Frankfurter Architekturdebatte: Wie zu bauen sei

  • Eine Stadt braucht Bewegung, denn sie ist in einem Zustand des niemals Fertigen. Aber... soviel Bewegung wie die meisten deutschen Großstädte während des zweiten Weltkrieges erfahren haben muß auch eine spezielle
    und langwierige Auseinandersetzung mit dem Thema Wiederaufbau und Identität nach sich ziehen. Für mich sind die meisten Großstädte noch nicht wieder aufgebaut!
    Grade an den stellen die einst Identitätsbildend waren -markante Punkte im Stadtbild, fehlt oft das was es einst unverwechselbar gemacht hat. Und wenn, hat sich die städtische Situation zum Nachteil des historischen Gebäudes verändert. Wo man hinschaut sieht man Provisorien die an das Ideal, welches nicht mehr existiert niemals heranreichen. Und damit soll man sich zufrieden geben?
    Ein paar Jahrzehnte reichen für eine Stadt die vom Schatten ihres historischen Idealbildes verfolgt wird nicht aus. Es ist klar das unsere
    Gesellschaft sich mit dem Verlorenen immer wieder auseinandersetzen muß und wird.
    Schließlich geht es um ein ästhetische Empfinden um das Generationen gebracht wurden!
    Ich finde die Meinung der Meisten Akademiker aus dem Bereich der Architektur zum Thema Bauen im historischem Gewand erschreckend.
    Geht es nicht nur um ein Gebäude sondern auch um eine für die Stadt typische Ästhetik. Ich bin froh über Orte die diese versuchen wiederzugeben. Disneyland ist ein Spaß, dieses Empfinden und diese Sehnsucht aber nicht.


    Ein Neuer.

  • @ Timmi:


    Also wenn ich deinen Beitrag richtig lese bzw. interpretiere, macht man es im Ausland also falsch, und in Deutschland genau richtig. Lieber ästhetisch in vielen Fällen unansprechend und den nüchtern-funktionalen Investoren-Klotz in ehrlichem Sichtbeton voll in die Fresse der breiten Bevölkerung, anstatt ihn, wie hier, in das Gewand eines historischen Baus zu kleiden? Eine ziemlich arrogante, geradezu koloniale Einstellung, am deutschen (Bau-)Wesen soll also die Welt genesen, und die anderen Staaten leiden mangels Baukultur schlicht unter Geschmacksverirrung, oder wie? :nono:


    Und wie du auf die Idee kommst, dass man in den Emiraten, Russland, vor allem aber China keine Baugeschichte habe, kann ich irgendwie nicht nachvollziehen. In China hatte man schon ein Bauwesen, also unsere Vorfahren noch im Bärenfell durch den Teutoburger Wald stapften. Und die Rezeption europäischer architektonischer Einflüsse begann in Russland wie in China auch erst im 18. Jahrhundert, ohne dass das Bauwesen an Eigenständigkeit verloren hätte.


    Zu guter Letzt hast du meines Erachtens sehr wohl verstanden, dass ich mit dem Bezug aufs Ausland keinen neuen Eklektizismus herbeigesehnt habe. Die Geschmacklosigkeit von Projekten à la "The World" oder "The Universe" weiß ich sehr wohl einzuordnen. Ich habe schlicht für etwas mehr Toleranz für Rekonstruktionen an Stellen, wo früher ein wertvolles Gebäude stand, sowie historisierendes Bauen im Allgemeinen geworben. Denn weder im Ornament an Häusern eines Neubauviertels sehe ich ein Verbrechen noch darin, einen Teil unseres baulichen Erbes wiederherzustellen, das auf weltweit einzigartige Weise zertrümmert worden ist.

  • @ Avatar


    Willkommen im Forum!



