Wilhelmstraße - Plattenbaumoderne vs Neubebauung

  • Die Neubauten sind zeitgemäß und ästhetisch ansprechend und enthalten wieder Sozialwohnungen, sogar mehr als zuvor.


    In London entstehen an solchen Standorten Siedlungen mit Hochhäusern, die oft an der 100-Meter-Marke kratzen. Hier gab es mal ausnahmsweise nicht einzelne Riegel, sondern Blockrand mit etwas mehr Dichte (glaube ich zumindest, Berechnungen gerne gesehen) - möchte man dem Londoner Beispiel folgen, müsste man künftig Blockrand mit einigen verdichtenden Höhepunkten ergänzen. In der zentralen Lage grundsätzlich nicht verkehrt - die Erinnerung an die einstige Altstadt könnte man allerdings dabei vergessen. Es sei denn, einzelne Elemente wie Tore oder Bögen würden zur mehr Vielfalt rekonstruiert? (Solche Lösungen habe ich hier und da gesehen, etwa in Paderborn - die Wirkung ist besser als wenn nichts an die bauliche Vergangenheit erinnern würde.)


    Wie Pumpernickel darüber sagt - in dieser Lage muss der Schwerpunkt nicht am sozialen Wohnungsbau liegen. Naheliegende Lösung - Sozialwohnungen in den niedrigeren Bauten, teure ETWs in den höheren Turm-Geschossen?

  • @ TowerMaranhao:


    Sind das denn überhaupt Sozialwohnungen? Ich glaube nicht. Gebaut wurden die Wilhelmstraßen-Häuser jedenfalls für mittlere Parteikader, und soweit ich weiß, hatten dort um die Jahrtausendwende einige namhafte Bundestagsabgeordnete und sogar Minister ihre Berliner Wohnungen - Müntefering zum Beispiel. Ich halte sie für stinknormale, vermutlich nicht einmal besonders kleine oder schlecht ausgestattete Mietwohnungen.


    Ich meine damit nicht Dich, Tower, aber es gibt eine Stimmung hier, die ich für fatal halte, weil sie eine Schieflage in die Debatte bringt: Alles, was nicht mindestens gehobene Ausstattung besitzt, wird gleich als Sozialwohnung wahrgenommen; alle, die sich kein Neubau-Appartement in Mitte oder im Prenzlauer Berg leisten können, stehen folglich als eine Art "Leistungsempfänger" da - auch wenn sie gar keine Leistungen empfangen, sondern schlicht mit ihrem Lohn ihre Miete zahlen. Das erweckt dann den Eindruck, als wären die Leute unrechtmäßig privilegiert oder würden sich etwas erschleichen, was ihnen nicht zusteht, was wiederum die Rhethorik des "Es gibt kein Recht auf..." und des "Mein Mitleid hält sich in Grenzen..." legitimiert.


    @ London-Frage:


    In London gibt es innerstädtische Großprojekte aus den Siebzigerjahren, die heute niemand mehr bauen würde - wie etwa das grandios-hässliche Barbican Estate. Aus guten Gründen würde niemand so ein Viertel abreißen wollen, selbst wenn sich der Baugrund heutzutage sicher gewinnbringender nutzen ließe - es wird vielmehr als Ausdruck einer baugeschichtlichen Epoche erhalten und gilt inzwischen sogar als ein klein wenig hipp. Ein kritischer, aber ähnlich respektvoller Umgang zumindest mit dem westlichen Teil des Wilhelmstraßen-Ensembles stünde Berlin m.E. gut zu Gesicht.


    @ Pumpernickel:


    Wenn man von der Architektur die sozialen und politischen Aspekte abzieht, bleibt von ihr nichts als bloße Kulisse. Das gilt vom Palast des Sonnenkönigs bis zu Omas Reihenhäuschen mit Gartenzwerg im Vorgarten. Und für eine Berliner Straße, deren Name jahrzehntelang das Synonym für "Regierungsviertel" war, gilt das natürlich auch.

  • ^ Das Barbican-Estate finde ich auch absolut erhaltenswert und außergewöhnlich, ich finde nur, man kann es mit den banalen Platten an der Wilhelmstraße überhaupt nicht vergleichen, sondern schon eher mit der tschechischen Botschaft nebenan.


