China-Sammelthread

  • China-Sammelthread

    Hallo,
    ich dachte ich spendier' China mal einen eigenen Thread,
    - da bekanntlich dort ein Bauboom herrscht, der (fast) seines gleichen sucht
    - und aus Gründen der Übersichtlichkeit im Forum.


    Ich bin heute auf folgende Nachricht gestossen, die mich wirklich staunen lies:
    Das grösste Gebäude der Welt wurde in Chengdu (eine Stadt im Südwesten Chinas mit über 10 Mio. EW) eröffnet und nennt sich "New Century Global Centre" (weitere englisch-sprachige Quelle mit mehr Bildern).


    Es ist zwar "nur" 100m hoch, aber dafür sagenhafte 500m lang & 400m breit. Es weist eine Fläche von unglaublichen 1,76 Millionen Quadratmetern (davon 400.000 qm für den Einzelhandel) auf.


    Übrigens: Nachbar dieses absoluten Mega-Baus wird dort demnächst das New Century City Art Centre (mit "nur" 140.000 qm) von Zaha Hadid sein.

  • Das größte freistehende Gebäude der Welt, gerechnet nach Nutzfläche bitte. Die Außenkanten sagen ja relativ wenig aus über die Größe, wenn es eigentlich ein Blockrand mit einer innen liegenden Halle, sprich "hohl" ist. Ansonsten gibt es noch einige größere, auch hier bei uns:



    Quelle: Ich


    Aber den Schwanzvergleich vergessen wir mal.


    Ich hatte das Glück, vor 3 Jahren, noch als Student, durch China reisen zu dürfen. Das tolle an der Reise war, dass sie aus einer Zusammenarbeit mit zwei Chinesischen Universitäten entstanden ist, wir deshalb von den Architektur-Professoren der Tongji und der Lanzhou TU durch das Land geführt wurden und so auch etwas mehr zu sehen bekamen, als die üblichen Touristen.


    Weil ich aber gerade nicht weiß, wo ich anfangen sollte von dem Irrsinn den wir da gesehen haben zu berichten, mache ich das in den nächsten Tagen. Dann auch mit Fotos.

  • Ohne Dvorak etwas vorweg nehmen zu wollen, wenn ich von solchen ungeheuren Bauprojekten aus China höre frage ich mich, ob die Chinesen das unter Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte machen, oder ob sie diesen Rausch der unbegrenzten Möglichkeiten nicht eines Tages bereuen. Die Bauten auf den Fotos jedenfalls empfinde ich als provinzieller Europäer als sehr synthetisch, ohne Erdung, Bodenhaftung und ich vermisse jeden Bezug zu irgend einer kulturellen oder natürlichen Tradition oder dem menschlichen Maßstab. Ist Größer denn auch Besser?

  • Die Bauten auf den Fotos jedenfalls empfinde ich als provinzieller Europäer als sehr synthetisch, ohne Erdung, Bodenhaftung und ich vermisse jeden Bezug zu irgend einer kulturellen oder natürlichen Tradition oder dem menschlichen Maßstab. Ist Größer denn auch Besser?


    Nein du drückst das schon richtig aus:
    Nur plumpe Größe ohne Bedeutung beeindruckt nicht.
    Du denkst überhaupt nicht provinziell, das trifft eher auf jene zu die bspw. meinen mit ihrer Wolkenkratzer-Protzerei a la Dubai zu hoher zivilisatorischer Geltung gelangen zu können.


    Deswegen entscheidet auch nicht in erster Linie die Hardware (Architektur) sondern die völlig abstrakte "Software" wie attraktiv eine Stadt empfunden wird - das urbane Lebensgefühl, welche sich wiederum aus dem gesamten Wesen einer Stadt speist. Keine Skyline der Welt allein kann eine Stadt in der Hinsicht (nachhaltig) aufwerten.
    Jeder der einigermaßen schon in der Welt rumgekommen ist, kann durch ~300m Wolkenkratzer etc. auch nicht mehr beeindruckt werden. Den interessieren vielmehr die inneren Werte einer Stadt.

  • Sorry, dass ich mir Zeit gelassen habe, aber ich kann meine Fotos der zweiten Reise nach China nicht finden.



