Frag das Leipzig-Forum

  • 1. Wie kann es sein, dass die fünft größte deutsche Stadt des Dritten Reiches (Wien mal ausgeschlossen) so verschont wurde (im Vergleich zu Köln, Frankfurt u. Hamburg)?


    "Verschont" ist relativ. Aufgrund der Lage war Leipzig länger vor Luftangriffen sicher als westlicher gelegene Städte und wurde später und wohl auch weniger intensiv bombardiert als diese. Wobei es auch etwas von den Zahlen abhängt, die man heranzieht. Laut der verlinkten Grafik soll es etwa 20 Prozent Wohnungstotalzerstörungen gegeben haben. Der Wiki-Artikel zu Leipzig nennt Zahlen für den zerstörten und zusätzlich auch für den schwer beschädigten Wohnraum - kombiniert soll das 40 Prozent der Wohnungen betroffen haben.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Leipzig

  • Leipzig hatte das "Glück", dass die Luftangriffe weniger konzentriert und nicht mit der Präzision erfolgten wie in Dresden oder Magdeburg. Der Dresdner Angriff gilt nicht umsonst als "perfekt" inszeniert.


    Wie kommt es, dass die Stadt kein wirkliches Aushängeschild hat?


    Ich denke, diese Wahrnehmung hat wesentlich mit der deutschen Teilung zu tun. Leipzig hat viele Alleinstellungsmerkmale nach 1945 leider verloren. Den Status als Stadt der Bücher und Verlage, die Deutsche Bücherei bzw. Nationalbibliothek ist heute auf Frankfurt und Leipzig verteilt, prominente Verlage mit Ursprung in der Stadt sind abgewandert. Andere Messestandorte wie Hannover, Köln und Frankfurt haben der ehemaligen "Reichsmessestadt" den Rang abgelaufen. Auch im Verkehr hatte die Teilung einen großen Bedeutungsverlust zur Folge, interessantererweise wieder zugunsten Frankfurts.
    Aber ich denke dennoch, dass den meisten zu Leipzig einiges spontan einfällt. Sei es das Völkerschlachtdenkmal, der Haubtbahnhof, die Musik, Bach, Auerbachs Keller etc. Wobei ich es nicht verwunderlich finde, dass insbesondere im Westen während der Teilung wenig Interesse an der Heimatstadt Ulbrichts bestand und einiges an abrufbarem Allgemeinwissen verloren gegangen ist.

    Einmal editiert, zuletzt von Saxonia ()

  • Hinzu kommt m.E., dass sich die gründerzeitliche Bausubstanz im Bombenhagel als robuster erwies und Leipzig von sozialistischen Umbauplänen, bei denen nach dem Krieg massiv abgerissen wurde und historische Stadtgrundrisse zum Teil ganz verschwanden, vergleichsweise verschont geblieben ist. Im Prinzip setzte der Massenabriss und der Bau von Plattenbauwohnungen in Leipzigs Kernstadt erst Ende der 80er-Jahre ein, als viele Altbauten dem totalen Verfall preisgegeben waren und die zunehmend in Bedrängnis geratene Staatsführung merkte, dass ihr selbst auferlegtes Wohnungsbauprogramm die Wohnungsnot bis 1990 nicht lindern würde. Die Wende kam da gerade noch rechtzeitig, sonst sähe das Barfußgässchen heute wohl so oder so ähnlich aus oder das Waldstraßenviertel heute in etwa so hier.




    Zitat von Askan

    Meine Mutter (z.B.) kann sich ganz gut etwas unter Namen wie Dresden, München und Ko vorstellen, doch unter Leipzig gar nichts.


    Das liegt aber nicht an Leipzig, aber ich verstehe schon, was du sagen willst. Leipzig hat zwar m.E. viele gute Aushängeschilder, aber die spielen vom Bekanntheitsgrad her mindestens eine Liga unter denen von Dresden oder München oder auch Köln mit seinem Dom. Von daher gut, dass die Stadt in Sachen Tourismus frühzeitig auf das Messe- und Kongressgeschäft gesetzt hat, denn da sind auch künftig die meisten Zuwächse zu erwarten.

  • Wobei in Dresden die linkselbische gründerzeitliche Blockrandbebauung gleichermaßen fast vollständig zerstört wurde. Insofern ist der bessere Erhalt in Leipzig wohl dem Fehlen eines ausgedehnten Feuersturms geschuldet. Die Zerstörung in Dresden war ja auch deshalb so verheerend, weil sich mehrere Feuerstürme zu vereinigen suchten und dabei einen unheimlich Sog erzeugten, der das Feuer nur noch weiter anheizte. Bei einem gleichen Szenario wäre bspw. von der ebenfalls schwer bombardierten Leipziger Südvorstadt ähnlich viel übrig geblieben wie von der Dresdner Johannstadt, so gut wie nichts.

