Auf- und Abwertung von Stadtteilen, "Gentrifizierungs"-Debatten

  • iconic, meine Neumünchner-Analyse klang wohl zu sehr nach Vorwurf - sorry dafür! Eine Stadt lebt schließlich auch von Neubürgern. Ich meine eher die vielen Schickis, die die Mietpreise kaputtmachen und gleich noch dazu schöne Viertel veröden lassen. Und die können durchaus selber Münchner sein. Ich revidiere meine Aussage also dahingehend! Letztlich komme ich immer wieder zu meinem Schluss, dass nur Geld als Lebensziel den Charakter kaputt macht. Aber ich beharre auf der Feststellung, dass München sehr wohl reaktionärer ist als andere Städte. Das beginnt bei einem extremen Hierarchiedenken in Schulen und Behörden (habe beides zur Genüge erlebt), äußert sich darin, dass Obdachlose vor wenigen Jahren noch an den Stadtrand gefahren wurden, um das saubere Bild nicht zu stören, die Polizei nachts um drei Radfahrer wegen zu schnell fahren anhält (auch das habe ich und Bekannte von mir erlebt)oder dass auf alles geschimpft wird, was auch nur irgendwie vom Mainstream abweicht. Ganz beliebt ist z.B. auch, auf die Ossis zu schimpfen, nur dass kaum einer jemals dort war. Das kann in ner Millionenstadt echt nicht sein, von mir aus in irgendnem Provinzkaff hinter den sieben Bergen! Schon klar, dass nicht ALLE so sind, aber genug, um dieses Bild entstehen zu lassen. Schließlich bekommt eine Stadt ihr Image nicht von irgendwoher. Die unangepassten und innovativen Menschen habens hier schon schwerer, allein schon weil die Mietpreise pervers teuer sind und die allgemeine Akzeptanz kleiner ist. Was meinst Du, wie ungläubig geglotzt wird, wenn mal einer mit bunten Haaren rumläuft. Hamburg, dem man ja auch gerne Etabliertheit vorwirft, tut sich leichter mit schrägen Zeitgenossen, Hamburger unter uns werden das sicher bestätigen können.

  • Baukunst:
    deiner beschreibung von münchen muß ich leider weitgehend zustimmen. aber gerade deshalb würde dieser stadt ein viertel annähernd wie kreuzberg verdammt gut tun. ein kiez, wo diejenigen, die nicht nur aufs geld aus sind und dem mainstream was entgegensetzen wollen, in der mehrheit sind und sich nicht dauernd für ihre existenz, ihre klamotten oder ihre haare rechtfertigen müssen!.

  • Je länger eine Debatte über München dauert je größer wird die Wahrscheinlichkeit dass jemand einen Mitdiskutanten fragt ob er denn überhaupt Münchner sei. Dazu sage ich nichts außer dass ich mich nicht ohne Grund besonders für M interessier und über bestimmte Entwicklungen die München nimmt ärgere.


    "Kreuzberg" und die anderen berliner "In-Kieze" sind in gewisser Weise, sofern man die dortige "Szene" der Deutschen anspricht und nicht die Migranten, konformistischer als alles was ich je zuvor erlebt habe. Halt wie Baukunst es beschrieben hat, "Anti-Karriere", etc., alles immer sehr plakativ und demonstrativ und irgendwie scheinen da auch alle die gleichen Sonnenbrillen und Frisuren zu tragen. Dort ist man richtig "Punk" wenn man mit Anzug oder so unterwegs ist. Höchstens sind die plakativen "Normen" anders, das sagt aber noch lange nicht dass dort tatsächlich größere Offenheit herrscht - mir scheint viel mehr dass halt eine Norm gegen eine andere getauscht wurde, die Leute dort scheinen mir aber besonders intolerant gegenüber allen die eben nicht "antikapitalistisch" etc. sind. So ist halt der berliner Mainstream, gibt dafür ja keine universelle Definition.


