Graffiti-Hauptstadt Berlin

  • ^ Das Gebäude war - im Gegensatz zum Ringmessehaus - eben nicht eingerüstet. Und nach eigener Aussage der ORG-Crew hat man sich bei dieser Aktion auch nicht vom Dach abgeseilt. Die Crew verschaffte sich Zugang zu besagtem Gebäude und ging von innen vor. Auch wenn man eine gewisse Hektik bei dem Riesen-Tag erkennt, so verblüfft mich doch die geometrisch akkurate Anordnung der 3 Buchstaben. An dieser sehr präsenten Stelle ist die Gefahr groß, dabei erwischt zu werden.

  • ^ Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es sich bei den aktuellen massiven Graffiti in Berlin und Leipzig um ein post-DDR-Phänomen handelt. Sind doch auch in Berlin insbesondere die Ostbezirke betroffen. In Westdeutschland gibt es dieses breite Phänomen meines Wissens nicht und wie oben beschrieben ist diese Ausdrucksform in New York, London und Paris längst veraltet und abgeschrieben.


    Gibt es dafür eine soziologische Erklärung? Ist es der Wunsch rebellisch zu sein, als Spätfolge einer sozialistischen Diktatur?


    Sicher liegt es auch einfach an den kaputtgesparten Polizeistrukturen in Ostdeutschland.

  • Nun ja ich weiss nicht ob man es auf die "DDR" zurückführen kann, war dies doch eine biedere klein- und spießbürgerliche Gesellschaft. Sicherlich aber auch negative wirtschaftliche Folgen. Wenn junge Leute keine Perspektive und "Beschäftigung" haben vertreiben sie sich die Zeit eben auch, je nach Charakter und Persönlichkeit, mit Vandalismus aller Art. Auf den zweiten Blick ist alles, was sich im öffentlichen Raum befindet, in Berlin ja höchst "vandalismusgefährdet", und muss aus abwaschbaren und fest verankerten Strukturen bestehen. Auch und gerade in sozial schwachen Gegenden - etwas was mich immer schon fasziniert hat, wieso machen sich gerade sozial Schwache, die im Alltag weniger mehr als ihren Kiez sehen, sich gerade dieses Umfeld so fleißig kaputt. Wenn man schon kein Geld für kommerzielle Freizeitangebote hat dann ist man doch eigentlich umso froher wenigstens einen öffentlichen Park in der Nähe zu haben, der nicht total heruntergekommen ist etc.... ein Thema für sich. Für mich absolut nicht nachvollziehbar wieso sich Menschen ihre Umgebung mutwillig möglichst unangenehm machen, gerade dann wenn sie soziale Probleme haben und auf eine stabilisierende Umgebung angewiesen wären.

  • Ich würde darin auch kein spezifisch "ostdeutsches" soziologisches Phänomen sehen. Meine Ansicht nach hängt die hohe Verbreitung von Grafitis in den Großstädten mit der noch nicht so starken Gentrifizierung der Stadtmitte zusammen. Wohnen im Zentrum von Halle, Magdeburg, Leipzig oder Dresden ist zumindest noch erschwinglich. Ich glaub bei Stuttgart, Düsseldorf oder Wiesbaden wird das schon schwieriger. Sicher muss man die im Schnitt niedrigeren Einkommen in den neuen Ländern berücksichtigen aber dennoch glaub ich, dass die Innenstädte hier noch nicht so "fertig" sind. Denn hier und da eine Brache, eine Baustelle o.ä. animiert ja deutlich eher zum Schmieren als eine vollbesetzte Geschäftsstraße.

  • Mit Verlaub, Baumeista, aber das Phänomen Graffiti ist viel komplexer als es mit Stereotypen wie "hohe Arbeitslosigkeit", "soziale Probleme" und "Perspektivlosigkeit" zu besetzen. Nach meiner Beobachtung sind sozial schwächere Viertel und vor allem monotone, triste Großwohnsiedlungen weit weniger von Graffiti und Vandalismus betroffen als angesagte Viertel. Und einen Großteil der Sprayer vermute ich auch eher im bürgerlichen Umfeld und diese sind sicher alles andere als gelangweilte, perspektivlose Umweltzerstörer. Wenn man schon vereinfachen will, könnte man eher sagen: Viele Brachen, Brandmauern und ungenutzte Gebäude + viel Subkultur, Studenten, sog. Kreative etc. = viel Graffiti in der Stadt.


