Nikolaiviertel

  • Diese Ansicht kann ich jetzt nicht teilen
    Die 'grosse' städtebauliche Leistung beruht einfach auf der Tatsache, dass sie gegen die eigentliche DDR Philosophie und Vorstellung von Städtebau umgesetzt wurde.
    Das hat seine Gründe gehabt damals, architektonisch und in der Umsetzung halte ich es für eher uninteressant.
    Und ich kenne auch kaum jemand, der unter sechzig ist, der sich dort aufhält oder als grossartig bezeichnet.

  • Mich hat die Nachricht auch eher erschreckt als erfreut. Ich finde die Plattenbauten in dem Ensemble einfach zu plump. Es wird jetzt nicht mehr möglich sein, diese Bauten zu ersetzen...
    Welcher Vorbebauung ist eigentlich dem merkwürdigen Eckbau mit den runden Erkern aus braun eloxiertem Aluminium nachempfunden? Fand ich immer seltsam..
    Das Viertel hätte evtl. mehr Aufenthaltsqualität wenn's nicht so rein touristisch ausgelegt wäre, da blickt man doch eher neidvoll auf Erfurts Altstadt.

  • Welcher Vorbebauung ist eigentlich dem merkwürdigen Eckbau mit den runden Erkern aus braun eloxiertem Aluminium nachempfunden? Fand ich immer seltsam..


    Keiner Vorgängerbebauung nachempfungen. Es sind die Erker des ehem. Restaurants "Schwalbennest", die von den Berlner wegen seiner Lage vis-à-vis des Berlineiner Rathauses stets liebevoll "Magistratsbusen" genannte wurde.

  • Das Viertel hätte evtl. mehr Aufenthaltsqualität wenn's nicht so rein touristisch ausgelegt wäre, da blickt man doch eher neidvoll auf Erfurts Altstadt.


    Ein etwas absurder Vergleich. Das Nikolaiviertel ist natürlich denkmalschutzwürdig, markiert es doch eine Abkehr von der bis dato durch die SED praktizierten Zerstörung aller kleinteiligen Räume in der Berliner Altstadt zugunsten von Magistralen und offenen Flächen. Wenn ich in der Nähe irgendwo wohnen wöllte, dann sicher dort.

  • Die 'grosse' städtebauliche Leistung beruht einfach auf der Tatsache, dass sie gegen die eigentliche DDR Philosophie und Vorstellung von Städtebau umgesetzt wurde.


    Eine "eigentliche DDR-Philosophie" im Städtebau hat es nicht gegeben. Es gab unterschiedliche Phasen, grob aufgeteilt drei: In den 40er/50er-Jahren der "stalinistische Klassizismus" (mein Begriff), wie man ihn in der Marx-Allee findet, aber auch in vielen Repräsentationsbauten in der Provinz. In den 60er/70er-Jahren die Städtebau-Moderne, die das Zentrum Ost-Berlins und die Gegend um den Alexanderplatz prägt. Und eben die späten DDR-Bauten der 80er-Jahre, die ein Zitat historischer Bauformen mit den begrenzten Mitteln des Plattenbaus darstellen. Findet man in Berlin in der Spandauer Vorstadt, rund um den Gendarmenmarkt und – vor allem – im Nikolaiviertel.


    Ich bin hier ganz bei Architektator: Das Nikolaiviertel steht für eine Abkehr von der städtebaulichen Moderne, die sich in den Achtzigerjahren nicht nur im Osten, sondern überall vollzogen hat. In Berlin war das (beiderseits der Mauer) eng verknüpft mit der 750-Jahr-Feier der Stadt. Das hieß konkret, mit den Flächenabrissen aufzuhören (die es damals ja auch in Kreuzberg gab) und zu einer traditionelleren Vorstellung von Stadt zurückzukehren – eigentlich eine Vorbereitung von dem, was Stimmann dann zehn Jahre später als Baudirektor gemacht hat.


    So gesehen hält das Nikolaiviertel einen Moment der Städtebau-Geschichte fest: Kaum jemand würde die historisierenden Plattenbauten dort heute noch als schön betrachten. Aber sie sind Zeugnis einer (sehr kurzen) Epoche, und deshalb besitzen sie Seltensheitswert. Weshalb ich mich über den Denkmalschutz freue.


    (Davon ab fasziniert mich an dieser Gegend auch das Nebeneinander von touristisch ausgerichteten Billigbier-Schwemmen und Geschäften, die mechanische Wanduhren für 5.000 Euro verkaufen. Aber das nur nebenbei.)

  • Ich bin hier ganz bei Architektator: Das Nikolaiviertel steht für eine Abkehr von der städtebaulichen Moderne, die sich in den Achtzigerjahren nicht nur im Osten, sondern überall vollzogen hat.


