in memoriam: AIG-Hochhaus (Onyx)

  • in memoriam: AIG-Hochhaus (Onyx)

    Es gibt wohl kein zweites Bauvorhaben in Frankfurt, um das in den letzten zwei, drei Jahren so heftig gestritten wurde, wie um das ehemalige Bürohochhaus und künftige Wohnhochhaus Oberlindau 76-78.



    Bild: thomasfra


    Es gibt nicht viel über dieses Gebäude zu berichten, ein wahrer Langweiler eigentlich. Dazu passt, dass es in der Wikipedia-Liste der Hochhäuser in Frankfurt fehlt, mit seiner Höhe von 55 m müsste es dort ungefähr unter Position 92 verzeichnet sein. Es ist eines jener kleinen Hochhäuser im Westend, die in den 60er Jahren in Vollzug des Fingerplans genehmigt wurden.


    Die Spur der Steine


    Das „curriculum aedificii“ beginnt 1965. Eigentlich wären auf dem etwas über 2.600 m² großen Grundstück nach der Bausatzung* vom 22.1.1959 allenfalls bis zu 3-geschossige Wohngebäude mit einer Gebäudehöhe von maximal 10 m, einer GRZ von 0,3 und einer Ausnutzungszahl von 0,9, also kein Bürohochhaus, geschweige denn dieses Ausmaßes zulässig gewesen. Um aber eine Verdichtung im Sinne des Fingerplans zu ermöglichen, befreite die Stadt Frankfurt die Bauherrengemeinschaft Sznap-Graumann schon unter dem 29.7.1965 großzügig von allen bauplanungsrechtlichen Beschränkungen der Bausatzung zur Ausnutzung des Grundstücks, d.h. zur Zahl der Vollgeschosse, der Gebäudehöhe, der Art der baulichen Nutzung, der Ausnutzungsziffer, der einzuhaltende Abstände und zu den Baulinien; die eigentliche Baugenehmigung wurde am 11.8.1965 erteilt, nachdem die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke ihre Zustimmung erklärt hatten. Heraus kam ein schmuckloser Kasten mit einer BGF von etwa 7.450 m², einer GRZ von knapp 0,3 und einer GFZ von 2,8 und einer Höhe von 55 m - Fingerplan eben.

    Nach Fertigstellung des Gebäudes sind noch einige bauliche Änderungen genehmigt worden, u.a. der Einbau einer Hausmeisterwohnung im Dachgeschoss (1967), eine neue Fassade (1994 – was die Frage aufwirft, wie das Haus wohl bis dahin ausgesehen hat), die Erweiterung der Eingangshalle unter Überschreitung der Baulinie im Erdgeschoss (1995), brandschutztechnische Änderungen (2007), und schließlich wurden noch 2010, also zu Zeiten des Leerstandes, Abriss und Neuanbringung der Fassade sowie brandschutzrelevante Grundrissänderungen in allen Geschossen genehmigt, aber von den Eigentümern nicht mehr umgesetzt.


    Der 1978 in Kraft getretene Bebauungsplan B-320 Westend I schreibt den 1965 genehmigten baulichen Bestand in Form zeichnerischer und textlicher Festsetzungen planungsrechtlich fest und ist Grundlage aller späteren Baugenehmigungen.



    Die Adressbücher weisen jahrelang als Nutzer u.a. ein Planungsbüro für Industriebau und die Büros des Bundesdisziplinaranwalts aus (das Bundesdisziplinargericht war nebenan in der Nr. 80). Ende der 70er Jahre zog die seit 1953 in Frankfurt ansässige Niederlassung der American International Underwriters Inc. ein, die später als AIG - American International Group zur weltgrößten Versicherung aufstieg. Deren in Frankfurt ansässige Direktion für Deutschland hatte ihren Sitz bis Ende 2009 in der Oberlindau 76-78; wahrscheinlich hatte die AIG im Laufe der Jahre große Teile oder das gesamte Gebäude gemietet, weshalb es in der Öffentlichkeit meist als AIG-Hochhaus bezeichnet wurde. In der Finanzkrise geriet die AIG in Schieflage und um Distanz zur angeschlagenen US-Muttergesellschaft zu schaffen, wurden die europäischen Töchter in Chartis Insurance umbenannt. An den Eigentumsverhältnissen änderte das nichts, d.h. wo Chartis draufstand, war immer AIG drin. Seit 2012 firmiert die Gesellschaft wieder als AIG Europe Ltd. und Ende 2009 zog die Frankfurter Niederlassung in das Werfthaus im Westhafen um (Bild von thomasfra)


