Deutschlands schönste Bausünden

  • Jetzt schon Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen die noch nicht mal ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben ginge zu weit. Ich betrachte das allgemein sehr kritisch dass die Kandidaten für Unterschutzstellung immer kürzer stehen. Irgendwann kommts wirklich noch dass man sogar schon Gebäude unter Denkmalschutz stellt die noch nicht mal gebaut sind...
    Ich kenne die von dir angesprochene Straße nicht, aber Fliesen als Fassadenmaterial geht mal gar nicht, da ist mir ja Sichtbeton fast noch lieber.
    Wobei du natürlich recht hast, dass es bedauerlich ist, dass irgendwie ausgerechnet die gelungendsten Vertreter der architektonisch alles andere als glorreichen 50er-60er Jahre gerne das Opfer der Abrissbirne oder von "zeitgemäßen" Verunstaltungen werden (während die schlimmsten stehenbleiben und allenfalls etwas aufgepeppt werden).

  • Ich gebe Dvorak grundsätzlich Recht, nicht alles aus der Nachkriegsmoderne sollte abgerissen und durch noch drittklassigere Mode-Architektur ersetzt werden. Denkmalschutz ist aber wohl auch nicht das richtige Mittel, weil zu restriktiv. Oftmals sind Formen und Baumassen der Nachkriegsmoderne gar nicht so schlecht - es sind sehr oft die Materialien, die einfach zu wenig hochwertig wirken. Heutzutage könnte man durch intelligente Sanierung und Umbau viele dieser Mängel beheben (damit meine ich jetzt aber nicht Kaufhof Berlin Alexanderplatz, da wurde die Fassade entstellt). Aber dennoch, bitte kein sturer Denkmalschutz mit originalgetreuer Rekonstruktion. Übrigens, hier nochmal die Fassade vom Braunschweiger Hbf: http://upload.wikimedia.org/wi…Hauptbahnhof_Gesamt_2.JPG

  • War das bei "ttt - titel thesen temperamente" etwa gerade der Beitrag, über dessen Sendetermin Sie uns rechtzeitig informieren wollten?

  • peinlich, peinlich, Kent

    Zitat Kent: "Achso, das Forum soll hier Ihnen die Arbeit abnehmen, die sie später bezahlt bekommen? Ist das Ihr Ernst?"
    Ist das Ihr Ernst, Kent? Andere Kollegen freuen sich über jeden, der sich für Architektur und Baukultur interessiert. Erst recht, wenn er ein Projekt mit einer Breitenwirkung wie dieses hat. Besser wünschen wir 'Debütant' viel Erfolg für seine Recherchen und das was daraus werden kann.

  • Jetzt schon Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen die noch nicht mal ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben ginge zu weit.


    In Heidelberg treibt der Denkmalschutz teils seltsame Blüten. Beim "Quartier am Turm" auf dem ex-Furukawa-ex-Waggonfabrik-Fuchs-Gelände wurden seitens der Stadt die historischen Fassaden der alten Werkshallen unter Denkmalschutz als "Industriedenkmal" gestellt (ebenso wie die Besitzervilla auf dem Gelände). Die Fassaden rangieren von 60 bis 100 Jahre im Alter, und sind typische Backstein-Industriefassaden aus jener Zeit, wie man sie teils in ähnlich alten Werken aus den 30ern und früher noch findet.


    Das Resultat kann man unter http://www.quartier-am-turm.de/uploads/pics/uebersicht.jpg bewundern, vor allem im Bereich links unten, aber auch entlang der Straße in der Mitte. Die drei im Bild verbleibenden Hallen sind mittlerweile übrigens auch abgerissen, wobei von der Halle am Bildrand links neben der Brache wiederum die Fassaden ähnlich behandelt werden.

  • Ja, hat schon durchaus was.


    Es wirkt nur teilweise aus der Nähe etwas seltsam, insbesondere im Detail - im Westen (nicht im Bild) gibt es einen Abschnitt, wo diese Fassade offen als Begrenzung eines Supermarktparkplatzes da steht. Entlang der mittigen Straße verkleiden die Fassaden kleine "Vorhöfe" für die Eingänge der Reihenhäuser, wobei diese jeweils hälftig bis an die Fassade vor gezogen sind.
    Entlang der Straße im Süden wirkt, durch die deutlich über die alten Fassaden ragenden Stadthäuser, die Straße sehr dunkel und eng.


