Rückkehr der Vernunft

  • Rückkehr der Vernunft

    und eindeutige Niederlage für die zeitgenössische Architektenzunft!



    Zurück zur Postkartenschönheit
    Auch Braunschweig und Königsberg wollen ihre Schlösser wieder haben
    von Dankwart Guratzsch


    Seit der Wiederaufbau des Berliner Schlosses ernsthaft diskutiert wird, ist die Zahl der Phantomschlösser, die nur noch auf Ansichtspostkarten existieren und aus dem Nichts wiederauferstehen sollen, gewachsen. In Braunschweig macht sich der zum Otto-Konzern zählende Projektentwickler ECE anheischig, das 1960 plattgemachte Residenzschloss wiederaufzubauen. Und in Kaliningrad wirbt Wladimir Schtscherbakow, der Chef einer Autofabrik, dafür, das bis auf die Grundmauern geschleifte Königsberger Schloß neu erstehen zu lassen.


    Beide Projekte haben viel mehr miteinander zu tun, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn in beiden Städten geht es nicht nur um ein verloren gegangenes Bauwerk von freilich tragender Bedeutung, sondern um die Rückgewinnung der Identität einer ganzen Region. Initiativen dieser Art lassen allzu leicht den Eindruck entstehen, ein prominenter Bau solle zum Werbeartikel einer Firma herabgewürdigt werden. Die Politiker sollten aber ganz andere Lehren aus diesem Engagement kühl kalkulierender Geschäftsleute ziehen: Der Wiederaufbau untergegangener Bauwerke ist offenbar bezahlbar und zahlt sich sogar aus. Und er findet breiten Rückhalt in der Bevölkerung.



    Exemplarisch erscheint der Fall Braunschweig. Hier hatte der Abbruch des 1831-38 durch Carl Theodor Ottmer in barockem Klassizismus errichteten dreiflügeligen Schlosses mit dem mächtigen korinthischen Portikus und der überkuppelten Rotunde 1960 einen der größten Bauskandale im Nachkriegsdeutschland ausgelöst - durchaus vergleichbar der Sprengung des Berliner Schlosses durch Walter Ulbricht. Seit Jahren kursieren Pläne, diesen für die einstige Residenzstadt der Welfen wichtigsten, städtebaulich zentralen Bau, dessen Reste auf einem Rodelberg verscharrt sind, zurückzugewinnen - aber nichts geschah. Und nun kommt die Hamburger ECE: Ihre Gier nach dem prominentesten und zentralsten Ort der einstigen Residenzstadt ist so groß, dass sie den Braunschweigern als Gegengabe das Schloss, wenn auch nur als Hülle für ein Einkaufscenter, schenken will.



    Der aus Hannover stammende Stadtbaurat Wolfgang Zwafelink, ein bekennender Skeptiker gegen jede Art von Rekonstruktion, registriert erstaunt, dass es dafür in der Bevölkerung breiteste Zustimmung gibt. "Sehr viele Menschen aus den verschiedensten Schichten und Jahrgängen, darunter zahllose Studenten, die alle das Schloss nicht mehr kennen können, sprechen mich mit ganz großer Sehnsucht auf den Wiederaufbau an." Als Grund vermutet der Planungschef die "hohe Symbolik" des Bauwerks für eine Stadt, die durch Bombardierung und durch rabiate Kahlschlagsanierungen der Nachkriegszeit städtebaulich "unglaublich auf den Hund gekommen ist".


    Es ist bereits eine Machbarkeitsstudie in Arbeit, über die der Stadtrat am 19.Juni entscheiden will. Voraussetzung der Zustimmung wäre, dass ECE den hohen Grundstückspreis und Qualitätsauflagen akzeptiert, die für die städtebauliche Signalwirkung unabdingbar sind.


    Dabei ist sich der Planungschef bewusst, dass diese Anforderungen "an die Schmerzgrenze des Projektentwicklers gehen". Hinter dem Säulenportikus ist eine 24 mal 70 Meter große, 20 Meter hohe Glashalle geplant, die nur im Parterre von einigen Luxusläden flankiert werden und ansonsten öffentlichen Nutzungen vorbehalten sein soll. Die eigentliche "Mall" wird in einen Glaskasten hinter dem Schloss verlegt, der das doppelte Volumen des steinernen Bauwerks erreicht. "Eine Billigvariante", so Zwafelink, "werden wir zu verhindern wissen."


    Ist das Braunschweiger Projekt damit noch längst nicht gesichert, so gibt es für den Wiederaufbau des Königsberger Schlosses sogar schon Rückendeckung aus Moskau. Zwei Minister des Kabinetts Putin, Michail Schwydkoi (Kultur) und Nikolai Koschman (Bau), haben zugestimmt.Beobachter wie der Deutsche Thoralf Plath, der in Königsberg ein journalistisches Büro betreibt, registrieren, dass die Diskussion, die am Anfang von manchen als "Spinnerei" abgetan worden sei, im Vorfeld der 750-Jahrfeiern Königsbergs 2005 "gewaltig an Fahrt gewinnt".


    Ähnlich wie Braunschweig sucht die früher deutsche Stadt 60 Jahre nach Kriegsende noch immer ihre Mitte. Plath: "Es gibt keine Altstadt mehr, nur Plattenbauten." Zumindest das Grab des Schlosses, ein betoniertes Plateau, soll daher "geheiligt" werden: Wenn das Schloss nicht kommt, stellt die Stadt es unter Denkmalschutz.



    Artikel erschienen am 23. Mai 2003
    © WELT.de 1995 - 2003

  • Wenn sie rekonstruiert werden, sind's gute nachrichten! :) schön, dass städte verlorengegangene schlößer wiederaufbauen wollen - macht mich richtig glücklich ;)


    Hat jemand bilder von den schlößern?
    Kai

  • Rückkehr der Vernunft

    @ MartyMUC - Ein sehr interessanter Bericht.
    @ rec - THX für den dazu passenden Link.

  • Interessanter Bericht! Obwohl ich mir schwer vorstellen kann, dass man mal in so einem Gebäude einkaufen könnte.

  • Obwohl ich mir schwer vorstellen kann, dass man mal in so einem Gebäude einkaufen könnte.


    Wieso nicht? Die Schloßfassade gab's mal, die italienische Piazza in CentrO/Oberhausen ist ein Fantasieentwurf - und doch fahren sehr viele zum Shoppen dorthin!