Wärmedämmung contra bauzeitlicher Zustand

  • Wärmedämmung contra bauzeitlicher Zustand

    Die Pläne der Bunderregierung zielen ja langfristig auf generelle Wärmedämmung und recht ambitionierte Einsparziele. Diese Ziele sollen auch für ältere Häuser und denkmalgeschützte Objekte gelten.
    Nun sind aber bei solchen Häusern entsprechende Dämm-Maßnahmen entweder technisch völlig weltfremd oder zumindest unverhältnismäßig teuer. Zudem gibt es ein ästhetisches Problem: Will man historische Fassaden mit Dämmung verunstalten?
    Dazu gab es z.B. in Tübingen einen Disput: Der Architekt Hans Kollhoff sagte, man könne nicht ganz Tübingen einpacken. Tübingens OB Boris Palmer konterte: "Wollen Sie die ästhetischen Gegenwartsbedürfnisse über die Lebensbedürfnisse künftiger Generationen stellen?"
    Meiner Meinung nach ist das eine äußerst dümmliche und beschränkte Betrachtungsweise dieses grünen Oberbürgermeisters.


    Ein weiteres Problem entsteht zudem für Vermieter: Wohnungen in denkmalgeschützten Häusern werden zunehmend unattraktiv, da entweder die Nebenkosten oder die die auf die Miete umgelegten hohen Dämmkosten die Gesamtmiete in überdurchschnittlich in die Höhe treiben?
    Auch diese wirtschaftliche Seite gefährdet die Erhaltung von historischen Bauten.


    Wollen wir wirklich Kulturgut einer Öko-Manie opfern?
    Sollte man nicht einfach akzeptieren, dass es eben auch Häuser gibt, die moderne Klima-Grenzwerte nicht bzw. nicht auf sinnvolle Weise einhalten können, die aber eben dafür andere Werte abdecken?



    Interessant dazu: Interview der WiWo mit dem Geschäftsführer des BDA, Bernd Blaufelder (WiWo 43/2010, Seite 114ff).
    http://www.wiwo.de/finanzen/fassade-ist-heimat-445181/

    Einmal editiert, zuletzt von harher ()

  • Wärmedämmung contra Denkmalschutz

    Es gibt ein reichhaltiges Feld von Problempunkten zur Wärmedämmung am Bestand und auch bei Neubauten. Auf Grund eigener Erfahrung und aus Erfahrungsberichten heraus kann ich einiges dazu sagen.
    Hier mal einen Bericht der faz vom 23. Oktober 2010, der z. B. ein Detail beim Wohnen in einem Passivhaus beleuchtet, was ich in etwa so bestätigen kann:
    http://www.faz.net/s/RubFAE83B7DDEFD4F2882ED5B3C15AC43E2/Doc~E543F784A177B43A78A898870D702B856~ATpl~Ecommon~Scontent.html


    Eine Bewohnerin schildert die Probleme die sie beim zwangsweisen Umgang mit der Wohnung hat. Die Wohnung heizt sich z. B. im Sommer zu stark auf und Fenster darf sie nur öffnen wie es die Bedienungsanleitung gestattet. Die ganzen Restriktionen machen den Wohnkomfort kaputt. Deswegen sucht sie nun wieder eine andere Wohnung mit "klassischen" Bedingungen.

    Zu welchen kuriosen Blüten solche Dogmen, abgesehen vom wirtschaftlichen Aspekt der Betriebskosten, dann führen können zeigt der Beschluss der Stadtverordneten von Frankfurt am Main, städtische Bauvorhaben in Passivhausbauweise auszuführen. Bei einer Integrierten Gesamtschule im Frankfurter Nordend z. B. wird eine unter dem Schulhof liegende Mensa, die fast keine Außenflächen hat, im Passivstandard gebaut. Dann gibt es Pläne, sogar ein Krematorium und eine Kirche danach auszuführen. Bei vielen Architekten führe das zu einem "Riesenkonflikt", laut Ferdinand Heide.
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  • Tübingens OB Boris Palmer konterte: "Wollen Sie die ästhetischen Gegenwartsbedürfnisse über die Lebensbedürfnisse künftiger Generationen stellen?" Meiner Meinung nach ist das eine äußerst dümmliche und beschränkte Betrachtungsweise dieses grünen Oberbürgermeisters.