    @BauLcfr: Ich finde auch nicht, dass es hier Sozialwohnungen geben muss, ohnehin wohnen hier kaum Menschen und ich hielte es für weitaus sinnvoller und effektiver, wenn sich die Koalition für mehr Durchmischung z.B. im Prenzlauer Berg einsetzen würde. Ich wollte nur sagen, dass man Wohnungen von außen nicht unbedingt auf den ersten Blick ansehen muss, wie günstig sie sind, zumal es an dieser Ecke eben auch ein Bedürfnis nach zumindest einem Minimum an Repräsentation gibt.

  • Ich verstehe diese ganze Diskussion sowieso nicht. Wie bereits mehrmals berichtet wurde sind ein Großteil der Wohnungen in den Wilhelmplatten mittlerweile zu Ferienwohungen umfunktioniert. Also eigentlich böses Kapitalistenwerk.


    Stünden die Platten 2 km weiter südlich und wären aus BRD-Produktion würde kein Hahn danach krähen, wenn man die Platten abreißen würde. Nur bei ostdeutschen Bauten ist das immer was anderes. So ein Schauspiel was man in Berlin, Potsdam und Dresden um Allerweltsbauten macht, habe ich in keiner westdeutschen Stadt je erlebt. Ob es einem "Einheitsskeptiker" oder Hardcorelinken wirklich subjektiv besser geht, wenn er seine Lebensenergie darauf verwendet sich für Wilhelmplatte, Mercure, FH oder welchen Bau auch immer einzusetzen, mag bezweifelt werden.


    Es ist vielmehr eine weitere groteske Unmutsäußerung einer Gesellschaft, die langsam von allen Seiten her erodiert. Letztlich ist auch dies eine Form reinen Protests. Nicht mehr.

  • ^ Das sehe ich ebenso. Es ist kein Fall bekannt wo in Westdeutschland so verbissen an irgendwelchen 60er Jahren Bausünden festgehalten wurde.
    Das ganze ist weltweit so, das Bauten wie in der Wilhelmstrasse oder die Plattenbauriegel an bei RF/MEF sofort und ohne ein Wort darüber zu diskutieren dem Erdboden gleich gemacht werden würden.
    => Es geht doch nur um häßlich vs. ansehnlich. So fordert niemand den Abriss der Häuser an der Frankfurter Allee. Wenn es nur um DDR oder nicht DDR geht müssten die ja auch zur Disposition stehen ... tun sie aber nicht.

  • Stünden die Platten 2 km weiter südlich und wären aus BRD-Produktion würde kein Hahn danach krähen, wenn man die Platten abreißen würde. Nur bei ostdeutschen Bauten ist das immer was anderes.


    Ich für meinen Teil habe mich kürzlich hier im Forum vehement für den Erhalt des Kempinski in Charlottenburg eingesetzt (z.B. hier). Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war das Kempinski ein westdeutsches Fünf-Sterne-Hotel, dass in den 50er- und 60er-Jahren geradezu symbolisch für die Verheißung des Westens stand, reich zu werden und Champagner zu saufen – wogegen ich, isoliert betrachtet, nicht das Geringste einzuwenden habe. Mir geht es bei den Platten in der Wilhelmstraße – wie beim Kempinski – um die Rolle des Ensembles für die Stadtgeschichte und – anders als beim Kempinski – um den Erhalt möglichst vieler Wohnungen, damit in Mitte kein nach Feierabend menschenleeres Touri- und Geldanlage-Ghetto entsteht. Wenn die Wohnungen nicht dem Mietmarkt zur Verfügung stehen, weil sie als Ferienwohnungen zweckentfremdet sind, sollte das Land etwas dagegen tun.


    Du kannst mich gerne als degeneriert-groteske, ultralinke Verfallserscheinung betrachten, wenn Du wenigstens mal zur Kenntnis nehmen würdest, dass es mir nicht die Bohne um Ostalgie geht.

    Einmal editiert, zuletzt von Architektenkind () aus folgendem Grund: Falschen Singular in korrekten Plural verwandelt.

  • @ Pumpernickel:


    Kann es sein, dass Du dazu neigst, Deine Meinung stets für faktisch begründet zu halten?


