Altes Regierungsviertel - südliche Wilhelmstraße und Voßstraße

  • Die tschechische Botschaft ist eine üble sozialistische Brutalarchitektur. Durch ihre kompromisslose Ausführung hat sie aber Kultcharakter erworben. Ihr eigentliches Geheimnis ist die Innenaustattung. Ohne zu übertreiben kann ich bestätigen, das Interior "bläst Dir die Muschi aus dem Hirn" !


    James Bond Russen-Casino 70´s Design vom aller-allerfeinsten. Nicht umsonst stehen
    Video-Clip-Produzenten, Event-Veranstalter hier Schlange. MTV hat hier seine exklusiven Parties gefeiert. Meine Wenigkeit hatte das Glück für einen Tag lang in vielen Räumen bei einem Photoshooting abgelichtet zu werden.


    Hier nur ein klitzekleiner Einblick in diese kommunistische Pracht-Lounge.


    http://www.czechembassy.org/ww…asp?ido=1101&idj=36&amb=2


    (Die weiteren Bilder auf der Seite sind leider von äußerst schlechter Qualität und geben nicht im geringsten die stilistisch ausgereifte Ausstrahlung wieder)

  • ^ heute schon einen Promille-Test gemacht? :lach:


    Beschty,


    also "französischer Brutalismus" ist das ganz sicher nicht. Darf ich Dich mit einem Augenzwinkern fragen, wo Du das her hast?


    Der Begriff "Brutalismus" wird - nicht nur in diesem Forum, aber hier ganz besonders - gerne zweckentfremdet (und semantisch völlig falsch) verwendet, um damit als besonders "brutal" empfundene, unästhetische Architektur zu kritisieren. Und da das, was man heute gemeinhin als unattraktiv empfindet, häufig moderne Bauten der 70er Jahre sind und sich der tatsächliche Brutalismus mit diesen oft gestalterisch überschneidet, liegt man da manchmal sogar richtig. Der wahre Brutalismus gilt aber als eigenständiger Stil, der nur eine sehr begrenzte Anzahl an Bauten hervorgebracht hat. Und der hat auch nichts mit "brutal" zu tun, sondern leitet sich vom französischen(?) Wort für Sichtbeton ab. Deshalb gehört aber noch lange nicht jeder Bau mit Sichtbeton diesem Stil an, sondern er muss, genau wie das bei anderen Richtungen auch üblich ist, noch eine Reihe weiterer Merkmale besitzen. Vereinzelt werden sogar Bauten von Louis I. Khan dazu gerechnet, die vorwiegend aus Backstein bestehen und bei denen man den Beton schon mit der Lupe suchen muss. Über den Daumen gepeilt lässt sich aber sagen, eine große Gruppe der frühen Bauten, die Beton erstmalig als sichtbar gestaltetes Fassadenmaterial verwendeten, gehört dazu. Entgegen weitläufiger Annahmen fallen aber die Werke Le Corbusiers keinesfalls darunter, weder die Habitate, noch La Rochelle! Niemeyers Brasilia gehört auch kaum dazu und ebenfalls so gut wie nichts, was in der DDR entstand.


    Damit hat sich also auch geklärt, dass die Botschaft nicht in diese Rubrik gehört, da viel zu jung und vor allem, weil überhaupt kein Sichtbeton zelebriert wird. Dort ist alles mit Naturstein tapeziert.


    Letztlich gibt es nach meiner Kenntnis überhaupt keine Stilisierung mit eigenständigem Begriff, die auf diesen Bau zutreffen könnte. Er ist ganz einfach ein stinknormaler Skelettbau seiner Zeit, der gestalterisch einen sehr kurzlebigen Massengeschmack bediente. die "Abkantungen" waren Mitte der Siebziger für kurze Zeit angesagt, sie galten als besonders progressiv, da lösgelöst von dem strikten Streben nach ablesbarer Effizienz. Noch heute findet man vereinzelt Dächer, einige öffentliche Funktionsbauten oder mobile Kioske, die damals nach den gleichen Prinzipien entworfen wurden. Ich nehme an, diese Phase war vor allem deswegen so kurzlebig, weil diese Formen aus bauphysikalischer Sicht und wegen der erhöhten Bewirtschaftungskosten alles andere als optimal waren. Dass die horizontalen Auskragungen der Botschaftsräume in ähnlichen Formen auch bei einigen prominenten Vertretern des "richtigen" Brutalismus vorkommen, dürfte eher zufällig sein. Bei der Botschaft dienen sie der Herausarbeitung der Abkantungen (die hier wohl auch als Symbol für raumverschwenderischen Luxus zu lesen sein sollten), beim Brutalismus sollten sie dagegen die konstruktiven Freiheiten symbolisieren, die der damals recht neue Werkstoff Stahlbeton zuließ.