    Nach dem Auszug der AIG stand das Hochhaus über drei Jahre leer und vor etwa zwei Jahren geriet das Gebäude in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses, nachdem es 2012 oder 2013 von der eigens hierfür gegründeten KSW Verwaltungs GmbH & Co. Wohnbau KG zum Zwecke des Umbaus in ein Wohngebäude erworben worden war. Erste Pläne tauchten hier im DAF Anfang 2012 auf.


    Hinter der KSW stehen die Korn Entwicklungs- und Beteiligungs GmbH und die SW Invest Finance Trade GmbH; Gesellschafter der SW Invest sind mehrere gering kapitalisierte Kleinstfirmen (z.T. in der Rechtsform der UG), hinter denen stets dieselben drei Personen aus dem Dunstkreis früherer LBBW-Immobilientöchter stehen. Würde man nach diesen Namen googeln, landete man sehr rasch bei einer Reihe von Artikeln im Archiv der Immobilienzeitung, aber auch bei Zeitungsartikeln wie diesem; kurzum, es sind keine Anfänger, die hier ein gutes Geschäft witterten.


    Insoweit interessant waren die Meldungen über die Kaufpreise der Onyx-Wohnungen. Die FNP vom 24.6.2014 zitierte den Bauherrn mit der Angabe, eine 640 m² große Penthouse-Wohnung mit 340 m² Dachterrasse koste 15 Mio €; eine 460 m² große Wohnung sei für 6,4 Mio €, also für 13.913 €/m² verkauft worden (die FR schrieb am 17.2.2015 sogar etwas von 18.000 €/m²).


    Justiz-Rally im Rekordtempo, aber kein kurzer Prozess


    Doch vor den geschäftlichen Erfolg eines Immobilieninvestments hat der Liebe Gott das Bauamt, die Nachbarn und die Verwaltungsgerichte gesetzt: mehrere Klagen, Eilanträge und Baueinstellungen machten den Bauherren das Leben schwer, konnten das Projekt auch verzögern, aber nicht verhindern.


    Die Justiz-Rally wurde eröffnet mit einer Nachbarklage gegen eine Teilbaugenehmigung, deren Gegenstand die Veränderung, Sanierung und Erweiterung der Tiefgarage einschließlich ihrer Zufahrt ist; die Zahl von 17 oberirdischen und 81 unterirdischen Stellplätzen sollte auf 66 unterirdische Stellplätze reduziert werden. Die Lokalpresse kolportierte, die Längsneigung der Zufahrt solle so abgeflacht werden, dass tief liegende Luxusgefährte nicht aufsetzen könnten; je eine schmale Fahrbahn für Ein- und Ausfahrt sollten in eine breite, gewissermaßen SUV-gängige, ampelgesteuerte Zufahrt umgewandelt werden. Die Klage gegen die Teilbaugenehmigung vom 29.4.2013 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt mit Urteil vom 7.4.2014 (8 K 163/14.F) abgewiesen, den Antrag auf Zulassung der Berufung hat der HessVGH mit Beschluss vom 10.7.2014 (3 A 893/14.Z) zurückgewiesen – 15 Monate für das Widerspruchsverfahren und zwei Instanzen Hauptsacheverfahren, das ist für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ein wahrlich rekordverdächtiges Tempo.


