Rund um den Ernst-Reuter-Platz

  • Ich hätte es eher als riesen Schandtat empfunden, wenn tatsächlich dort eingegriffen und dem Ensemble ein derartiger Schaden zugefügt worden wäre. Es ist schon eine merkwürdige Eigenart, die Architektur unserer Urgroßeltern gar wieder aufzubauen, die eigene Vergangenheit aber leugnen und tilgen zu wollen. Dabei ist es eben nicht das berühmt-berüchtigte Gelsenkirchener Barock, dass sich dort versammelt (und das tatsächlich niemand braucht), sondern wegweisende und unsere Stadt prägende moderne Architektur.


    Wer aber natürlich nur in den eigenen Grenzen von Hässlich und Schön denkt, mag das anders sehen.

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    Optisch kann ich den Unterschied zu "Gelsenkirchener Barock" nicht wirklich sehen.
    Naja, wir stellen ja auch den "Langen Eugen" unter Denkmalschutz, wundern tut es also Keinen.
    Trösten wir uns damit, dass auch ein Kollhoff-Turm nicht arg viele Mieter gefunden hätte, bei dem Überhang an Büro-Angeboten in Berlin, selbst in Top-Lagen.

  • Es ist schon eine merkwürdige Eigenart, die Architektur unserer Urgroßeltern gar wieder aufzubauen, die eigene Vergangenheit aber leugnen


    Was hat Architektur mit den Verbrechen unserer Urgroßeltern zu tun? Seltsamer Zusammenhang...

  • Bitte was für Verbrechen? :confused: Welchen Zusammenhang hättest Du denn jetzt bitteschön gerne in meinem Post gesehen?


    Ich sprach von Architektur (ich dachte, das wäre klar). Architektur unserer "Urgroßeltern" (meint sozusagen Vorkriegsarchitektur) und Architektur aus unserer eigenen Vergangenheit (meint sozusagen Nachkriegsarchitektur).

  • achso, ich dacht du wolltest einen Zusammenhang zwischen Architektur und Verbrechen der Nazis und anderen Herscherklassen herstellen. Ich nehm alles zurück.

  • Erstaunlich ist eher, daß jeder, der mit dem Gedanken spielt, ein Gebäude aus den 50er oder 60er Jahren abreißen zu wollen, sich mit der Behauptung auseinandersetzen muß, er wolle "die Vergangenheit tilgen". Ich kann auch nicht erkennen, was an den Gebäuden am Ernst-Reuter-Platz "wegweisend" sein soll. Dazu sind sie zu jung und zu mittelmäßig. Stadbildprägend ist diese Art von Gebäuden allerdings, und zwar nicht nur in Berlin, sondern in halb Westdeutschland, und das im Übermaß. Das macht einzelne Exemplare dieser Art nicht unbedingt erhaltenswerter.


    Das heißt nicht, daß ich etwas dagegen hätte, das Haus stehen zu lassen. Der Abriß würde den Platz auch nicht schöner machen.


    Übrigens: Mit welchem Recht kann man eigentlich eine Architekturtradition als "wegweisend" feiern mit derm Argument, sie sei stadtprägend, und einer anderen, "Gelsenkirchner Barock" (der Begriff wird übrigens eigentlich für Möbel verwendet), die Existenzberechtigung absprechen, obwohl sie nicht weniger stadtprägend ist?

  • Ernst: Das was ich nun vorrangig mit Gelsenkirchener Barock meinte, und ich dachte, dass andere mich dann auch so verstehen würden, stammt aus der selben Zeit wie auch jenes Institutsgebäude. Selten höher als 8 Etagen, meistens eher niedriger und i.d.R. schlicht verputzt oder manchmal auch z.B. mit Fliesen versehen. Unsere Städte sind voll von sowas. 08/15, eckig ohne alles. Die Gebäude am Ernst Reuter Platz ordne ich anders ein.


    Wir hatten das übrigens schon einmal diskutiert: Es muss nicht immer nur darum gehen, ob Du oder ich das Gebäude schön finden. Schön zu sein, ist ja auch überhaupt nicht die Zielsetzung dieser Architektur.

  • Es muss nicht immer nur darum gehen, ob Du oder ich das Gebäude schön finden. Schön zu sein, ist ja auch überhaupt nicht die Zielsetzung dieser Architektur.


    Was soll den deiner Meinung nach die Zielsetzung der Architektur sein?
    Warum soll es nicht Zielsetzung der Architektur sein, schön zu wirken?

