Gründerzeitarchitektur in Nord- und Süddeutschland

  • Gründerzeitarchitektur in Nord- und Süddeutschland

    Hallo zusammen!


    Ich frage mich schon seit längerem welche grundsätzlichen Unterschiede zwischen der gründerzeitlichen Architektur in Nord- und Süddeutschland bestehen.
    Mir kommt es so vor, als ob die Gründerzeitler und Jugendstilhäuser in Hamburg eine höhere Raumhöhe und deutlich größere Fenster haben als die in München...
    Seht ihr das ähnlich oder gibt es dazu Analysen?


    An und für sich mag ich den süddeutschen Stil lieber, aber die norddeutschen Häuser wirken auf mich großzügiger dimensioniert..


    Grüße,
    Philipp

  • Nur Hamburg und München als repräsentative Beispiele für Nord- und Süddeutschland sind nicht genug.
    Ich vermute, es liegt auch an der unterschiedlichen Größe der beiden Städte. Gründerzeit-Mehrfamilienhäuser in Itzehoe, Bremerhaven oder Kiel sind auch nicht so großzügig wie die in Hamburg. (Betrachtet man die typische, durchschnittliche Gründerzeitwohnung)


    Hamburg war schon 1912 eine Millionenmetropole - zu der Zeit war München noch ein kleines Kaff vergleichbar mit Hannover oder so.
    Millionenstadt ist München erst in der Nachkriegszeit geworden.

  • ^ Zur Größe-Frage gibt es diese Wikipedia-Liste - im Jahr 1880 (am nächsten der Gründerzeit) sah es so aus:


    Berlin - 1.122.330
    Hamburg - 289.859
    Breslau - 272.912
    München - 230.023
    Dresden - 220.818


    Der Rest lag irgendwo unter 200 Tsd. Einwohner.


    Zur eigentlichen Fragestellung - in Hamburg verfolgte man das Konzept der Terrassen mit länglichen Hinterhöfen - darüber schreibt u.a. der DuMont-Kunstreiseführer über Hamburg ausführlich. Die Wikipedia bietet u.a. ein Foto solcher Terrasse im Karolinenviertel.
    In Preußen waren die Hinterhöfe (bis zu mehreren hinter einem Haus) quadratischer bedingt durch die Bauvorschriften - die minimale Größe zum Wenden eines Feuerwehr-Löschzugs. (Aus der Erinnerung etwas über 9 Meter Seitenlänge zum Ende des Jahrhunderts - der Wikipedia-Artikel Mietskaserne nennt als Minimalgröße in Berlin in den 1860er Jahren 5,34 * 5,34 Meter).


    Gestalterische Unterschiede konnte ich auf den vielen Reisen nicht ausmachen - überall setzte man auf Historismus mit breiter Palette zitierter Stile.

    2 Mal editiert, zuletzt von Bau-Lcfr ()

  • Re

    Stimmt München und Hamburg auf Nord- und Süddeutschland zu projizieren reicht nicht aus...
    Aber vielleicht könnte man ja einmal die beiden Städte vergleichen. Sie sind jedenfalls die größten in ihrer Region (Norddeutschland, Süddeutschland)..


    Die unterschiedliche Größe der Städte um 1900 herum spielt sicher auch eine Rolle. Aber ich denke diese schlägt sich eher darin nieder, dass in Hamburg die Gründerzeitgebäude über Weite Teile ein Stockwerk mehr besitzen als in München.
    Ich weiß nicht, ob die Stadtgröße so einen Einfluss auf die Großzügigkeit und Raumhöhe der Gebäude hat.


    In Hamburg gibt es im Stadtteil Eppendorf z.B. Gründerzeitgebäude mit sehr großen Fenstern und hohen Raumhöhen.
    In München kenne ich mich auch einigermaßen aus. In Haidhausen wirken die Raumhöhen schon etwas geringer (liegt wahrscheinlich daran, dass dies ein Arbeiterviertel war..).
    Evtl. gibt es in Schwabing ähnlich großzügig angelegte Gebäude wie in Eppendorf... Aber auch dort wirken Fenster und Stockwerkhöhe auf mich etwas geringer..


    Des Weiteren gibt es in Hamburg viel mehr Balkonfläche an den Häusern und die Häuser sind sich untereinander ähnlicher..
    In München gibt es weniger Balkone, dafür sind die Gebäude verspielter und weniger monoton...


    Alles Vermutungen meinerseits... keine Fakten! ;)

  • Der Rest lag irgendwo unter 200 Tsd. Einwohner.


    Wobei zu beachten ist dass in vielen Fällen - und zwar gerade auch Hamburg! - diese Größenzahlen aufgrund Eingemeindungen ab ca den 1920ern in keinem dieser Fälle die heutigen Städte umfassen.


    Hamburg hatte in der Folgezeit nach 1880 einige "Sprünge" drin, die die Einwohnerzahl kräftig erhöhten (z.B. Hafenbau Ende 1880er -> Einwohnerverdoppelung bis 1895, Groß-Hamburg-Gesetz 1938 -> +600.000 Einwohner). Grad der Hafenbau führte während der Gründerzeit übrigens zu massiven Aussiedlungen von Anwohnern in Neubauviertel am damaligen "Stadtrand".

  • Auch vor 100 Jahren gab es schon Bauvorschriften.