    Ein zweiter Rechtsstreit richtete sich gegen die Baugenehmigung vom 8.7.2013 zur Nutzungsänderung von Büros in 40 Wohnungen vom EG bis 13. OG nebst Abbruch der bestehenden Fluchtbalkone auf den Stirnseiten und Ersetzung der Öffnungen durch Fenster. Zwei von vier Personenaufzügen sollten entfernt werden; genehmigt wurde ferner Abriss und Neubau der Fassade. Ihren Widerspruch gegen diese Baugenehmigung hatte eine Nachbarin mit einem Eilantrag zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs flankiert. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat diesen Antrag vom 17.3.2014 mit Beschluss vom 7.4.2014 (8 L 725/14.F) abgelehnt, der HessVGH hat die hiergegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 24.7.2014 verworfen (3 B 835/14); vier Monate für zwei Instanzen im Verfahren des Einstweiligen Rechtsschutzes sind auch nicht schlecht.


    Ein drittes Verfahren richtete sich gegen eine Nachtragsgenehmigung vom 16.12.2013, mit der von der Festsetzung der Baulinie im 1. OG befreit wurde zur Einrichtung einer Dachterrasse auf dem Vorbau zur Oberlindau hin. Kurz und knapp hat das Gericht diesen Antrag abgefertigt, die Antragstellerin sei von dieser Befreiung nicht tangiert, weil ihr Grundstück auf der anderen Seite des Hochhauses liege.


    Der Vollständigkeit halber sei noch die Ausnahme von der Vorgartensatzung erwähnt, die für das im EG geplante Bistro erteilt wurde; sie war Thema im Ortsbeirat, aber erstaunlicherweise nicht Gegenstand eines Rechtsstreits.


    Federn musste die Bauherrschaft allerdings in Sachen Baulärm lassen. Die Arbeiten zur Entfernung der Fassade und zur Entkernung im Innern des offenen, skelettierten Baukörpers legten einen enormen Lärmteppich über die nähere und weitere Nachbarschaft. Die Bauaufsicht hat deshalb ab Juni 2014 eine Dauermessung durchgeführt. Dazu sind zwei Mikrofone an unterschiedlichen Immissionspunkten aufgestellt worden. Die Ergebnisse der Messung wurden der Bauaufsicht zweimal wöchentlich vorgelegt.


    Im September 2014 und im Februar 2015 hatte die Bauaufsicht jeweils die Baueinstellung verfügt, da die Immissionsgrenzwerte der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm (AVV) vom 19.8.1970 in gesundheitsgefährdendem Ausmaß dauerhaft überschritten wurden. Im September 2014 konnten die Arbeiten erst fortgesetzt werden, nachdem der Bauherr 130 Haushalte (in einer anderen Quelle heißt es 130 Personen) der Nachbarschaft in Hotels untergebracht hatte. Aus Gründen der Lärmminderung wurde zudem das Gerüst im unteren Bereich beplankt und dadurch die Fassade provisorisch geschlossen; zusätzlich wurden Nachbargrundstücke mit einer hohen Lärmschutzwand versehen.



    Bild: thomasfra


    Die Nachbarn haben alles versucht, den Bauherrn in die Parade zu fahren, und kein noch so geringes Argument ausgelassen, konnten sich aber außer in puncto Baulärm in keinem einzigen Punkt durchsetzen. Die Entscheidungen sind ein lehrbuchmäßiger Parforce-Ritt durch das hessische Baunachbarrecht. Wie schon bei der Turm-Center-Entscheidung aus dem Jahr 2012 geht der Blick zurück in Frankfurter Baugenehmigungspraxis der 60er und 70er Jahre.


    Leerstand vs. Bestandsschutz


    Das wichtigste Thema der Rechtsstreite war die Frage, ob durch den mehrjährigen Leerstand des Gebäudes der Bestandsschutz der ursprünglichen Baugenehmigung entfallen ist; eine Frage, die vor dem Hintergrund der Leerstände bei älteren Gewerbebauten in Frankfurt nicht ganz unwichtig ist. Die Kläger hatten argumentiert, der seit Ende 2009 andauernde, im Zeitpunkt der Entscheidung also etwa vierjährige Leerstand sei eine Nutzungsaufgabe, die den Bestandsschutz der Baugenehmigung von 1965 habe entfallen lassen. Da nur eine bestehende Baugenehmigung geändert werden könne, sei die erteilte Änderungsgenehmigung rechtswidrig; eigentlich erstaunlich, dass dieses Argument nicht schon in der causa Turm-Center kam, das bekanntlich viel länger leer gestanden hatte.