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    Ich glaube nicht, dass es eine objektive Zielsetzung von Architektur gibt/geben muss. Das wäre für meinen Geschmack ein bisschen unfrei gedacht. Soll doch jeder Einzelne frei bestimmen, was er von Architektur erwartet, bzw. soll der Architekt/Konstrukteur sich selber damit auseinander setzen, ungebunden von irgendwelchen Lehrmeinungen und apodiktischen Vorgaben.

  • Es kann z.B. Zielsetzung von Architektur sein, die Funktion optimal zu erfüllen. Die Form folgt der Funktion. Oder gar, die Funktion abzubilden. Die Fassade dokumentiert das Geschehen im inneren. Architektur kann auch Transparent sein, so dass jeder hinein sehen kann.


    Architektur kann aber auch protzig sein oder gar Größenwahnsinnig. Manchmal wird Architektur nur danach bestimmt, das höchste, größte, längste zu sein. Architektur kann täuschen: Wunderschöne Fassaden können das Elend im inneren verbergen. Architektur kann auch psychisch beeinflussen. Architektur kann auch provozieren, bewusst anecken, damit Menschen wie Ernst und Nitsche sich dann darüber aufregen. Architektur kann sich auch behaupten. Trotzig bestehen und einige Zeit später plötzlich ganz anders wahrgenommen werden. Architektur kann auch die Zeit abbilden, in der sie entstand.


    Alleine allen zu gefallen, ist nicht immer die Zielsetzung von Architektur, eigentlich wohl fast nie, ausgenommen vielleicht beim Eigenheim.

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    Schön formulierte Aufzählung :)
    Mir kommt es auf das "kann" an.


    Alleine allen zu gefallen, ist nicht immer die Zielsetzung von Architektur, eigentlich wohl fast nie, ausgenommen vielleicht beim Eigenheim.
    Sollte sie auch nicht sein, imo. Leider ist die Architektur in Dland nicht selten darauf angelegt, so wenig aufzufallen wie möglich. Das ist schade.

  • ^Das schlimmste überhaupt sind doch die EFH´s mit blauen Dächern: Weber Ausbauhaus Modell Steffi 3000 mit trendig blauem Dach. :wein: So etwas ist dann auch/sogar ;) für mich Indiskutabel.


    Das wenig auffallen ist auch ein interessanter Hinweis. Diese Nachkriegsmoderne war eben auch mutiger als die Architektur unserer Tage. Das geht dann manchmal total daneben und manchmal wird es ein großer Wurf. Wie vieles wäre wohl nicht gebaut worden, wenn "nur nicht auffallen" und "schön" die Zielsetzung gewesen wäre?


    Mir gefällt an dieser Architektur, wie sie z.B. am Ernst Reuter Platz steht, dass sie mit praktisch sämtlichen Konventionen bricht, die bis dahin da waren. Allen zu gefallen, konnte gar nicht die Maxime sein. Der Historismus unserer Zeit ist dagegen langweilig und ängstlich.

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    Das verstehe ich, und man darf nicht alle Nachkriegsmoderne über einen Kamm scheren. Dennoch darf jeder frei darüber befinden, was er für schön, gut, mutig, langweilig, unauffällig und unbedeutend etc. hält, und das ist gut so, Architekturgeschichte oder Denkmalschutz hin oder her.
    Mir jedenfalls gefällt der ERP überhaupt nicht, und eine Neukonzeptionierung fände ich nicht schlecht. Allein das vielleicht damals mutige Brechen mit Konventionen macht für mich noch kein attraktives Bauwerk. Muss halt (ganz subjektiv) gut ausschauen.
    Stellst Du soviel Historismus fest? (Ich bin auch eher fürs moderne, innovative Bauen zu haben.)

  • ^Hier im Forum jedenfalls breitet sich der Historismus, bzw. die Zahl seiner Anhänger scheinbar dramatischer aus, als die Vogelgrippe. ;)


    Der Platz als solcher ist m.E. durchaus veränderbar. Veränderungen am Brunnen sind ein Problem, aber an der Platzgestaltung kann wohl schon etwas gemacht werden. Die riesige und reichlich kahle Weitläufigkeit der Anlage könnte durchaus etwas gedämpft werden.

  • ^Hier im Forum jedenfalls breitet sich der Historismus, bzw. die Zahl seiner Anhänger scheinbar dramatischer aus, als die Vogelgrippe.


    Ich bekenne mich offen dazu :)


    Moderne Architektur kann schön sein, es gibt gute wie schlechte Beispiele. Leider überwiegen bei der modernen Architektur die schlechten Beispiele. Oftmals wirkt ein Gebäude dann einfach nur kahl, kalt und abstossend.