  • eine sehr detaillierte Übersicht der 50 oder 51 Bombardierungen Leipzigs steht in der blauen Straßenbahn-Chronik "Vom Zweispänner zur Stadtbahn" von 1995. Sehr penibel sind die Verläufe und Auswirkungen beschrieben. Die Verkehrsanlagen der Reichsbahn waren vordringliches Ziel. 1944 gelang es auch "endlich", den großen Hbf zu treffen. Den Wahrener Viadukt hingegen haben selbst die Tiefflieger 1945 verfehlt.


    Die Rüstungsindustrie war immens. Erla-Werke (Flughafen Mockau), Heiterblick (HASAG und Heinkel, mitsamt KZs), Taucha/Portitz (MIMO, ebenfalls mit KZs, das alte Messegelände (Heinkel) und Wolfswinkel sowie Plagwitz waren Schwerpunktzentren. Als an der Angerbrücke die Amerikaner "standen", wurde in Heiterblick die Tageshöchstproduktion Panzerfäuster hergestellt, anschließend das Werk demontiert und in den Raum Muldental evakuiert. Der Rbf Engelsdorf wurde zerstört, der Rbf Wahren ebenso.


    Es gab mal die Aussage (Quelle ist mir unbekannt), dass 1945 - 1990 mehr Ruinen durch Nichtstun entstanden als die Bombardierungen verursachten.



    Das fehlende Bekanntsein traf die gesamte SBZ, für die Schüler in den gebrauchten Ländern war das terra inkognita auf der Landkarte und im Bewusstsein.


    Weltweit ist Leipzig durch Buch und Musik (Johann Sebastian Bach) bekannt. DAS zieht mehr als Völkerschlachtdenkmal oder Messe. Baulich fehlt halt ein Marker wie der Eiffelturm oder das Brandenburger Tor.


  • Meine Oma hat mir erzählt das sie eine Stabbrandbombe selbst vom Dachstuhl entfernt hat, dadurch nur ein kleines Loch im Dach blieb.


    Ich hatte vor Jahren in einer Wohnung der Südvorstadt gewohnt. Im Dachboden und in einem Zimmer der Wohnung im vierten Obergeschoß waren Ofenbleche auf die Dielen geschraubt und damit die Löcher, die eine Stabbrandbombe hinterlassen hat, abgedeckt.


    Wenn man, gerade in der Südvorstadt, genauer hinsieht, erkennt man immer noch die Bombenschäden. Der Unterschied zu Dresden ist, dass man in Dresden den Bau der neuen, sozialistischen Stadt energisch vorrangetrieben hat. Aus heutiger Sicht ist es unverständlich, warum die Altstadt von der Elbe bis zum Hauptbahnhof derart radikal leer geräumt wurde. Dadurch wurde die Stadtstruktur in diesem Bereich ausgelöscht.



    Ansonsten gibt es immer wieder Besucher Leipzigs, die das Thema aufgreifen und das Fehlen von echten Highlights in Leipzig ansprechen.

  • Erstmals: Ich weiß, dass ich hier viel zitiere. Ich weiß, dass das eigentlich nicht wirklich gern gesehen wird, aber wir befinden uns in einem Unterforum und nicht in den Hauptthemen. Daher würde ich es begrüßen wenn meine Antwort hier nicht gelöscht wird.

    ^


    2. Zu irgendeinem Zeitpunkt lebten einfach mehr Menschen in Dresden als in Leipzig oder wie darf ich deine Frage verstehen :D?


    3. Wenn ich an Leipzig denke, fallen mir da als erstes das Bundesverwaltungsgericht (Dieselgate :lach:), das Rathaus, das Hochhaus beim HBF, die Thomas Kirche, das BMW Werk ...


    Zu 2.
    Leipzig war (vor dem Krieg u. auch deutlich danach) größer als Dresden und hatte nur die Hälfte an Wohnraum verloren, dennoch entwickelte sich Dresden dann zur größeren Stadt. Ich habe da bereits im Hamburg Forum die These aufgestellt, dass der hohe Bestand an Altbauten vielleicht der Knackpunkt gewesen sein könnte - einfach zu anspruchvoll in der Pflege = Sukzessiver Wegfall von beziehbarem Wohnraum. Könnte das Sinn machen? Mir geht es darum diese Fragen zu erörtern :).


