Quartier am Tacheles

  • "Erhalt von Verfall" ist doch nicht unbedingt ein Wiederspruch an sich. Wichtig ist unter anderem die Nutzung die damit verknüpft ist(morbideres AUssehen + Kunst passt meiner Meinung nach sehr gut zusammen). 1995-97 hat der KULE e.V. eindrucksvoll bewiesen, wie man sich in einem hochwertigen Sanierungsgebiet in Selbsthilfe mit einem Konzept, dass eben genau eine Konservierung des Verfalls vorsah, durchsetzt.
    Klar ist auch, dass dies nicht ohne Förderung funktionierte. Die Fassade wurde unter Bewahrung und Konservierung aller Spuren der Vergangeheit, d.h. Abnutzung, Verschmutzung, Putzschäden etc. aufwändigst saniert und gesichert. Die Sicherung durch Injektagen und das Hydrophobieren aufgerissener, stark saugender Putzgründer erforderte eine sehr sorgfältige Arbeitsweise und ein großes Know-How. Es ist also nicht simpel den morbiden Charackter eines Gebäudes langfristig zu erhalten, eher aufwändiger als eine typische Sanierung.
    Das Gebäude ist jetzt ans sich schon Kunst, und durch die am Dach angebrachte Hebetechnik kann die Fassade zusätzlich durch Kunstaktionen in Szene gesetzt werden.(edit: ist schon schlimm genug, dass der blöde Kunstsammler schräg gegenüber sich einen solchen KotzKlotz dahingestellt hat!)


    Ich versteh also nicht wie die Diskussion auf einmal darauf hinausläuft, das Schäden/Verfall nicht konserviert werden können. Es gibt ja weitere prominente Beispiele in Berlin-Mitte, wie das Neue Museum, wo einige Wände, Säule durch Risse und Einschusslöcher genau den selben Charakter haben wie die Auguststrasse 10.


    Und nicht zu vergessen die Fassaden"sanierung", die wir kürzlich im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum-Thread begutachtet haben


    .............vorher...............................................nachher............


    Das Tacheles ist eine Touristenattraktion sondergleichen, warum sollte man so einen Top Tipp aus den Touristenführern verbannen? Bitte doch nicht für neue 400m² Wohnungen, Büros, ein Hotel oder gar Shoppingflächen! Die O'burger ist keine geleckte Touristenmeile, und genau dass wollen die Leute sehen. Nachdem sie am Hackeschen Markt übertrieben teuer und schlecht Italienisch gegessen haben, an ein paar leicht bekleideten Damen in O'burger-Flanierstiefen vorbei in Kitschgeschäfte, dann ein paar Kunstgalerien betrachten und zum Abschluss ins Tacheles. Auch wenns dort immer nach Haschisch und Pisse stinkt, die Kunst nicht mehr das ist was sie einmal war, bleibt der Mythos der Hausbesetzung noch bestehen. Berlin soll nicht weiter normiert werden und seinen Esprit verlieren. Ich bin definitiv für den Erhalt. Man kann gerne über neue Ausstellungskonzepte nachdenken.

  • Kunsthaus Tacheles vor der Räumung

    Der Tagesspiegel berichtet soeben, dass der Vorstand des Vereins Martin Reiter und der Insolvenzverwalter des Vereins bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärt haben, dass das Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Straße vor der Räumung steht. Nachdem die HSH-Nordbank 108.000 Euro "ortsübliche Miete" verlangt hat, ist der Verein pleite gegangen. Außerdem hat die Bank kein Interesse an einer anderen Lösung, sie will die Räumung. Es wurde eine "einstweilige Verfügung" angekündigt, mit der sie die Rückgabe des geräumten Gebäudes durchgesetzt könne.
    Der Insolvenzverwalter ist der Auffassung, dass mit einer kommerziellen Nutzung des Erdgeschosses könnte diese Summe finanziert werden könne, die Kunst würde dann aus dem Objekt heraus "querfinanziert" werden. Aber die HSH-Nordbank hat bisher keine Verhandlungsbereitschaft gezeigt. Sie will das Grundstück nur als Ganzes veräußern.


    edit:Artikel in der Berliner Zeitung

    2 Mal editiert, zuletzt von Beschty () aus folgendem Grund: link

  • Für mich persönlich - ich gebe hier auch nur meine Meinung wieder - ist das eher dekadente Extravaganz. In weniger wohlhabenden Ländern wird es nur ungläubiges Kopfschütteln, auch unter Künstlern, auslösen wenn die hören dass man hier sanierungsbedürftigen optischen Zustand unter immensem Zusatzaufwand konserviert. Bestenfalls "schrullig". Auch das Extravagante lebt wie jedes Kunstwerk im Übrigen von seiner Einmaligkeit, es hat für mich also keinen Vorbildcharakter.

