Anscheinend gibt es jetzt jeden Tag Abrißmeldungen aus Chemnitz. Daß diese aber durchaus unterschiedlich bewertet werden können, zeigt der heutige offene Brief der "Initiative zum Erhalt des Apolloviertels". Diese macht sich stark für den Erhalt der Gebäude Gustav-Freytag-Straße 4-20 (die drei Gebäude entlang der Straßenfront: http://maps.live.de/LiveSearch…&dir=0&tilt=-90&alt=-1000) und Karl-Immermann-Str. 24 und 28 (vermutlich zwei der drei direkt angrenzenden Gebäude). Aus meiner Sicht ist es um die Häuser an der Karl-Immermann-Straße wirklich schade, für diese könnte ich mir eine Zukunft vorstellen. Die Häuser an der Gustav-Freytag-Straße sind aber fürwahr kein Verlust, so realistisch muß man die Sache schon sehen. Dennoch reißt der wirklich aufschlußreiche Offene Brief viele interessante Gedanken an, gerade zur Art und Weise der Durchführung des Stadtumbaus in Chemnitz:
Alles anzeigenOffener Brief zum geplanten Abriss der Häuser Gustav-Freytag-Straße 4-20 und Karl-Immermann-Str. 24 und 28
Sehr geehrte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig
Sehr geehrte Baubürgermeisterin Petra Wesseler,
Sehr geehrte GGG-Geschäftsführerein Simone Kalew,
wir alle kennen die Briefe und Kommentare und vor allem die Argumente, die gegen den Abriss von Gebäuden in dieser Stadt verfasst werden. Mit meiner schriftlichen Zuwendung möchte ich mich einreihen, um mich, bezugnehmend auf den geplanten Abriss der Häuser Gustav-Freytag-Straße 4-20 und Karl-Immermann-Straße 24 & 28, dagegen zu beschweren. Ich weiß die Unterstützung vieler Bewohner des Apolloviertels hinter diesem Protestschreiben – wie es die beigefügte Unterschrift-ensammlung anzeigt. Sie konnte bislang noch nicht an alle Anwohner gereicht werden. Jedoch, die 80 UnterstützerInnen-Unterschriften verdeutlichen das, was die Mehrheit der Bewohner unserer Stadt - und es ist anzunehmen, inklusive die hier Adressierten selbst - beim Thema Abriss denken: Die Verschlechterung von Stadtbild und vor allem von Lebensqualität. Wer es trotzdem noch nicht weiß - am Standort Gustav-Freytag-Straße würde der Abriss Folgendes bedeuten:
• Es geht halb sanierter Wohnraum (Wärmedämmung und neue Fenster) im Zentrum der Stadt verloren. Die Innenstadt- und Universitätsnähe sind standortförderlich, trotz Hauptstraßen-bebauung.
• Entlang des Innenstadtrings dienen diese Häuser als Schall- und Schmutzfang für die dahinterliegenden. Um die Bewohnbarkeit in den Häusern der ersten Reihe zu verbessern und den Anblick zu verschönern gibt es zahlreiche Möglichkeiten (Balkons im Hof, Fassadenbegrünung, farbliche Gestaltung, vgl. auch Ideenwettbewerb zur Leipziger Straße)
• Die Autofahrt entlang des Innentstadtrings ist ein Aushängeschild der Stadt. Von der Leipziger Straße kommend bis zur Zschopauer reichend, würde sich einem ein durchlöchertes Stadtbild zeigen. Das Ende der urbanen Stadtgestalt.
• Es gibt keine ersatzwürdigen Konzepte für die anschließend entstehenden Freiflächen. Eine von der GGGmbH präferierte hochpreisige Gewerbeansiedlung, ähnlich der Zwickauer Straße, ist für diesen Standort ungeeignet, weil sich in direkter Nähe Wohnhäuser befinden.
• In der zweiten und dritten Häuserzeile stehende Objekte, sowie ein einzelnes Gründerzeithaus in der ersten Reihe (also der geplanten Abrissreihe) befinden sich zu Teilen in Privatbesitz. Die Häuser der privaten Eigentümer weisen fast alle einen hohen Vermietungsstand auf und sind meist saniert. Diese Häuser würden - wenn sich die GGGmbH noch weiter aus diesem Viertel zurückziehen würde - so vereinzelt dastehen, wie in der Nachkriegszeit. Jedoch ohne Hoffnung auf ein Eingebundensein in ein städtebaulich-vertretbares Ensemble.