    @ RMA2000


    Ich habe mich vielleicht etwas barsch ausgedrückt. China und Russland hatten in der Tat eine Baugeschichte die sich in hunderten von Jahren im Gegensatz zu Europa nur wenig verändert hat. (siehe Baugeschichte der Verbotenen Stadt) Das ist jedoch nicht negativ gemeint. Zurück zu Thema…


    Ich habe nicht behauptet dass die genannten Länder keine Baukultur haben. Im Gegenteil, sie sind dabei ihre durchaus reiche Baukultur zu demolieren indem selbstverliebte Architekten aus dem Ausland und Scheichs/Oligarchen/Parteimitglieder, größenwahnsinnige Projekte verwirklichen. Was hält Dubai als Stadt zusammen und was die vielen gesichtslosen Millionenstädte in China? Das sind Fragen, finde ich, die man dort der Architektur stellen sollte und nicht wie historistisch und extravagant ihre Fassaden sind. Diesen von einigen so bewunderten und geforderten „Monolog-Historismus“ der mit der Baugeschichte keinen Sinn ergibt bringt niemanden weiter. Er bedeutet vielmehr das Ende von vielen Altbauten und dessen Geringschätzung sowie Reproduzierbarkeit. Jetzt in China und in den 30ern und auch im wirklichen Historismus bei uns. In Deutschland ist Gewiss nicht alles gut es scheint aber hier einige Erkenntnisse aus eigenen Fehlern zu geben, die man in der Realität aber meistens vermisst. So ein „immer höher hinaus“ und „die Geschichte schreiben wir neu“, gab es bei uns in den Nazi-Planwerken und zu Hochzeiten des Wiederaufbaus auch. Eines der Opfer was das Palais und scheint es auch wieder geworden zu sein.


    Mit den „Investoren-Klotz“ triffst du meiner Meinung nach genau das Problem was das Palais hat. „Die breite Bevölkerung“ kann auch noch stärker ihren Einfluss einbringen, wenn sie so etwas will. Ihr scheint das Palais eher Gleichgültig zu sein. Den Einfluss verbuchen die Investoren für sich, wie in Dubai und machen daraus Kommerz mit Einrichtungen für die oberen Zehntausend.

  • Wo im Ausland soll denn dieses so oft genannte Rekroparadies sein? Ich denke mal es ist mal wieder das „wilde Osteuropa“ gemeint, indem Oligarchen noch Paläste bauen dürfen. Im Polen gab und gibt es vollkommen andere Hintergründe und im Vergleich mit der Denkmallandschaft hier nicht vergleichbar. Und in Russland, im Fall Kaliningrad (Königsberg) ist die Diskussion darüber auch nicht gerade leicht behandelt worden.


    England zum Beispiel. Dort setzt sich der Thronfolger sehr fuer traditionelles bauen ein. Gerade hochwertige neue Viertel (z.B Canary Wharf, Ocean Village, etc.) orientieren sich an Gebaeude aus der victorianischen Zeit. Die Gebaeude erfuellen moderne Standards haben aber Bezug zur Tradition indem die Fassaden aus Klnker bestehen.


    Auch in Arabischen Laender gibt es starke Tendenzen, moderne Gebaeude eine traditionellen Fassade zu geben.


    Diese Gebaeude geben den Orten in denen sie erbaut wurden ein authentisches Gesicht. Moderne Funktionsarchitektur ist Geschichtslos und wenn jedes Gebaeude auf der ganzen Welt nach diesem Schema errichtet worden waere, braeuchte man nicht mehr zu reisen.

  • In arabischen Ländern gibt es auch Tendenzen indem man bei 40C° im Schatten, in einem Glashaus leben möchte.


    Der Thronfolger mit den großen Ohren setzt sich ja für so viele Dinge ein. Vieleicht setzt sich Angie auch demnächst für den Erhalt von DDR-Architektur ein.
    Solche Gebäude mit Klinker gibt es auch in der Hamburger Hafencity. Moderne mit traditionellem Hintergrund. In der Schweiz baut man noch traditioneller aber modern und alle Welt schaut verwundert hin dass sowas geht.
    Vielerorts scheint sich aber ein mediterran angehauchter pseudo Klassizismus durchzusetzen, der mit seinen Säulchen, Rundbögen und Balustraden ganz auf das Kindchenschema der Traditionalisten zielt.