    Woher will er wissen, dass zu den Lebensbedürfnissen künftiger Generationen keine schönen Altstädte mehr gehören sollten? Immerhin gehören die seit einigen Generationen dazu. Wäre ihm lieber, wenn man überall Fachwerk verdeckt, die Altstadt hässlich macht und derer Bewohner vermehrt nach individuellen frei stehenden Häusern am Stadtrand suchen, nach mehrspurigen Straßen dorthin rufend? Bisher zählt man Innenentwicklung, Kompaktheit und urbane Atmosphäre zu den Potentialen der Stadt - was auf der Seite 3 des Dokuments mit einem Bild der historischen Bauten der Altstadt veranschaulicht wird!


    Ein schnell ergoogelter Artikel über die Wirtschaftlichkeit der Wärmedämmung - man sollte doch den Immobilienbesitzern ähnliche Berechnungen und Überlegungen überlassen statt mit der Keule des Gesetzeszwangs zu schwingen. In den Medien kreisen bereits Überlegungen (wie diese), wie stark die nachträgliche Wärmedämmung, auf Mieten umgelegte, diese in die Höhe treiben könnte. Der letzte Artikel erwähnt übrigens, dass die Bundesregierung die vorhandenen EU-Mittel zur Förderung solcher Massnahmen nicht anzapft - warum auch immer der größte EU-Nettozahler sich sein Geld nicht zurückholen sollte. Umso mehr verbietet es sich, die Kosten und andere - auch architektonisch-gestalterische - Nachteile der Bevölkerung aufzubürden.

    Einmal editiert, zuletzt von Le-Wel () aus folgendem Grund: + 1 Link

  • Zu welchen kuriosen Blüten solche Dogmen, abgesehen vom wirtschaftlichen Aspekt der Betriebskosten, dann führen können zeigt der Beschluss der Stadtverordneten von Frankfurt am Main, ...


    Krematorium und Mensa sind klassische Beispiele für die relativ leichte Umsetzung des Passivhausstandards, da hier viel Abwärme entsteht, die man nutzen kann. Da braucht´s dann keine Fenster mehr.


    Passivhausstandard bedeutet ausserdem nicht unbedingt, nachträglich zu dämmen, sondern auch vernünftig zu heizen: das ist natürlich auch im Altbau möglich! Mit intelligenten Konzepten muß man gleichzeitig die Fassaden erhalten und den (Primär-)energieverbrauch senken.
    Und die Sondermüllfassaden in Form von WDVS mit fungiziden Anstrichen sind doch auch nur eine baukonstruktive Momentaufnahme.


    Ich mag zudem mal über meinen Berufsstand behaupten, daß das bei Architekten oft zu einem "Riesenkonflikt" führt, weil sie immernoch planerisch oft im dunkeln tappen.


    edit: der FAZ Artikel ist recht oberflächlich, und leider haben auch die schätzenswerten Schneider & Schumacher nicht wirklich begriffen, worum es geht. Folgerichtig wird intelligente Energieplanung auch von Fachplanern und nicht von Architekten erledigt.

    Einmal editiert, zuletzt von k-roy ()

  • Meine Wohnung wird noch in erster Linie mit einem Heizungsrohr von 1931 versorgt, das von Block zu Block verläuft und Ausläufer in alle Wohnungen schickt. Ich weiß, dass das subjektiv und recht unqualifiziert ist - aber ich sage mal: Im letzten Winter, der bekanntlich ein recht harter Winter war, hat das fast immer ausgereicht (ein zweiter Heizkörper brauchte kaum in Anspruch genommen zu werden); dies, obwohl die Wände recht dünn sind (ein eher experimentelles Material u. a. mit Stroh) und keine neuere Dämmung aufweisen.
    Dazu trägt sicher auch bei, dass die Decken recht niedrig sind und ein richtiger Flur ersetzt ist durch einen in jeder Wohnung zentralen Durchgangsraum (der außer der Küche, in der jenes Rohr eine 'Schleife' macht, als einziger beheizt ist).
    Ich zweifle oft an dem Fortschritt des Erkenntnisstands in Sachen Energiesparen und frage mich, oft gewisse Ansprüche (z. B. freakige Berliner Höhe + dicker Flur + auch im Winter beheizter Wintergarten) nicht mal hinterfragt werden sollten, .... und bemitleide außerdem die Bewohner eines sanierten Teils meiner Siedlung (Haesler, Neues Bauen, Ende 20er), auf dessen neuer Styropor-und-Putz-Bedeckung sich etwas Schimmelähnliches abzuzeichnen beginnt.

  • Na ja. Gut formuliert mag der Artikel wohl sein. Es reiben sich die mit gesundem Halbwissen ausgestatteten Feuilletonisten natürlich die Hände, wenn man so schön polemisch über den Untergang von Ästhetik und Baukultur wettern kann. Da spannt man den Bogen gerne gleich noch weiter über vermeintliche Billigmaterialien, schlechtes Handwerk, miese Lobbyisten und gemeine Öko-Krieger. Wenn allerdings im Zusammenhang mit luftdichten Gebäuden den Deutschen ein pathologischer Hang zu Abschottung und Käseglockenideologie attestiert wird, wäre der Artikel wohl besser unter der Rubrik "Glosse" aufgehoben.