    In Frankreich war man seit je her etwas aufgeschlossener gegenüber Neuem (besonders, wenn man es mit Deutschland vergleicht). Auch die politische Situation (sozialistische Regierungen, hoher Einwanderungsdruck) hat dazu geführt, dass Frankreich wohl im vergangenen Jahrhundert das kreativste Land in Sachen Architektur und Städtebau werden konnte, das gerade in den Siebzigern noch einmal einen besonderen Schub erfuhr. Entsprechend hoch ist dort auch der Anteil der Bauten im Stil der Tschechischen Botschaft. Mag also sein, dass sich der "französische Brutalismus" irgendwie auf diese Art bei jemandem im Geiste ergeben hat. ;)


    Sorry, dass ich Dir kein konkreteres Stichwort geben konnte. Falls es wider Erwarten doch eins gibt, so weiß Kent sicher mehr darüber.

  • AeG,


    danke für die umfangreiche und aussagekräftige Antwort, ich denke die Debatte könnte damit auch beigelegt werden bevor weniger geeichten Personen noch sonstewas "aus dem Gehirn geblasen" wird :D


    die Quelle meiner Fehlbarkeit ^^ hatte ich schon angegeben; nachdem ich ja nach erstem Kontakt mit diesem Bau so begeistert gewesen bin, hatte meine unter Unwissenheit geführte Investigation diese Seite zum Ergebnis:
    http://czechembassy.org/wwwo/d…j=36&amb=2&ParentIDO=1101 (hochoffizielle Botschaftsseite:glubsch: )
    wenn man sich nicht all zusehr von dem "James Bond Russen-Casino 70´s Design"-Interior-Bildern ablenken lässt und sich auf den Text konzentriert findet man in Zeile 2f "Der beeindruckende Bau aus braunem Glas und Beton wurde Ende der 70er Jahre im Stil des französischen Brutalismus unter Leitung des Architektenehepaares Věra und Vladimír Machonin fertiggestellt(...)."


    Zwinker back und vielen Dank :)

  • Ich sag's ja! Der Begriff wird dermaßen häufig zweckentfremdet verwendet (bietet sich ja auch wirklich an), dass der eines Tages nochmal, obwohl eigentlich klar definiert, als eine der ganz wenigen Stilbezeichnungen einen offiziellen Bedeutungswandel im Sinne von "Sprache lebt und ist veränderlich" erfährt. Hat jemand den allerneuesten Duden parat und kann mal nachgucken, ob es schon so weit ist? :)

  • ... was für ein langer Beitrag, AeG :daumen:


    ich muss zugeben, dass ich bis vor einer ganzen Weile bei Brutalismus auch an 'brutal' gedaht habe. Der name selbst kommt von béton brut, was sowas wie blanker Beton heißt.


    Zum Fall der tschechischen Botschaft: ich fände es schade, wenn man sie dem momentanen Zeitgeist nach 'Kuschel-Architektur' opfern würde und einen Bau oder Platz ganz nach 'Tante Friedas Bilderbuch' macht. :lach:


    Wenn man eine Freifläche schaffen möchte, brauch man in der Gegend nicht lange suchen... z.B. auf der anderen Strassenseite...

  • Dass die Inneneinrichtung das besondere sein soll, habe ich auch schon gehört...Aber was ist daran besonders? Und man könnte den neuen Innenbereich doch auch in diesem Retro-Stil gestalten...Die ganzen Möbel kann man ja mitnehmen (die Lampen gibts bestimmt bei IKEA) und die gelbe Wand...Passt eher zu den buten Auswüchsen an der brit. Botschaft. Lässt sich aber bestimmt auch ausbauen.