    Auch die stille Zustimmung der sog. "Alternativen" gegenüber Dingen wie dem Anzünden von teuren Autos oder sonstigem Vandalismus ist für mich unerträglich. Ich sage bewusst die Deutschen weil es dort so eine komische Szene aus allerlei Provinzkindern gibt die scheinbar einen unbewältigten Vater-Sohn Konflikt mitbringen und dann dort Autos anzünden die sie an die teure Karosse ihres Vaters erinnern, weil Papa immer mehr Zeit am Wochenende für sein Auto hatte als für den Sohnemann oder dergleichen. Nagut, das war jetzt sarkastisch aber im Grunde denke ich mir derlei dort oft wenn ich in die Gesichter von blonden Milchbubis schaue die Versatzstücke linker Propaganda aufsagen und sich dabei testosterongeschwängert gerieren. Weniger "Weltrevolution" und mehr "Pubertät". Und wenn die Pubertät vorbei ist wird das Arbeitsangebot aus München angenommen :D


    Ich finde Berlin weder besonders "subkulturell" noch nonkonformistisch. Eher ein großes Dorf. Dazu trägt auch diese Phobie gegenüber jeglichen Veränderungen bei, sowie das Mißtrauen was dort "Fremden" entgegengebracht wird. Mein Gott was hab ich mir als "Wessi" (wusste gar nicht dass der Süden jetzt Westen heißt, aber gut) da schon anhören müssen für Gepöbel. Solches Mißtrauen gegenüber "Fremden" habe ich nicht einmal im tiefsten Woid erlebt. Ich kann den Berlin-Hype in keinerlei Hinsicht nachvollziehen (genauso wie den Schweiz-Hype, das umgekehrte Extrem). München brauch sich keine Vorbilder nehmen, München war immer dann attraktiv und interessant wenn es auch ein stückweit selbstzufrieden und in sich ruhend war anstatt immer dem nachzulaufen was anderswo gerade abgefeiert wird. Lieber "Weltstadt mit Herz" als "bii börlin".

  • Als Süddeutscher bist Du in manchen Teilen Berlins mittlerweile "Schwabe", egal ob Du aus´m Ländle oder aus Bayern kommst ;)
    Das kommt von den Prenzlberger-Neubürgern, die in der Tat überproportional aus Süddeutschland kommen. Nein, nix gegen Süddeutsche, der Grund ist der enorme Bevölkerungsaustausch von nahezu 90% in den letzten Jahren, Luxussanierungen etc, das ganze Programm eben, wie man es auch aus dem Glockenbachviertel und so kennt. Nicht "Schwabe" zu sein wird einem vorgeworfen, sondern der Frust über die Verdrängungspraxis macht sich so Luft. Grundsätzlich gilt: wo es homogen ist ist es meistens auch langweilig, unabhängig davon ob Öko, Akademiker, Arbeiter, links, rechts.
    Diese Entwicklung der Seperation - fast schon eine Renaissance der Klassengesellschaft - haben wir in fast allen großen Städten. Leider. Aber das ist eben der Preis des Rückkehrs der Bürger in die Städte, nachdem die Eltern und Großeltern lieber ein Häuschen im Speckgürtel hatten, wo es (und ich spreche aus Erfahrung) langweiliger nicht geht.

  • Baukunst:
    aber gerade deshalb würde dieser stadt ein viertel annähernd wie kreuzberg verdammt gut tun.


    Wozu? Man kann ja nach Berlin gehen.
    Ich muß Bayer zustimmen, diese ach so coolen Links-Alternativen sind mindestens so intolerant gegenüber Andersartigen wie die sog. Spiesser.
    München sollte wirklich keinen anderen Städten nacheifern, sondern seinen eigenen Weg finden. Das es dann halt nicht jedem dort gefällt finde ich nur positiv.


  • Ich muß Bayer zustimmen, diese ach so coolen Links-Alternativen sind mindestens so intolerant gegenüber Andersartigen wie die sog. Spiesser.


    Zustimmung. Sie sind nicht nur intolerant sondern vielmehr auch arrogant.


    Trotzdem ist es sehr schade, dass die Homogenisierung der Stadt immer weiter voran schreitet. Viertel wie das Westend oder am Schlachthof werden in 10-15 Jahren gänzlich dem übrigen München gleichen. Wirklich zum weinen.

  • Zitat von MartyMuc
    München sollte wirklich keinen anderen Städten nacheifern, sondern seinen eigenen Weg finden.