    Richtig! Und genau deswegen passt das "Schwalbennest" programmatisch überhaupt nicht in das Nikolaiviertel. Das Schwalbennest ist ein Vertreter der klassischen Moderne und steht daher entgegengesetzt zur damals eingeleiteten Abkehr von der städtebaulichen Moderne.

  • Das Schwalbennest bezog sich ursprünglich auf das Palasthotel, an dessen Stelle heute das DomAquarée steht. ....


    An diesem Beispiel , danke dafür Architektator, kann man auch sehr schön erkennen, dass spätere Stadtplanung (und ich meine die nach 1990) die Zusammenhänge und Interaktionen, Korrespondenzen, mit dem Marx-Engels-Forum dazwischen überhaupt nicht verstanden hat. Quasi eingeramt von diesem „Schwalbennest“ und dem Palasthotel mit seinen gestutzten Ecken. Indem man man die die Korrespondenzen zerstört (Palasthotel), zerstört man auch die stadtplanerische Idee. Und hinterher kann man dann sagen dass hier doch nichts zusammenpasst, also weg damit.

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  • ^ Du siehst aber, daß das von dir gepriesene Schwalbennest im Nikolaiviertel auch im sozialistischen Wiederaufbau eine Funktion hatte, nähmlich zusammen mit dem Palasthotel gegenüber zu korrespondieren. Oder umgekehrt, ich glaube das Palasthotel war jüngerem Datums. Auch weil dadurch gezeigt wird, dass das Nikolaiviertel keine Inselplanung war. Das jedenfalls ist Stadtplanung die ich heute vermisse. Es gibt keine Bezüge mehr.

  • Das Nikolaiviertel halte ich für recht gut gelungen, nur die Nordseite sollte aus meiner Sicht später nochmal erneuert und ergänzt werden.
    Mit ergänzt meine ich tatsächlich eine Bebauung nördlich der Rathausstraße ohne dabei das MEF großflächig zu bebauen, sondern nur mit einer Häuserzeile, um dadurch das Nikolaiviertel besser Richtung Schloss und Dom anzuschließen.

  • Aha somit rahmten der PdR, das Palast Hotel und das Schwalbennest das Marx Engels Forum.
    Der PdR bot auch dem durchschnittlichen Volk Zerstreuung und Unterhaltung während im Palasthotel und dem Schwalbennest Devisen verdient wurden.
    Das Nikolaiviertel war ein Prestigeobjekt welches mit allen finanziellen Mitteln ausgestattet aus dem Boden gestampft wurde während in der Restrepublik sämtliche noch erhaltenen Altstädte vor sich hin rotteten...


    Zumindest bleiben mit dem Denkmalschutzstatus die Arkaden erhalten. Diese zu schließen wäre sicher ne Verschlimmbesserung gewesen.


    Und wenn sich jemand für Alt Berlin in allen Klischees von Erbspüree bis Zille interessiert, ist er dort gut aufgehoben...

  • Das Nikolaiviertel ist für mich ein prototypisches Beispiel, warum ich den DDR-Städtebau vielfach problematisch finde: An sich sind die Ideen hinsichtlich Raumaufteilung, Gestaltung etc. nicht schlecht und manchmal auch sehr gelungen. Aber bedingt durch die stets limitierten Ressourcen der DDR war die Bauausführung häufig recht unansehnlich und plump.


    Beim Nikolaiviertel finde ich die Raumaufteilung an sich sehr angenehm, man schlendert gerne durch und ist schlagartig in einem ganz anderen städtebaulichen Raum unterwegs, der wesentlich dichter ist, als die Umgebung. Zwar sind die Billigspelunken und Touristenfallen dort nicht gerade einladend, aber das hat mit der Wirkung des Ensembles nicht so viel gemein, aus meiner Sicht. Insofern funktioniert das Viertel ziemlich gut und ich bin ein starker Befürworter einer teilweisen Bebauung des heutigen Karl-Marx-Platzes, die ähnliches schafft und ein bauliches Bindeglied zwischen dem Radisson und Nikolaiviertel darstellt.


    Negativ empfinde ich vor allem die gestalterische Wirkung des Ensembles nach außen, also an den Grenzen des Viertels. Hier tritt die Plumpheit und Hässlichkeit der Platten deutlich zutage. Bestes Beispiel dafür ist das Eckhaus an der Rathausbrücke mit der verunglückten Arkade, der hässlichen Riffelfassade der Platten, den plumpen Fenstern und dem unproportionierten Dachabschluss. Speziell an dieser Stelle zeigt sich der Billo-Charme dieses Baustils ganz eklatant und insofern ist es schade, dass zumindest eine Neugestaltung der Fassaden an manchen Stellen (z.B. Verputzen der Plattenfassaden) nun ausgeschlossen ist. Das Ensemble an sich funktioniert städtebaulich mMn, aber die ästhetische Qualität ist und bleibt ein absolutes Makel.

