baugenehmigung mehr erteilen, weder für den Sonnenring noch für den Sonnenhügel.

  • Sonnenring III

    3. Der Investor und die Bank


    1967 hatte der Karlsruher Investor Ernst Kirchgässner begonnen, mit Krediten der Helaba zwischen Darmstädter Landstraße und Grethenweg in großem Umfang Grundstücke aufzukaufen. Hierfür bediente er sich zweier Firmen, der
    - Mietropa Bau- und Grundstücksverwaltungsgesellschaft mbH und der
    - Mietropa Bau- und Grundstücksverwaltungs-GmbH & Co. KG Immobilien-Anlagegesellschaft Fonds Nr.1 Frankfurt Trade Center.


    Erstere konzentrierte sich auf den Sonnenring, den Bereich südlich der heutigen Mailänder Straße, letztere auf den Bereich zwischen Darmstädter Ldstr. und Grethenweg nördlich der Mailänder Straße. Und Kirchgässner war nicht allein; gleichzeitig war die DEBA - Deutsche Baugruppe GmbH dabei, am oberen Ende von Tucholskystraße und Grethenweg zum Großen Hasenpfad hin in großem Stil Grundstücke einzukaufen. Weiter nördlich, zwischen den Hasenpfaden, am Ziegelhüttenplatz und in der Geleitstraße waren schon größere Wohnanlagen entstanden oder im Entstehen begriffen, kurzum, auf dem Sachsenhäuser Berg herrschte Goldgräberstimmung.


    Die DEBA - Deutsche Baugruppe GmbH war damals einer der größten nicht-gemeinnützigen Bauträger in Deutschland, hervorgegangen aus der vormaligen ARGE Schlereth-Heckelmann, seit 1957 im Bauträgergeschäft; sie war federführend an der Errichtung des Olympischen Dorfes in München beteiligt und war Bauherr des UNI-Center in Köln, mit 968 Wohnungen eines der größten Wohnhäuser Europas. Das DEBA-Vorhaben Mailänder Straße 12-18, Tucholskistraße 77-83 wurde in den Zeitungen später nur noch als „Sonnenhügel“ bezeichnet. Am Ende des Grethenwegs plante ein weiterer Bauträger (Merian, gehört heute zur GWH) auch noch drei große Wohngebäude.


    Die Mietropa-Gesellschaften hatten, als die Stadt Anfang November 1970 den ersten B-Plan-Entwurf offenlegte, bereits rd. 30.000 m² zusammengekauft, überwiegend finanziert mit Krediten der Helaba, ordnungsgemäß besichert durch erstrangige Grundschuldbestellungen, sie benötigten aber mindestens weitere 20.000 m² darunter auch einige zentrale „Störgrundstücke“.


    Kirchgässner nahm an, dass Frankfurt mittelfristig 30-35.000 Wohnungen im oberen Marktsegment, das er bedienen wollte, dringend benötigen würde; ihm muss aber entgangen zu sein, dass die Einwohnerzahl der Stadt in dieser Zeit rasant abnahm (zwischen 1963 und 1983 um über 80.000 Einwohner), während sie in den Neubaugebieten im Speckgürtel, im Vordertaunus und im direkt angrenzenden Kreis Offenbach (Rodgau und Westkreis) ebenso rasant zunahm und das vor allem in dem von ihn anvisierten Marktsegment hochpreisiger Wohnungen, EFH und DHH. Bis 1970 hatte ihm die Helaba Kredite von über 20 Mio. DM für den Ankauf von Grundstücken bewilligt, Tendenz steigend, laut FAZ zu Zinsen von 12,5%; durch die Ausweitung der Grundstückskäufe auf über 80.000 m² allein für das Trade-Center stieg die Zinsbelastung der Mietropa-Gesellschaften laut FAZ zum Schluß auf 80.000 DM täglich; man ahnt den wirtschaftlichen Druck, der sich aufbaute.


    Bis Mitte 1970 hätte die Helaba sich noch zurückziehen und die Grundstücke verwerten können, ihre Verluste wären begrenzt gewesen. Stattdessen gewährten sie Kirchgässner, der sich kurz vor dem Ziel sah, weitere Kredite, zur Ablösung alter Kredite, zum Ankauf weiterer unbedingt benötigter Grundstücke, ohne genaue Baupläne zu kennen. Die Ausnutzung der Grundstücke, ob GFZ 2,0 oder 2,41, war bis zum Schluss unklar (beim Sonnenring immerhin ein Unterschied von rd. 13.500 m² BGF). Niemand wusste deshalb bei den Kreditzusagen, wieviele Wohnungen am Ende wirklich gebaut und vermarktet werden könnten. Auf die bloße Behauptung Kirchgässners hin, er erwarte die Baugenehmigung spätestens im Oktober 1971, gewährte die Helaba weitere 40 Mio DM Baukredit.