    Die Gebäude haben eindeutig einige Stärken, die sie aus der breiten Masse der Plattenbauten herausheben, das muss man enerkennen. Sie stehen dennoch nicht unter Denkmalschutz. Das liegt weniger an einer erfolgten klassifizierung als Denkmal, sondern viel eher am Gebäudealter. Generell sollen Denkmäler erst dann auf der Denkmalliste gelistet werden, wenn zwei Generationen vergangen sind, damit man nicht subjektiv urteilt. Das ist schlicht noch nicht der Fall. Z. Zt. arbeitet man Deutschlandweit eher an der Katalogisierung der 50er und 60er Jahre.


    Neben den Denkmalschutzlisten können die Gemeinden, bzw. die Denkmalschutzbehörden größere Bereiche per Satzung unter schutz stellen. Da können ganz andere Ziele als der Erhalt baukünstlerisch wertvoller Bausubstanz beschlossen werden. Erhaltungssatzungen sind auch ein Mittel um fehlgeleitete (Fassaden-)Sanierungen zu verhindern. Sie sind ein wichtiges Mittel um insbesondere Grüderzeitquartiere zu schützen. Ich bin da als Quartiersarchitekt/Sanierungsmanager sehr froh, dass es das Mittel gibt.


    Auch in der Wilhelmstraße hat die Kommune große Einflussmöglichkeiten auf private Immobilienbesitzer. So wäre es ohne Weiteres möglich, eine Veränderungssperre zu erlassen, und einen neuen B-Plan zu erarbeiten. Gleichzeitig erlässt man dazu ein Vorkaufsrecht für die Kommune. Private Immobilienbesitzer können ihre Immobilien dann weder verändern, noch an Dritte veräußern. Oder man stellt ein förmliches Sanierungsgebiet auf, das als Ziel hat den Wohnraum zu schützen. Jedwede Änderung ist dann genehigungspflichtig. Auch hier hätte die Kommune dann das Heft in der Hand. Es gibt auch für solche Gebiete Unterstützung aus unterschiedlichen Bundesprogrammen, die dann die unrentierlichen Kosten einer auf die Sanierungsziele abgestimmten Sanierung begünstigen.


    Wir haben in einem Sanierungsgebiet mit ca. 1000 Einheiten auch so kleine Veränderungen wie die Umnutzung einer 80qm Wohnung zu einem Büro, oder die Instandsetzung eines 5m langen Fußweges untersagt, wenn diese den Sanierungszielen entgegenlaufen. Das rechtssicher zu begründen, wenn man den rechtlichen Rahmen eines Sanierungsgebietes oder einer Erhaltungssatzung hat ist keine Magei, sondern ständige Praxis und durch etliche Gerichte ausgeurteilt.


    Architektenkind:
    Einen Raum, der auf zwei Seiten durch ein Ensemble geprägt ist, einhüftig zu amputieren ist kein Kompromiss, weil es den Raum als solchen zerstört. Auch wenn die Kritik den Falschen trifft: Generell sollte man weniger an Objekte und mehr an den Raum denken.


    Ich sehe da noch sehr viel Platz hinter den Gebäuden für eine neue Bebauung. Was kommt da hin?

  • Jan
    Wer sagt das ich nicht genau diesen Prozentsatz anspreche. Wenn du dich davon angesprochen fühlst ist es nicht meine Schuld.


    Generell hat sich meine Befürchtung doch nur bestätigt. Es wird nur S/W argunentiert. So wird wie immer der Einwand des Umweltschutzes ignoriert. Du Gebäude sind Graue Energie; deren Verschwendung sinnfrei. Jetzt wird schon mit Weiterbau entgegengekommen und trotzdem wird mit Sinnentleerten Abrissen gekontert. Auch unter der Devise das die Querfinanzierung durch Neubau ohne Argumente zu nennen besser sein soll. Ergo wurde der Verdacht des Ideologischen mal wieder bestätigt und dabei hat man Extra die Baukulturelle erhaltenswürdigkeit mal ausgeblendet.

  • Die Debatte wird ja immer skurriler. Dass es sich bei Parteien wie der CDU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen um "Hardcore-Linke" handeln soll, die von DDR-Nostalgie getrieben werden, ist doch einfach lächerlich. Vielmehr ist es doch wohl so, dass eine ganz große Mehrheit in Berlin der Meinung ist, dass diese Gebäude erhalten bleiben sollten und dass die Parteien diese Meinung widerspiegeln.
    Auch kann ich keinen Unterschied in der Haltung zu Ost- und Westgebäuden erkennen. Die Gebäude am Mehringplatz (West) werden ja auch erhalten und derzeit sogar saniert.