  • Wie alle derartigen Projekte ist auch das Tacheles keine dauerhafte Institution. Tatsächlich wurde hier das Mindesthaltbarkeitsdatum schon vor langer Zeit überschritten - die Karawane ist längst weitergezogen und das Ganze ist heute eher ein auf bizarr getrimmter Themenpark für die Touristenmassen, denn ernsthaftes Aushängeschild für die Berliner Kunstszene.
    Der Verein ist pleite - und nun? Das Gebäude (oder vielmehr das was davon übrig ist) hat schon sehr viel mehr gesehen als das Tacheles, es wird auch das überstehen und einer anderen Nutzung zugeführt werden. Kein Drama, sondern eher ein Lichtblick.

  • Weshalb bist du dir so sicher, dass nach Veräußern des Areals das Gebäude eine andere Nutzung erfahren wird? Je nach Investor wird das Tacheles doch eher abgerissen werden. Mehr Platz für langweilige 08/15 Friedrichstraße 100 Architektur. Mir ist dieser "Themenpark" viel lieber als ein weiteres Bürogebäude, in dem am Tage gearbeitet und in der Nacht die Lichter ausgehen. Immerhin pulsiert dort das touristische Leben heutzutage. Natürlich ist es ein Schatten der damaligen Initiative, und ja, ein beliebter Zwischenstopp für Amerikanische, Italienische oder Britische Pubcrawler. Es hat ja auch gar nicht den Anspruch ein Aushängeschild für die Berliner Kunstszene zu sein, das ist jedem klar, der den ADAC Touristenführer nicht als Fachbuch ansieht. Aber trotzdem hat das Gebäude Geschichte und erinnert durch seine Wildheit an ein Berlin, welches immer mehr verschwindet. Lauf doch mal nachts durch die Spandauer Vorstadt, wo ist da der Charme geblieben, oder besser ausgedrückt: haben die Lückenfüller den Charme erhöht?
    Die Brachfläche zu bebauen ist eine Sache die ich gutheiße, auch das Biotop und die Hütten können weg. Aber aus der Marke Tacheles kann noch viel mehr herausgeholt werden als ein Bauplatz oder neue 200m² Luxus-Loft für Millönchen.
    Ich bin der Meinung es müssen erst einmal Ideen her bevor man diese Kultur zerstört und am Ende weitere 10 Jahre mit einem leer stehenden Gebäude, welches dann auch wirklich verfällt, vorlieb nehmen muss.

  • Versteh ich nicht. Fast der gesamte Thread hier behandelt Ideen rund ums Tacheles Areal... Und ich sehe auch nicht welchen Charme das Haus in diesem Zustand verbreiten könnte oder an welches Berlin dadurch erinnert werden soll? Ein Berlin des Verfalls, des Mülls und Dreck? Damit 3 Touris dann zu Hause prahlen können, wie kaputt es doch hier ist und sie es doch überlebt haben? Nee, muss ich nicht haben dieses Image. Muss ich auch nicht bewahren.

  • Was mir beim Lesen dieses Threads grad so in den Kopf steigt:
    Wieso muss immer alles vermarktet werden und warum wird der Wert gewisser Objekte einzig durch die Zuhilfenahme einer betriebswirtschaftlichen Brille taxiert?


    Informativer Querverweis; der sicherlich vielen Menschen schon geläufig ist:
    http://gentrificationblog.wordpress.com/

  • @ bayer und tel 33,


    was ist so schwer daran zu begreifen, daß man ein Gebäude schlicht und einfach in seinem Zustand und seiner Nutzung erhält, indem man anfallende Wartungen und Reparaturen durchführt. Das hat weder was mit künstlicher Konservierung noch mit Dekadenz zu tun. Es ist doch absolut sinnlos dieses sehr gut funktionierende Kulturprojekt (ja, daß ist es trotz touristischer Überflutung immer noch) beseitigen sollte, um es dann durch Investorenprojekt XY Version 20000 zu ersetzen. Wenn der Tachelesverein dabei Förderung braucht sollte er diese auch erhalten, die Summe durfte wohl kaum ins Gewicht fallen für eine Stadt, die allein 120 Mio Euro im Jahr für seine Opernhäuser locker macht.