    Und nur weil Graffiti nicht mehr nur in New York und London vorkommt, heißt das nicht gleich, dass sprühen out ist. Viel mehr ist Graffiti zu einem weltweiten Phänomen geworden. Wer das nicht glaubt, fährt mal in Großstädte nach Südeuropa oder Lateinamerika.

  • Mit Verlaub aber das Verhältnis von Einkommen und Wohnkosten ist in ostdeutschen Oberzentren schlechter als in westdeutschen Städten wie Gütersloh die jetzt keine solche Prominenz genießen wie München-Schwabing (die Mieten sind zwar niedriger, aber die Einkommen noch sehr viel niedriger so dass die geringeren Wohnkosten "negativ überkompensiert" werden). "Gentrifizierung" taugt nicht als Erklärung für sämtliche urbane Entwicklungen. Zumal jeder darunter etwas anderes zu verstehen scheint…


    Natürlich sind Graffiti "out" und natürlich ist die gesamte deutsche Populärkultur ein Abklatsch dessen was man (denkt) aus Amerika zu sehen, transportiert durch Film und Fernsehen, mit entsprechender "Zeitverzögerung". Das belegt jedes Detail des Lebensstils, die Marken und der Kleidungsstil der Jugend, die komplette Musik, Filme, was man gerne isst (und wie hipp man sich fühlt banalste amerikanische Speisen zu sich zu nehmen, "Donuts" statt Pfannkuchen, "Hot Dog" statt Wiener, "Burger" statt Bulette..scheint alles gleich viel mehr "sex appeal" zu besitzen wenn man es nicht mehr beim deutschen Namen nennt und die US-Variante wählt), dass man sich amerikanische Spitzenamen gibt (aus deutsch ausgesprochenem Robert wird auf einmal ein "Bobby" etc.) und die Grafiti selbst sind zumeist auch, sofern leserlich, irgendwelche Anglizismen. Man trägt fitted hats irgendwelcher amerikanischer Baseball oder Footballteams, deren Namen man nicht einmal kennt durch die Gegend (in den USA sind das einfach Fanartikel)...und in unzähligen Filmen sieht man dann New Yorker Stadtteile mit reichlich Graffiti (die aber eigentlich nur noch ein Stereotyp ist, New York ist "clean" und würde wohl von Berlinern reflexartig als "provinziell" etc. bezeichnet werden). Das muss man dann natürlich auch kopieren.

  • Kleiner Erfahrungsbericht: Hier (Lichterfelde West), also nicht grad eine nicht sehr zentral gelegene Gegend im konservativen Steglitz, in der es von "Kreativen" nicht grad so wimmelt, besteht das Problem auch. Die Mauern der vor ein paar Jahren erst sehr schön erneuerten S-Bahn-Überführung sind vollgeschmiert (inzwischen ists mehr, als man dort sieht), die Rückwand eines Neubaus am Bahnhof (son richtig großes), im/am Bahnhof selbst immer mal, die Fassaden der Häuser haben auch immer mal Tags drauf...Am Gentrifizierungsgrad allein kanns also auch nicht liegen.
    Andererseits ist hier auch ne richtige "Assiburg". Der Schornsteinfeger meinte mal, da würde teilw. in den Hausflur gesch*. Ich wage mal zu vermuten, dass ein nicht unerheblicher Teil der Schmiererein von Anwohnern und deren Besuchern stammen und diese wohl weniger "kreativ" sind, sondern einfach nur primitiv und respektlos. Den FU-Studenten schiebe ichs mal nicht in die Schuhe. Gibts zwar auch ein Wohnheim hier irgendwo, aber die meisten Wohnen sicher in FH oder so.