    Die Kläger argumentierten mit der sog. Zeit-Modell-Rechtsprechung des BVerwG. Danach erlischt der Bestandsschutz einer Baugenehmigung, wenn eine zulässige Nutzung nicht mehr ausgeübt wird. Ein durch Brandeinwirkung oder Naturereignisse zerstörtes Gebäude kann danach aufgrund des Bestandsschutzes der ursprünglichen Baugenehmigung innerhalb eines bestimmten Zeitraums an gleicher Stelle ohne neuen Bauantrag wiedererrichtet werden.


    Zur Beurteilung der Frage, nach welcher Zeit der Bestandsschutz entfällt, hatte das BVerwG auf die Verkehrsauffassung abgestellt und ein Zeitmodell entwickelt:
    - im ersten Jahr nach der Zerstörung rechne die Verkehrsauffassung stets mit einem Wiederaufbau; eine Einzelfallprüfung erübrige sich;
    - im zweiten Jahr nach der Zerstörung spreche die Verkehrsauffassung regelmäßig für einen Wiederaufbau, die Regel könne aber entkräftet werden, wenn Anhaltspunkte für das Gegenteil sprächen;
    - nach Ablauf von zwei Jahren kehre sich die Regelvermutung um, so dass der Bauherr besondere Gründe dafür dazulegen habe, dass die Zerstörung des Gebäudes noch nicht als endgültig erscheinender Zustand anzusehen sei.


    Das Verwaltungsgericht Frankfurt und der HessVGH haben das Argument des entfallenen Bestandsschutzes hier nicht gelten lassen, und zwar aus mehreren Gründen.


    Zum einen sei das Zeitmodell für zerstörte Bauvorhaben im Außenbereich entwickelt worden und nicht für leerstehende Bürohäuser im Innenbereich. Zum anderen sei das BVerwG in jüngerer Zeit auf Distanz zum Zeit-Modell gegangen. Der Bestandsschutz erlischt demnach nicht, wenn die Nutzung aufgegeben wird, sondern wenn die Baugenehmigung unwirksam wird (weg von der Betrachtung des Faktischen zur Betrachtung des Rechtlichen). Unter welchen Voraussetzungen dies bei einer Baugenehmigung der Fall sei, bestimme sich nach dem „einfachen“ Recht, d.h. nach der Landesbauordnung und den allgemeinen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren; entschieden wurde das u.a. in einem Münchener Fall, in dem ein Bürogebäude nach einem Wasserschaden aufgrund von Auseinandersetzungen des Eigentümers mit der Gebäudeversicherung dreieinhalb Jahre leer gestanden hatte; das BVerwG hatte in diesem Fall entschieden, dass Baugenehmigung und der durch sie vermittelte Bestandsschutz trotz der langen Dauer der Nutzungsunterbrechung nicht entfallen seien.


    Das „einfache“ Recht, hier die HBO, regelt nur, dass eine Baugenehmigung erlischt, wenn nicht in drei Jahren nach Erteilung mit dem Bau begonnen oder der Bau länger als ein Jahr unterbrochen wurde, sie kann aber durch rechtzeitige Antragstellung verlängert werden. Ansonsten gilt sie nach allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts so lange, bis sie zurückgenommen, widerrufen oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Da der Bauschein von 1965 weder zurückgenommen noch widerrufen noch durch Zeitablauf unwirksam geworden ist, hatten die Kläger argumentiert, der dreijährige Leerstand dokumentiere den Verzicht auf die genehmigte Nutzung, die Baugenehmigung von 1965 habe sich mithin auf andere Weise erledigt.