Dies sind vertraute, nichtsdestotrotz handfeste Argumente gegen den Abriss an der Gustav-Freytag-/Karl-Immermann-Straße. Im nächsten Abschnitt möchte ich beschreiben, wie die hiesige Stadt-umbaupolitik sich auf die Empfindsamkeit und Meinungsbildung der Einwohnerschaft niederschlägt. Das ist sozusagen die Lehre, die wir aus dem bisherigen Protesterfahrungen ziehen konnten:
Abriss kann wegen seiner beinahen Allgegenwart in der Stadt als etwas Alltägliches beschrieben werden. Die Stadtumbau-Stimmung ist deswegen eher von Resignation als vom kreativen Umgang mit der schrumpfenden Stadt geprägt. Dies wurde auch deutlich als wir uns (rund 20 Anwohner) am 19.12.2008 in der Bäckerei am Bernsbachplatz einfanden, um uns über den geplanten Abriss der Häuser in unserer Umgebung auszutauschen. Das Engagement, was alle durch ihr Kommen zeigten, drohte leider sogleich, wegen dem Vor-Beschlossene-Tatsachen-Gestellt-Sein, in Missmut umzu-schwenken. Denn der Abrisstermin war schon in bedrohliche Nähe gerückt. „Lohnt es sich überhaupt noch etwas zu tun? Wir kommen doch eh zu spät!“ – Enttäuschung statt Aufbruch-stimmung machte sich breit. Daran sieht man exemplarisch, wie die Stadtumbau-Strategie in der Stadt das Bewußtsein der Einwohner mitprägt. Man fühlte sich abgehängt. Ein Anwohner im Rentenalter sagte mir zum Beispiel, dass er in der zweiten Häuserreihe wohnt und er seinen Verbleib in diesem nach dem Abriss der ersten Häuserzeile unwirtlichen Wohnumfeld gefährdet sieht. „Am liebsten ganz aus der Stadt ausziehen, auch wenn`s schwer fällt“, war sein Statement. Neben der Enttäuschung, also auch Verbitterung. Trotzdem willigten fast alle ein, bei der Sammlung von Unter-schriften in ihren Häusern mitzuhelfen.
Die scheinbare Ausweglosigkeit aus den momentanen Stadtumbaustrategien in dieser Stadt, d.h. die Anwendung der immer sich wiederholenden Strategie, Stadtbildprägendes und Stadtzusammen-haltendes zu missachten, stößt zuerst auf Unverständis bei den Einwohnern, früher oder später werden sie sich dem aber ungewollt annehmen, weil sie keine Befugnisse zur Stadtgestaltung haben können oder sie werden die Stadt ganz verlassen. Solche psycho-sozialen Entwicklungen, die das Stadt-Empfinden und die Stadtqualität repräsentieren, scheint jedoch kaum jemand im Bau- und Stadtplanungsamt und bei der GGGmbH zu berücksichtigen.
Ein Grund, warum unserer Protest erst jetzt kommt, da die Ausschreibung zum Abriss bereits veröffentlicht wurde (Amtsblatt, 14.01.2009), liegt in der weitverbreiteten fehlenden Radikalität im Begreifen des derzeitigen Umwandlungsprozesses der Stadt Chemnitz. Dieser ist schwer ver-mittelbar und kaum zu glauben! Was aber nicht bedeutet, dass ein bürgerfreundlicher Stadtumbau vonstatten gehen könnte. Es muss nicht sein, dass die Bewohner der Karl-Immermannstr.26 erst von einem GGG-engagierten Statiker, der bei ihnen vor der Tür steht über den geplanten Abriss auf zufällige Art und Weise informiert werden. Die Abreißer, also die Immobilieneigentümer, wie die GGGmbH, sollten deshalb die Aufgabe übernehmen, die Anwohner und die Chemnitzer Öffentlich-keit über ihre Abrisspläne zu informieren und diese vor allem nachvollziehbar zu verteidigen. Zu solchen Versammlungen wären Vertreter des Stadtplanungsamtes hinzuzuziehen. Das vom Stadtforum Chemnitz geforderte Gremium für Baukulktur könnte ein weiteres Instrument sein, um nachaltigere Konzepte im Stadumbau herzustellen. Dazu gehört auch Stadtumbau, nicht nur als Stadtabriss zu praktizieren. Hierzu wäre beim größten Wohnungsunternehmen der Stadt eine Abteilung Stadtplanung einzurichten, diese wäre aber auch verpflichtet, mit dem Stadtplanungsamt gemeinsam ein für die Stadtgestalt und das Wohn- und Lebensumfeld nachhaltiges Konzept zu erarbeiten. Wie dies aussehen soll, kann an dieser Stelle nicht verhandelt werden. Eigentlich müssten es die Verantwortlichen wissen. Warum aber reagieren sie dem entgegensprechend?