  • Es gibt die These, dass Graffiti überall dort vermehrt auftaucht, wo der öffentliche Raum als nicht "angeeignet" gilt. Also: Wenn die Zivilgesellschaft schwach ausgeprägt ist und man sich nicht als Teil des Staates sieht - sondern jenen als etwas Fremdes betrachtet. In den USA sei Graffiti nie so ausgeprägt gewesen (im landesweiten Verhältnis selbst nicht in den 70igern und 80igern), weil man das Land als "das eigene" sähe - bis hinunter in sozial sehr schwache Schichten. In Ostdeutschland sehe man es im Zweifel im noch als das Land der anderen / der Wessis. Scheint mir durchaus schlüssig.


  • Natürlich sind Graffiti "out"


    die Grafiti selbst sind zumeist auch, sofern leserlich, irgendwelche Anglizismen.


    Junge, junge..du bist 26 und schreibst wie ein Oberlehrer kurz vor der Pension.


    Graffiti ist nicht out, gehört weiterhin zur Jugendkultur und entwickelt sich weiter...siehe Streetart.


    Welche Anglizismen meinst du? Aus deiner Fibel , in der mal ein "Cool" als Graffiti gezeichnet wurde?


    Lass das Thema lieber...

  • Ich habe bisher nur einen Berliner Sprayer persönlich kennengelernt. Der hat erst aufgehört als er deswegen ins Gefängnis kam. Jetzt malt er nur noch auf Papier. Meistens abstrakte Schriften. Ein gutbürgerlicher, intelligenter, freundlicher Mensch aus Charlottenburg. Das einzige was ins Klischee passt ist das er in der Schule Probleme hatte und das Abi jetzt nachholen muss.


    Ansonsten habe ich kürzlich in der S-Bahn mitgehört wie sich ein paar Jugendliche über die Graffiti und Tags unterhalten haben an denen wir vorbei kamen. Sie wussten offenbar bei einigen wer dafür verantwortlich war und thematisierten auch die Konkurrenz der Sprayer untereinander. Die Jungs waren eindeutig Gymnasiasten da sie sich auch über Leistungskurse usw. unterhielten.

  • zum sterotypen eines sprayers (writer), den der ein oder andere hat: es gibt ihn nicht!


    "writer" findet man in allen sozialen schichten, vom arbeitsverweigerer auf hartz4 bis zum doktor oder anwalt...sind mir persönlich jeweils mehrere bekannt.

  • Und die Anwälte "writen" auch unrechtmäßig an privaten Hauswänden und öffentlichen Gebäuden und Gegenständen rum?

  • ^ Eben. Graffiti ist zu einer ausgewachsenen Subkultur herangereift mit all seinen Facetten und Strömungen. Die Motivation der Sprayer ist dabei so vielfältig wie die soziale Herkunft, aus der sie kommen. Den meisten von ihnen geht es dabei weniger um mutwilliges Zerstören als um (alternative) Mitgestaltung des öffentlichen Raums. Unsere Städte sind zugeklebt mit aufdringlicher Werbung. Die Sprayer werben eben auf ihre Art, nach dem Gesetz zwar oft illegal, dafür aber ohne kommerzielle Absichten.

  • ....natürlich kann man Sprayer soziokulturell verankern. Natürlich sind sie in bildungsfernen, sozial benachteiligten Schichten häufiger zu finden als anderen Schichten. Das Argument, dass es auch sprayende Anwälte gibt, ist richtig und doch völlig irrelevant. Es gibt auch schwarze Schwäne. In der Regel sind sie aber weiss.


    ...ebenso fragwürdig finde ich, Srayertum nach wie vor künstlerisch oder sozial relevante Impulse zuzuschreiben. Die weiter oben als Beleg fürs Gegenteil angeführte Streetart ist 10-Jahr-plus alt - und hat als Impulsgeber ihre Relevanz zu gut wie vollständig eingebüßt. Banksy war vor 10 Jahren underground, vor 5 Jahren neu und hängt heute bei Investment-Bankern im Wohnzimmer. Ich kann nicht erkennen, wo da noch was Neues passiert - wo man sich als Szene nicht einfach nur immer wieder selbst zitiert (von schlichtem Tagging oder Schmierereien mal ganz abgesehen)


    Ich kann also nicht erkennen, wo Graffiti heutzutage mehr ist als Mutprobe - oder pubertäre Auflehnung - oder Auflehnung gegen soziale Benachteiligung/Ausgrenzung - oder Egotrip. Allerdings: Es gibt sicher Schlimmeres fürs Stadtbild. Zum Beispiel die Nachkriegsmoderne.