    Bis dahin hatte die Bank noch keine Bilanzen und Jahresabschlüsse einer der Kirchgässner-Firmen gesehen, keine einzige - es gab nämlich keine. Den Bauantrag für das Hochhaus (Bürotel) hatte die Mietropa am 6.11.1970 gestellt, den Bauantrag für die ringförmige Wohnanlage am 8.2.1971. Beantragt waren Stockwerkszahlen, von denen völlig unklar war, ob sie genehmigt werden würden, weil der hierfür erforderliche Bebauungsplan noch nicht beschlossen war. Die Stadt wäre an sich nicht zimperlich gewesen, dem Investor eine Baugenehmigung auch ohne B-Plan zu erteilen, das war schließlich gängige Praxis, aber die Stimmung auf dem Sachsenhäuser Berg war im Hinblick auf die angestrebte Verkehrsplanung recht geladen und der Magistrat hatte im Hinblick auf die Situation im Westend Besserung gelobt. Aufgrund mehrerer Hundert Einwendungen gegen die FNP-Änderung zeichnete sich bereits ab, dass die B-Pläne einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden würden.


    Die Stadt ließ den Investor deshalb im Ungewissen und verlegte sich aufs Formale. Weitere Voraussetzung für eine Baugenehmigung wären – neben allem anderen - die Zustimmungserklärung aller Nachbarn gewesen, die Kirchgässner jedoch, u.a. auch von den B-Plan-Klägern, nicht erlangen konnte – eine Praxis, die der HessVGH Jahre später im Campanile-Fall für rechtswidrig erachtete. Voraussetzung wäre ferner Klarheit über die Erschließung gewesen. Über die B3 (= Darmstädter Landstraße) war eine Erschließung der Wohnanlage nicht möglich, aber die neu anzulegende Mailänder Straße gab es noch nicht. Ihre Dimensionierung und ihr Verlauf war im Hinblick auf die ungewisse Verkehrsplanung und die Größe evtl. zu fordernder Garagenanlagen weiterhin unklar, folglich auch der Umfang von Geländetausch und -abtretungen seitens der Mietropa an die Stadt für den Bau der Straßen ungewiss. Immerhin: die Stadt kam der Mietropa entgegen und erteilte am 15.12.1971 eine Teilbaugenehmigung für das Hochhaus bis zum 12. OG, weil dessen Erschließung gesichert war und keine Nachbarn betroffen waren (die Mietropa hatte die Nachbargrundstücke erwerben können).


    Die erste Teilbaugenehmigung reichte der Mietropa, mit der Strabag AG einen Bauvertrag über das Gesamtprojekt abzuschließen mit einem Volumen von 93,5 Mio DM. Anders als die Helaba hatte aber die Strabag ihren Auftraggeber durchleuchtet und wegen dessen mangelhafter Solvenz den Baubeginn von einer Zahlungsgarantie der Helaba abhängig gemacht. Die gewünschte Garantieerklärung überschritt zwar das bis dahin bewilligte Kreditvolumen ganz erheblich, sie wurde von der Helaba aber trotzdem ein paar Tage später abgegeben; um das Projekt nicht zu gefährden, hieß es. Damit war das Engagement der Helaba allein beim Sonnenring bei über 160 Mio DM angelangt, obwohl es noch immer keine Klarheit über die zu erwartende Grundstücksausnutzung gab (GFZ 2,0 vs. 2,41); weiterhin galt: kein B-Plan, keine Baugenehmigung für die Wohnanlagen. Bei der GFZ-Frage war streitig, ob sich die Ausnutzung auf das Bruttobauland beziehe oder das Nettobauland nach Abtretung von Grundstückteilen an die Stadt zwecks Straßenbau.