    Dazu meinte das Verwaltungsgericht, die Kläger hätten im Falle Onyx nichts dafür vorgetragen, dass im Hinblick auf die baurechtlichen Verhältnisse in der Frankfurter Innenstadt erfahrungsgemäß davon auszugehen sei, ein länger andauernder Leerstand eines bestandskräftig genehmigten Bürohochhauses führe generell zur Aufgabe des genehmigten Nutzungskonzepts (derselbe Senat hatte etwa ein Jahr zuvor den Turm-Center-Fall entschieden). Ob der Tatsache, dass die Voreigentümer durch die 2010 gestellten und genehmigten Bauanträge deutlich zum Ausdruck gebracht hätten, jedenfalls so lange an dem genehmigten Nutzungskonzept festhalten zu wollen, wie keine andere Nutzung genehmigt ist, hatten die Verwaltungsgerichte keine Zweifel, dass die Baugenehmigung von 1965 bei Erteilung der Teilbaugenehmigung vom 29.4.2013 zur Tiefgarage noch gültig gewesen sei.


    Onyx und die Abstandsflächen


    Keine Nachbarklage ohne Rüge der Unterschreitung der Abstandsflächen, d.h. eines Verstoßes gegen § 6 HBO, eine der wenigen Vorschriften die ausdrücklich dem Schutz der Nachbarn dient. Hier basiert die Behauptung der Unterschreitung der Mindestabstände auf der Annahme, der Bauschein von 1965 sei unwirksam geworden, weshalb die Abstandsflächenfrage durch die Nutzungsänderung neu aufgeworfen werde, mit der Folge, dass die Nutzungsänderung unzulässig sei, weil der geplante Wohnblock die gesetzlichen Mindestabstände nicht wahre. Damit die Abstandsflächenfrage bei Nutzungsänderungen neu aufgeworfen wird, war zu argumentieren, die Nutzungsänderung einschließlich der damit einhergehenden baulichen Veränderungen im Gebäude sei vom Bestandsschutz nicht mehr gedeckt und führe im Verhältnis zur bisherigen Nutzung zu nachteiligeren Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke. Die Kläger hatten argumentiert, die Eingriffe in den baulichen Bestand durch Abriss und Neubau der Fassade, Ausbau zweier Aufzüge, Abbruch der Fluchtbalkone und weitere innere, statisch relevante Umbauten habe praktisch zu einem Untergang der Gebäudesubstanz geführt.


    Die Verwaltungsrichter fanden demgegenüber, die vorgesehenen Veränderungen am Gebäudebestand führten nicht zu einem Untergang der gesamten Gebäudesubstanz. Maßgeblich sei, dass die Kubatur des Baukörpers erhalten bleibe. Das Tragwerk in seiner wesentlichen statischen Funktion bleibe aufgrund der Skelettbauweise erhalten, kurzum, die Abstandsflächenfrage werde durch die Nutzungsänderung nicht neu aufgeworfen.


    Im Übrigen verwiesen sie auf den B-Plan, der die überbaubare Grundstücksfläche und damit die Grenzabstände verbindlich festsetze. Die festgesetzte überbaubare Fläche dürfe grundsätzlich vollständig ausgenutzt werden, auch wenn das zur Unterschreitung der Abstände nach § 6 HBO führe, denn der Landesgesetzgeber habe sich mit § 6 Abs. 11 HBO für den Vorrang der bauplanungsrechtlichen Festsetzungen des B-Plans vor den bauordnungsrechtlichen Abstandsregeln entschieden. Da die angegriffene Baugenehmigung den Festsetzungen zur überbaubaren Grundstückfläche entspreche, sei die Nutzungsänderung grundsätzlich genehmigungsfähig.


    Daran ändere auch der Umstand nichts, dass sich Gebäudehöhe und Außenmaße durch Anbringung einer Wärmedämmung erhöhten. Sowohl aus § 248 BauGB als auch § 6 VI S. 3 HBO folge, dass Außenwand- und Dachdämmungen an bestehenden Gebäuden, die dem Wärmeschutz und der Energieeinsparung dienen, grundsätzlich zulässig sind, selbst wenn sie das Maß der baulichen Nutzung oder die überbaubare Grundstücksfläche überschreiten und in die Tiefe der Abstandsfläche weiter hineinragen.