    Wir haben auch lange mit dem Bauen in China gehadert, gerade, was die Größe anbelangt, es relativiert sich vieles aber, wenn man länger da ist und auch sieht, dass der Maßstab nicht immer so falsch ist, wie man denkt. Wir sollten ja für die EXPO einen modellhaften Entwurf für ein Stadtgebiet machen und haben auch ein paar Monate gebraucht, um zu begreifen, dass die Umgebung eine Bevölkerungsdichte von 35.000 Menschen/Km² hat, und das war ein Vorort von Shanghai. Wenn man sich diese Dichte als Grundlage nimmt, dann kann man die Europäische Stadt gleich ganz vergessen. Es ist auch eine Qualität, wie die Chinesen ihre Städte bauen, dass sie nicht in die Breite gehen, sondern bis an den Stadtrand und auch in Neubauquartieren, ihre Dichte halten. Das haben wir, in unserer Gründerzeit, auch nicht sooo viel anders gemacht.


    In Suhzou sind wir auch durch ein "Neubauviertel" (für eine Million Menschen würde ich sagen) gefahren. Da waren alle Straßen fertig, es standen auch Stadien und Shopping-Center, nur so richtig Wohngebäude konnte man nicht finden. Das ist heute schon anders, wenn man ins Luftbild guckt. Also irgendwie schaffen die es doch.


    Was so gar nicht funktionieren wollte, das waren die ganz tollen deutschen Planungen in China. In Lingang gab es während unseres Besuches ein Rathaus (nicht zugänglich für Bürger), ein Stadtplanungsmuseum und ein maritimes Museum von GMP. Ach so, riesige Grünflächen für die Bewohner, die es nicht gab, gab es schon1. Die Bauern, die ihr Land für den Bau der Stadt verloren haben2, durften dann haarklein den Rasen von Hand nach einzelnen Unkräutern durchsuchen. Die Uferpromenade war der zugigste und am wenigsten behagliche Raum, an dem ich in meinem Leben war, was auch daran lag, dass man sich einfach für die Unangemessenheit dieser Stadt und den Umgang mit den früheren Bewohnern geschämt hat.


    Bodenhaftung oder Tradition sind auch Begriffe, damit können die größtenteils nichts anfangen. Wir wurden auch :confused: angeguckt, als wir gefragt haben, ob Chinesen Häuser selber bauen würden. Machen die nicht, wäre ja verrückt (wortwörtlich). Es gibt ja auch kein wirkliches Recht auf Grundbesitz, da der Boden nur auf begrenzte Zeit "verkauft" und danach alles auf Null gesetzt wird.
    Meine ganz subjektive Empfindung dessen, was man in China unter Tradition versteht, ist die, dass alles, was die Größe Chinas heute, oder früher betont, toll ist. Der Rest kann weg. Das Gros der Architektur-Studenten kann bis ins kleinste Detail jeden Tempel einer jeden Epoche aufzeichnen, kann dir aber nicht sagen, was die Qualitäten eines für den Ort typischen Wohnbezirks sind.


    Es gibt auch keinen Begriff von Autentizität. Wir haben uns mehrere Tempel in Shanghai angesehen, die eigentlich sehr alte Klöster sein sollten. Tatsächlich hat man sie abgerissen und aus Beton neu gebaut. Selbst Holzpfeiler hat man in Beton nachgebildet. Davon kann man finde ich mal zwei Bilder zeigen, die fassen das, was wir in China gesehen haben eigentlich ganz gut zusammen:


    Man beachte den Hintergrund:


    Und das ist der Gebetsraum unter dem Tempel:


    Um noch etwas Positives hinterherzuschieben: Ein Mal war ich wirklich überrascht von den Chinesen (ist auch so pauschalisierend gemeint). Bei der Eröffnung des neuen Bund kurz vor der EXPO strömten zehn-tausende Menschen, wenn nicht mehr, zusammen zum Bund und haben sich nicht im geringsten um irgend welche Regeln oder die Polizei oder sonst etwas geschert. Alle waren ruhig, diszipliniert, aber total fröhlich, eigentlich richtig schöne Volksfeststimmung und im Hintergrund das grandiose Panorama von Pudong.



    1 Mittlerweile gibt es einen riesigen Universitätscampus
    2 Nur ein Teil von Lingang ist aus Meerboden entstanden.



    Die Bilder sind alle meine.