    Nur für das Bürotel folgten weitere Teilbaugenehmigungen, die letzte am 21.12.1972 bis zum 18. Obergeschoss - ohne B-Plan versteht sich, denn den hatte der HessVGH ein halbes Jahr zuvor für unwirksam erklärt; in ihrer Ausgabe vom 18.1.1973 zeigte die FAZ ein Bild des bis zum 12. OG fertiggestellten Rohbaus. Das 18. Geschoss war vorläufig das letzte, weil weiterhin die Frage der Ausnutzung, ob GFZ 2,0 oder 2,41, ungeklärt war. Kirchgässner versuchte in seiner Verzweiflung, die Stadt im Wege einer Einstweiligen Anordnung zur Erteilung einer Baugenehmigung für weitere vier Geschosse zu verpflichten, unterlag aber, weil eine Baugenehmigung nicht im Wege des Eilrechtsschutzes erlangt werden kann, denn würde die erstrittene Bauerlaubnis vollzogen, wäre das Ergebnis der Hauptsache vorweggenommen, die Anordnung keine einstweilige mehr. Über die Klagen zur Hauptsache, d.h. die endgültigen Baugenehmigungen für das Bürotel und die beiden ringförmigen Wohngebäude hat das Verwaltungsgericht Frankfurt aber nicht mehr entschieden.


    Es kam, was kommen musste: Kirchgässner verlor seine Firmen. Im Mai 1973 übernahm die Anlagen- und Verwaltungs GmbH, ein Tochterunternehmen der Helaba, 95% der Geschäftsanteile beider Mietropa-Gesellschaften, später auch noch den Rest. Etwa ein Jahr nach der Übernahme erhielt die Helaba die ersten Jahresabschlüsse der Mietropa-Gesellschaften, die sie für die zurückliegenden Jahre hat anfertigen lassen, und stellte fest, dass die Mietropa schon länger überschuldet war, ein Bilanzverlust von 11 Mio DM stand in den Büchern. Die Helaba zog die Konsequenzen, kündigte alle Kreditverträge und durch Verwertung der Sicherheiten wurde die Helaba bzw. ihre Tochterfirma im Mai 1974 Eigentümer aller Grundstücke des Trade Centers, des Sonnenrings und des Bürotels.


    4. Der Investor und die Stadt

    Bis hierher könnte man den Vorgang als eine Sache zwischen einer Bank und ihrem Kreditnehmer verstehen, als ein fehlgeschlagenes Immobiliengeschäft eben. Nur: es war Wahlkampf und es war vor allem die CDU, die keine Gelegenheit ausließ, der rot-gelben Koalition in Wiesbaden und dem SPD-geführten Magistrat in Frankfurt zuzusetzen. Anlass hierfür boten u.a. Äußerungen und Hinweise des Investors Kirchgässner, die er später im Landtags-Untersuchungsausschuss wiederholte, der ihn als Zeugen geladen hatte. Er behauptete nämlich, das Ausbleiben der Baugenehmigung sei keine Folge des VGH-Urteils, sondern allein des Umstandes, dass er nicht an die SPD in Frankfurt gespendet habe.


    Er musste nämlich erleben, dass der Sonnenhügel auf der anderen Straßenseite wuchs und gedieh, während er mit Teilbaugenehmigungen für das Bürotel abgespeist wurde, obwohl auch beim Sonnenhügel die Erschließungsfrage so offen war wie die Ausnutzung und die Stellplatzfrage.


    In seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages hat der Investor nicht mit Vorwürfen gegen den Magistrat gespart und lieferte damit der CDU-Fraktion den Anlass, die Magistratsmitglieder und Amtsleiter, die mit den Bauvorhaben befasst waren, vorzuladen und „zu grillen“; auch musste der Magistrat dem Ausschuss alle einschlägigen Aktenvorgänge vorlegen. Gehört wurde auch der Architekt Balser und Zeugen aus der Helaba. Natürlich hat keiner der Zeugen aus Magistrat und Verwaltung je etwas von Parteispenden gehört, geschweige denn gewusst oder konnte sich nicht erinnern, aber der abweichende Bericht weist nach, dass Baugenehmigungen von Geldzahlungen („Infrastrukturabgabe“, Parteispenden) abhängig gemacht wurden.


    Das Ergebnis war ein publizistisches und politisches Desaster für die SPD; hätte es damals so etwas wie den Corruption Perception Index von Transparency International e.V. gegeben, Frankfurt wäre zweifellos auf einem der hinteren Plätze gelandet.