    Zu 3.
    Ich persönlich, als an Städtebau/Geschichte/Architektur interessierter Mensch, kann mir natürlich einiges unter Leipzig vorstellen. Das Völkerschlachtdenkmal, das Reichsgericht, das Rathaus, den Augustusplatz, der hohe Bestand an Altbauwohnungen... Doch der Normalo, der nicht täglich ins DAF schaut, bei dem sieht es anders aus (wage ich mal zu behaupten). Hier wäre eine Studie natürlich wunderbar, doch bis dahin kann man halt nur mit persönlichen Beobachtungen argumentieren. Aber! Jede Großstadt hätte sehr schöne Gründerzeitviertel gehabt, auch Hamburg, schau hier und hier und hier - wenn diese nicht zerbombt wurden wären. Das besondere an Leipzigs Gründerzeitvierteln ist, dass diese nicht,wie in anderen Städten, vollständig zerstört wurden. Ich bin auf der Suche nach Leipzigs ''Kölner Dom'', nach Leipzigs ''Balkon Europas'', nach Leipzigs ''größten Hafen des Landes'' :D


    Ein Alleinstellungsmerkmal, dass nicht darauf beruht, dass andere Städte zerbombt wurden.


    Leipzig wurde im Krieg nicht verschont, die Tonnage an Bomben war sogar wesentlich höher als die auf Dresden abgeworfene Bombenlast. (siehe Wikipedia bombardierung deutscher staedte).

    Zuerst einmal meinte ich verschont im Vergleich zu anderen Städten. Die Stadt wurde nicht verschont, sondern die Angriffe waren einfach (durch verschiedenen Faktoren) vergleichsweise extremst ineffektiv.


    "Verschont" ist relativ. Aufgrund der Lage war Leipzig länger vor Luftangriffen sicher als westlicher gelegene Städte und wurde später und wohl auch weniger intensiv bombardiert als diese. Wobei es auch etwas von den Zahlen abhängt, die man heranzieht. Laut der verlinkten Grafik soll es etwa 20 Prozent Wohnungstotalzerstörungen gegeben haben. Der Wiki-Artikel zu Leipzig nennt Zahlen für den zerstörten und zusätzlich auch für den schwer beschädigten Wohnraum - kombiniert soll das 40 Prozent der Wohnungen betroffen haben.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Leipzig


    Exakt, mir ging es um Leipzig im Vergleich zu anderen Großstädten, also relativ :daumen: Wenn du für Leipzig diese Zahlen kombinierst, musst du das auch für andere Städte tuen. Die 40% sehen natürlich böser aus, als die 20%. Doch wenn man sich Studien und auch Trümmermengen anguckt, dann wird man definitiv feststellen, dass Leipzig von großer Zerstörung (relativ gesehen) sehr glimpflich davon gekommen ist. Schau dazu mal hier rein, von Volker Bode, der heutzutage selbst in Leipzig tätig ist.

    auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland überstanden lediglich Lübeck, Wiesbaden, Halle und Erfurt den Zweiten Weltkrieg mit relativ geringen Schäden. Zwar verzeichneten auch Gelsenkirchen, Solingen, Bielefeld und Leipzig annähernd gleiche Wohnungszerstörungsraten, doch war das Ausmaß der Zerstörungen in den Innenstädten beträchtlich größer. In der Rangfolge der prozentualen Wohnungsverluste steht Würzburg mit 75 % in der entsprechenden Schadensstatistik an der Spitze (HOHN 1991), gefolgt von Dessau, Kassel, Mainz und Hamburg.



    Leipzig hat viele Alleinstellungsmerkmale nach 1945 leider verloren. Den Status als Stadt der Bücher und Verlage, die Deutsche Bücherei bzw. Nationalbibliothek ist heute auf Frankfurt und Leipzig verteilt, prominente Verlage mit Ursprung in der Stadt sind abgewandert. Andere Messestandorte wie Hannover, Köln und Frankfurt haben der ehemaligen "Reichsmessestadt" den Rang abgelaufen. Auch im Verkehr hatte die Teilung einen großen Bedeutungsverlust zur Folge, interessantererweise wieder zugunsten Frankfurts.

    Das stimmt. Da lohnt sich auch mal ein Blick in die größten Messen Deutschlands, in denen Hannover, Frankfurt und andere Städte teilweise weit vor Leipzig liegen.