    Richtig. Aber auch keinen anderen Mentalitäten, Stichwort "Nördlichste Provinz Italiens".


    Frage am Rande: Wo finde ich diesen blauen Pfeil, den Ihr neben den Zitierten setzt, um seinen Beitrag anzuzeigen?

  • ^^ OT:


    Wenn du beim zitieren über den Button


    Code
    [quote='Baukunst','http://www.deutsches-architekturforum.de/thread/?postID=250062#post250062']


    die Beitragsnummer drinnlässt.


    oder reinschreibst.


    Die Beitragsnummer findest du auch wenn du
    mit der Maus auf die Beitragszähler gehst (auf der Rechten Seite
    Heute, 12:57 #502 <---- die hier bei deinem Beitrag.


    du findest Sie dann unten in der Statusleiste

    Code
    http://www.deutsches-architektur-forum.de/forum/showthread.php?p=[U]250062[/U]#postcount=502
  • Höchstens sind die plakativen "Normen" anders, das sagt aber noch lange nicht dass dort tatsächlich größere Offenheit herrscht - mir scheint viel mehr dass halt eine Norm gegen eine andere getauscht wurde, die Leute dort scheinen mir aber besonders intolerant gegenüber allen die eben nicht "antikapitalistisch" etc. sind. So ist halt der berliner Mainstream, gibt dafür ja keine universelle Definition.


    Genau so ist es, auch hier gibt es einen Dresscode und Verhaltenskodex - mit Neureichenattributen kann man sich halt nicht schmücken, da muss was anderes her. Am besten finde ich immer die Leute mit dem abgedroschenen "Fight Capitalism"-T-Shirt, die dann das BECK's Bier in der Kralle halten. Alternativ-Pharisäer, die erst merken, dass es zu spät ist, wenns schon lang zu spät ist. Dann lässt sich leider eine Biographie nicht mehr kitten, so dass man ein Leben lang auf Spießertum und Establishment schimpfen kann. Ganz schön uncool, wenn man's genau nimmt.:cool:

  • Martyn: Wobei man sehen muss, dass es überhaupt vor allem bei Studenten (auch in Muc) sehr schick ist, antikapitalistisch zu sein. Oftmals nur als Verschleierung der - mit Verlaub - eigenen Faulheit. Ok, ich war selbst das Musterbeispiel eines faulen Studenten (so schön wirds nie wieder), habe aber niemanden dafür verantwortlich gemacht, wenns mal nicht so rund lief. Das ist eben die Krux an den sich immer ganz betont links nennenden, sie kriegens einfach selber nicht gebacken! ;) Wahre Linke hingegen wie viele Redakteure, Theaterleute, so mancher Pfarrer (!), Sozialarbeiter oder Lehrer haben ja was vorzuweisen. Die sog. "Linken" wie oben beschrieben sind einfach nur Egoisten. Oh Mann, jetzt schweif ich aber ganz schön ab nach Offtopia...

  • Ich muss beiplichten: Fehlende Frankenintegration finde ich genauso furchtbar wie Ossi-Basing; ich verstehe nicht, dass das immer noch stattfindet. Ich bin grundsätzlcih gegen Pauschalisierung. Dazu kenne ich viel zu viele Leute, die aus allen Ecken Bayerns, Deutschlands und der ganzen Welt kommen. Ich selbst könnte meine bajuwarischen Stammbaum bis in die Steinzeit verfolgen, aber das steht einer offenen Einstellung gegenüber anderen ganz und gar nicht im Wege. Im Gegenteil: Ich bin froh, dass es auch Preussen in München gibt (neben vielen vielen anderen Nationalitäten). Anders würde ich das auch nicht aushalten. So viel zum Thema "Offenheit und Toleranz".


    München hat ein Platzproblem (ach was...ich weiß). Es gibt wunderbare Viertel wie Schwabing, Haidhausen und viele andere, aber sie enden halt viel zu schnell bzw. an deren Rändern schließen sich Parkstädte bzw. Parkstadtsiedlungen an. Mir fehlt, dass diese Viertel mit Blockrandbebauung und Geschäftszeilen fortgeschrieben werden bzw. organisch weiterwachsen können. Nur so könnten diese Veirtel eine gewisse Eigendynamik entwickeln.