    Klassischen Straßenzüge wirken da oftmals einladender (ich verweise mal hierauf http://deutsches-architektur-f…rum/showthread.php?t=5014)


    Es ist wirklich nicht alles schlecht, was neu ist. Das kann ich wirklich nicht behaupten. Z.B. der Reichstag, der Lehrter Bahnhof, Potsdamer Platz, Fernsehturm etc. sind Gebäude die ich wirklich schön finde.


    Doch oftmals werden leider brutal langweilige Klötze gebaut, nur um modern zu wirken und "Kontraste" zu setzen. Ich sag jetzt als Beispiel mal das Bundeskanzleramt. Im Augenblick kann das Gebäude imposant wirken, allerdings frag ich mich, ob wir in 20 Jahren immer noch so darüber und das Gebäude als wegweisend und modern empfinden. Besonders wenn der Beton dreckig ist.


    Ich glaube der Ernst-Reuter Platz empfand man früher auch als modern, jetzt sind die Meinungen relativ eindeutig. Von anderen Beispielen wie z.B. der deutschen Oper möcht ich gar nicht reden.


    Ich find es einfach schade, das jetzt so gebaut wird, ganz egal was jeder Einzelne hier davon halten mag. :)

  • Die Frage, ob man die Platzgestaltung nicht so ändern kann, dass das Gebäudeensemble und sozusagen der Grundgedanke der Platzgestaltung noch zur Geltung kommt, der Platz insgesamt aber angenehmer würde, fände ich in der Tat interessant. Wie ich schon sagte, dürfte es ja insbesondere die geradezu leere Weitläufigkeit sein, die den Gesamteindruck sehr stört. Da müsste man aber was ändern können, durch z.B. entspr. Möblierung, mehr Bäume etc.

  • Der ERP gehört zu den Plätzen wo du umgestalten kannst so viel du willst, der Platz wird nicht schöner, solange er von mieser Architektur umgeben ist. Mag sie auch noch so wegweisend sein, diese Architektur ist einfach furchtbar hässlich.
    Wenn du monierst, dass der Historismus immer mehr Anhänger bekommt, würde ich mich an deiner Stelle mal fragen woran das liegt. Es ist nunmal Fakt, dass der Anteil der Bausünden in der Vorkriegszeit deutlich niedriger als heute war. Und vor allem wurden Gebäude eben nicht nach der Maxime Form follows Function gebaut. Sowas wie Ornamente fällt den heutigen Architekten ja kaum noch ein. Nur langweilige gerade Linien, rechte Winkel und an allen Stellen gleich aussehende Fassaden.
    Kein Wunder dass das Gros der Bevölkerung sowas als abstoßend empfindet.
    In allen Zeiten musste man nach wirklichen Bausünden suchen, seit dem Krieg ist es anders herum, da musst du nach den Juwelen suchen, die es zwar unbestreitbar auch in der modernen Architektur gibt, aber absoluten Seltenheitswert haben.

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    Sowas wie Ornamente fällt den heutigen Architekten ja kaum noch ein.
    Commerzbank-Tower mit Ornamenten würde auch eher lustig ausschauen :D

  • Rohne: Wer sagt denn, dass Ornament schön sein muss :confused:
    Ich wüsste mal gerne, was Du sagen würdest, wenn Du für einen Monat lang in einem barocken Prunksaal eingesperrt wärst. Die meisten würden schreiend rausrennen und sich an ihren modernen Bürozimmern mit klaren Linien ergötzen, damit sich die Augen mal wieder ausruhen können.
    Vielleicht empfindest Du ja nur deshalb die alten Gebäude so schön, weil sie wie seltene Perlen in der modernen Architekturlandschaft erscheinen. Würden sie öfter vorkommen, würden sie vielleicht den momentanen Platz der "langweiligen und hässlichen" modernen Gebäude einnehmen. (Im den historischen Baustilen waren übrigens weite Teile der Fassaden von normalen Wohnhäusern auch gleichaussehend. Teilweise sogar mehr als heute, die Vielfalt kam erst mit den Jahrzehnten und Jahrhunderten, wenn neue Stile neben alten eingebracht wurden)



    Am Ernst-Reuter Platz finde ich aber nur das Telefunken Hochhaus, das Deutsche Bank Gebäude und mit Abstrichen auch noch den Scharoun-Bau gelungen. Ansonsten wird die Bedeutung teilweise auch etwas hochstilisiert.