    Aber ich denke dennoch, dass den meisten zu Leipzig einiges spontan einfällt. Sei es das Völkerschlachtdenkmal, der Haubtbahnhof, die Musik, Bach, Auerbachs Keller etc. Wobei ich es nicht verwunderlich finde, dass insbesondere im Westen während der Teilung wenig Interesse an der Heimatstadt Ulbrichts bestand und einiges an abrufbarem Allgemeinwissen verloren gegangen ist.

    Das Denkmal ist wirklich einzigartig und für viele bestimmt ein Besuch wert. Ob ich das zum Bahnhof sagen würde... Halte ich mich vage. Größter Kopfbahnhof Europas und nettes Sandstein-Interior , aber ob das wirklich attraktiv für den normalen Touristen ist, darüber lässt sich wohl streiten. Ich gebe dir natürlich Recht, dass Städte auch durch Kultur und Persönlichkeiten Bekanntheit erlangen (Hamburg mit Brahms und auch Ballin, bzw. Hamburgs Rolle in der Emigration in die USA im 19. Jahrhundert usw.). Doch ich würde gerne auf der Ebene des Städtebaus bleiben (z.B. Hamburgs UNESCO Welterbe Kontorhausviertel und Speicherstadt).

    Baulich fehlt halt ein Marker wie der Eiffelturm oder das Brandenburger Tor.

    Ja gut, wenn dies niemand bestreitet, dann hat sich hier eine Frage erübrigt. Eine andere wirft es aber auf. Warum? Warum fehlt der einstig fünft größten Stadt Deutschlands so ein Marker? Vielleicht weil das sächsische Adelsgeschlecht einfach Leipzig so etwas nicht ''gegönnt'' haben?

  • ^
    Eher weil der Leipziger Rat nicht wollte.


    ...Sein Enkel August der Starke focht später diesen Handel an und warf dem Leipziger Rat vor, sich den Vertrag erschlichen zu haben. Der Rat musste daraufhin ab Ende November 1707 mit der Umgestaltung des Rosentals nach einem Plan von Johann Christoph von Naumann beginnen. Die große Wiese und dreizehn strahlenförmige, meist weglose Sichtschneisen (heute noch sechs sichtbar) wurden ins Rosental geschlagen. Die Schneisen waren auf interessante Punkte in der Umgebung ausgerichtet. In ihrem Schnittpunkt sah der Plan außerdem eine aufwendige elfachsige Schlossanlage vor. Da die Finanzierung der Bauten jedoch aus der Kasse der Stadt Leipzig kommen sollte, versuchte der Rat, deren Errichtung mit dem Verweis auf sommerliche Mückenplagen, regelmäßige Überschwemmungen und die vermeintliche Bedrohung durch Räuberbanden zu verhindern. Letzten Endes wurde nur ein hölzerner Aussichtsturm errichtet...


    Quelle: WIKIPEDIA



    Immer wieder haben die Wettiner versucht, Leipzig zu zähmen:


    Romanus stand offenbar dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. persönlich sehr nahe, und seine Wahl zum Leipziger Bürgermeister am 22. August 1701 wurde vom Kurfürsten gegenüber dem Leipziger Rat durchgesetzt.


    Quelle: WIKIPEDIA

  • kein Wahrzeichen

    ein bisschen trifft diese Aussage das schon den Kern, Leipzig ist keine Residenzstadt, sondern war immer eine "Bürgerstadt". Das äußert sich natürlich im Fehlen repräsentativer Bauten, wie Schlösser, Hofkirchen oder für den Sitz kirchlicher Herren eines Domes. Vornehmlich gab es also die reich geschmückten Häuser, der auch schon früher aus vielen Ländern ansässigen Händler. (Pelzhandel mit dem Osten) Dementsprechend sind auch die Highlights der städtischen Gesellschaft auf bürgerlichem Niveau, man leistete sich halt gute Musik und eine wenig Bildung, auch wenn sich Stadt und Uni nicht immer grün waren. Als bauliches Highlight könnte man heutzutage auch den Neubau der Uni mit Paulinum bezeichnen, immerhin hatte die Uni als als Ausgründung der Prager Uni einen sehr guten Ruf.

    Einmal editiert, zuletzt von betonbrille () aus folgendem Grund: rechtschrei

  • Sowohl Völkerschlachtdenkmal als auch Neues Rathaus (mit dem höchsten Rathausturm im Land) sind meines Erachtens schon unverwechselbare architektonische Wahrzeichen. Im modernen Bereich genauso der Uni-Riese oder das Wintergartenhochhaus. Wenn ich an andere Städte der Größenordnung wie Stuttgart oder Düsseldorf denke hab ich hingegen nicht sofort ein Gebäude vorm geistigen Auge. In Hannover am ehesten das Neue Rathaus.
    Aber sowas ist höchst subjektiv. Einige Schwaben und Rheinländer schlagen da wahrscheinlich die Hände überm Kopf zusammen. Generelles Interesse für eine Stadt bzw. Region braucht man immer.