    Die Verantwortlichen im Magistrat und den Baubehörden hatten keinerlei Skrupel noch so etwas wie Unrechtsbewusstsein, Baugenehmigungen von Geldzahlungen abhängig zu machen. Seit langem verbreitet war eine sog. „Infrastrukturabgabe“, wenn ein Vorhaben mit besonders hoher Grundstücksnutzung genehmigt werden sollte. Ohne gesetzliche Grundlage wurden in Notarverträgen Zahlungen erheblicher Größenordnung auf ein Notaranderkonto vereinbart, die aber nicht an die Stadtkasse flossen. Angeblich sollte das Geld an eine soziale Stiftung fließen, sagte der StV Berkemeier aus, den Namen nannte er aber nicht, davon sollten dann Kindergärten und Altenheime finanziert werden. Im Fall Kirchgässner wollte die Stadt eine „Infrastrukturabgabe“ von 1,5 Mio DM haben, zahlbar an eine Stiftung, die es gar nicht gab, die sollte angeblich erst noch errichtet werden (wurde nie errichtet). In einem vertraulichen Ergebnisprotokoll der Sitzung des Planungsausschusses vom 31.8.1971, das in den Akten gefunden wurde, heißt es: „Die Forderung des Planungsamtes, für diese Überschreitung der ausgewiesenen Gfz „Sozialabgaben“ in Höhe von 1,5 Mio DM zu zahlen, da die Mietropa durch die Befreiung erhebliche Grundstückskosten spare, akzeptierte Herr Kirchgässner nach längerem Zögern. Somit steht einer Behandlung dieses Bauvorhabens in der nächsten Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Regionalplanung nichts mehr im Wege.“ U.a. damit wurde bewiesen, das die Entscheidungsträger sich nicht mit Bauvorhaben befassten, wenn nicht zuvor Geld floss.


    Kirchgässner hat diese Abgabe letztlich nicht gezahlt, weil die GFZ-Frage bis zur seiner Insolvenz ungeklärt blieb. Es gab weder eine gesetzliche Grundlage für eine solche Abgabe noch irgendwelche verbindlichen Maßstäbe für ihre Bemessung. Kommunalabgaben werden in der Regel auch nicht auf ein Notaranderkonto gezahlt, sondern an die Stadtkasse; wir dürfen vermuten, dass diese Zahlungen in dunklen Kanälen verschwanden, aber niemand will etwas bekommen haben und der Notar unterliegt der Schweigepflicht.


    Kirchgässner sollte mit der SPD ein „Spendenabkommen“ über 120.000 DM schließen; hat er auch gemacht; seine anfänglichen Bedenken gegenüber dieser Praxis hat sein Architekt Günther Balser zerstreut mit dem Hinweis, das wäre üblich, würden alle machen, die Dresdner Bank habe für die Baugenehmigung des Silberturms 200.000 DM gespendet. Tatsächlich hat auch Kirchgässner gespendet, kurz vor Erteilung der ersten Teilbaugenehmigung für das Bürotel 20.000 DM und am 23.9.1971 weitere 25.000 DM an den SPD-Verlag WIR, der angeblich dafür Immobilienanzeigen für die zu verkaufenden Wohnungen abdrucken sollte. Es war gängige Praxis, ohne Bestätigung der „Fischerfeldstraße“ (dort war und ist das Haus des SPD-Unterbezirks) über den Eingang der Spenden wurden die Beschlussvorlagen nicht im Magistrat behandelt und auch nicht auf die Tagesordnungen des Planungsausschusses gesetzt. Obwohl die rechtlichen Voraussetzungen für Sonnenhügel und Sonnenring gleich schlecht bzw. nicht vorhanden waren, wurde das DEBA-Projekt Sonnenhügel am 13.9.1971 behandelt und durchgewunken, Kirchgässners Sonnenring aber nicht. Seine Vorlage war nicht auf die Tagesordnung der Planungsausschusssitzung gesetzt worden, weil die Fischerfeldstraße nicht zuvor den Eingang der Spende bestätigt hatte, die Spende kam zu spät; einen anderen Grund für die Nichtaufnahme in die Tagesordnung gab es nicht. Die DEBA soll für den Sonnenhügel nach Kirchgässners Aussage 140.000 DM gespendet haben, was diese natürlich betritt.


    5. Der Vergleich


    Nachdem die Helaba die Kirchgässner-Firmen übernommen hatte, erwies sich die beim Verwaltungsgericht noch anhängige Klage der Mietropa auf Erteilung der Baugenehmigung für den Sonnenring als Glücksfall. Unter dem Druck einer drohenden Entscheidung des Gerichts konnte man die Sache geräuschlos abwickeln: Kirchgässner war ausgebootet und die Entscheidungsträger bei der Mietropa, der Helaba und Stadt Frankfurt waren Parteifreunde. Das dürfte die Klärung der noch offenen Fragen und die Beilegung der anhängigen Verfahren erheblich vereinfacht haben. Niemand wollte die Baugenehmigungen dringlicher als die Helaba, um den Sonnenring endlich fertigzustellen und zu vermarkten; und für den Magistrat war der Abschluss eines Prozessvergleichs der Ausweg, die Causa Sonnenring unter Ausschaltung der Öffentlichkeit und Anwohner zu Ende zu bringen. Die Entkopplung der Baugenehmigung vom B-Plan und der Verkehrsplanung bootete die Nachbarn aus, weil sie nur gegen den B-Plan hätten klagen können, nicht aber gegen die Baugenehmigung, ein paar wenige unmittelbar Betroffene waren zuvor schon abgefunden worden.