  • Das sehe ich auch so, zumal die historisierenden Platten um den Gendarmenmarkt filigraner gelungen sind, hätte es nicht ausgereicht, diese als Beispiel für reparative DDR Stadtplanung zu schützen?

  • ^ Die baulichen Maßnahmen am Gendarmenmarkt und im Nikolaiviertel standen damals in Verbindung mit dem 750-jährigen Stadtjubiläum. Die historisierenden Platten am Gendarmenmarkt sind architektonisch viel überzeugender als die Platten im Nikolaiviertel. Für das Umdenken in der damals betriebenen Stadtplanung steht aber insbesondere das Nikolaiviertel.

    Negativ empfinde ich vor allem die gestalterische Wirkung des Ensembles nach außen, also an den Grenzen des Viertels.


    Das Nikolaiviertel ist nicht immer schön. Für den heutigen Geschmack wirkt es teilweise sogar recht provinziell. Aber wenn man dieses Viertel zu Fuß erkundet, kann man das damals in den Köpfen stattgefundene Umdenken auf Schritt und Tritt (er-)spüren. Dieses städtebauliche Umdenken ist geradezu mit den Händen greifbar.


    Und jetzt ertappe ich mich selbst dabei, wie ich das Nikolaiviertel sogar verteidige! Wenn ich ehrlich bin, teile ich eigentlich die folgende Meinung von TwistedRoad.

    Ich finde die Plattenbauten in dem Ensemble einfach zu plump. Es wird jetzt nicht mehr möglich sein, diese Bauten zu ersetzen...


    Aber es werden vielleicht noch Zeiten kommen, in denen solche Plattenbauten mit Giebeln und schmiedeeisernem Zierrat als wertvoll gesehen werden. Aus Sicht des Jahres 2018 wirkt das alles noch recht kitschig. Aber je mehr Zeit vergehen wird, desto authentischer werden diese Platten à la Nikolaiviertel ercheinen. Authentisch für den Zeitgeist der 1980er Jahre.

  • Ich finde auch, die Platten am Gendarmenmarkt sind um ihrer selbst Willen erhaltenswert. Sie machen wirklich einen guten Eindruck und würden einiges an Ausstrahlung verlieren, wenn man sie z.B. verputzen würde. Das ist im Nikolaiviertel anders, da teile ich die Einschätzung von Richard Neutra.


    Den Denkmalschutz finde ich, wie gesagt, dennoch richtig, weil es um ein für seine Epoche einmaliges Ensemble geht. Außerdem funktioniert es zumindest als Anziehungspunkt für Touristen ganz hervorragend, es besteht also auch kein Änderungsbedarf. (Kleiner Service: Ein Spiegel-Artikel von 1987 über den Bau des Quartiers.)


    Oder umgekehrt, ich glaube das Palasthotel war jüngerem Datums.


    Irrtum: Das Hotel stammte aus den späten 70ern. Sah man ihm auch an mit seiner braunen Verglasung und dem Betonburgen-Charme. In den späten 80ern baute man ein Ostberliner Grandhotel (a.k.a. Devisenfalle) dem neuen Geschmack entsprechend wie dieses hier.

  • Negativ empfinde ich vor allem die gestalterische Wirkung des Ensembles nach außen, also an den Grenzen des Viertels. Hier tritt die Plumpheit und Hässlichkeit der Platten deutlich zutage.


    Diese Unzulänglichkeiten sind doch für die Denkmalpflege gerade der Grund gewesen, das Viertel unter Denkmalschutz zu stellen. Die Kriterien für den Denkmalschutz sind nach dem Gewesetz die Zeittypik und das Erhaltungsinteresse der Allgemeinheit.


    Wenn die DDR ein ästhetisch ausgewogenes, hochqualitatives Altstadtviertel errichtet hätte wäre das schon längst als "Fake" und "Disneyland" abgerissen worden, weil dieser Lösung das Erhaltungsinteresse abgesprochen worden wäre.

  • Diese Unzulänglichkeiten sind doch für die Denkmalpflege gerade der Grund gewesen, das Viertel unter Denkmalschutz zu stellen.


    Diese Unzulänglichkeiten machen das Viertel typisch für den damaligen Zeitgeist und die Bauperiode der 1980er Jahre.


    Mit anderen Worten: die geschmacklichen Verirrungen der damaligen Zeit machen das Viertel zu etwas Besonderem.

  • Richtig, Architektur-Fan, so ist das. Ich stelle jedoch jedoch das für eine Unterschutzstellung notwendige "Interesse der Allgemeinheit" an einem Erhalt dieser Unzulänglichkeiten in Abrede.


    Hier der Kernsatz des Denkmalschutzgesetzes Berlin, § 2 (2) Satz 2: