Karl-Marx-Allee/Frankfurter Allee

  • Warum ist der Gedanke daß die Karl-Marx-Allee zusammen mit dem Hansaviertel Weltkulturerbe wird so abwegig?
    Ein besonderes Merkmal dieses Weltkulturerbes ist ja gerade der dualistische Antagonismus beider Strukturen in einer Stadt, was so tatsächlich ziemlich einmalig sein dürfte.

  • Gut gebrüllt, Löwe. Aber was sagt uns das?


    Ich war schon immer der Überzeugung, dass die politischen Verhältnisse und die Ostwest-Teilung für die Megatrends der Stadtentwicklung und Architektur - mit Ausnahmen - kaum relevant waren. Natürlich ist der 1. BA der Stalinallee als Adaption des Moskauer Zuckerbäckerstils politisch motiviert. Obwohl der 1. BA und das Hansaviertel fast zeitgleich errichtet wurde schwenkte die DDR wenige Jahre später in ihre "verspätete Moderne" mit dem 2. BA. Diese ist doch kein Antagonismus zum hansaviertel, sondern das Gleiche in Grün.


    Deshalb wüsste ich nicht, was diese beiden Baugebiete der Welt mitteilen wollen, ausser dass Diktaturen Megatrends verzögern aber nicht aufhalten können.

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  • Das Hansaviertel (1957) war aber als "Antwort" auf gerade eben den 1. BA Stalinallee konzipiert, das ist der Antagonismus auf den ich angespielt habe.
    Der 2. BA KMA kam ja erst ab 1959 und ist mit seinem Einschwenken auf Moderne quasi das Eingeständnis daß der Neotraditionalismus des 1. BA ökonomisch aber auch kulturell ein Sonderweg war, der als Sackgasse ins Nirgendwo geführt hat.

  • Ich glaube Klarenbach meinte mit der wenig beachteten ersten Nachkriegsmoderne, die beiden Laubenganghäuser, die nach Scharouns Gesamtplan für Berlin errichtet wurden, und als erste Bauphase der "Stalinallee" gelten. Die Häuser sind allerdings nicht von Sharoun, sondern vom Entwurfskollektiv um Ludmilla Herzenstein errichtet worden.


    Infos:


    Denkmaldatenbank Berlin


    Wiki

  • Ich denke schon, dass die Karl-Marx-Allee und die Interbau 1957 zum UNESCO-Welterbe gehören sollten.


    Erstens zeichnen sich beide Objekte durch eine herausragende städtebauliche und architektonische Qualität aus, die schon allein ausreichen würde, um einen Welterbestatus zu begründen.


    Zweitens kann anhand dieser Objekte der Wettbewerb der Systeme gut nachvollzogen werden. Dieser Wettbewerb begann mit dem Bau der Stalinallee im Stil der "nationalen Bautradition". Das Ziel dieser Architektur war keine Adaption der sowjetischen Architektur. Stattdessen war beabsichtigt, eine spezifisch deutsche Architektur zu schaffen, die regionale Architekturtraditionen berücksichtigte. Auf diese Weise sollte die junge DDR als die Verteidigerin deutscher Architekturtraditionen gegen die vermeintlich amerikanische Moderne profiliert werden.


    Das paradoxe Ergebnis dieser Strategie bestand dann aber darin, dass sich die Moderne im Westen Berlins und Deutschlands nun erst recht durchsetzen konnte und traditionalistische Architekten in den Verdacht der Nähe zum Osten gerieten. Das Ergebnis dieser Entwicklung war dann das Hansaviertel und die Interbau 1957.


    Auf diese Herausforderung reagierte die DDR dann mit dem zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee. In dieser Phase hatte die DDR allerdings nicht mehr das Ziel, als Hüterin deutscher Bautraditionen zu erscheinen. Stattdessen wollte sie sich als ein besonders modernes Land inszenieren, in dem die Prinzipien der Moderne radikaler als im Westen umgesetzt werden konnten. Zu diesem Zweck wurde die Ostberliner Bauverwaltung regelrecht dazu verdonnert, dieses schwierige Gebiet rund um die Karl-Marx-Allee zu bebauen. (Hier gab es höhere Kosten wegen Enttrümmerungsarbeiten, Abrissen, Umsetzungen von Bewohnern und Gewerbebetrieben etc.) Weiterhin wurden hier zum ersten Mal im Ostblock überhaupt acht- und zehngeschossige Plattenbauten errichtet. Diese Gebäude waren damals auch bautechnisch eine Sensation. Allerdings hatte die DDR für diesen Effekt ein wenig "geschummelt". Da es damals weder in der DDR noch im gesamten Ostblock geeignete Kräne gab, mussten diese aus Westdeutschland importiert werden.


    Der Überbietungswettbewerb zwischen Ost- und Westberlin setzte sich auch nach der Fertigstellung der Karl-Marx-Allee fort. Die Welterbebewerbung bietet die Chance, diese deutsch-deutsche Geschichte sichtbar zu machen und zudem das Bewusstsein für die Qualitäten der Nachkriegsmoderne in Ost- wie Westberlin zu schärfen. Derzeit gibt es auf diesem Gebiet einfach noch einen enormen Bedarf sowohl an Forschung als auch an Wissensvermittlung und konkreten Erhaltungsmaßnahmen. Es gibt in Berlin einfach jede Menge an hochkarätigen Zeugnissen der Nachkriegsmoderne, die bisher kaum bekannt sind und daher kaum geschätzt werden. Ich sehe die große Chance, dass diese Bewerbung diesen Fragen einen enormen Schub verleihen könnten. Zudem finde ich es sehr erfreulich, dass dieser Antrag gleichermaßen Ostberliner wie Westberliner Traditionen berücksichtigt und dass die Förderer (wie Thomas Flierl und Volker Hassemer) aus beiden Teilen der Stadt stammen. Ich sehe daher die Chance, die ideologischen Schützengräben, die heute in Berlin noch sehr lebendig sind, zu überwinden.

    Einmal editiert, zuletzt von Klarenbach ()

  • ^ Der UNESCO Status wäre fantastisch und ist durchaus greifbar. Allerdings finde ich die Einbeziehung des 2. BA der Karl-Marx-Allee überflüssig. Der Abschnitt vom Strausberger zum Alexanderplatz ist missglückt. Hier muss man nicht konservieren, sondern verändern. Ich kann an den überaus schlichten Quadern auch keine besondere Qualität erkennen, zehn Geschosse hin oder her. Die Straße sollte verengt werden. Die Pavillions und das Kino International sind nicht schlecht. Hier müsste sich mal ein Könner ransetzen. Denkmalschutz für diesen Bereich würde ich ablehnen.


    Mein Statement: Entweder man steigert die Höhe, z.B. durch ergänzende Ecktürme an den Hochhausscheiben oder die Straße wird durch eine vorgesetzte Reihe verengt, oder natürlich die Scheiben fallen und werden durch eine komplett neue Bebauung ersetzt.

  • Dem Einwand von Rotes Rathaus würde ich nicht zustimmen. Ich hatte den Eindruck, dass von vielen Experten auf dem Kolloqium gerade die Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt als der wichtigste Teil des Welterbeantrages betrachtet wurde, weil er die städtebaulichen und auch gesellschaftspolitischen Ideen der Nachkriegsmoderne in einer besonders radikalen Form umgesetzt hätte. Jedenfalls nahm dieser Wohnkomplex auf der Veranstaltung den größten Raum ein. Irma Leinauer hatte ja einen längeren Vortrag zur Bedeutung dieses Wohngebietes gehalten, aber auch andere Referenten haben auf die Bedeutung dieses Ensembles verwiesen. Kristina Laduch hat über das Gebiet referiert, Bernd Hunger hat diesen Wohnkomplex als unverzichtbaren "Scharnier" zwischen den Wohngebieten der klassischen Moderne und dem Großsiedlungsbau der sechziger bis achtziger Jahre interpretiert. (Den Vortrag von Bernd Hunger hatte ich in meinem Kurzbericht von der langen Veranstaltung nicht erwähnt.)


    Ich hatte auf der Veranstaltung jedenfalls den Eindruck, dass die Bedeutung des Wohnkomplexes Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt völlig unstrittig ist. Die Vorstellung, dass dieses Gebiet unattraktiv wäre, war ja auch eher in den neunziger Jahren verbreitet, damals hatte es auch Planungen im Rahmen des Planwerkes Innenstadt gegeben, die eine Überformung dieses Gebietes zum Ziel hatten. Aber diese Planungen sind heute laut Aussage von Manfred Kühne von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht mehr aktuell. Ein Abriss der Wohnscheiben an der Karl-Marx-Allee kommt ja ohnehin nicht in Frage, weil diese unter Denkmalschutz stehen. Die Frage, die jetzt zur Entscheidung ansteht, betrifft die Ausweisung des gesamten Wohnkomplexes als Denkmalbereich, um den Wildwuchs von Neubauprojekten zu verhindern. Möglicherweise habe ich dieses Problem in meinem Beitrag missverständlich dargestellt.


    Dennoch denke ich, dass der Beitrag von Rotes Rathaus auch einen produktiven Aspekt hat, zeigt er doch, dass der Welterbeantrag tatsächlich wichtig ist. Der Welterbeantrag hat ja auch das Ziel, die Qualitäten der Nachkriegsmoderne bekannter zu machen, Gabi Dolff-Bonekämper hat es auf die Formel gebracht: "Die Diskussion ist Teil der Bewerbung". Und in dieser Hinsicht dürfte tatsächlich noch einiges zu tun sein.

  • Dem Einwand von Rotes Rathaus würde ich nicht zustimmen. Ich hatte den Eindruck, dass von vielen Experten auf dem Kolloqium gerade die Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt als der wichtigste Teil des Welterbeantrages betrachtet wurde, weil er die städtebaulichen und auch gesellschaftspolitischen Ideen der Nachkriegsmoderne in einer besonders radikalen Form umgesetzt hätte. .... Der Welterbeantrag hat ja auch das Ziel, die Qualitäten der Nachkriegsmoderne bekannter zu machen, Gabi Dolff-Bonekämper hat es auf die Formel gebracht: "Die Diskussion ist Teil der Bewerbung". Und in dieser Hinsicht dürfte tatsächlich noch einiges zu tun sein.


    Na dann mal los mit der Diskussion. Mich interessiert durchaus, welche Qualitäten gemeint sind und ich bin da auch ganz offen. Meiner bescheidenen Meinung nach werden diese Qualitäten in erster Linie von Theoretikern (Architekten und Architekturhistoriker) gesehen und sind sehr subjektiv und eben sehr theoretisch. Ich habe wie sicherlich die allermeisten einen ganz naiven (hinsichtlich Architekturtheorie ungebildeten) Blick auf die Situation dort vor Ort und empfinde diesen 2. BA der KMA eher als unwirtlich und vor allem als unurban. Das dies ein Beispiel für eine besonders radikale Umsetzung der Nachkriegsmoderne in Berlin sein soll - wenn die das sagen, wird es wohl stimmen. Ich sehe in dem ganzen Areal vor allem ein Beispiel dafür, dass das mit der Nachkriegsmoderne verbundene städtebauliche Konzept nicht geeignet ist, als urbaner Ort, den aus meiner Sicht das Zentrum einer Stadt darstellt, zu fungieren und den Anforderungen, die an ein Stadtzentrum gestellt werden, gerecht zu werden (vergleichbar mit Hoyerswerda Neustadt oder das Stadtzentrum von Dresden links und rechts der Prager Straße - das funktioniert auch nicht als urbaner Ort). Insofern ist die KMA und das ganze Neubau-Areal hinterm Alexanderplatz in seiner jetzigen Form an dieser Stelle fehl am Platz - ein Fremdkörper und passt eher neben Ahrensfelde, Marzahn und Co. Und ich vermute, dass ich nicht der Einzige bin, der es eher für erstrebenswert hält, an einer behutsamen Anpassung der städtebaulichen Situation an die Umgebung (STADTZENTRUM) zu arbeiten, anstatt den Ist-Zustand auf Ewig zementieren zu wollen und jede Veränderung, jeden Eingriff aus ideologischen Gründen zu verteufeln.


    Die starke Reduktion der Architektur auf das funktional Notwendige verbunden mit einer Verarmung an Formen und Strukturen (extreme Zurückdrängung des Ästhetik-Aspektes der Architektur bis zur Verleugnung und im Gegenzug dazu das In-den-Vordergrund-Stellen des Ökonomischen Aspektes von Architektur) sowie den Verlust von Individualität (alles wird vereinheitlicht, es gibt nur wenige Wohnungstypen), die Überbetonung des Verkehrs (Überbreite der Hauptverkehrsachsen, große Parkplatzflächen und ausschließlich funktional angelegte Erschließungsstraßen zwischen den Gebäuden, die keinen Straßenraum bilden) und allgemein die Verarmung des Funktionsmixes (hauptsächlich Wohnen, kaum Geschäfte, Kneipen oder einfach nur andere Nutzungen) und die starke "Entdichtung" verbunden mit einer Auffüllung der entstandenen Zwischenräume mit "Verlegenheits-Abstandsgrün" (Restflächen, mit denen man nichts anfangen kann, mit anderen Worten: Platzverschwendung), das weder als öffentlicher Parkbereich noch als privater Gartenbereich funktioniert, mitten im Zentrum einer 3,5 Mio Stadt sind für mich die wesentlichen Kritikpunkte. Sollte es sein, das einige dieser Punkte von den Befürwortern als Qualität gesehen wird? Da muss man allerdings noch sehr viel Überzeugungsarbeit leisten.


    Dass es Qualitäten gibt, will ich nicht ausschließen, nur finden die sich m.E. in lediglich einzelnen Aspekten. Eine ganzheitliche Betrachtung nicht nur einzelner Aspekte etwa der Architekturtheorie sondern der gesamten städtebaulichen, architektonischen, stadtsoziologischen, ökologischen usw. (ich denke, das ist eine sehr komplexe Gemengelage) Situation findet nicht statt. Allein die Radikalität des Bruchs mit dem Althergebrachten für sich genommen ist für mich kein bewundernswertes Qualitätsmerkmal.


    Ich bin trotzdem dafür, dass erst mal noch nicht in die Struktur eingegriffen wird, allerdings nicht, weil ich diese Stadtquartiere wegen ihrer angeblichen Qualitäten schätze, sondern weil ich denke, dass zuerst eine möglichst ideologiefreie (d. h. ohne Überhöhung der Bedeutung und des Wertes der Nachkriegsarchitektur, wie es meiner Meinung nach bei manchen Befürwortern - sicherlich als Reflex auf die allgemeine Unbeliebtheit der Nachkriegsarchitektur - zu beobachten ist und ja auch in dem Ansinnen des Welterbetitelantrages zum Ausdruck kommt) und sachliche Diskussion und Meinungsbildung zum Umgang mit diesen Stadtquartieren, die eben diese oben angedeutete komplexe Gemengelage berücksichtigt und nicht nur einzelne Aspekte und vor allem auch keine falsche Nostalgie, in Gang kommen muss. Und davon sind wir m.E. noch weit entfernt.

    6 Mal editiert, zuletzt von Gast14Jan () aus folgendem Grund: redaktionelle Änderungen

  • Es ist völlig weltfremd, den Zustand des 2. BA perpetuieren zu wollen. Dass die Stadtbezirksarchitektin Kristina Laduch, heute im Range einer Stadtplanungsamtsleiterin, dies fordern ist nochvollziehbar. macht es aber nicht vernünftiger.

  • Wieso ist es völlig weltfremd, ein aus mehrfach geschilderten Gründen bedeutendes Ensemble der DDR-Moderne vor Zerstörung bewahren zu wollen?
    Mit derselben Argumentation könnte man auch fordern des Hansaviertel zur "Nachverdichtung" freizugeben und die dortigen Freiräume den Developern zum Fraß vorzuwerfen.

  • KMA2BA

    Ich möchte hier mal kurz einwerfen, dass ich seit 6 Jahren im 2. Bauabschnitt der KMA wohne und dies sehr schätze. Der Wohnwert ist für eine solche Innenstadtlage ungeheuer hoch. Es ist sehr grün und verdammt ruhig. Des weiteren hat das Quartier auch eine hohe Wohndichte. Dass es dort bisher wenig urbanes Leben gibt, hängt größtenteils am hohen Anteil von Rentnern. Aber auch dem kann ich viel abgewinnen. Die Menschen dürfen in ihren angestammten Wohnungen alt werden. Ästhetisch kann man sicherlich an den Fassaden (Fassadensanierung der Nachwendezeit an der Berolinastr.) einiges kritisieren, aber das lässt sich in einer neuen Modernisierungsrunde beheben. Städtebaulich ist das Gebiet als Wohngebiet m.E. gelungen. Die notwendigen Nachverdichtungen (Geschäftswürfel) sind beschlossen und müssen nun umgesetzt werden. Ich finde es verwerflich das Gebiet in Frage zu stellen, weil für einige sich ästhetisch nicht mit ihren persönlichen Vorstellungen deckt. Gerade mit seiner Orthogonalität, der Gleichförmigkeit im Inneren und der herausgehobenen Mittelachse KMA ist es ein herausragendes Beispiel innerstädtischen Städtebaus der Moderne. Auch ohne Zuckerbäckerstil.

    2 Mal editiert, zuletzt von Tomov ()

  • Die Gebäude sind 8-10 geschossig. Mit Blockrand und 5 Geschossen würde man vielleicht eine etwas höhere Dichte erreichen. Den neuen Trend Blockinnenbereiche wieder zu verdichten finde ich eher schwierig. Schließlich hat man die 60er - 80er damit verbracht diese zu entkernen. Warum muss Berlin bloß immer so zu Extremen neigen. :) Aber das macht diese Stadt vielleicht auch interessant.

    Einmal editiert, zuletzt von Tomov ()

  • ^ Die Geschossigkeit der Einzelgebäude ist unstrittig. Durch die großen Grünflächen und die quadratkilometergroßen Parkplätze ergibt sich jedoch diese geringe GFZ. Der gründerzeitliche Städtebau kommt auf etwa 3,0 bis 3,5 GFZ. Die Quartiere mit behutsamer Stadtsanierung, die im Blockinnenbereich nurmehr kleinere Zubauten zulassen und nach wie vor locker bebaut sind, liegen so bei 2,5 GFZ.


    Insofern ist das Extrem eher die geringe GFZ. In diesen zentralen Lagen ist das bei einem knappen Wohnungsmarkt sicher schwer zu verantworten. Dass Leute, die da wohnen, keine Veränderung wünschen ist selbstverständlich - aus gesamtstädtischer Sicht jedoch nachrangig.

  • Bei einem 'Neubau'- Entwicklungsgebiet in der Innenstadt würde ich Ihnen da Recht geben. Allerdings muss man hie auch die Bedeutung des Gebietes für die Geschichte Berlins berücksichtigen.

  • Na gut, dann will ich mal ein paar Aspekte der baugeschichtlichen Bedeutung des Wohngebietes Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt darstellen.


    Der Wohnkomplex Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt ist der erste ganzheitlich geplante und mit allen Versorgungseinrichtungen ausgestattete Wohnkomplex Berlins. Die verantwortlichen Planer Josef Kaiser (Architektur) und Werner Dutschke (Städtebau) planten nicht nur rund 4600 Wohnungen, sondern auch Schulen, Kindertagesstätten, Handelseinrichtungen, Gaststätten, ein Ambulatorium und und Versorgungseinrichtungen. Diese Funktionen waren so angeordnet, dass die Einrichtungen mit überörtlicher Bedeutung, wie das Kino "International", das Restaurant "Moskau", die "Milch-Mokka-Eis-Bar", der Modesalon "Madeleine" und andere Geschäfte an der Karl-Marx-Allee errichtet wurden. Die Einrichtungen für die Nahversorgung wurden dagegen in nord-südlicher Richtung entlang der Schillingstraße und der Berolinastraße angeordnet.


    In gestalterischer Hinsicht stellte der Wohnkomplex vor allem einen Gegenentwurf zu den Gründerzeitquartieren dar. Dieser Komplex sollte das Gegenteil zu den als düster, chaotisch und grau empfundenen Gründerzeitvierteln verkörpern. Deshalb wurde der ganze Komplex nach einem einheitlichen ästhetischen Konzept gestaltet. Frei stehende, mit weißen Keramikfliesen verkleidete Wohnscheiben sollten dem Wohngebiet eine möglichst lichte Ausstrahlung verleihen, großzügige Gebäudeabstände sollten "Licht, Luft, Sonne" in das Gebiet bringen, Pavillonbauten mit großen Glasfronten sollten ein Stück Leichtigkeit vermitteln. Was den Architekten vorschwebte, war ein strahlend helles Wohngebiet, das in idealtypischer Form die Visionen der Moderne verkörpern sollte. Daher ist auch die Annahme falsch, dass es Josef Kaiser um den Verzicht auf Ästhetik ging. Im Gegenteil: Auch die Plattenbauten mit ihrer Keramikfassade und den filigranen Balkonbrüstungen wurden sorgfältig gestaltet. Dass hier keine Stuckfassaden gestaltet wurden, hat nichts mit dem Verzicht auf Ästhetik zu tun, sondern es war einfach so, dass Stuckfassaden damals als hässlich empfunden wurden.


    Weiterhin wurde im Wohnkomplex ein sehr anspruchsvolles Konzept einer Synthese von Architektur und Kunst verwirklicht. Hier wurden nicht nur Häuser gebaut, sondern auch Plastiken, Wandbilder, Strukturwände und Mosaikarbeiten verwirklicht, und all das nach einem einheitlichen Konzept. Daher kann der Wohnkomplex als ein modernes Gesamtkunstwerk betrachtet werden.


    In gesellschaftspolitischer Hinsicht ging es um ein Wohngebiet, in dem alle Wohnungen gleichwertige Wohnbedingungen bieten sollten. Angestrebt wurde ein Komplex, in dem alle sozialen Schichten, vom Pförtner bis zum Professor, in gleich guten Wohnungen wohnen sollten. Auf diese Weise sollte die Entstehung sozialer Brennpunkte verhindert werden. Dieses Ideal wurde im übrigen auch realisiert, wobei die begehrteren oberen Wohnungen ausgelost wurden.


    Zudem stellt der Wohnkomplex auch in bautechnischer Hinsicht eine Innovation dar. Es ist der erste Berliner Wohnkomplex, der in Plattenbauweise errichtet wurde. Die acht- und zehngeschossigen QP- Blöcke waren damals auch international wegweisend.


    Völlig falsch ist die These, dass es im Wohnkomplex einen Mangel an Gastronomie gegeben hätte. Ursprünglich gab es dort sogar ein sehr großes Angebot an Gastronomie. Das Restaurant "Moskau" bot mehrere Gaststätten und eine Nachtbar, dann gab es das Hotel "Berolina" mit mehreren Gaststätten, die "Milch-Mokka-Eis-Bar", und dann gab es noch die schlichteren Wohngebietsgaststätten "Pünktchen" und "Sternchen". Richtige Kneipen gab es allerdings nicht, aber das war bewusst so gewollt. Angestrebt wurde damals auch eine Kultivierung der Gastronomie, deshalb wurde auch das aufwändig gestaltete "Moskau" gebaut, dass nicht nur großzügige Gasträume, sondern auch einen Rosengarten mit einem Springbrunnen umfasste.


    Heute ist der Wohnkomplex Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt ein Stück historische Stadt, in dem die Ideale der Moderne besonders prägnant nachvollzogen werden können. Daher halte ich ihn auf jeden Fall für erhaltenswert und welterbeverdächtig.


    Eine völlig andere Frage ist die, ob dieses Stück Stadt nun jedem gefällt. Über diese Fragen lässt sich schwer diskutieren, da das Gefallen auch immer eine Frage des persönlichen Geschmacks ist, und dieser ist bekanntlich sehr verschieden. Mir gefallen viele Quartiere auch nicht, dennoch gestehe ich ihnen einen historischen Wert zu. Auch sehe ich hier kein Problem fehlender Nutzungen. Die Wohnungen in dem Gebiet waren immer sehr beliebt, und das dürfte auch in Zukunft so bleiben. Da ist die Situation beispielsweise im Welterbebereich Altstadt Quedlinburg viel schwieriger. Völlig unverständlich finde ich auch den Hinweis auf die angeblich zu geringe GFZ: Diese Argumentation tut ja so, als ob es irgendwo ein zeitloses Gesetz gäbe, nach dem in Innenstädten eine bestimmte GFZ nötig wäre. Nach dieser Argumentation müsste etwa der Zwinger in Dresden ein völlig unökonomisches Bauwerk sein, das im Interesse einer effizienten Flächennutzung abgerissen werden müsste. Daher können mich diese Argumente nicht überzeugen.

    Einmal editiert, zuletzt von Klarenbach ()

  • Welche Gründe gab es eigentlich, in dem weitgehend abgeräumten Gebiet einige Altbauten stehen zu lassen wie bspw. das ehemalige Eckhaus an der Singerstraße? Das wirkt ziemlich surreal.
    Den Welterbestatus würde ich für den 2. Bauabschnitt nicht fordern. Das scheint mir diesen Titel ziemlich zu entwerten wenn ich mir anschaue, was sich sonst Welterbe nennen darf. Da sollte man die Kirche wirklich mal im Dorf lassen. Denkmalschutz wäre aber gar nicht so schlecht. Könnte immerhin verhindern, dass irgendwann eine Dämmwelle durchschwappt. Verdichtung scheint mir hier ohnehin schwierig. Die Blöcke scheinen ohne wirklichen Bezug zu einander da zu stehen und sind wohl auf maximale Ausleuchtung bedacht. Alles im allen eine schwierige Aufgabe und Abrisse bei voller Belegung sehe ich auch kritisch. Ich befürchte eher eine Verschlimmbesserung.

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  • ^ Ich kann dem Gebiet beim besten Willen kaum etwas abgewinnen. Gerade die KMA selbst ist viel zu breit. Die riesigen Parkplätze auf dem Mittelstreifen sind trostlos. Das Ganze wirkt trist und traurig. Die Reste der Vorkriegszeit wirken in dem Gebiet als Fremdkörper, die einfach umstellt wurden.


    Es fällt wohl keinem eine gute Lösung ein und die Liebe zu günstigem Wohnraum steht in Berlin aktuell wohl über allem. M.E. ein Fehler, denn es kann nicht im Interesse Berlins liegen ein Armenhaus zu bleiben.


    Hier schließen sich DDR-Nostalgiker und Menschen mit starker Angst vor Verdrängungseffekten zusammen und wollen das ganze noch mit dem Welterbestatus zementieren. Ich glaube der Antrag wird scheitern, wenn man ihn so ausdehnt. Das wäre ein großer Fehler, da er sonst eigentlich genial ist. Das Hansaviertel hat - obwohl ich es nicht mag - eine viel höhere Qualität. Jedes Bauwerk wurde individuell geplant und ein tatsächliches Gesamtkunstwerk gebildet. Die Beschönigung der DDR-Plattenbauviertel, wo Einheitsquader in die Landschaft gewürfelt worden sind, ist m.E. unhaltbar.