Was kann aber nun noch am Standort Gustav-Freytag-/Karl-Immermann-Straße getan werden? Dazu folgende Forderungen:
1. Die GGGmbH stoppt die Ausschreibung zum Abriss und ermöglicht langfristig die Reaktivierung der Häuser. Einige Konzepte, wie zum Beispiel preiswertes, sozial verträgliches Wohnen in halbsanierten Häusern, sowie studentisches und temporäres Wohnen scheinen prä-destiniert für diesen Standort. Potentielle Betreiber eines studentischen Wohnkonzeptes meldeten sich bereits im Stadtplanungsamt.
2. Die GGGmbH verkauft die Häuser. Der Verwalter eines der Privathäuser im Viertel signalisierte schon einmal Kaufinteressen. Als er aber die Preisvorstellungen der GGGmbH kennenlernte, welche vor allem wegen den Altschulden so hoch sind, entschied er sich dagegen.
3. Um Stadtumbau zu einer bürgernahen und bürgerfreundlichen Angelegenheit zu machen, muss die GGGmbH in einer Anwohnerversammlung ihre Gründe für ihr Tun in der Gustav-Freytag-Straße darlegen. Die unterschiedlichen Erfahrungen die beide Seiten mit dem Stadtumbau machen, fänden somit einen Austausch und es ergäben sich Möglichkeiten zur Annäherung von Stand-punkten und bestenfalls sogar neue Ideen im Stadtumbau. Es wäre auch wichtig für die Verant-wortlichen, um die persönliche Betroffenheit von Abriss-Anwohnern nachvollziehen zu können. Wer von den Verantwortungsträgern bei GGGmbH und im Bauamt war denn bereits einmal persönlich mit dem Stadtabriss konfrontiert?
4. Dieser vierte Punkt bedeutet den letztmöglichen Ausweg für einen bürgerfreundlichen Stadtum-bau an dieser Stelle: Wenn ein Abriss nicht mehr zu verhindern ist, müssen Maßnahmen zum Schutz der dahinterliegenden Gebäudezeilen und des großen Hinterhofes errichtet werden. Es gilt den Lärm und die Abgase fernzuhalten, sowie die Stadtstruktur zumindest in ihrer Erscheinungs-form nachvollziehbar und damit anschaulich zu erhalten. Ein Wettbewerb zur Brachflächen-gestaltung, oder besser zum Erhalt der bisherigen Hinterhofqualitäten ist auszurufen. Ein Beispiel: Ein offensiver landschaftsarchitektonischer Umgang mit dem eventuellen Abriss der Gustav-Freytagstraße wäre die Errichtung eines begrünten oder auch begehbaren Schutzwalls aus den Abbruchtrümmern. Dies, nur skizzenhaft vorgetragen, würde zugleich annähernd der Nach-vollziehbarkeit des Stadtumbauprozesses für künftige Generationen gerecht werden. Eine Rück-baufläche aus Rasen und Zaun oder ein Parkplatz darauf hingegen erzählen von sich selbst keine Geschichte dieses Prozesses der schrumpfenden Stadt, indem wir uns alle befinden.
Diesen letzten Punkt schlug ich auch den Anwohnern beim Treffen im Bäckereicafe vor, worauf mir von vielen entgegengehalten wurde, dass das nicht schön aussehe. Das ästhetische Vorstellungsbild, welches jeder von einer Stadt hat, ist erst in weiteren (historischen, wirtschaftlichen, politischen) Zusammenhängen zu begreifen. Für viele ältere Bewohner ist die Idee eines „gestalteten und begrün-ten Schutthaufens, der zudem die Funktion eines Schutzwalls hat“ deswegen nicht vorstellbar, weil viele die Stadt vor allem als wachsende Stadt kennengelernt haben. Die bisherigen Erfahrungen im Stadtumbau in unserer Stadt zeigen aber auch, dass nur wenige solche landschaftsarchitektonischen Innovationen angewendet werden, um Stadtstruktur zu erhalten. Es fehlen die positiven Signale und Vorbilder für eine solche kreative Rückbauunternehmung. Aus dieser Konstellation heraus könnte das Stadplanungsamt, zusammen mit der GGGmbH Vorreiter sein, um einen „Stadtumbau der Zuversicht“ zu schaffen. Wenn aber dem Primat des wirtschaflichen, sowie städtebaulichen Wachsens weiterhin nachgehangen wird, müssten die Häuser an der Gustav-Freytag-Straße erst einmal stehen bleiben, oder?!
Mit freundlichen Grüßen
Initiative zum Erhalt des Apolloviertels
i.A. Robin Weisbach
Chemnitz, 20.01.2009
Gefunden unter http://stadtf.vs120153.hl-user…B3/viewtopic.php?f=3&t=21