    Aus Nürnberg weiss ich zu berichten, dass die Standard-Altbauhöhe um 1900 exakt 3,00 Meter gewesen sind (+/- 4 cm) Dazu aufrechte Fenster mit T-Teilung, Deckenstuck - oft auch nur eine Hohlkehle - und eine flache Rosette. Balkone waren sehr selten. Toilette meistens in der Wohnung. Demzufolge waren die Häuser meist 9 Meter Tief. 5 Meter die Schauräume zur Straßenseite, ca. 1,20 Meter Flur und 3,40 Meter für Küche, Kammer und Toilette.


    Die herrschaftlicheren Bauten in den gehobeneren Vierteln hatten dann auch mehr Geschosshöhe, bis zu 3,80 Meter und waren auch gerne bis zu 14 Meter tief mit entsprechend größeren Räumen und Fenstern.


    Das ganze muss man auch ergonomisch sehen hinsichtlich Lichteinfall, Straßenbreite und Gebäudeabstand und so. Da dürften die Bauweisen um 1900 nicht mehr so unterschiedlich gewesen sein, immerhin hat es um 1900 schon eine "Nationalifizierung" gegeben (in Anlehnung an "Globalisierung", angleichung der Bauweisen im gesamten deutschen Sprachraum). Je größer und herrschaftlicher die Räume im Innern waren, desto höher musste die Geschosshöhe sein um durch aufrechte Fenster viel Licht hinein zu lassen. Wenn eine gewisse heterogenität erreicht werden sollte, d.h. in einem Block große und kleine Wohnungen entstehen mussten, hatten eben alle eine recht hohe Geschosshöhe.


    Diesbezüglich hat mich Wien sehr beeindruckt, dort geht unter 3,50 Meter rein gar nichts. Wobei ich mir dachte bei den engen und dunklen Straßen braucht es auch die riesigen Fenster.


    In Nürnberg wiederum bestand kaum der Drang zu repräsentieren.


    Zuletzt darf man nicht vergessen, dass der Bombenkrieg viele Viertel vernichtet hat, die einem heute mehr über diese Zusammenhänge gesagt hätten.

  • Ich meine, es gibt auch noch einen schwachen Einfluss der Ressourcen in der näheren Umgebung des Bauortes. Z.B. ist mir bei Pitchpine-Böden aufgefallen, dass diese in Hamburg und Bremen gerne mit dem Lichteinfall des Fensters verlegt sind. In Berlin und München dagegen quer zum Lichteinfall.


    Der Hintergrund ist wahrscheinlich der, dass Pitchpine ein Import aus Amerika war und Hamburg und Bremen da einfach näher an der Quelle waren. Die haben die extra langen Filetstücke abbekommen und die Städte im Hinterland nur kürzere Ware. Dieser Trend beim Pitchpine hat sich auf andere Hölzer übertragen und gilt jetzt nicht ausnahmslos, aber es ist doch eine auffällige Häufung.


    Wenn man genauer hinguckt, findet man evtl. noch weitere Abhängigkeiten des Baustils vom verfügbaren Baumaterial der Umgebung.

  • Die Ressourcen der Umgebung spiegeln sich in der historischen Bausubstanz ganz massiv wieder. In Nürnberg, ja in weiten Teilen Frankens wurde mit rötlichem Sandstein gebaut, teilweise auch in helleren und gelblicheren Tönen. Granit ist weniger häufig. Opulente Stuck- udn Putzfassaden, wie man sie in Leipzig sehr häufig findet, in Berlin oder in Wien sind hier kaum zu finden. Statt dessen sind Verzierungen oft nicht als Stuckelemente angebracht, sondern als Sandsteinelemente, etwa Fensterlaibungen und -bekrönungen - obwohl die Formensprache ähnlich ist wie in Leipzig.


    Für Nürnberg ist das auch eine Identitätsfrage. Einen Stuckaltbau der "Leipziger Art" kann man frisch streichen und er sieht wieder schick aus. Eine Sandsteinfassade hat immer etwas verwittertes an sich, und viele Investoren verkleiden sie halt einfach mit WDVS und weg isse. Das ist sehr schade.


    Was damals naheliegend und billig war, nämlich das Bauen mit Baustoffen der Region, würde ich heute als ökologisches Bauen bezeichnen. Niemand redet davon wieviele LKW-Kilometer in einem neu erbauten Null-Energie-Haus stecken.


    Und dabei ist man noch nichtmal beim "Nürnberger Stil" angekommen. Überall wo man in der Lage ist, eine regionale Eigenart anhand der Baustoffe zu erkennen (Holzarten, Ziegelfarbe, Dacheindeckungen) hat man gleichsam eine Art "Heimatstil", einen regional verwurzelten Stil. Bei Lebensmitteln kommt es so langsam in Mode, wieder "aus der Region" zu kaufen. Bei Baustoffen hat man das völlig vergessen. Von je weiter weg das zeug kommt, desto hipper ist es. Marmor aus Italien, Holz aus Indien, Ziegel aus Schweden, Dämmstoffe aus Polen, Haustechnik aus Asien etc.


    In der Region Dessau / Wolfen wurde früher mit gelben Klinker gebaut. Ganze Straßenzüge stehen dort in gelbem Klinker.

  • Re:

    Danke für die interessanten Infos, insb. über Nürnberg!


    Interessant wäre es, Vorschriften über die Fenstergrößen bei Jugendstilgebäuden zu finden. Da fällt mir doch immer wieder auf, dass diese in München relativ zur Raumhöhe kleiner sind als in norddeutschen Metropolen wie Hamburg oder Hannover. Das ist ein subjektiver Eindruck, aber ich denke da ist wirklich was dran.