  • ^


    Danke, das sind sehr interessante Ansätze. V.a. wenn in der chinesischen Kultur, wie du sagst, Grund und Boden nicht dauerhaft in Privatbesitz gelangen kann, sondern irgendwann wieder auf 0 gesetzt wird, sind die Begrifflichkeiten in der Architektur ganz andere. Bei uns hat ja ein Gebäude, ja ein Denkmal, so eine Art Ewigkeitsanspruch. Wenn ich versuche mich in China reinzudenken, dann hat dort höchstens die Idee hinter einem Gebäude einen Ewigkeitsanspruch, das Gebäude selbst bleibt austauschbar. Das macht Vergleiche natürlich in der Tat sehr schwierig. Aber es erklärt auch, warum es so fremd wirkt.

  • Ohne Dvorak etwas vorweg nehmen zu wollen, wenn ich von solchen ungeheuren Bauprojekten aus China höre frage ich mich, ob die Chinesen das unter Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte machen, oder ob sie diesen Rausch der unbegrenzten Möglichkeiten nicht eines Tages bereuen. Die Bauten auf den Fotos jedenfalls empfinde ich als provinzieller Europäer als sehr synthetisch, ohne Erdung, Bodenhaftung und ich vermisse jeden Bezug zu irgend einer kulturellen oder natürlichen Tradition oder dem menschlichen Maßstab. Ist Größer denn auch Besser?


    China, ein Land mit großer kultureller und geschichtlicher Vergangenheit im Rausch der Moderne, für mich eine beängstigende Entwicklung.


    Irgendwie ist das dieselbe Entwicklung in XXL wie hier in Deutschland in den Aufschwungjahren nach dem zweiten Weltkrieg, da wollte man hier auch alles "vermeintlich Alte" nicht mehr sehen und hat in so mancher Stadt architektonisch mehr Schaden angerichtet als es der Bombenkrieg vermochte.


    Einmal mehr in diesem Sinn kam neulich im Radio eine Meldung über die Grundsteinlegung eines neuen, dann höchsten Gebäude der Welt in Südchina, leider habe ich den Namen der Stadt vergessen, der Turm soll 10 Meter höher werden als der momentane Spitzenreiter in Dubai.


    Der Turm soll angeblich aus vorgefertigten Modulen bestehen und in nur 10 Monaten fertiggestellt sein, Experten sprechen dort von einem völlig irrwitzigen Projekt und zweifeln die Sicherheit des Gebäudes an.


    Bislang habe ich dazu nichts weiter an Infos gefunden, sicherlich wird man früher oder später irgendwo davon berichten.


    Besten Gruß


    Jörg:)

  • Ich habe einen Beitrag von der BILD gefunden..


    Mit der Überschrift:


    Professor setzt
    Villa auf Hochhaus

    (genauer: in Peking.



    Natürlich mit Bildern..


    Das Dach sieht wirklich schräg aus..
    So wie die Idee die hier umgesetzt wurde..


    In Deutschland undenkbar..
    schon allein der Behörden wegen:-)


    Hier kann man sich das ganze genauer vor Augen schauen

  • Nunja, die sog. "Felsenvilla" wurde illegal gebaut und soll nun abgerissen werden. Der Besitzer darf sie nur dann stehen lassen, wenn er nachweisen kann dass er eine Genehmigung dafür hat.


    http://www.stern.de/panorama/p…t-der-abriss-2050527.html


    Witziger Weise intendiert dieser von den Behörden aufgezeigte Ausweg Gedanken an Korruption und Ämterzuständigkeitsgewirr.


    China holt jetzt das nach was alles liegen blieb während die Nation 80 Jahre lang auf der Bremse stand. Dabei passieren Fehler, und es wird hoffentlich auch gelernt. Wichtig ist dass man genau hinsieht.

  • Ich frage mich sowieso, wie es sich mit der Statik da verhält.
    Bei einer Villa plus Bäumen und Felsbrocken..


    ich muss erstmal lachen:-)


    ..wird es wohl kaum eine Genehmigung geben, wohl auch nicht in China?
    Es sei denn, man kann sich eine Kaufen.

  • That's the point. Irgendjemand hält die Hand auf, und wenn nicht genug reingetan wird, muss die Butze abgeräumt werden. Statik? Wen interessiert dieser westliche Schnickschnack.... ^^