  • @ Pumpernickel:


    Kann es sein, dass Du dazu neigst, Deine Meinung stets für faktisch begründet zu halten?


    Wer nicht?


    Generell sollen Denkmäler erst dann auf der Denkmalliste gelistet werden, wenn zwei Generationen vergangen sind, damit man nicht subjektiv urteilt. Das ist schlicht noch nicht der Fall. Z. Zt. arbeitet man Deutschlandweit eher an der Katalogisierung der 50er und 60er Jahre.


    Let me stop you right there, es wurden in Berlin bereits DDR Retortensiedlungen aus den 1980ern (!) unter Denkmalschutz gestellt. Beispielsweise die Platten Thälmann-Park.


    Weiterhin ist ein Vorkaufsrecht keine Verkaufspflicht und steht zusätzlich unter den Beschränkungen aus § 24 III BauGB. Aber es gibt umgekehrt eine gesetzliche Verkaufspflicht für die Kommune (aus § 89 BauGB "Die Gemeinde hat Grundstücke zu veräußern die sie durch Ausübung des Vorkaufsrechts erlangt hat [...]"). Wirklich "gewonnen" wäre damit bei den Typenbauten der Wilhelmstraße also nichts.


    Zu Erhaltungsverordnungen kann auch nichts "ausgeurteilt" sein, Gerichtsurteile haben in Deutschland erstens keinerlei rechtliche Bindung über den konkret verhandelten Fall hinaus (Ausnahme einige Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht). Zweitens unterscheidet sich jede einzelne Erhaltungsverordnung wieder von den anderen und ist dementsprechend auch immer komplett neu gerichtlich zu beurteilen. Zudem hat jeder das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter und Jedermann steht der Rechtsweg offen. Über solche Dinge wird regelmäßig über Jahrzehnte (!) durch die Instanzen gestritten. Mit den rechtlichen Maßnahmen begibt man sich auf ein fruchtloses Terrain eines Kleinkriegs, wenn Eigentümer nicht gewillt sind mitzuziehen.


    Weiterhin nochmal der Hinweis, dass wir hier nicht über einen alteingesessenen Arbeiterkiez reden, sondern die Wilhelmstraße. Das war zu Zeiten des Kaiserreichs quasi unsere "Downing Street", sie hatte auch zu DDR Zeiten und heute eine herausgehobene Bedeutung voller Botschaftsgebäude, Ministerien, die SPD Parteizentrale... das ist nicht der Kiez des kleinen Mannes und war er auch zu DDR Zeiten eben gerade nicht.


    Man könnte fast sagen, es handelt sich um "die" Straße des Establishments in Berlin, durch diverse Systemwechsel hindurch. Gerade hier soviel "soziales Öl" in der Diskussion verschmieren zu wollen versetzt mich einfach in Erstaunen bzw. Argwohn.

    10 Mal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • Kann es sein, dass einige von den Mitdiskutanten die Wilhelmstraße gar nicht persönlich kennen?


    @pumpernickel natürlich ist die Wilhelmstraße auch eine Straße des kleinen Mannes, gerade in der Nähe der SPD-Zentrale.


    Ansonsten hat die Wilhelmstraße mir der Downing Street gerade so viel zu tun, dass beides Straßen sind. Wer ist schon einmal vom Adlon an der britischen Botschaft, den Plattenbauten, der Tschechischen Botschaft, der Mall of Berlin, den Brachen (mit Fesselballon) gegenüber dem Finanzministerium, den Häusern der Bauausstellung 79-87, den häßlichen Geschoßbauten im südlichen Teul bis zur SPD-Zentrale gelaufen ist, wird das so sehen. Da ist ganz wenig glamourös und das wird sie durch "The Wilhelm" auch nicht ändern. Auch nicht durch den Abriss der Platten zwischen Behren- und Mohrenstraße (der übringens momentan gar nicht zur Debatte steht.)