  • "Writer"...belegt einmal mehr dass es sich um aus den USA abgeleitete Jugendkultur handelt, das ist ein Widerspruch zum angedeuteten Avantgardismus. Mag ja sein dass das teilweise ganz nette oder schlaue Jungs sind, das wären sie aber auch ohne dass Sie das Eigentum Anderer "gestalten" ohne vorher nachzufragen. Es gibt freilich ein Recht auf schlechten Geschmack aber das endet immer da wo der schlechte Geschmack des Anderen tangiert wird. Des Einen Werbung ist des Anderen Lebensgrundlage, des Einen "Straßenkunst" ist des Anderen "Geschmiere",...der Konsens einer pluralistischen Gesellschaft beruht darauf dass man sich nur soweit gegenseitig "auf die Nerven geht" wie man es auch selbst ertragen würde. Das zu realisieren zeugt IMHO von Reife.

  • ... Natürlich sind sie in bildungsfernen, sozial benachteiligten Schichten häufiger zu finden als anderen Schichten.


    Die weiter oben als Beleg fürs Gegenteil angeführte Streetart ist 10-Jahr-plus alt - und hat als Impulsgeber ihre Relevanz zu gut wie vollständig eingebüßt. Banksy war vor 10 Jahren underground, vor 5 Jahren neu und hängt heute bei Investment-Bankern im Wohnzimmer. Ich kann nicht erkennen, wo da noch was Neues passiert - wo man sich als Szene nicht einfach nur immer wieder selbst zitiert (von schlichtem Tagging oder Schmierereien mal ganz abgesehen)


    wie kommst du zu dieser annahme? faktencheck bei der bild?


    die bildungsfernen, sozialbenachteiligten werden sich häufiger erwischen lassen und tauchen dementsprechend häufiger in polizeilichen statistiken auf..genauso wie sie eher aufmerksamkeit bei spiegel tv interviews suchen...


    richte mal nicht über leute, die du nicht einschätzen kannst...


    banksy macht streetart, aber streetart ist nicht banksy...

  • Artec, Du hast eine höchst sonderbare Art zu argumentieren. Du greifst mich einigermassen persönlich an - mit dem Argument mangelnder Belege an - lieferst aber selbst keine.


    Ich war fast 10 Jahre beruflich Teil der Kunstszene. Habe sogar mal eine Kunstzeitschrift verantwortet, die eine Sonderausgabe zu Streetart machte ;-). Kann mir also schon einbilden, Schmierereien, Tagen, Malen und Kunst/Streetart unterscheiden zu können. Und ich wage die Behauptung, mehr als 1% der Dinge da draussen qualifizieren nicht als Kunst.


    Was den Zusammenhang zwischen Graffiti und sozial Unterprivilegierten/Ausgegrenzten angeht, empfehle ich Dir Google. Da findest Du zuhauf Studien, die das belegen.

  • Artec, Du hast eine höchst sonderbare Art zu argumentieren. Du greifst mich einigermassen persönlich an - mit dem Argument mangelnder Belege an - lieferst aber selbst keine.


    Du nutzt Stereotype - ohne Belege, da spar ich mir es auch, Belege zu liefern und weise nur drauf hin, dass man noch einmal überprüft, was man schreibt.


    Ich war fast 10 Jahre beruflich Teil der Kunstszene. Habe sogar mal eine Kunstzeitschrift verantwortet, die eine Sonderausgabe zu Streetart machte ;-). Kann mir also schon einbilden, Schmierereien, Tagen, Malen und Kunst/Streetart unterscheiden zu können. Und ich wage die Behauptung, mehr als 1% der Dinge da draussen qualifizieren nicht als Kunst.


    Dann sollten ja deine Kommentare mehr Inhalt haben, haben sie aber nicht. Dein beruflicher Teil in der Kunstszene scheint schon ein wenig her zu sein.


    Was den Zusammenhang zwischen Graffiti und sozial Unterprivilegierten/Ausgegrenzten angeht, empfehle ich Dir Google. Da findest Du zuhauf Studien, die das belegen.


    Glaub mir, Google brauch ich dafür nicht...