    Historistische und Neoklassizistische Architektur findet man auch in der ganzen Welt, das kann kein Parameter für die Authentizität des Ortes sein. Materialität, Maßstab und Typologie spielen eine Rolle und da sind historistische Bauten nicht immer authentischer.



    Das was ich nur sagen wollte ist, das hier manche das hemmungslose Bauen und Rekonstruieren im historischen Gewand beklagen, was in den genannten Ländern offenbar ohne jede Diskussion als selbstverständlich hingenommen wird. Damit öffnet man aber die Büchse der Pandora der Beliebigkeit, wie man sieht. Gestern abreißen, heute Größenwahn und morgen wieder was Historisches. (Palais abreißen, Palais zu 1/3 wieder aufbauen mit Tiefgarage und Hochhaus, Palais Wiederaufbau wieder abreißen, Palais nach belieben neu aufbauen mit noch größeren Hochhäusern, und in Zukunft? Fehlt nicht noch ein Geschoss der Tiefgarage? -Wie, nicht skuril?) Wenn die Städte dort wirklich schöner werden, wandere ich aus!


    Ich will es auch nicht weiter vertiefen. Solche Diskursionen gibt es bei Projekten die irgendwie historisch aussehen oder aussahen hier im Forum genug, auf den Inhalt kommt es da nicht immer an.;)

  • Der gute Kompromiss

    Jetzt nur noch was für Fans der wie hier gefundenen guten Kompromisse:
    Zitat aus Wikipedia:

    Zunächst war dabei sogar der Wiederaufbau des Palais geplant, doch stellte sich heraus, dass die Verlegung der unter dem Gebäude zusammenlaufenden Kabel einen Millionenbetrag gekostet hätte. Nach langen Verhandlungen stimmte die Stadtverwaltung daher einem Kompromiss zu. Das Corps de Logis und die Seitenflügel wurden niedergelegt, nur die Portalbauten an der Großen Eschenheimer Straße blieben in der alten Form erhalten. Diese waren allerdings Neubauten gewesen...

    Quelle: Wikipedia


    Kommt das nicht bekannt vor? Wer trauert da um den Kompromiss der das Palais dahin gerafft hat nach? Leider war auch der Erhalt der Portalbauten zu teuer für den neuen Investor. Aber da gab es ja so einen guten Kompromiss, der schon einmal geklappt hatte. Geschichte wiederholt sich, es bleibt aber weiterhin ein "schönes" Projekt! (Sorry für die Polemik! ;))

  • Irgendwie verstehe ich nicht ganz, was du uns mit dem letzten Beitrag sagen willst. Nix neues und bekannt, aber was hat das alles mit dem Projekt jetzt zu tun?


    Und um deine Frage aus dem vorletzten Beitrag zu beantworten: ja, lieber ein "pseudotraditionalistisches" Gebäude als ein weiterer Betonklotz, der mein "Kindchenschema" befriedigt. Wenn dich deine Großmutter fragt, ob du zu Ostern einen jungen Hasen oder einen Nacktmull als Haustier geschenkt bekommen willst, wählst du dann den Nacktmull? Ein gutes Beispiel für Dogmatismus, womit wir wieder beim Anfang wären.


    Mit dem Gros der deutschen Städte kann es nur bergauf gehen, und dann lieber – neben qualitätvoller moderner Architektur, die ja, wo wir auch wohl alle einer Meinung sind, sehr selten ist – was "pseudotraditionalistisches" oder "neoklassizistisches" als "Füllmaterial", das diese entsetzlichen Betonkisten der 50er, 60er und 70er ersetzt, die einen allerorten anstarren und jeden Tag noch dreckiger werden. Vorzugsweise natürlich mit Lokalkolorit à la Hafencity, auch wenn ich letztere persönlich größtenteils für ein mieses Beispiel in diesem Zusammenhang sehe. Und bei bedeutenden Gebäuden immer noch lieber eine Interpretation oder auch nur eine miese Kopie anstatt gar nix oder "internationaler Stil", der in den seltensten Fällen irgendetwas verbessert.