  • Ich habe nicht gesagt, die Straße sei glamourös. Aber sie ist einfach nicht "ground zero" der Gentrifizierungskonflikte Berlins. Noch ist sie, du hast sie ja selbst "in den grauesten Farben" beschrieben, ein städtebauliches Haupterbe der DDR oder in sonstiger Form städtebaulich ein Juwel, das unbedingter Erhaltung bedarf. Siehst du das anders? Ich kann schon die Prämisse einer "Erhaltungsverordnung" für das Gebiet nicht nachvollziehen.

  • Das von Architektenkind befürchtete Geldanlage-Ghetto rückt näher. Die Quadratmeterpreise für "The Wilhelm" liegen laut Zabel Property AG zwischen 13.000 und 29.000 €. Wer bietet mehr in der Gegend?

  • Jan
    Wer sagt das ich nicht genau diesen Prozentsatz anspreche. Wenn du dich davon angesprochen fühlst ist es nicht meine Schuld.


    Und wer sagt, dass so ein öffentlich ausgetragener Angriff gegen eine kleine Minderheit inkl. peinlicher Wortschöpfungen wie HuRek dann nicht reichlich lächerlich ist? Insbesondere wo sich diese bislang kaum in entsprechender Form geäußert hatte. Ich lese hier eigentlich bislang nur Beiträge wo steht, dass x oder y die Bauten hässlich, unpassend oder zumindest entbehrlich finden. Auf der anderen Seite einige, die sie als teilweise oder komplett erhaltenswert ansehen. Nix pro oder contra DDR. Zudem lese ich auch bei den Abrissbefürwortern nichts von Forderungen, alles mit "The Wilhelms" zuzubauen, wie Du es andeutest. Du machst also völlig unnötig eine scharf geführte Pseudo-Debatte gegen eine falls existierende nur sehr kleine Minderheit auf. Und lädst sie so direkt ein, im gleichen Ton zurück zu schießen. Damit wir den hundertsten ideologieverseuchten Diskussionsstrang erhalten, wo gefühlt ein Drittel aus persönlichen Beleidigungen und politischen Unterstellungen besteht.


    Generell hat sich meine Befürchtung doch nur bestätigt. Es wird nur S/W argunentiert.


    Wenn man bestimmte Töne anschlägt, erzeugt das oft (in diesem Forum recht zuverlässig) entsprechende Resonanz. Du darfst Dich als Prophet fühlen. Ich würde eher von einer self fulfilling prophecy sprechen.


    So wird wie immer der Einwand des Umweltschutzes ignoriert. Die Gebäude sind Graue Energie; deren Verschwendung sinnfrei. Jetzt wird schon mit Weiterbau entgegengekommen und trotzdem wird mit sinnentleerten Abrissen gekontert. Auch unter der Devise, dass die Querfinanzierung durch Neubau ohne Argumente zu nennen besser sein soll. Ergo wurde der Verdacht des Ideologischen mal wieder bestätigt und dabei hat man extra die baukulturelle Erhaltenswürdigkeit mal ausgeblendet.


    Da hier Argumente auftauchen, darf ich mich nun hoffentlich angesprochen fühlen? Was den Umweltschutz angeht, hast Du definitiv recht. Allerdings spricht dieser generell gegen die meisten Formen von Bautätigkeit, insofern ein mutiger Standpunkt in so einem Forum und in so einer Zeit wo viele alle zwei Jahre ihr Handy austauschen, regelmäßig Flugreisen für den Kurzurlaub nutzen etc. So ein Pauschalargument ist deshalb natürlich nicht unberechtigt. Es müsste dann aber bei sehr, sehr vielen Projekten angeführt werden. Bezüglich Quersubventionierung bitte genau lesen: Ich schrieb, dies könne AUCH bei einem Neubau erreicht werden. Insofern sehe ich darin allein kein ausreichendes Argument gegen einen Abriss. Das Aufstocken und ggf. Überformen der Bestandsbauten ist vielleicht gerade aus den angeführten ökologischen Beweggründen ein Kompromiss. Aber gerade so würde doch der bisherige Charakter der Bauten völlig ausgelöscht. Ich fände das gerade in der von Dir angeführten baukulturellen Hinsicht daher nicht wünschenswert, obgleich die Resultate optisch nicht mal schlecht sein müssten.