  • @ Phoenix


    Mal ganz grundsätzlich: Es muss doch dem Gebäudeeigentümer gestattet sein, seine Immobilie zu bewirtschaften, sprich zu vermarkten, wenn er das will. Das ist doch nun per se nichts verwerfliches. Eine Stadt muss sich doch nun auch entwickeln dürfen und wird das auch immer tun. Einige Gegenden werden aufgewertet, andere Fallen ab, das ist das ewige Hin- und Her der Entwicklung. Ob man das nun begrüßt oder nicht.
    Wenn der Tachelesverein unbedingt in der Ruine bleiben möchte, muss er sie halt kaufen und kann damit machen was er will. Jahrelang fast nichts bezahlen, dann aber große Forderungen zu stellen, halte ich schlicht für etwas vermessen und realitätsfern.


    So wahnsinnig wichtig ist das Tacheles in Meinen Augen auch nicht (mehr), als dass ein Aus-/Um-/Wegzug bzw. Aufgabe des Vereins ein großes Loch in die Berliner Kulturszene reißt.

  • Die Romantik kommt wieder?


    Über diesen subtilen Satz sollte mancher wirklich etwas länger nachdenken und dann nochmal versuchen die Konservierung von Nutzungsspuren als progressive Revolution der Architektur darzustellen.

  • Dann nimm dir deinen eigenen Satz mal zu Herzen und denk drüber nach, welchen Zusammenhang es zwischen den direkt als Ruinen gebauten pseudoantiken Tempeln der Romantik und dem Tacheles gibt.

  • Das gerade in Berlin so verbreitete Idealisieren von "Patina" etc. hat auf eine subtilere Weise sehr viel damit zu tun. Sehnsucht nach früheren Tagen, Flucht aus der immer unüberischtlicheren Gegenwart in die Vergangenheit (ein breites gesellschaftliches Phänomen, ich sage nur "Retro" allerorten). Und was für frühere Epochen halt die Antike war ist für heutige Zeitgenossen eben die Nachkriegsmoderne mit Wirtschaftswunder und grenzenlosem Fortschrittsglaube. Das platte optische Erscheinungsbild mag sich unterscheiden, die subtilen psychologischen Mechanismen nicht. Es geht um Konservierung und "Festhalten" an Vergangenem, gar eine Flucht in die Vergangenheit. Vielleicht verständlich in einer Stadt die seit 1990 solch einen tiefen Wandel vollzogen hat.


    Ironischerweise hat sich diese jüngere Vergangenheit mental ja gerade dadurch definiert alles anders machen zu wollen und "alte Zöpfe" abzuschneiden. Was vor 20 Jahren noch neu und avandgardistisch war ist halt im Jahre 2010 ein alter Zopf, ich kann es nicht ändern. Und die sog. "Investorenarchitektur" ist halt nun einmal etwas neues und wird in weiteren 20 Jahren vielleicht mit gleicher Vehemenz verteidigt. So ist das eben mit dem ständigen Konflikt aus "Alt" und "Neu" bzw. der verschiedenen Generationen.

    3 Mal editiert, zuletzt von bayer ()

  • Es ist doch absolut sinnlos dieses sehr gut funktionierende Kulturprojekt (ja, daß ist es trotz touristischer Überflutung immer noch) beseitigen sollte, um es dann durch Investorenprojekt XY Version 20000 zu ersetzen.


    Also irgendwie vermag ich dieses 'sehr gut funktionierende Kulturprojekt' nicht zu erkennen... Ich sehe in erster Linie einen Verein, der sich in einer stark sanierungsbedürftigen Ruine nur dadurch überhaupt am Leben erhält, weil er nichts dafür bezahlen muss. Wäre man tatsächlich an einer aktiven Teilnahme am Berliner Kulturleben interessiert, fände man auch Alternativstandorte in hinreichender Zahl. Aber darum geht es ja garnicht - es ist im Grunde ein reines Politikum.