    Mich würde mal interessieren, ob vielleicht mal was mit der bulg. Botschaft passieren wird. Die sieht der tsch. ja recht ähnlich.


    AeG #100


    Was heißt, es geht keinem um die Sache an sich? Worum solte es denn sonst gehen?
    Erstens kann man den in seiner Form unregelmäßigen, viel größeren und inklusive unmittelbarer Umgebung total entstellten Alex wohl kaum mit dem viel kleineren, rechtckigen Wilhelmplatz (den Zietenplatz gibt es seit letztem September oder so wieder) vergleichen, dem jediglich zwei Gebäude im weg stünden. Und wenn man sich zweitens wie beim Schinkelpl. (den es auch nicht mehr gab) richtig ins Zeug legen würde, käme auch nicht nur ein Blumenbeet dabei raus, sondern eine barocke Platzschöpfung oder zumindest eine Interpretation dieser (wie der Lustgarten), die dieser verranzten gegend nicht schaden würde. Wie auch am Pariser Platz, wird die Randbebauung schon dafür sorgen, dass der Wp kein "Kuschelplatz" (sehr qualifizierte Aussage) würde. Dass auch die restl. Denkmäler bald wieder aufgestellt werden soll, zeigt ja eine gewisse Bereitschaft für die Wiedergewinnung des hist. Aussehens. Sonst hätte der Senat ja auch ablehnen können.

  • Vorsicht, das mit "Tante Friedas Bilderbuch" (bzw. mit dem von Tante Trude) ist nur billige Polemik, die einen als "kompetenten" Gesprächspartner disqualifizieren würde - hat hier jedenfalls vor ein paar Tagen jemand geschrieben. :D

    Ich habe mir gerade noch mal den Wikipedia-Artikel zum Brutalismus angesehen. Vor ein paar Jahren, als ich da das letzte Mal reingeschaut habe, war der noch unter aller Sau (eben auch mit "brutal" als Ausgangspunkt). In der Artikel-Historie und der Diskussion findet man davon noch einige Reste. Mittlerweile passt der schon einigermaßen, nur die gezeigten Beispiele scheinen oft noch die völlig falschen Alten zu sein. Aber gem. der dortigen Diskussion wird daran wohl noch gefeilt. Ich bitte Euch also, den derzeitigen Wiki-Artikel nicht zum Maßstab zu erheben und damit die Hälfte von dem, was ich zwei Beiträge weiter oben geschrieben habe, als falsch zu bewerten (dass da vielleicht auch einiges nicht ganz sauber und umfassend genug beschrieben ist, will ich nicht abstreiten).

    Mir fällt übrigens gerade noch ein Stilbegriff ein, so einer, der den Bedeutungswandel schon beinahe abgeschlossen hat (und wohl selbst im Duden schon so erweitert wurde): Futurismus! Dazu gab's hier vor Jahren auch schonmal eine Debatte (unter meiner Beteiligung :D). Eigentlich beschreibt der ja eine ganz klar umrissene Form der bildenden Kunst samt phil. Überbau. Aber mittlerweile wird der von vielen synonym verwendet für alles, was irgendwie nach Science Fiction aussieht, also angeblich "zukünftig" ist (was ja an sich schon paradox ist, weil wenn etwas heute anschaubar kreiert wurde, ob von einem Autor, einem Forscher oder einem Architekten, dann kann es ja nicht aus der Zukunft stammen, sondern ist definitiv Teil der Gegenwart). Ärgern tue ich mich nur darüber, wenn er von stimmungsmachenden Journalisten verwendet wird, die sonst stets um Distanziertheit und Objektivität bemüht scheinen und die eigentlich wissen müssten, dass so gut wie jeder -ismus etwas ganz klar definiertes umschreibt und nicht beliebig aufgeweicht werden sollte. Am meisten steigt mein eh schon viel zu hoher Blutdruck regelmäßig, wenn ich Sachen lese, wie: "Der Investor XY plant am Bahnhof Z einen futuristischen Glaskasten". Wass übersetzt wohl nur bedeutet, der Autor hat noch nicht realisiert, dass es auch im Bauwesen oder der Architektur eine Entwicklung gibt und Lehmhütten nicht ewig Stand der Technik sein können.