  • Ich bin auf der Suche nach Leipzigs ''Kölner Dom'', nach Leipzigs ''Balkon Europas'', nach Leipzigs ''größten Hafen des Landes'' :D


    Ein Alleinstellungsmerkmal, dass nicht darauf beruht, dass andere Städte zerbombt wurden.


    Der leipzigtypische Hang zu Superlativen, der auch heute noch im Selbstverständnis vorhanden ist gründet sich aus der ehemaligen Bedeutung der Stadt vor dem Krieg. Einige Sachen wurden hier ja bereits genannt. Die Stadt war (neben Chemnitz) die reichste Stadt Deutschlands, die Uni gehörte zu den besten in Europa (Stichwort „Pleiß-Athen“), neben New York und London war man die bedeutendste Messestadt der Welt, nach Berlin Verkehrsknotenpunkt usw.usf. Die Zeit um die Jahrhunderwende waren Jahre der Selbstfeier als stadtbildprägende Gebäude wie das Neue Rathaus, der Hauptbahnhof, das Völkerschlachtdenkmal und die Messepaläste der Innenstadt entstanden – diese Bauwerke waren im Selbstverständnis der Bürgerschaft der von Dir angesprochene „Kölner Dom“, der „Balkon Europas“ oder der „größte Hafen des Landes“. Leipzigs Infrastruktur wurde auf die Entwicklung einer zukünftigen Millionstadt hin ausgerichtet. Der erste WK wirkte nur wie eine kurze Unterbrechung der Entwicklung – in den 20ern war man die einzige dt. Stadt die wieder intensive Außenhandelsbeziehungen in die USA pflegte, erste konkretere Hochhauspläne wurden entwickelt, der Plan einer „Ringcity“ vorgestellt welcher den kompletten Innenstadtring überformt hätte. Um mal ein Beispiel zu geben in welchen Dimensionen man damals dachte hier die Planung für einen „Zentralen-Welthandelspalast“ inkl. Untergrundbahnhof und einer bebauten Fläche von 25.000 qm:




    Aus: Leipzig-Visionen gestern und heute http://shop.edition-sx.de/leipzig-visionen/


    Nach dem zweiten WK erfolgte dann wie bekannt ein immenser Bedeutungsverlust von dem andere dt. Metropolen wie Hannover, Stuttgart und Frankfurt profitierten. Das man seit einigen Jahren wieder einen gewissen Aufschwung erlebt (man spricht schon von einer neuen „Gründerzeit“) ist natürlich auch dem Umstand geschuldet, dass man von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau gestartet ist. Es klang hier (oder in einem anderen Forum) vor kurzem schon mal an aber Leipzig lebt momentan von sog. „Verstärkern“ - in der Stadt herrscht allgemein eine positive Grundstimmung, die Einwohnerzahl wächst relativ stark zugleich entwickeln sich die Arbeitsmarktdaten in die richtige Richtung. Um auf Deine Ausgangsfrage zurückzukommen was die Stadt baulich denn besonderes vorzuweisen hätte damit auch Otto und Lieschen Müller sich dafür interessieren würde ich zum einen antworten, dass die eigentlich besonderen Schätze der Stadt immateriell sind und zum anderen den Worten von Forumsmitglied Stahlbauer folgen, der meinte, dass die Stadt eher weniger für Ottonormaltourist sondern eher für seine Einwohner gemacht ist.

  • ^ Dem würde ich zustimmen. Leipzigs Kölner Dom, Eiffelturm, größter Hafen der Welt existiert nicht in Stein, Metall oder Beton. Woraus er wirklich besteht, ist schwer zu fassen - ich würde es mit Geist und Atmosphäre in der Stadt bezeichnen. Das führt dazu, dass die meisten Besucher wiederkommen - und gar nicht so wenige bleiben gleich hier.

  • Sowohl Völkerschlachtdenkmal als auch Neues Rathaus (mit dem höchsten Rathausturm im Land) sind meines Erachtens schon unverwechselbare architektonische Wahrzeichen. Im modernen Bereich genauso der Uni-Riese oder das Wintergartenhochhaus. Wenn ich an andere Städte der Größenordnung wie Stuttgart oder Düsseldorf denke hab ich hingegen nicht sofort ein Gebäude vorm geistigen Auge.