    Sind alles kleinere Dinge die aus dem Denkmalschutz resultieren, aber teilweise halt etwas unschön. Ich bin gespannt, was an der relativ offen da stehenden Halle im Westen noch hinkommt.

  • Deutschlands schönste Bausünden kenne ich nicht, aber der Welt größte Bausünde ist mir wohl bekannt.


    Es handelt sich um die Internationalistische Architekturpartei Moderne, welche seit ca. 90 Jahren die Welt terrorisiert und, um ihr radikales und reduziertes Architekturweltbild durchzusetzten, eine Gruppe von Gestaltungselementen im höchsten Maße diskriminiert und eliminiert, nämlich das Ornament.


    Diverse Gefreite der bildenden abstakten Künste haben sich in den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts aufgeschwungen, um die tausende Jahre alte Geschichte der Architektur und deren gesunde, langsame Weiterentwicklung in einem globalen Angriff mit den Waffen der Abstraktion und der Reduktion zu vernichten.


    In Ausbildungslagern (z.B. Dessau) wurden Spezialisten herangebildet, die das architektursozialistische Gedankengut in der Welt verbreiteten. Dies war sehr erfolgreich, alle Feinde der Moderne wurden weitgehend eliminiert, ab und zu auftretende Konterrevolutionsversuche wurden im Keim erstickt. Doch gibt es immer noch Widerstandskämpfer, die Unterstützung von nicht unwesentlichen Teilen der Bevölkerung erhalten.


    Inzwischen ist jedoch die Erziehung zur modernen Architektur so erfolgreich, dass ein Anknüpfen an alte Baustile oder die Verwendung von klassischen Elementen als "historisierend" bezeichnet wird, was in der Assoziation inzwischen allgemein als gerechtfertigte Abwertung wahrgenommen wird. Gegen diese in den Ausbildungslagern der Moderne vorgenomme "Gehirnwäsche" gilt es anzugehen. Für alle Studenten deshalb dieses Flugblatt !!!


    Heute erscheint einzig der konkrete Kontext des Ortes, an welchem gebaut wird, als gerechtfertigtes Kriterium für den Neubau, Weiterbau, Wiederaufbau oder der Rekonstruktion eines Gebäudes.


    Angesichts des der Allgemeinheit zu Verfügung stehenden Wissens um Architektur(geschichte) fällt es schwer zu verstehen, weshalb nicht spezifisch für jeden Ort die passenden - also den Kontext erfüllenden - architektonischen Mittel verwendet werden.


    Die Tabuisierung des Einsatzes von bestimmten architektonischen Gestaltungsmitteln (aller Epochen) erscheint genau so unsinnig wie deren willkürliche Anwendung an Orten, an welchen kein dafür entsprechender Kontext existiert.


    Ich plädiere daher für die Schaffung einer neuen Architekturphilosophie, welche keinen speziellen Stil zum einzig richtigen erhebt, gleichzeitig aber auf die willkürliche Anwendung irgendwelcher Stile an speziellen Orten verzichtet.


    So nenne ich dich mal......kontextueller Multistilismus.

    :lach::nono:;):D:cool::Nieder::mad::confused::):daumen:


    Grüße
    Jaguar-XKSS


    P.S.
    ich bin so modern, dass ich einen Oldtimer fahre....aber nur ab und zu ! Ansonsten bewege ich mich noch moderner vorwärts, nämlich mit dem Fahrrad !

  • Kann man denn die Architektur in unserer sozialen Marktwirtschaft, Mediendemokratie und Junk-Gesellschaft mit zerstörten Familienstrukturen einem philosophisch unbefriedigenden Weltbild, nun mehr unbegründeten Resten einer ehemals religiös begründeten Ethik und einer expotenziellen Beschleunigung der Folge von Moden als ein zeitlich so losgelöstes Element betrachten?
    Wenn früher aufgrund der technischen Möglichkeiten in einer Region Schieferdächer gebaut wurden (weil sie am technisch sinnvollsten und billigsten waren), heute aber einer potthässliche PVC-Eindeckung billiger ist und man aufgrund schnellen Mode-, Haustechnik- und Gesellschaftswandels nur noch auf 30 Jahre planen kann, warum dann Schiefer? Hätte man 1880 PVC gehabt, hätte man es vielleicht nicht verwendet. Hätte man aber 1880 damit gerechnet, dass man die Fassade bei der nächsten Renovierung mit zusätzlichen 20cm WDVs dämmen muss, hätte man sich den Stuck gespart. Das Problem ist komplexer, als nur eine ästhetische Ideologiefrage. Es ist schon gesamtgesellschaftlich. Ich gebe zu, dass es gut sein kann, dass die Architekten eine entfremdete Ästhetik haben. Aber man darf es nicht darauf reduzieren.
    Dort wo nämlich Architekten die finanziellen Mittel hatten, also bei hochpreisigen Innenstadtprojekten kam doch oft was ansehnliches dabei raus. Vielleicht etwas unterkühlt im Charme, aber nicht unbedingt schlecht. Und sogar die "historisierenden Architekten" haben prall gefüllte Auftragsbücher und werden nicht nur gemieden und diffamiert.


    Waren also nicht auch immer die Bauwerke vergangener Jahrtausende Spiegel ihrer Gesellschaft? In ihrem Anspruch und Ästhetik Ausdruck einer fest determinierten Weltordnung? Und ist das heutige deutsche Stadtbild nicht auch genau der Spiegel unserer Gesellschaft zwischen Deutschland sucht den Superstar, Stromberg, Rosenheim Cops und der Tagesschau? Gebaut von neoliberalen Grünen und kapitalistischen Heuschrecken? Bewertet vom "Spiegel" und "Brigitte" und gelebt von uns allen?
    Edit: Wer hat nix von Ikea? Und wer hält in seiner Wohnung einen perfekt reinen "Landhausstil" durch :D
    Schande über uns alle ;)


    Noch mal zum Thema "Neohistorismus"
    Ich will nicht sagen, dass eine historisierende Architektur unzeitgemäß wäre. Aber sie ist letzten Endes kulturell betrachtet genauso wertvoll wie das xte Cover eines alten Popschlagers.
    Allerdings schaffen's Coversongs immer wieder in die Charts - also können sie ja gar nicht so schlecht sein ;)


    Ich denke aber auch, der Begriff "Bausünde" sollte nicht synonym für häßliche Gebäude stehen, sondern eher für zu kurzfristig oder gar nicht bedachte städtebauliche Nachhaltigkeit in der Planung.


    Ob das Heidelberger Beispiel von kato2k8 zur Bausünde wegen dem Denkmalschutz wird weiß ich nicht. Aber diese Inevstorenarchitektur im allgemeinen - vor allem das (nicht vorhandene) Freiraumkonzept ist schon sehr billig. Von Quartiersbildung kann da keine Rede sein. Es ist trotz Dichte absolut anonym!

  • Schöne Bausünden

    Richtig, also, Bausünden sind doch zunächst solche Schöpfungen, die vom Baustiel (Form, Fassadengestaltung, Farbe etc.), Umfang und Qualität in ihrer Umgebung deplaziert sind oder auch nur weil sie einen Kontrast zu Umgebung darstellen wollen, dabei können sie für sich genommen ja durchaus auch "schön" sein. Weitere Kontraste können natürlich im speziellen Fall, in einer schon bestehenden "kreativen" Umgebung, eine Bereicherung sein.

    Die richtige Wahl, mit Gespür und gutem Geschmack für den jeweiligen Standort zu treffen, ist eine Kunst und gehört auch zur "Baukunst".
    Und, wo ist denn die gut aussehende, überzeugende Weiterentwicklung der Baukunst von zuletzt ~1925? Bis auf die seltenen Ausnahmen guter neuzeitlicher Architektur, dann aber oft noch am falschen Standort.

    Wurden die Bauwerke der vergangenen Jahrtausende (hier geht es ja nicht um Lehmhütten oder Dorfgaragen) etwa vom Jahrmarktgaukler, vom Bäcker um die Ecke oder vom Kuhhirten beeinflusst?:nono:

    Das heutige Stadtbild als Spiegel unserer Gesellschaft ("Deutschland sucht den Superstar, Stromberg, Rosenheim Cops und der Tagesschau") zu legitimieren stellt den Stadtplanern, Architekten und intellektuellen Gestaltern, ein Armutszeugnis aus. Sollen die sich etwa beim Entwerfen der Bauten an diesen orientiert haben?;)

  • Eine "Ursache" erzeugt eine "Wirkung", solch ein "Wirkung" kann wiederrum zu einer neuen "Ursache" werden. Dies nennt man das sog. Ursache-Wirkungsprinzip.


    Vielleicht führte eine reduzierende, kalte und monotone Gestaltung unseres Lebenraumes auch genau zur entsprechenden Gesellschaft, und nicht nur umgekehrt.

  • Ihr versteht beide meine Kritik nicht. Ich suche gar keinen "Schuldigen", denn den gibts einfach nicht.
    Selbst wenn man den modernistischen Ideologen auf den Scheiterhaufen bringt, wird das nur wenig ändern.
    Die aktuelle Situation ist das Ergebnis aus Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft, ideologischen und weltbildlichen Strömungen. Man bezeichnet das als "Interdependenz". Natürlich sind die Architekten verantwortlich für ihre Bauten und ihren Geschmack. Aber eben dieser Geschmack begründet sich auch irgendwo. Es ist eben nicht so einfach und simpel wie Walt Disney die Welt zeichnet :P


    Das ganze ist ähnlich komplex wie unser Ökosystem - und auch da verbrennen wir Öl und Kohle, essen frei gefangen Fisch und Milch für 49 Cent, obwohl wir wissen, dass es irgendwo schlecht ist.


    Wenn man eine andere Architektur will, dann muss man vielmehr ändern, als nur ein paar alte Professoren zu feuern und artige Kunst zu unterrichten. Da bräuchte man ein anderes (aber bitte natürlich entwickeltes) gesellschaftliches Bewußtsein.

  • Selbstverständlich hast du Recht mit der Feststellung, dass die architektonischen Probleme unserer Zeit nicht auf das Tun eines einzelnen zurückzuführen sind. Sie entstehen durch den Einfluss vieler Faktoren.


    Kein einzelner Mensch kann die (Architektur)Welt ändern, zum Glück. Aber VIELE Menschen können mit ihrem veränderten Tun in einem Bereich allmählich etwas ändern.


    @ RobertKWF


    Deiner Erklärung des Begriffes "Bausünde" in "32" schließe ich mich an. Sie beschreibt im weiteren die Grundlage für die "kontextuelle Entwurfsweise", also die Entwicklung eines Gebäudes primär aus der vorhandenen Umgebung heraus. Dies kann so weit gehen, dass der Ort sozusagen das Gebäude entwirft.


    In diesem Sinne habe ich damit auch gleich meinen persönlichen Einzelfavoriten für die "schönste Bausünde" Deutschlands gefunden. Ein Gebäude, welches noch gar nicht existiert, aber wohl gebaut wird. Der neue Hauptbahnhof in München.

  • Schon eine interessante Liste. Gut ist, dass kein Gebäude aus Deutschland dabei ist. Dies spricht für die Qualität der deutschen Architektur! :daumen:


    Meiner Meinung nach fehlen einige italienische Projekte aus den 70ern.
    Das mit Paris seh ich genauso, sollte eigentlich Platz 1 sein. Mir fehlt Athen, da gibt es doch genügend Baumüll!

  • Hab die Liste gesehen. Fast alles gehört verdientermaßen darein. Den Tour Montparnasse find ich als Solitär nicht so übel, für die Umgebung bedeutet er jedoch einen krassen Bruch.


    Mein Lieblings-Kult-Ugly bzw. Never-Finished Bauruine ist nach wie das Ryugyong Hotel in Nord Korea.


    Die größte Bausünde in dem wenig schnitzerproduzierenden Deutschland wird ca. 2015 fertig und kostet etwa 1 Mrd Euro. Sie wird in Berlin stehen und sich dann Humboldt-Forum (aka Stadtschloss) nennen.

  • Sind schon wirklich schlimme Sachen dabei. Wobei ich mir beim Port Authority Busterminal denke, da gehört wohl ein "Mondrian" und 10.000 l Farbe hin. Dann könnte ich es mir sehr interessant vorstellen...

  • @ Lear:
    nun wo der PDR nicht mehr da ist, was soll denn sonst statt dem Schloß dahin?
    Bist du so ein riesiger Fan von der Kunsthalle? Willst du die etwa dauerhaft?