  • Dein letzter Satz ist inhaltlich auch nicht viel besser, als die von Lars oder Gralsritter, nur in die andere Richtung eben.


    Was an nem Glaskubus futuristisch sein soll, frage ich mich allerding aus...Die gibts doch schon lange und inzw. zu Hauf...

  • Ben, Du hast natürlich recht, es dreht sich um den Wilhelm- und nicht um den Zietenplatz.

    Warum ich glaube, dass es vorrangig gegen die Botschaft und nicht um die Wiederherstellung geht? Ich sagte es ja schon, der Aufwertung der Gegend würde es keinen Abbruch tun, wenn man so etwas wie den Wilhelmplatz ein paar Meter weiter installiert. Und mit solchen Dingen wie "historisches Gedächtnis" braucht niemand kommen, dazu gehört nämlich der real existierende Botschaftsbau genau so. Da sich die Argumente und Vorschläge derer, die für eine Umgestaltung sind, auch widersprechen, bleibt als kleinster gemeinsamer Nenner der Rückbau des brutalen Hauses. Auch ein Indiz dafür, dass die Pro-Argumente lediglich vorgeschoben sind. Wenn es nicht primär gegen die Botschaft ginge, dann könnten die Leute auch selbst auf den Gedanken kommen, ihre Ideen ein paar Meter weiter realisiert sehen zu wollen (etwa so: "ach stimmt, da steht ja jetzt dieses (hübsche) Haus, dann geht das so nicht" ;))

    EDIT: zur letzten Anmerkung: Wieso? Bezweifelst Du, dass es eine Entwicklung gibt, auch wenn sie vielleicht für viele ästhetisch nicht befriedigend ist? "Lehmhütte"war selbstverständlich überspitzt. Du kannst es hier auch gerne durch "Mauerwerk" oder durch "Betonplatten" ersetzen. Passt genau so :).

  • Ich sage ja nicht "Man muss..." sondern "Wenn..., dann...". Wenn oder besser gesagt falls die Botschaft (und das andere Haus) mal abgerissen werden sollten, dann wär es wünschenswert und man sollte die Chance nutzen, den WP wiederherzustellen. Solange das nicht passiert, muss mans eben hinnehmen.


    Es geht hier aber nicht darum einfach mal einen Platz zu bauen, der nach einem Kinderbuchautor benannt wird, den zwar keiner kennt, der jedoch im Krieg flüchten musste, sondern um den Wp. Ein Platz ein Paar Meter weiter "geht nicht", weil es dann nicht mehr der Wilhelmplatz wäre, der wie PP, LP und MP seinen Platz nun mal dort hat, wo er im Rahmen der zweiten Stadterweiterung geschaffen wurde. Ne Ecke weiter kann man von mir aus machen, was man will.


    A propos ein Paar Meter weiter, gabs nicht auch mal Planungen für die Megabrache Leipziger/Ecke Wilhelm? Dürften aber auch schon gestorben sein, sonst hätte man ja wohl mal wieder was gehört.


    Ich bewzeifel nicht, dass es Entwicklung gibt. Aber wo steht, dass man sich bei Entwicklungen nicht auf Vorheriges besinnen darf? Hat man ja zur Zeit der Renaissance oder des Klassizismus auch schon gemacht. Und dazu gehört nun mal mehr, als dass ein Haus Fenster un Türen hat. Meinetwegen kann ein Haus auch aus Betonplatten bestehn, solange es kein (grauer) Sichtbeton ist. Ich bin kein Mauerwerkfetischist.