    Ich finde auch, dass das Denkmal und das Rathaus einmalig sind. Meiner Erfahrung nach ist das Denkmal auch gar nicht mal so unbekannt. Das Rathaus hingegen, ist soweit ich das wahrnehmen konnte, nicht wirklich bekannt. Liegt vielleicht auch an der fehlenden Symmetrie, bzw. der schwer ausfindig zu machenden Hauptansichtsseite. Oder doch so? Beim Hamburger Rathaus ist das etwas eindeutiger, der Rathausmarkt ist auch zumeist stark besucht . Zumindest bei schönem Wetter :lach: Was die Moderne angeht, nun gut trifft meinen Geschmack überhaupt nicht. Wenn ich knapp 150 meter graue Fläche mit Löchern sehen will, dann gucke ich mir ne Autobahn an, die raubt mir auch wenigstens nicht die Sonne :D. Aber der Unibau hat durchaus seine Fans! Kann ich gut nachvollziehen. Gute Frage wie bekannt das Stuttgarter Schloss ist, Düsseldorf hingegen hat auch kein wirkliches bekanntes Wahrzeichen. Höchstens ist der Medienhafen als Quartier nicht ganz unbekannt, aber dafür lege ich meine Hand nicht ins Feuer! Wenn wir uns auf Vorkriegsarchitektur konzentrieren, dann würde ein Vergleich sowieso schwer seien, da Leipzig in einer anderen, höheren Liga spielte (fast ne viertel Million mehr Einwohner).

    Leipzigs Infrastruktur wurde auf die Entwicklung einer zukünftigen Millionstadt hin ausgerichtet.

    Erstmals danke für deine Antwort, interessant. In wie weit wurde die Infrastruktur denn ausgebaut? Wurde dies konsequent vorangetrieben?

    ^ Dem würde ich zustimmen. Leipzigs Kölner Dom, Eiffelturm, größter Hafen der Welt existiert nicht in Stein, Metall oder Beton. Woraus er wirklich besteht, ist schwer zu fassen - ich würde es mit Geist und Atmosphäre in der Stadt bezeichnen. Das führt dazu, dass die meisten Besucher wiederkommen - und gar nicht so wenige bleiben gleich hier.


    Gutes Schlusswort zu einer meiner anfangs gestellten Frage, denke ich. Wenn ich mal in Leipzig bin, dann werde ich versuchen diesen Geist möglichst umfangend einzufangen :).

  • Zitat von Stahlbauer

    Ansonsten gibt es immer wieder Besucher Leipzigs, die das Thema aufgreifen und das Fehlen von echten Highlights in Leipzig ansprechen.


    Gerade das Graphische Viertel wirkt immer noch sehr gründerzeitlich und in einigen Teilen intakt, obwohl über zwei Drittel im Krieg (und danach) vernichtet worden ist und in den letzten Jahren der DDR noch ein paar Plattenbauten z.B. im Seeburgstraßenviertel hingepflanzt worden sind. Jeder Lückenbau, der hier entsteht, steigert die Attraktivität immens, eben weil hier auf historischem Stadtgrundriss gebaut wird. Der Fokus im Forum von Stadtbild Deutschland beschränkt sich viel zu sehr auf die Fassadengestaltung, meiner Meinung nach.


    Und weil ich "drüben" auch mal wieder gelesen habe: Was Wieland Zumpe alias Dr. Mises alias Sohn von Karl Zumpe im Thread Was Leipzig NICHT braucht! (warum eigentlich nur 1 Ausrufezeichen?) verfasst, hat mit konstruktiver Kritik am Städtebau wahrlich wenig zu tun. Nichts gegen streitbare, unbequeme Geister, aber dieses ständige Stasigeplänkel ist die Meinung eines verbitterten (alten) Menschen, der wie schon beim Thema Paulinerkirche weit übers Ziel hinausschießt. Kann man nicht ernst nehmen und zum Glück entscheiden auch nicht einzelne Personen, was Leipzig braucht und was nicht.

  • Erstmals danke für deine Antwort, interessant. In wie weit wurde die Infrastruktur denn ausgebaut? Wurde dies konsequent vorangetrieben?


    Mit Infrastruktur sind die gesamten baulichen Maßnahmen gemeint also Kanalisation, Krankenhäuser, Verkehrsbauten, Verwaltungsgebäude usw. Hier hat man die Stadt vorausplanend ausgerichtet, so dass man heutzutage den Eindruck hat (zumindest geht es mir so), dass die Stadt größer ist als es die Einwohnerzahl aussagt (Bremen z.B. mit ähnlicher Einwohnerzahl wirkt deutlich kleiner obwohl das Zentrum viel stärker frequentiert erscheint). Liegt in Leipzig wahrscheinlich an den Monumentalbauten und den größer anmutenden (Verkehrs)Räumen im Kernbereich.