    Ornament ist kein Verbrechen, und selbst der drittklassigste Gründerzeitler mit aufgeklebten Putten vom Band in der hinterletzten Vorstadt ist mir immer noch lieber als AutoCAD-Fließbandarbeit von heute. Warum? Weil ich ihn gerne anschaue. Muss ich mich dafür jetzt schämen?

    Einmal editiert, zuletzt von RMA ()

  • ... diese entsetzlichen Betonkisten der 50er, 60er und 70er ersetzt, die einen allerorten anstarren...


    Das nenne ich differenziert. :lach:
    Du scheinst jeden anderen als Deinen Geschmack für pervers zu halten.




    ...selbst der drittklassigste Gründerzeitler mit aufgeklebten Putten vom Band in der hinterletzten Vorstadt ist mir immer noch lieber als AutoCAD-Fließbandarbeit von heute. Warum? Weil ich ihn gerne anschaue.


    Weiter oben schrieb wer (Du?), das Auge verweile länger auf alten Gebäuden mit viel Schmuck. Meine Frau, die beim Lesen hinter mir stand, meinte nur: "Da kann er wohl länger Teile zählen."


    Nicht alles was heute gebaut wird ist eine Fließbandarbeit. Vieles, zweifellos. Aber das sind viele der "schmucken" aber austauschbaren Gründerzeit-Dinger auch. Man kann halt länger Teile zählen...


    Das Auge verweilt womöglich auch länger auf einem "Röhrenden Hirsch" als auf einem abstrakten Bild. Oder auf einer Sonnenuntergangstapete anstelle einer weißen Wand. Oder auf einem tollen Tribal-Tattoo statt nackter Haut. Schlechter Geschmack findet sich überall. Das abfällige Urteil über alles Moderne (Abstrakte, "Kalte") auch.


    Muss ich mich dafür jetzt schämen?


    Natürlich nicht. Aber Du scheinst diejenigen, die womöglich mit International Style mehr anfangen können als mit Neoneoneo-Barock für ziemliche Lunatics zu halten, für Stadtverschandler und Menschenfeinde.



    Nur zur Aufhellung der Stimmung hier ein Blick auf zwei wirklich schöne Dinge:


    http://de.wikipedia.org/wiki/D…nerkirche_Mainz_innen.jpg


    http://de.wikipedia.org/wiki/D…urt_heiligkreuzkirche.JPG

  • ^
    Danke für den Beistand!


    @ RMA2000


    Also erstens ich wollte dich, noch jemand anderen hier im Forum beleidigen. Wenn du dich mit den "Kindchenschema" angesprochen fühlst, bedauere ich dies. Ich bin davon ausgegangen das du meinen genannten ortsfremden Billig-Historismus nicht propagierst, wozu der Bezug eigentlich gedacht war.


    Ich finde die Art und Weise nicht nachvollziehbar inder man hier an die Sache heran gegangen ist. Die Absicht dass man dieses Gebäude wieder aufbauen will ist für jeden nachvollziehbar. Ich bin deswegen kein Dogmatiker. Wenn man alle Rekonstruktionen gleich gut oder gleich schlecht findet ist man ein Dogmatiker.


    Vor einer Rekonstruktion muss eine klare Absicht stecken das bestmögliche zu erreichen, diese hat es nie gegeben und die Befürworter hat dies auch kaum gekümmert. Wenn man ein Gebäude in den Deck ziehen möchte, es als Fiktion hinstellen möchte wie in Braunschweig, dann bin ich nicht bereit Baugeschichte für Investoren zu opfern die sich in der Rolle eine Mäzens gut gefallen, nur das man jetzt sagen kann das es zumindest schöner als vorher ist. Dann können die Traditionalisten unter den Architekten wenigstens was Eigenständiges zusammenwürfeln.