    Als streitbarer Denkanstoß mit Augenzwinkern durchaus ok. Das Thema ist allerdings ein bisschen komplexer, als die Autoren gerne wahr haben wollen. Auch ist mir nicht ganz klar, was deren Befürchtung ist. Die eingangs beschriebene Vision von Rafael Horzon mit der weiß-verschalten Paneel-Welt? Das ist doch unsinnig. Auch dem verbohrtesten Öko-Politiker dürfte klar sein, dass man z.B. gründerzeitliche Stadtteile nicht mit simpler Außendämmung verkleistern kann. Da muss der Fokus dann auf Fenstern, Dichtigkeit und natürlich Heizung und Gebäudetechnik liegen.


    Grenzfälle und negative Beispiele wird es natürlich immer geben. Derweil, was schlagen die Autoren denn als Alternative vor? Gar nichts tun? Den grauen, energiefressenden Wohnklotz aus den Sechzigern in Würde altern lassen? Bewohner hübscher Jugendstil-Villen steuerlich begünstigen, damit sie sich auch künftig die Heizung leisten können? Denn genau da liegt doch der Knackpunkt, bei den immer weiter steigenden Energiekosten. Möge man doch mehr in diese Richtung polemisieren, bevor über die "Burka fürs Haus" gezetert wird.

  • Was ich von dem Artikel mitgenommen habe, ist die Kritik an unreflektiertem Befolgen der aktuellen Passivhaus-/Dämmungs-Standards und ein Plädoyer für alternative Energiemaßnahmen, die vielleicht "nachhaltiger" sind (, die sie aber nicht benennen).


    Man kann es auch so sehen: Zwei Architekten fühlen sich bevormundet und würden von den Bauherren gerne ihre schöpferische Kompetenz zurückholen. Das tun sie auf eine pointierte, polemische Weise.

  • Den Artikel sehe ich als scharfe und gelungene Satire.



    Der Fairness halber sei erwähnt, dass so manches Haus nach der Dämmung deutlich besser aussieht als vorher.

  • dass so manches Haus nach der Dämmung deutlich besser aussieht als vorher.

    Ja, in einigen Fällen, zum Beispiel in diesem, jedenfalls was das Stadtschloss betrifft:

    Rafael Horzon schlug bereits 2002 vor, ganz Berlin - inklusive Stadtschloss - hinter Paneelen verschwinden zu lassen

  • Vielleicht nutzt ein findiger Tapetenmeister die Gunst der Stunde und entwickelt eine dämmende Tapete, die dann in Innenräumen verwendet werden kann. Technisch machbar wärs bestimmt.

  • Durch Wärmedämmung im Inneren würde das Kondenswasser die Wand beschädigen.


    zum Beispiel in diesem, jedenfalls was das Stadtschloss betrifft


    Die Andeutung der Umrisse des Stadtschlosses wäre bestimmt besser als der leere Platz ohne Aussichten auf die Finanzierung des Wiederaufbaus. Das hat jedoch mit dem Thema nichts zu tun. Sollte jemals zum Wiederaufbau kommen, wird man hoffentlich moderne Dämmung zwischen dem Mauerwerk und dem Stuckdekor der Außenfassade verbauen.

  • Durch Wärmedämmung im Inneren würde das Kondenswasser die Wand beschädigen.


    Grundsätzlich ja, aber wenn man die Dämmstärke richtig auslegt, kann auch eine Innendämmung funktionieren.

  • Bei Altbausanierungen

    kann der Stuck abgenommen werden,anschliessend die Dämmung und zumn Schluss der Stuck wieder angebracht werden,so er beim abnehmen nicht beschädigt wurde.
    Bei Fachwerkbauten wird es problematischer.Bei den Franckischen Stiftungen in Halle hat man über der Dämmung ein "Fachwerk" vorgeblendet.


    Meine persönliche Meinung.Denkmalschutz geht vor Dämmung.
    Die Energieeinsparungen durch Dämmung sind häufig Milchmädchenrechnungen.Denn sie berücksichtigen nicht individuelle Gewohnheiten,wie das Schlafen bei geöffeten Fenster,die Lüftung von Nasszellen usw.Und z.B.Raucher müssen häufiger lüften.