    Cowboy
    Der von Dir angesprochene thread im APH zeigt es mal wieder deutlich - egal wieviele postings – der Mann findet immer noch Motive um Leipzig mit blassfarbigen Bildern, die nach postsowjetischer Industriestadt aussehen, noch eine Spur hässlicher darstellen zu können. Ich empfehle als nächstes einfach einen Haufen zusammengekehrten Unrat neben einer Mülltonne abzulichten um zu zeigen wie verkommen doch diese Stadt angeblich ist.

  • Auffallend bei diesen Diskussionen ist, dass offensichtlich viele den Eindruck haben, dass Leipzig im II. Weltkrieg nicht beschädigt wurde. Und einzelne User scheinen den Eindruck zu haben, dass es in Leipzig keine Baukultur, keine erlebbaren Stadträume, keinerlei Qualitäten geben würde. Außerdem haben manche Besucher der Stadt Leipzig und diverse Forenuser den Eindruck, dass es in Leipzig keine Rekonstruktionen gegeben hätte.


    Ich bin keiner, der die Meinung vertritt, alles, was nach 1945 oder nach 1990 gebaut wurde, wäre toll. Vieles gefällt mir gar nicht. Wenn aber bei Besuchern der Eindruck entsteht, dass es in Leipzig wenig Schäden im II. Weltkrieg und danach gegeben hat, scheinen die Bauten doch nicht so schlecht zu sein. Jedenfalls scheinen diese ein stimmiges Gesamtbild mit der noch vorhandenen Originalsubstanz zu ergeben.


    Rekonstruktionen sind noch ein ganz anderes Thema. Zum Einem verwundert es mich, dass für manche User Rekonstruktionen einen höheren Stellenwert einzunehmen scheinen als original erhaltene sanierte, gerne auch teilrekonstruierte Gebäude.


    Ich halte Rekonstruktionen für problematisch. Einfach deswegen, weil der Wert der Originalbauten herabgesetzt wird. Bei manchen habe ich den Eindruck, dass sie der Meinung sind: Die Originale muss man ja nicht unbedingt erhalten, man kann doch später rekonstruieren. Oder gar, dass Rekonstruktionen Vorbilder für im Original erhaltene Gebäude seien.
    Wie auch immer: Wer die Leipziger Innenstadt oder Wohnviertel wie die Südvorstadt, das Bachstraßenviertel, große Teile von Gohlis oder gar das Waldstraßenviertel durchstreift, findet überwiegend recht angenehme urbane Viertel vor.


    Damit sind wir wieder bei der Wahrnehmung der Qualitäten dieser Viertel in Leipzig. Für Außenstehende, für Besucher mag das ja alles Massenware, nichts Besonderes, nur Alltägliches sein. Die Qualität dieser Viertel resultiert aber gerade aus dieser schieren Menge an qualitätsvollen Bauten. Bei weniger gelungenen Gebäuden kann man sich ja durchaus ärgern. Oder wenn noch hässliche Lücken oder Brachen vorhanden sind. Die zahlreichen Bewohner z.B. der Leipziger Südvorstadt werden aber eher deren Vorzüge sehen als das Manko, dass es dort nur wenige fotografierbare architektonische Highlights gibt.


    Daher meine These: Leipzig ist eher eine Stadt für ihre Einwohner als für deren Besucher.

    2 Mal editiert, zuletzt von Stahlbauer ()

  • Und einzelne User scheinen den Eindruck zu haben, dass es in Leipzig keine Baukultur, keine erlebbaren Stadträume, keinerlei Qualitäten geben würde.


    Für Außenstehende, für Besucher mag das ja alles Massenware, nichts Besonderes, nur Alltägliches sein.


    Diese Ansicht überrascht etwas. Bisher hab ich sowas eigentlich noch nicht wirklich vernommen. Ganz im Gegenteil, Leipzig wird fast ausnahmslos gelobt für seine Geschlossenheit und ganz besonders die überwiegend hochwertige Sanierungstätigkeit. Das hier und da mal ein Spruch kommt (wie letztens von einem Stuttgarter im APH-Waldstraßenthread) dass die Gründerzeitstraßenzüge etwas langweilig erscheinen kommt halt vor und bei der schieren Masse an derartiger Bausubstanz ist ja auch einiges an „Massenware“ dabei (ganz unabhängig davon wie angenehm das Wohnen für die Bewohner dieser Häuser ist.)