    So eine Mentalität hat das Palais zu Abriss preis gegeben und so eine Mentalität baut es als Konsumgut wieder auf.:nono:


    Was mein letzter Betrag mit dem Projekt jetzt zu tun hat? Sehr viel.
    Gut das alle die Textpassage schon kannten. Dann verwundert mich es schon sehr das so viele, in Kenntnis dieser Tatsache, in den letzten Beträgen diesen tollen Kompromiss gelobt haben, fast der selbe Kompromiss der zum Verlust dieses Bauwerk geführt hat. Jeder Anflug von Kritik wurde mit Lobeshymnen über Fassadenpracht und Steinmetzkunst erstickt. Mir wird die Argumentation da etwas schwammig.
    Als ich die Abrissfotos hier sah hat auch kaum einer sich darüber brüskiert.
    Und wenn man dann nur eine blinde Tür kritisiert, kennt man die Baugeschichte nicht und will das "schöne Palais" schlecht machen.


    Ich habe auch nichts gegen ernst gemeinte historistische Bauten von Kahlfeldt, Kollhoff etc. Jedem das seine. Das auch die Moderne traditionell sein, und Ornamente haben kann, habe ich ja bereits erläutert. "Ornament ist kein Verbrechen" -wer hat das Gegenteil behauptet? Es gibt kaum einen Satz in der Architektur der so fehlgedeutet wurde. Loos hat ihn so auch nicht gemeint. Wer sich seine Bauwerke ansieht weiß dass er dies so nicht gemeint hat.


    @ RMA2000
    PS: Ein Nacktmull ist genauso ein Lebewesen wie ein Hase und kann für sein Aussehen nichts (würde meine Oma sagen). Meine Oma häkeln den Mull einfach ein Flokati-Overall mit Ohren und dann könnte man jetzt auch sagen, "Was ein schöner Hase, ein guter Kompromiss"! Also mir wäre da ein Hase ohne Ohren lieber. :gibgrin30 (Nein, im ernst, du hast schon recht)

    2 Mal editiert, zuletzt von Timmi ()

  • Die Ignoranz der Ignoranz

    Nicht nur gebürtige Frankfurter, nicht nur Zugezogene und Besucher, nicht nur Bürger aus dem Umland sondern auch Menschen aus weiter entfernten Gebieten lässt das Schicksal der Frankfurter Altstadt nicht ruhen. Auch bedingt durch jüngst beschlossene und geplante Baumassnahmen gerade im Kerngebiet der Altstadt, erwecken die früheren und teilweise wieder neuen geplanten "Bausünden" erneut die Gefühle der Menschen für den Verlust der im Krieg verloren gegangenen, einmaligen Frankfurter Altstadt.

    Aus diesen Gründen dieser Beitrag sowie aus Anlass eines Artikels in der FAZ.NET vom 23. April 2009, von Dieter Bartetzko.
    "Das kommt uns nicht mehr auf den Tisch"
    http://www.faz.net/s/Rub117C53…Tpl~Ecommon~Scontent.html

    Obwohl ich mit den Ausführungen von Bartezko nicht zur Gänze konform gehe, sehe ich hier doch eine Analyse, die sich in seltener Klarheit dem wirklichen Problem nähert und deshalb lesenswert ist.

    Ich selbst neige nicht dazu, die Architekten in ihrer Gesamtheit zu kritisieren, zumal ich Beispiele guter zeitgenössischer Architekten und Architektur kenne. Leider sind es aber meist diejenigen Architekten, welche in der Öffentlichkeit verstärkt hervortreten, die das Selbstverständnis ihres Berufes überdenken sollten, auch wenn wirtschaftliche Zwänge drücken. Ein wenig will ich den Architekten mit dem Arzt vergleichen, der neben seinem Broterwerb zumindest zu einem gewissen Teil auch dem Menschen und der Gesellschaft verpflichtet ist. Dies sollte im Bewusstsein und im Berufsbild verankert sein.