  • Überall in der Stadt werden doch Gebäude, die für eine bestimmte historische Epoche typisch sind als Denkmäler erhalten. Der östliche Teil von Unter den Linden stellt ein Denkmal aus der Zeit der preußischen Könige dar, der Dom stammt aus dem wilhelminischen Zeitalter und ist ein Denkmal des Kaiserreiches, die Karl-Marx-Alle steht für die frühe DDR-Architektur und das Hansaviertel ist quasi ein Denkmal des alten West-Berlins. Ich finde das Tacheles in seinem jetzigen Zustand kann man durchaus als Denkmal des Nachwende-Berlins betrachten, da es für die ersten Jahre nach dem Mauerfall sehr typisch ist, sogar international einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat und bis heute trotz Gentrifizierung in der Umgebung überdauert hat. Es repräsentiert also einen wichtigen teil der jüngeren Berliner Geschichte. Das berechtigt meiner Meinung nach auf jeden Fall eine Konservierung des derzeitigen Zustands auch wenn der Verein für die Berliner Kunstszene nur noch wenig Bedeutung hat. Ich finde der Senat oder zumindest der Bezirk Mitte steht hier in der Pflicht sich für die Erhaltung stark zu machen.

  • ...wenn ein Denkmal aber doch einen Eindruck von früheren Tagen geben soll kann man nicht zu einem willkürlichen Zeitpunkt den Verfall "anhalten" und dann diesen beliebig gewählten Zustand dauerhaft konservieren. Das stört mich auch an der sog. "kritischen Rekonstruktion" so - voller Widersprüche.

  • Mittlerweile haben die Künstler einen offenen Brief an Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust und den Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins Peter Harry Carstensen geschickt und fordern darin den Erhalt des Tacheles. Unterstützung kommt von den dortigen Grünen und Linken sowie vom international renommierten Künstler Jonathan Meese. Obwohl Wowi das Kunsthaus erhalten wolle, sehe man nach Angaben des Pressesprechers Torsten Wöhlert, derzeit jedenfalls keinen Handlungsbedarf und wolle sich keinesfalls für den Erhalt des Künstlerhauses einsetzen.


    Weiter heißt es im Beitrag des DLFs, dass man sich anscheinend auf der politischen Ebene nicht ganz eins sei, was mit dem Tacheles passieren solle. Vielleicht wiederhole sich Geschichte und man kauft am Ende das Gelände ähnlich wie beim Hamburger Gängeviertel wieder zurück.

    Beitrag DLF


    Interessant auch ein Artikel der taz in der davon die Rede ist, dass die Zwangsversteigerung möglicherweise auch eine Finte der Fundus-Gruppe sein könnte, um das geplante Tacheles-Quartier doch noch realisieren zu können. Wie die Fundus-Gruppe aber 600 MEURO auftreiben soll um das Projekt auch tatsächlich realisieren zu können bleibt für mich ein Rätsel.


    Artikel taz

  • Apropos "Finte":


    Es könnte durchaus so sein, wenn man diesen vor drei Tagen erschienenen Kulturbeitrag im Deutschlandfunk berücksichtigt:


    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1111701/


    Hier sagt Fundus-Sprecher Johannes Beermann, dass die "Investorengruppe FUNDUS [...] auf dem Gelände an der Oranienburger Straße in Berlin Mitte ab 2011 Luxusappartments mit einer Investitionssumme von etwa 600 Millionen Euro bauen [wolle]. Entstehen sollen die "Tacheles-Höfe", deren Mittelpunkt, ein zehnstöckiger Wohnturm sein wird".


    Zitat Beermann: "Die Neunutzung des Quartier am Tacheles ist eine Nutzung im Sinn des New Urbanism. Das bedeutet, dass in der Stadt wieder alle Lebensfunktionen - Wohnen, Arbeiten und Nutzen der Freizeit -daran orientiert sich das Quartier."
    (irgendwie fehlt hier ein Verb...)

  • Also irgendwie ist das schon reichlich verwegen, dass man vom Hamburger Bürgermeister Unterstützung für ein Projekt in Berlin fordert... Warum zieht man dann nicht einfach dort hin, wenn schon die Rahmenbedingungen soviel günstiger sind?

  • Apropos "Finte":


    Es könnte durchaus so sein, wenn man diesen vor drei Tagen erschienenen Kulturbeitrag im Deutschlandfunk berücksichtigt:


    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1111701/



    Dit is aba der gleiche Beitrag den ich auch verlinkt habe ;)


    Ich vermute eher, dass das Zitat aus 2008 stammt. Denn da waren die Pläne noch recht konkret. Doch mit der Finanzkrise nahmen auch bei Fundus die Probleme zu, und ob die noch so viel Geld auftreiben können wage ich zu bezweifeln (auch wenn ich mir Realisierung des Projektes wünschen würde).