    Noch mal: Ich persönlich finde aus den angeführten Argumenten weder einen Kompletterhalt attraktiv noch einen Komplettabriss wünschenswert. Aber im Grunde kann ich mit beidem leben, insbesondere falls die Bauten im Zuge der irgendwann anfallenden Sanierung liebevoll aufgewertet werden oder aber im Falle eines Abrisses durch überzeugende Projekte ersetzt werden - meinetwegen auch teils, teils. Gerade deshalb finde ich den Austausch von fundierten Sachargumenten und ästhetischen Standpunkten interessant. Den ständigen Verweis auf Ideologie sehe ich dabei aber nur als hinderlich an.

  • ^ Diskutiert das doch bitte per PM! Einige versuchen hier die Diskussion am Laufen zu halten, da sind Seitenlange Beiträge über Gesprächskultur doch sehr hinderlich.


    Hallo Pumpernickel,


    Als Halbjurist sollte Dir auffallen, dass ich geschrieben habe, es SOLLEN zwei Generationen vergehen, bevor man Gebäude auf die Denkmalliste setzt. Man kann Einzelfälle auch mal begründen und von der Regel abweichen. Das das Ensemble Thälmann-Park auf Grund seiner Geschichte alleine schon den Status verdient, darüber kann man Einigkeit erzielen. Ebenso sehe ich die Möglichkeit, dass wir uns darüber verständigen, dass die Gebäude recht hässlich sind. Das spielt aber keine Rolle. Ich rate davon ab. Auf Grund eines Sonderfalles auf das Generelle zu schließen. Das ein Gebäude in der Wilhelmstraße abgerissen wurde ist kein hinreichender Beweis dafür, dass man sowass nicht per Erhaltungssatzung verhindern kann. Man KANN es verhindern, man muss aber nicht.


    Ich frage mich, was im "Fall Wilhelmstraße" Dein Anliegen ist? SOLLEN die Platten Deiner Meinung nach weg und ersetzt werden, oder geht es nur um den juristischen Weg, den Verwaltung und eine überwältigende Mehrheit in der Politik eingeschlagen haben?


    Mein Kommentar zu Deiner "faktisch begründeten Meinung" zielt natürlich auf die verstümmelte Interpretation des BauGB. In diesem Punkt kann ich es mir bei meiner Arbeit gar nicht leisten, meinen Gusto einfließen zu lassen, da ich dann für meine Fehlentscheidungen hafte. Ich kann Dir nur sagen, wir wir es bei Erhaltungssatzungen und Sanierungsgebieten handhaben und dass es so zum von der Gemeinde gewünschten Ziel führt. Ich finde es gut, dass die Gemeinden in Deutschland die Planungshoheit haben und es kein planerischen laissez -faire herrscht, wo Investoren machen können was sie wollen. Die Gemeinde darf Ziele für Ihr Gebiet oder Teile davon festlegen und durchsetzen. Dafür gibt es die ordentlichem Verfahren für B-Pläne und Satzungen.


    Und: Ja, Grundstücke, die man durch Vorkaufsrecht erworben hat, muss man wieder verkaufen. Das kann man tun, in dem man sie an die örtliche, kommunale Wohnbaugesellschaft verkauft, oder - was ich generell gut finde - eine konzeptionelle Ausschreibung macht. Jeder Bieter gibt dann halt ein eigenes von ihm erstelltes Konzept ab, an dass er dann gebunden ist.


    Und: Ja, ein VorkaufsRECHT ist kein VorkaufsZWANG. Man kann es Eigentümern aber auch schmackhaft machen, in dem man ihre Verwertungsinteressen durchkreuzt. Wo nix zu holen ist, steigt die Verkaufsbereitschaft doch deutlich.


    Viele Grüße

  • Architektenkind: Einen Raum, der auf zwei Seiten durch ein Ensemble geprägt ist, einhüftig zu amputieren ist kein Kompromiss, weil es den Raum als solchen zerstört. Auch wenn die Kritik den Falschen trifft: Generell sollte man weniger an Objekte und mehr an den Raum denken.


    Östlich der Wilhelmstraße ist das Ensemble ja nicht so geschlossen wie westlich davon: Es gibt den Wilhelminischen Bau des Landwirtschaftsministeriums, dessen modernen Anbau, ältere Platten ohne Dachschräge, demnächst "The Wilhelm" und nur (noch) einen Bau im Stil des Westseiten-Ensembles. Und mein Kompromissvorschlag beinhaltet ja, dass eine eventuelle Neubebauung auf die gegenüberliegenden Platten Rücksicht nimmt – meint: sich in Traufhöhe, Dachansatz, vielleicht Farbe, etc. an ihnen orientiert. Klar, auf diese Weise entsteht kein Stadtraum aus einem Guss. Aber den gibt es jetzt auch nicht. Und die Spannung, die entsteht, wenn Architektur aus drei Epochen (Kaiserreich, DDR, Jetztzeit) auf dichtem Raum beieinander steht, muss man aushalten – wenn die neue Architektur gut ist, kann diese Spannung doch auch reizvoll sein.


    Ich sehe da noch sehr viel Platz hinter den Gebäuden für eine neue Bebauung. Was kommt da hin?


    Meinst Du den Parkplatz in der Voßstraße? Gute Frage. Keine Ahnung wem das Grundstück gehört. Der Sportplatz in der Gertrud-Kolmar-Straße steht meines Wissens nicht zur Disposition, und anstelle der Baracke östlich des Holocaust-Mahnmals wird ein weiterer Luxus-Wohnblock gebaut. Mit unverbaubarem Blick auf das Stelenfeld – ein bisschen morbide, wenn Du mich fragst...

  • Ich habe nicht gesagt, die Straße sei glamourös. Aber sie ist einfach nicht "ground zero" der Gentrifizierungskonflikte Berlins. Noch ist sie, du hast sie ja selbst "in den grauesten Farben" beschrieben, ein städtebauliches Haupterbe der DDR oder in sonstiger Form städtebaulich ein Juwel, das unbedingter Erhaltung bedarf. Siehst du das anders?


    Nein, ich sehe das nicht anders. Nur, wo kämen wir hin, alles was uns nicht gefällt, abzureisen. Meiner persönlichen Meinung nach sind die Ost-Platten im nördlichen Teil nicht häßlicher als die West-Wohnblocks im südlichen Teil.

  • Nur, wo kämen wir hin, alles was uns nicht gefällt, abzureisen.


    In die Kontinuität des Städtebaus, die eigentlich recht gut mit den Mechanismen "natürlicher Auslese" vergleichbar ist. Mist wurde zu jeder Zeit reichlich gebaut. Erhalten wurde vorwiegend das bauliche Filet einer jeweiligen Epoche. Hübsche oder objektiv herausstehende Gebäude zu erhalten, schön und gut. Aber Gebäude, die weder unter Denkmalschutz stehen noch dafür aufdrängende Kandidaten wären und jetzt niemand optisch zum Hocker reißen, per politischem Zwang zu versuchen auch noch gegen den Willen ihrer Eigentümer zu erhalten - obwohl sie einem nicht einmal gefallen! - das empfinde ich ab einem gewissen Punkt als Verranntheit. "Whats the point?"


    Darauf wollte ich ja mit der Symbolpolitik hinaus, die ich beklage. Leute haben sich da augenscheinlich begonnen in etwas zu verrennen und wenn das in Deutschland passiert, dann findet sowas kein Ende mehr ("aus Prinzip" ist da die 'gefährliche' Schlüsselphrase).


    Das haben wir schon in der Nachbarstadt Potsdam gesehen, wo die olle Wohnanlage Staudenhof solch ein Momentum erhalten hat, zum "cause" von Leuten zu werden, die fortan einen guten Teil ihrer Freizeit regelmäßig dafür einsetzen, auf jede nur denkbare Weise für den Erhalt des "Staudenhof" zu trommeln. Einfach weil man gegen Veränderung ist. "Aus Prinzip". So kennt man die Stadt, so soll sie bleiben, die Globalisierung und die Welt um uns herum, alles so schnell und immer schneller... ha, "aber wenigstens den Staudenhof, wenigstens die Typenbauten Wilhelmstraße, wenigstens daran kann ich mich festklammern! Den nehmen mir 'die' nicht!" Diesen Eindruck habe ich zumindest.