    Wir haben heute die Möglichkeit, der Frankfurter Altstadt wieder das Gesicht zu geben, das Frankfurt unbedingt benötigt um seine unverwechselbare Kern-Identität, gerade auch im Hinblick auf zukünftige Generationen, in einem angemessenen Umfang wiederherzustellen. Es gibt viele gute Argumente dafür. Vielleicht ist das jetzt hier in dieser Zeit, auf längere Sicht unsere vorerst letzte Chance.

  • Komisch, auf einmal kommt Bewegung in die gesamte Angelegenheit. Das das technische Rathaus eine Bausünde ist, dürfte bekanntermaßen gelinde ausgedrückt sein und ist hinreichend bekannt. Offensichtlich scheint man nun immer mehr zu merken, dass die komplette sog. postmoderne Bebauung des Areals ein totaler Fehlgriff war. Besonders bei der Schirn, welche in ihrem architektonischen Feingefühl durchaus mit Bauten des in den 1930ern geplanten Germania konkurrieren kann, sollte die baldige Beseitigung erwogen werden (von mir aus in Stücke sprengen, dann ist Ruhe).


    Damit man mich nicht falsch versteht, ich möchte keinesfalls eine geschlossene Rekonstruktion des gesamten Römerbergs, aber eine sensible - an die historischen Gegebenheiten angepasste Bebauung ist das einzig richtige, was für diesen Bereich in Frage kommt, sowie von der Frankfurter Bevölkerung sehnlichst gewünscht wird und der Situation Rechnung trägt.


    Neu ist dieser Gedanke ohnehin nicht. Bereits 1949 machte der Bund tätiger Altstadtfreunde einen Vorschlag, bei dem die Erhaltung wesentlicher Staßenfluchten den Charakter des Viertels erhalten hätte. Die vorgesehene Bebauung sollte eher kleinteiliger Natur sein. Diese Idee, in Verbindung mit einigen Rekonstruktionen wichtiger Altstadthäuser, wäre aus meiner Sicht der Idealfall für die Altstadt.


    Bei dem Neubau des historischen Museums darf man ja glücklicherweise auch wieder hoffen, dass nicht schon wieder ein Abrisskandidat geschaffen wird, über dessen Niederlegung man sich in 30 Jahren Gedanken machen muß.

  • Die Altstadt wurde durch das Technische Rathaus und dann durch die Kunsthalle Schirn so nachhaltig versaut, dass es einem Wunder gleichkommt, dass wenigstens eine der beiden Scheusslichkeiten abgerissen werden soll. Vielleicht sind die Stadtoberen in zehn oder zwanzig Jahren soweit, dass sie erkennen, wie sehr die Geschmacksverirrung der Postmoderne die Weiterentwicklung der Altstadt in Frankfurt behindert. Und ja, bitte: reisst dann auch diese inzwischen nur noch schäbigen Grausamkeiten in der Saalgasse gleich mit ab!


    Erstaunlich, wie schnell diese ephemere Architektur in die Jahre kommt. Bei Google Earth findet sich ein 360-Grad-Panorama des Schirn-Hinterhofs mit der Rückseite der Saalgasse. Sehr instruktiv, wenn jemand lernen möchte, eine schäbige, menschenleere Hinterhofatmosphäre mitten in der City zu erzeugen.

  • Naja, es werde ja eigentlich 2 von 3 Scheusslichkeiten abgerissen. Das TR und das Stadtmuseum. Die Schirn finde ich von Materialwahl und Fassade gar nicht mal so übel, aber in ihren Ausmaßen natürlich unpassend für die Altstadt.
    Solches trifft man aber leider häufig, nicht nur in Frankfurt, dass moderne Gebäude ihre Gründerzeitnachbarn durch ihre Ausmaße und Klotzigkeit weit übertreffen und somit ein Stadtbild verschandeln. Bei Stadtteilen wo es keine Ursprungsbebauung gibt sehe ich mir moderne Architektur gerne an (Westhafen, Bürostadt, City West, etc.) Aber, im Bahnhofsviertel oder Altstadt wirken moderne Gebäude meißt als Fremdkörper.