    Gefährdet ein Wohnhochhaus den Wohnfrieden?


    Gegen die Umwandlung von 14 Büroetagen in 40 Wohnungen war vorgetragen worden, der Wohnfriede werde durch die Schaffung von für sie unzumutbaren Einsichtsmöglichkeiten auf ihr Grundstück verletzt. Dabei gehe es ihr nicht um die grundsätzliche Möglichkeit der Einsichtnahmen, sondern durch die mit der massiven Wohnnutzung verbundene Inkongruenz (2 Stockwerke gegenüber 14 Stockwerken, Nutzungszeiten jetzt 24/7 statt bisher werktags „9 to 5“, geschlossene Fassade bisher, offene Balkone in jeder Etage jetzt); auch das kein durchschlagendes Argument für Gerichte.


    Erstens sei das Nachbargrundstück bereits seit Jahrzehnten durch die genehmigte Büronutzung Einsichtsmöglichkeiten ausgesetzt gewesen, die zeitlich nicht eingeschränkt waren, auch nachts und am Wochenende durfte in den Büros gearbeitet werden; zweitens gehörten Einsichtsmöglichkeiten auf andere Grundstücke zu den üblichen Beeinträchtigungen, die mit der Wohnnutzung von Grundstücken verbunden und grundsätzlich hinzunehmen seien; drittens verfolge das Abstandsflächenrecht erkennbar nicht das Ziel, Einblickmöglichkeiten von Nachbargrundstücken vollständig auszuschließen. Und schließlich sei die beklagte Inkongruenz den Vorgaben des B-Plans geschuldet, der eben dort eine 14-geschossige Wohnnutzung zulässt, für die Nachbargrundstücke aber nur eine dreigeschossige. Zum Trost rechnete der Senat der Klägerin vor, dass die Entfernungen von der Grundstückgrenze zum Erdgeschoss des Hochhauses 14 m betrage und die Sichtentfernung von der Penthouse-Wohnung 45 m, so dass eine tatsächliche Beeinträchtigung des Wohnfriedens ausgeschlossen erscheine. Außerdem folge aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis, dass derjenige, der eine Verletzung des Wohnfriedens für sich reklamiere, gehalten sei, seine Privatsphäre zunächst durch eigene zumutbaren Maßnahmen zu schützen und das habe sie ja durch die Anpflanzung zweier Bäume getan, welche am Einblick hinderten.
    Das waren jetzt nur die wichtigsten Themen, in den Rechtsstreiten ging es noch um andere Details im Zusammenhang mit dem Umbau der Tiefgarage, um Aufschüttungen, Einfriedungen, die Ampelsteuerung der Tiefgarage, den Bezugspunkt für die zulässigen Höhen und andere Kleinigkeiten.


    Ende 2015 ist der Umbau des Gebäudes noch einmal ins Stocken geraten, ohne dass die Gründe publik geworden wären. Seit Ende Februar wird aber wieder mit Hochdruck an der Fertigstellung gearbeitet. Wie sich die Nachbarschaft entwickelt, bleibt abzuwarten, was man aber schon jetzt sagen kann: wenn die Renderings der Bauherrender halten, was sie versprechen, dürfe Onyx mit das Beste sein, was dem AIG-Hochhaus passieren konnte.



    * Die Bausatzung ist ein Relikt aus der Übergangszeit zwischen Kriegsende und dem Inkrafttreten neuer bundesrechtlicher Regelungen (BBauG und BauNVO). Bis dahin galten die städtische Staffel- und Zonenbauordnungen preußischen Rechts. Die erste HBO übernahm für kurze Zeit bestimmte bauplanungsrechtliche Regelungen ins Landesrecht und ermächtigte die Gemeinden zum Erlass konkretisierender Bausatzungen, Frankfurt hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. BBauG und der BauNVO traten 1961 bzw. 1962 in Kraft und lösten das landesrechtliche bzw. kommunale Bauplanungsrecht ab.

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