    Und dieser Wunsch ist der Vater des Gedanken, nachträgliche Begründungen findet man dann schon. Und wenn man schonmal damit angefangen hat muss man auch dabei bleiben. Und "jetzt erst recht", "aus Prinzip". Oder so. Wenn man sich nur genug anstrengt kann man auch Argumente finden, um einem sprichwörtlichen Eskimo eine Tiefkühltruhe zu verkaufen. Ich kann nur durch solche Mechanismen begreifen, wieso sich viele Mitbürger in ihrer Freizeit dem unbedingten Erhalt davon (Wohnblock Staudenhof in Potsdam) hingeben. Wenn du die ganzen Pamphlete usw. dazu liest glaubst du zuerst, dass du dich vielleicht im Gebäude geirrt hast und die von was ganz anderem sprechen. Ich möchte nicht, dass sowas auch in Berlin entsteht, zB in der Wilhelmstraße.


    Aber wenn man den ganzen Popanz einfach mal fallen lässt, die Erhaltungsverordnung usw und einfach mit klarem Blick, spontan, frank und frei auf die DDR Typenbauten in der Wilhelmstraße blickt, dann kann ich zumindest nicht nachvollziehen, wieso man die jetzt erhalten muss. Wo darin das Interesse der Allgemeinheit zu finden ist? Das ist ja der Kern dieser Bestimmungen zum Erhalt von Gebäuden gegen den Willen von ihren Eigentümern.

    Einmal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • ^
    Ne verkürzte und knappe Antwort.
    Die Ressourcen des Planeten sind begrenzt. Und wenn ausgerechnet wir in Europa die schon alle Gebäude die wir benötigen in einer Ausstattung besitzen die nur bedingt über das notwendige gesteigert werden kann.Das dass alles bei schrumpfenden Bevölkerung den grossteil der begrenzten Ressourcen durch Abriss und Neubau gebunden wird ist halt Absurd. 98% aller Gebäude sind Lochfassaden, warum einen Lochfassaden-Bau abreißen um ihn durch einen anderen zu ersetzen? Wegen Bauschmuck? Den kann man auch auf einen Plattenbau kleben sogar so das er von einem Historistischen Gebäude kaum zu unterscheiden wäre. Es braucht sich dann auch keiner über Flüchtlinge, Burnouts und Zivilisationskrankheiten zu beschweren. Der Wirtschaft schadets auch nicht da Weiterbauen auch Geld kostet und Architektonisch anspruchsvoller und Zeitintensiver ist zumindest wenn man mal auf qualitative Hochwertigkeit und damit auch Volkswirtschaftliche Resilienz setzten würde.


    Man sollte auch nicht vergessen das die Platten einfach mal Schweineteuer waren. Die DDR-Wirtschaft musste Stahl überwiegend Teuer importieren, Traditionelle Bauweisen wären billiger gewesen, aber aufgrund eines ehrgeizige Gesellschaftsmodells und der Geschwindigkeitsvorteilke der Trockenmontage hat man sich für diese besonders Teure Subventionierung der Menschen entschieden. Ich finde das verlangt letztendlich auch ein wenig Respekt. Ich kenne kein anderes Land das in dieser Situation einen Wohnungsstandard für Alle so durchgezogen hat, wenn auch in der Tiefe auf Kosten der Gestaltung jenseits der Rationalität.

  • ^ Bitte ab jetzt immer verkürzt antworten, denn ohne Beschimpfungen liest es sich deutlich angenehmer. Deine Vorschläge sind schließlich durchaus diskutabel.


    Ein Beispiel für eine gelungene Sanierung bei den bewussten Bauten wäre ja schon viel Wert. Ich befürchte nur, dass die auf Gewinn ausgerichteten Eigentümer und die Politik in der Ideologiefalle zunächst in den Schützengräben bleiben und dass Lösungen, die städtebaulich wünschenswert wären, auf absehbare Zeit nicht zustande kommen. Deals, die bei der Lage sicher möglich wären, wird der neue Senat wohl nicht machen. Die Investoren träumen vermutlich von Monaco-Brutalismus zum Mondpreis. Naja, schön wird die Wilhelmstraße in diesem Jahrhundert wohl nicht mehr.


    Hauptsache es wird nicht soviel Steuergeld verbrannt. Direkt weil man sich Sozialwohnungen zum Luxuspreis leistet oder indirekt weil man Investitionen, die mit erheblichen Steuern einhergehen, abwürgt.