  • Architekturbeispiel "Schloss Neuschwanstein" (1869-1884)

    Den meisten Leuten ist schon klar, dass das Schloss Neuschwanstein der Traum eines romantischen Königs war und in seinen Stilelementen schon damals eigentlich allgemein nicht mehr zeitgemäß. Doch es wurde zu 100% für diesen Standort konzipiert und gebaut. Aber leider nur das Werk eines weltfremden Träumers.

    Es war und ist ein Märchenschloss, so dass es hervorragend in Orlando Miami als Mittelpunkt und Symbol des Disneyland-Parks hinpasste und dann in etwas kleinerem Maßstab dort auch nachgebaut wurde. Man kann sich gut vorstellen, das Cinderella und Alice durch die Säle und Treppenhäuser dieses Schlosses schweben. Damals eine völlig neue Idee, die man z. B. später dann in Las-Vegas für spektakuläre Hotelbauten wieder aufgegriffen hat.

    Und, was wäre der See und das Bergstück am Standort im Alpenland, ohne dieses Schloss. Es gibt Menschen in der Welt, für die ist es ein Wunschtraum, einmal dieses Traumschloss in Natura zu erleben und sie würden in erster Linie nur deswegen nach Deutschland reisen. Ich selbst habe deutschstämmige Bekannte in den USA, die vor ca. 30 Jahren ausgewandert sind, die, sobald es geht in Deutschland Urlaub machen wollen, nur um endlich einmal dieses Schloss besuchen zu können, da sie es in ihrer Zeit hier versäumt hatten.

    Das Schloss ist eines der um seiner selbst willen meistbesuchten Wohngebäude der Welt. Neben einer Handvoll europäischer Schlösser und Sakralbauten gibt es in der Architektur nur noch den Eifelturm, asiatische Grabmäler und vorchristliche Altertümer mit vergleichbarem Besucheransturm.

    Was sagt uns das, wenn wir gleichzeitig wissen dass der Opernturm oder sogar der Messeturm niemals eine ähnliche Besucherfrequenz haben werden?

    Einmal editiert, zuletzt von RobertKWF ()

  • ^^ RobertKWF: Das sagt uns, dass "Die Leute"
    1. Belogen werden wollen
    2. Heile Welt mit jeder Menge Kitsch suchen und dafür bezahlen (Neuschwanstein)
    3. Und dass man wenn man den Kitsch in Plastik nachbaut und in Bonbonfarben anstreicht noch mal das Zehnfache daran verdienen kann (Disney-Version des Märchenschlosses an mehreren Standorten mit wesentlich mehr Besuchern als Neuschwanstein selbst)


    Daraus folgt für mich, dass man, wenn man "Die Leute" fragt, von den möglichen Varianten eines Bauwerks oder einer Stadtgestaltung diejenige genannt bekommt, die man besser nicht baut.


    Danke für diese Steilvorlage.


    Dazu kommt: Weder das Neuschwanstein noch die Disney-Ausgaben erfüllen irgendeinen Zweck außer "schön" sein und Leute anzuziehen.
    Wenn das die neue Funktion dieses - wie immer wieder betont wird - historischen Zentrums von Frankfurt sein soll...
    (aber bitte nicht wieder "Die Leute" fragen, die lesen Bild, essen bei McDoof, fahren zwei Wochen nach "Malle" um tagsüber in der Sonne zu rösten und sich nachts den Kopf zu zu schütten und schauen zuhause dann Nachmittagssendungen im Privatfernsehen - die nach ihrer Meinung zur Stadtentwicklung zu fragen führt zu nichts, da sie keine haben, es sei denn man hat ihnen in den letzten 24 Stunden irgendwas meinungsähnliches als Fakt vorgeblökt).