    "Wenn es nicht primär gegen die Botschaft ginge, dann könnten die Leute auch selbst auf den Gedanken kommen, ihre Ideen ein paar Meter weiter realisiert sehen zu wollen (etwa so: "ach stimmt, da steht ja jetzt dieses (hübsche) Haus, dann geht das so nicht")"


    Und wieso ein Paar Meter weiter, wenn die Möglichkeit bestünde, den ursprünglichen Platz zu nutzen? Ach stimmt, da steht ja die schön Botschaft und die Ullrich-Platte...

  • Um ehrlich zu sein finde ich generell die tschechisch-sozialistische Architektur immer noch viel origineller als das was die DDR so pragmatisch hingestellt hatte.
    Irgendwie steckt mehr Phantasie drinn.
    Und ich glaube das CZ andere Sorgen hat als eine neue Botschaft in Berlin zu bauen.
    Trotzdem bin ich natürlich für die Wiederherstellung der Form des alten Wilhelmplatzes.

  • ©gralsritter
    und um das Palais des Prinzen Karl, das dürfen Sie nicht vergessen.
    Ich denke aber, das der "schönste" Zustand des Wilhelmplatzes vor dem Durchbruch der Vossstraße und der Kaiserhofstraße gewesen sein muss. Dann hat er sich in seine Bestandteile aufgelöst, was ihn letztlich als Platz in stadträumlicher Bedeutung bedeutungslos gemacht hat, was aber nicht heisst daß ich ihn auch gern wieder hätte. Kennen Sie das Aufstockungs projekt von Hans Poelzig für den Kaiserhof ??

  • Das Palais habe ich tatsächlich ausgelassen. Da hatte ich wohl die Nazivergangenheit zu sehr im Hinterkopf.


    Was den Straßendurchbruch angeht, muß ich sagen, daß m.E. erst danach ein Platz entstanden ist, der einer modernen Großstadt entsprach. Mag er auch weniger distinguiert gewesen sein - er lag eben im Zentrum Berlins, im Regierungsviertel. Und Berlin war nicht mehr wie Potsdam.


    Von den Aufstockungsplänen habe ich nie gehört, wäre aber sehr angetan, darüber informiert zu werden...

  • Es gibt auch eine Skizze von Poelzig für den Reichskanzleiwettbewerb wo er auch ein kleines Hochhaus im Hof entworfen hat(ganz wie beim Kathreinerhochhaus von Bruno Paul,was Sie schon an anderer Stelle erwähnten) Den Entwurf hat er aber nicht abgeben. Leider bin ich gerade nicht bei meinen Büchern. genauere Quellen am Wochenanfang(apropos andere Stelle:Tagesspiegelhochhaus gefällt mir übrigens auch)

  • Typisch,


    das Tagesspiegel-Hochhaus gehört natürlich überhaupt nicht hierher. Wir müssen also sehr aufpassen, nicht völligst zu recht von den Moderatoren streng in die Schranken gewiesen zu werden! Jedoch getraue ich mich jenen kleinen Kommentar hier zu hinterlassen: Der Bau das Tagesspiegels ist tatsächlich ein großartiges Beispiel dafür, wie ein moderner Bau sich wunderbar in sein Umfeld einfügen kann - er bildet sogar ein sehr urbanes Ensemble mit dem Wintergarten-Theater und dem Bürohaus des Tip. Auch die Reklame auf dem Dach ist sehr gelungen.


    Doch nun bitte zurück zum Wilhelmplatz: Der Wettbewerb um die erste Neue Reichskanzlei - also nicht Speers Bau sondern die Erweiterung des alten Palais' wurde ja interessanterweise vom Onkel Wolf Jobst Siedlers gewonnen (von diesem stammt auch das Rathaus Zehlendorf). Der Wilhelmplatz hätte damals also eine wirklich interessante Entwicklung genommen.


    Ein Aufstockung des Kaiserhofs fände ich sehr spannend. Das Hotel hob sich ja ohnehin schon von seiner Umgebung ab und wirkte (obschon nur die üblichen fünf Berliner Stockwerke hoch) sehr monumental. Ich denke, das lag am recht frühen Erbauungsdatum in den 1870ern und vor allem daran, daß die Kollossalordnung das 4. und 5. Obergeschoss zusammenfaßte und damit eine für Berlin ungewöhnliche sehr aufstrebende Anmutung schaffte.