    Der Ausschuss für Planung und Bauen ermächtigte mit Beschluss vom 6.9.1973 den Magistrat zu Vergleichsverhandlungen mit der Helaba, die StVV stimmte am 13.9.1973 zu, diesen Vergleich abzuschließen:


    1.) Die Stadt Frankfurt a.M. wird nach Unterzeichnung dieses Vergleiches durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine weitere Teilbaugenehmigung für das endgültige Bauvolumen zum Bauantrag Nr. 10250 vom 8.2.1971 erteilen und zwar gemäß beiliegendem Plan für den Ring I (großer Ring) 16 Geschosse und für den Ring II (kleiner Ring) 9 Geschosse.
    Die Vergleichsparteien stimmen darüber überein, daß eine endgültige Baugenehmigung
    erteilt wird, wenn die abschließende Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörde abgeschlossen ist.
    2.) Die Bauaufsichtsbehörde wird in der endgültigen Baugenehmigung nur noch die unter Berücksichtigung von Ziffer 1 sich ergebende notwendige Zahl an Stellplätzen bzw. Garagen fordern.
    3.) Die Mietropa wird ihre Bauvorlagen zur Erteilung der endgültigen Baugenehmigung unter Berücksichtigung von Ziffern 1 und 2 umgehend abändern.
    4.) Die Mietropa und die Hessische Landesbank verzichten gegenüber der Stadt Frankfurt a.M. auf alle Rechtsansprüche öffentlich-rechtlicher und privat-rechtlicher Art aus diesem Bauvorhaben, soweit diese im Zusammenhang mit der im Vergleich vereinbarten geringeren Bebauung stehen.
    5.) Die Vergleichsparteien gehen übereinstimmend davon aus, daß Ansprüche nachbarschützender Art von den Grundstücknachbarn gegen die Stadt oder die Bauherrin nicht erhoben werden können.
    6.) Die Mietropa nimmt nach Unterzeichnung dieses Vergleiches alle im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben stehenden anhängigen Verwaltungsstreitverfahren zurück.“


    Die Baugenehmigung für den Sonnenring in der Form, wie wir ihn heute kennen, wurde erteilt, das Vorhaben bis Ende 1975 fertiggestellt.


    Was ist geblieben?

    Das Hochhaus wurde in voller Höhe verwirklicht, der Sonnenring in leicht kastrierter Form. Der Wohnungsverkauf verlief nur schleppend, die erzielten Preise blieben weit hinter den Erwartungen zurück, sie lagen laut SPIEGEL über Jahre bei 2.500 DM/m², der Sonnenring war über Jahre von hohem Leerstand geplagt.


    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stand 08/2017, © Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation

    Der Blick in die heutige Flurkarte zeigt, die Mailänder Straße wurde nur in halber Breite hergestellt, obwohl die Mietropa der Stadt die für den einst geplanten Ausbau notwendigen Flächen abgetreten hat. Und auch an anderer Stelle zeigen sich Ansätze für die einst beabsichtigten Straßen. Ansonsten liegt die Gegend heute noch so wie nach dem VGH-Urteil von 1972: keine FNP-Änderung, kein Stadtring, kein B-Plan, keine geordnete, zukunftsweisende Stadtentwicklung – ein planungsrechtliches Trümmerfeld, könnte man sagen. Kein Magistrat hat sich auf dem südlichen Sachsenhäuser Berg je wieder etwas zugetraut, obwohl die Gegend städtebauliches Potenzial hätte.

  • Interessanter Bericht. Hatte Anfang der 2000er ein paar Jahre im Sonnenring gewohnt. Highlights war das integrierte Hallenbad und die fantastische Aussicht.
    Ich hatte im 14. Stock gewohnt (eigentlich 18. Stock da das Erdgeschoss auf einem Sockel von 4 Garagen-Ebenen steht).
    Die Lage war mir allerdings etwas zu abgelegen und einzige Anbindung an den oeffentlichen Nahverkehr war eine Bushaltestelle am Suedfriedhof.