  • (aber bitte nicht wieder "Die Leute" fragen, die lesen Bild, essen bei McDoof, fahren zwei Wochen nach "Malle" um tagsüber in der Sonne zu rösten und sich nachts den Kopf zu zu schütten und schauen zuhause dann Nachmittagssendungen im Privatfernsehen - die nach ihrer Meinung zur Stadtentwicklung zu fragen führt zu nichts, da sie keine haben, es sei denn man hat ihnen in den letzten 24 Stunden irgendwas meinungsähnliches als Fakt vorgeblökt).


    ^Eine sehr demokratische Einstellung Xalinai. Klar die meisten Leute haben einen anderen Geschmack als man brauch um in moderne Kunst irgendwas anderes zu sehen als wirre Linien und Formen. Nichts desto trotz müssen die Leute die in den Städten wohnen in denen sich, manche die sich für besser halten, mit Bauwerken verwirklichen wollen, die die meisten Menschen nicht so prickelnd finden.

    2 Mal editiert, zuletzt von Wahnfried () aus folgendem Grund: Bessere Lesbarkeit

  • Mal im ernst Wahnfried, was hat denn eine Debatte über ästhetische Kriterien jetzt mit Demokratieverständnis zu tun?
    Zum westlichen Demokratieverständnis gehört Meinungs- und nicht Narrenfreiheit.


    Ansonsten hat Xalinai - wenn auch polemisch - doch etwas bedenkenswertes formuliert:
    Die Masse an Sightseeing-Touristen dürfte weniger an europäischer Baukunst als an Klischees interessiert sein. Soll diese "Bauchgeburt" ein sinnvollerer Maßstab für den Städtebau sein als z.B. die Kopfgeburt der autogerechten Stadt?
    Und bevor es wieder rote Laternen gibt:
    Ich weiß, dass Ludwig deutschen Städten nicht so geschadet hat, wie die Utopien des Wiederaufbaus - er hat seine Chance aber auch nicht gehabt...


    Und überhaupt:
    Hätte Tishman Speyer in Frankfurt denn eine Volksabstimmung anstreben sollen, um zu sehen ob sich Mäckler gegen Riedel durchsetzt?
    Vielleicht verstehe ich den Vergleich nicht - kannst Du mich aufklären, Robert?

  • Ich bezog mich auf den schlecht zu lesenden Teil in Xalinais Posts. Das Credo in diesem Teil des Posts, ist die Leute sind doof, also sollen sie bitte nicht mitentscheiden. Wenn man das weiterdenkt, dann wäre es folgerichtig am besten wieder das Klassenwahlrecht einzuführen.
    Um nicht falschverstanden zu werden ich bin jetzt nicht dafür, überall romantische Schlösser hinzubauen, aber ich bin für mehr Mitbestimmung. So, wie in der Schweiz mit Volksabstimmungen fände ich die beste Lösung.
    Klar nicht alles was beschlossen wird dürfte den Eliten passen, aber vielleicht sollte man die Leute auch nicht unterschätzen.
    Was das Beispiel Tishman Speyer angeht, so wäre eine Abstimmung nicht möglich, da es sich hier um ein Investorenprojekt geht. Also, privat finanziert ist. Bei der Frage wieviel Reko nach dem Abriss des Technischen Rathauses könnte sollte man aber schon eine Volksbefragung zulassen.

  • Ok, was ich meine ist nur:
    Da das Thema ja sowieso schon recht emotional besetzt ist, muss man nicht jeden Streit über Architekturformen dazu nutzen, gleich die Systemfrage zu stellen.
    Ob Xalinai das schon beabsichtigt hat weiß ich nicht, ich hab's jedenfalls nicht so gelesen.


    Aber was die Besucherzahlen Neuschwansteins mit Stadtplanung zu tun haben sollen, oder ob hier nur verschiedene "Architekturgeschmäcker" gegeneinander ausgespielt werden sollen, habe ich immer noch nicht verstanden.