    Dieser Bau ist ein wirklicher Verlußt, jedoch war bei ihm die Kriegszerstörung auch fast komplett. Hier kann man mal der sog. "DDR" keinen Vorwurf machen.

  • Also, der Eduard jobst siedlerbau war ja wirklich kein architektonisches Meisterwerk, aber in dem Wettbewerb sind ja eigentlich alle grandios gescheitert, da gibt es wirklich keinen Entwurf, den man wirklich gebaut sehen möchte. Eigenartigerweise stellten sich schon damals die gleichen Probleme wie heute in gewissen Berliner Architektenkreisen: man wollte nobel bauen, aber da gibt es dann doch die niedrigeren Geschosshöhen und plötzlich sieht es aus wie: rechts wohnen die Riesen und links wohnen die Zwerge. Gerade hat Jan kleihues die Erweiterung des Arbeitsministeriums fertiggestellt und auch hier die gleichen Probleme +Laibungstiefe der Fenster, die aus der Dicke der Steinfassade resultiert.
    Ein neuer Kaiserhof mit neuer poelzigscher Höhe würde vielleicht einen Impuls auslösen zum nachdenken für eine andere Traufhöhe am Wilhelmplatz. wenn man es nämlich schaffen würde zukünftig die Raumwände so hoch zu bauen, daß sowohl tschechische Botschaft also auch Ulrichplatte zu Objekten auf dem Platz degradiert würden, hätte man schon viel gewonnen

  • Ich finde den Bau von Siedler gar nicht so schlecht. Er vermittelte gut zwischen dem Palais Borsig und dem Reichskanzlerpalais und sah m.E. nicht wie ein Zwergenhaus aus. Speers Balkon hätte nicht sein müssen. Was der Siedler allerdings sehr schön beweist, ist, daß der Architekturstil, der immer als Nazi-Architektur schubladisiert wird, nämlich der Neoklassizismus¹, einfach ein Stil der Zeit war - an einem Weimarischen Bau. Die Nazi monumentalisierten ihn nur² und setzten ihn geschickt für ihre Zwecke ein.


    Da nun jedoch keines der herrlichen Stadtpalais mehr vorhanden ist, bietet sich für das Gebiet um Wilhelmplatz und -straße auch eine andere Dimensionierung der Neubauten an. Und damit bin ich wieder bei meiner Forderung, in einem Gebiet, das weitgehend seine historische Substanz verloren hat und über breite gerade Straßen verfügt, die Traufhöhe deutlich anzuheben. Hier wäre ein solcher Ort, urbane Dichte mit höheren Traufkanten zu schaffen³. Das heißt jedoch exp.v. nicht, daß auf Façadendetail und eine Materialästhetik jenseits verschraubter Glasplatten verzichtet werden soll. Ganz im Gegenteil.



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    ¹ Neoklassizismus ≠Klassizismus - das wissen sicher die meisten.
    ² Der gleiche Stil in London oder Washington heißt auch nicht Nazi-Architektur.
    ³ Und wer immer mich normalerweise vermeindlich reaktionärer Gründerzeit-Liebhaberei schilt, sieht sich jetzt in dem Dilemma, mich sinnvoll wegen dieser so ganz ungründerzeitlichen Forderung sinnvoll zu kritisieren.

  • Nein, man kann sich aber ernstlich am Wilhelmplatz Gedanken machen diesen Ort zu verändern, ohne in die Ecke der Spinner zu geraten.
    Man kann die Nordseite neudenken, muss aber ein Ausweichquartier für die Schule finden.
    Man kann auf der Westseite vor die DDR-Bebauung eine zweigeschossige Bebauung setzen, die den Bebauungsmaßstab der alten Wilhelmstraße aufzeigt, ohne in Abstandsflächenproblematiken zu kommen.
    man kann die ganze westflanke südl. der Vossstraße komplett neu denken
    und man kann die ostseite neudenken, sobald es einen Unrechtsstaat nicht mehr gibt
    Aber nur die Traufhöhe erhöhen geht nicht, denken Sie doch an die Figur des Kathreinerhochhauses.