    Daher meine These: Leipzig ist eher eine Stadt für ihre Einwohner als für deren Besucher.


    Ich schrieb ja oben, dass die Stadt eher weniger für den Ottonormaltouri gemacht ist und bezog mich da auf diese Aussage von Dir. Meiner Meinung nach muss man da auch etwas differenzieren! Im Bereich Kulturtourismus sind wir uns glaub ich alle einig, dass man hier mehr als genug Angebote vorfindet (OB Jung letztens in einem Interview irgendwas mit „Angebot einer Millionstadt“). Ich zähle da den Architekturinteressierten natürlich dazu. Auch wenn es hier keinen Eiffelturm gibt so kann man doch das ein oder andere Highlight entdecken. Man muss sich halt mit dem Thema beschäftigen um zu wissen, welchen Stellenwert z.B. die Innenraumgestaltung der Nikolaikirche hat usw. Beim klassischen Städtereisenden (bissl Sightseeing im Cabriobus) sieht die Sache etwas anders aus – der findet hier eben keine Cable-Cars und Mona Lisas vor sondern eben "nur" nen schönen Zoo, einen Denkmalkoloss und vlt. noch eine Runde Bootfahren auf den Stadtgewässern...nun gut, so bekommt man dann auch irgendwie ein Wochenende rum. Den „Geist“ den Birte angesprochen hat erkennt man m.M.n. sowieso erst richtig wenn man mal etwas längere Zeit hier war und z.B. durch den Auwald ins Neuseenland an den Strand radelt oder sich auf den Spinnereirundgängen im Westen tummelt (nur als Beispiele).

  • ^
    Hast Du Dr. Mises noch nicht kennengelernt? ;)


    Auch HIER zu finden.


    Ansonsten hat sich in Leipzig in den letzten Jahren, besonders in den letzten 10 Jahren, dermaßen viel geändert, dass man sich nur verwundert Augen reiben kann.

    Einmal editiert, zuletzt von Stahlbauer ()

  • Gerade dass Leipzig eher für die Bewohner gemacht ist, trägt meiner Ansicht nach in erheblichem Maß zu seiner Attraktivität bei. Es wird von den Besuchern durchaus positiv wahrgenommen, dass sie für eine kurze oder längere Zeit am normalen Stadtleben teilnehmen. Leipzig hat halt weniger "Boah ey"-Momente, dafür um so mehr "Das is' ja mal nett hier"-Erlebnisse zu bieten.


    Zum Thema Reko - schon oft diskutiert. Ich halte Komplettrekos schon lange verschwundener Gebäude in erster Linie für eine der Leugnung der Geschichte - diese hinterlässt nun mal Spuren. Außerdem dreht die Welt sich weiter, die Menschen verändern sich und damit auch die Ansprüche an ihr Wohnumfeld. Noch Vorhandenes erhalten, klar - auch ergänzen, wie gerade so schön beim Buchgewerbehaus passiert, klar. Ein seit mehreren Jahrzehnten verschwundenes Gebäude wieder errichten - definitiv nein. Am schlimmsten finde ich die Stahlbetonbauten, auf die dann eine historisch aussehende Fassade gepappt wird - das rangiert auf meiner persönlichen Skala nur kurz vor der Fototapete.


    Wir leben ja nicht in einem Freilichtmuseum - die Stadt war immer und ist in Bewegung und das darf sich auch gern beim Bauen ausdrücken. Mir gefällt z. B. die Bebauung am Augustusplatz als "Gesamtkunstwerk" ausgesprochen gut. Ist irgendwie wie Leipzig. Von allem etwas. Und von Menschen bevölkert und bespielt - auch wie Leipzig.


    Dass die Architekten in der Lage sind, auch heute etwas Ansehnliches zu produzieren, davon gehe ich aus. Das Problem dürften wohl eher die Bauherren sein, die es immer schön billig haben wollen.



    Ergänzung zum Thema Bombardierung im 2. WK: Ich empfehle das Buch "Leipzig brennt" - neben Bildern sind auch viele Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit enthalten.

  • Gerade dass Leipzig eher für die Bewohner gemacht ist,


    Ich würde mal sagen, jede Stadt ist primär für seine Bewohner gemacht (von wenigen Ausnahmen wie Brasilia mal abgesehen) ;). Schließlich erfreuen sich natürlich auch die Einheimischen an Sehenswürdigkeiten oder Besonderem.