  • Ich finde auch, dass Denkmalschutz vor Öko gehen sollte.
    Leider wird Öko-/Klima einfach oft über alle anderen Ziele gestellt. Das ist nicht angebracht. Es gibt ja nicht so viele Objekte unter Denkmalschutz. Die Dämmung solcher Gebäude macht somit in der Summe nicht viel aus. Der Verlust an Kulturgut würde wesentlich schwerer wiegen als ein wenig mehr CO2!

  • In Venedig hat man den Großteil der Gebäude längst von außen mit einigen Zentimetern Wärmedämmputz (zugegeben nicht WDVS) gedämmt, und das hat das Stadtbild sogar in großen Teilen verschönert. Man schaue sich mal dieses Foto an, da kann man ganz gut sehen, dass die "farbigen" Gebäude im oberen Teil ein wenig "dicker" sind, als die unsanierten. Zusammen mit den neuen Fenstern, und den Fensterläden hat man da schon ein Gutteil der Energie gespart, ohne das irgendetwas schlechter geworden wäre. Funktioniert natürlich nicht beim sterbensschönen deutschen Gründerzeitler.

  • Gerade habe ich die Printausgabe der Frankfurter Allgemeinen vom 3. Dezember vor Augen. Auf Seite 37 (im Teil Immobilienmarkt) schreibt Rolf Kornemann in Klimapolitik mit Augenmaß, dass die ursprüngliche Fassung der Gesetze eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Mieten bedeuten könnte. Solche Mieten seien jedoch auf dem Markt nicht durchsetzbar und auch angesichts der langsamen Wirtschaftsentwicklung nicht finanzierbar. Der Bundesbauminister habe die Pläne als enteignungsähnlich bezeichnet. Die anderen EU-Staaten hätten bewusst bescheidenere Klimaziele gewählt. Die Belange des Denkmalschutzes seien zu beachten.


    Daher wurde der Gesetzesentwurf überarbeitet - die Zwangssanierung durch Freiwilligkeit unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit ersetzt. Es würde nicht schaden, auch noch die Berücksichtigung des Denkmalschutzes explizit zu erwähnen.

  • Grandios finde ich ja, wie wir uns hier verarschen lassen. Europa wird hinter drei Metern Styropor verpackt, während dutzende Millionen Amerikaner weiter in besseren Blockhütten sitzen und nahezu zum Nulltarif heizen können, von den Spritpreisen für die 20 Liter-Karossen noch ganz abgesehen. China inklusive.


    Beim Klimaschutz wird hier eine Spirale ähnlich dem Kapitalismus in Gang gesetzt, wo es in nicht allzu naher Zukunft wohl absurd wird. Wenn ganz Europa vermummt und isoliert ist, aber die Polkappen weiter schmelzen, was kommt dann? Großgerätezwangsregistrierung und Plasmafernsehersteuer? Wir Europäer gehen seit 20 Jahren mit gutem Beispiel voran, hat das irgendwelche Nachahmer im fernen Osten oder Westen gefunden? Nö. Aber bloß nicht da etwas unternehmen, wo 1,5 Milliarden Menschen nahezu 50 % der Treibhausgase in die Luft blasen...


    Und auch wenn man mich als Verschwörungstheoretiker abtun mag , aber das Ganze wirkt doch nebenbei wie feinste Lobbypolitik à la Hotelsteuererlass, nur halt diesmal für die Baubranche. Aber etwas subtiler und mit vermeintlich hehren Ziel.

  • Leider haben wir über kurz oder lang keine andere Wahl, als weniger Öl und Gas zu verbrauchen. Einfach, weil die Vorräte endlich sind.
    Neben dem Energiesparen muss man also auch nach neuen Energiequellen suchen. In geeigneten Regionen (Norddeutsche Tiefebene) kann das z.B. die Geothermie sein.
    Atomkraft will ja auch keiner haben, also was soll man tun?


    Bei den hier diskutierten Gründerzeit-Altbauten ist es übrigens sehr oft so, dass sie aus zweischaligem Mauerwerk bestehen. Das kann man durch Einblasen von Dämmstoffen auf einen besseren K-Wert bringen. Nicht so gut wie 20cm Styropor, aber doch eine merkliche Verbesserung!

  • Anmerken möchte ich noch:
    Ich habe den Eindruck, dass man hier heutzutage anspruchsvoller ist, was Wärme betrifft, als zu früheren Zeiten. Frei nach Sarrazin: Man kann sich auch dicker anziehen (nicht nur als ALG2-Empfänger), anstatt auch im Winter im T-Shirt in der Wohnung herumzulaufen, und dann braucht man keine 21°C in der Wohnung, die, auch um Schimmel zu verhindern, nicht nötig sind.