    Auch ein Problem ist die "gute" Erschließung. Das MVV-Netz ist relativ engmaschig, so dass flächendeckend die höheren Mieten auch bezahlt werden. Es gibt viele Menschen, die lieber einen längeren Weg zur nächsten U-Bahn-Haltestell auf sich nehmen würden als überteuerte Mieten zu bezahlen.

  • Kunst und Party auf der einen Seite und eine Stadt in der Platzmangel und Kommerz regieren auf der anderen Seite müssen sich nicht grundsätzlich widersprechen. Im Fall Münchens wäre es nur dringend nötig, dass die zuständigen Behörden schnell und weniger aufwendig die Zwischennutzung von vorübergehend ungenutzten Gebäuden erlauben. An dieser Stelle gibt es noch riesiges Potenzial. Wie sehr solche Zwischennutzungen die Stadt bereichern zeigen die einmalige Party im leergeräumten SZ-Gebäude an der Sendlinger Straße im letzten Jahr und momentan die überaus erfolgreiche Zwischennutzung des ehemaligen BMW-Händlers an der Dachauer Straße. Die Verwaltung muss endlich begreifen, dass solche Formen der Zwischennutzung eine entscheidende Bereicherung für die Stadt sind und deshalb aktiv genehmigen statt immer wieder auszubremsen.


    Artikel in der SZ: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/841/502080/text/4/

    Einmal editiert, zuletzt von iconic ()

  • es gibt mittlerweile bei der stadt ein "büro für zwischennutzungen", das leerstehende städt. liegenschaften vermittelt, weil man dort wohl das potential von temporärer kulzureller nutzung auch erkannt hat:daumen:

  • zitat isek:
    "Viertel wie das Westend oder am Schlachthof werden in 10-15 Jahren gänzlich dem übrigen München gleichen. Wirklich zum weinen. "
    vollkommen deiner meinung (tusch!).
    und - was folgt daraus?

  • Die "Mehrheitsmeinung" neigt zu Fehleinschätzungen bzw. Dinge nicht komplett "neu zu denken". So hat man zwar die Globalisierung erkannt, diese aber aus der gewohnten Perspektive der Nationalstaaten und abgrenzbaren Volkswirtschaften betrachtet. Wie tief dies noch in den Köpfen ist merkt man bei jeder Nachrichtensendung und jeder Zeitung die voll von Versatzstücken wie "...in Deutschland..." oder "...die Deutschen..." sind.


    Fakt ist dass die Globalisierung die Welt nicht glatt und flach macht sondern zu einer Art Nagelbrett. Es gibt immer wichtigere Zentren des Wohlstandes, der Kultur, der Innovation und spezialisierter Wohlschöpfungen aus wirtschaftsnaher Forschung und großer Fertigungstiefe vom Zulieferer bis zu speziellen Studiengängen vor Ort. Und zwischen diesen Zentren flacht es rasch ab. In Zukunft wird es nicht "Deutschland und Schweiz" heißen wenn man "vergleicht" sondern "München und Zürich". Und so weiter.


    Und ob es einem gefällt oder nicht, München ist ein raketenhafter Gewinner der Globalisierung. Die Eigendynamik die sich hier entwickelt hat kann keine noch so schlechte Politik torpedieren bzw. aber auch nicht erzeugen - die Kräfte der Politik werden ja chronisch überschätzt. Wir dürfen uns sicher sein dass München immer und immer wohlhabender und gleichzeitig umkämpfter wird. Eine Zeit wie in den 1970ern und 1980ern, wo Jedermann überall hinziehen kann und dann dort schon sein Auskommen findet, wird es nicht mehr geben.


    Hätte ich Geld "übrig" würde ich in münchnerisches Betongold investieren, komplett egal ob ein 70er Betonbunker oder ein alter Schuppen. Es wird sich auszahlen. Und genau darum bewerten Immoinvestoren - die denken ja in Zeiträumen von Jahrzehnten was ihre Profite angeht - München derzeit auch als attraktivsten Immostandort in ganz Europa, wie hier im Forum ja auch schon mehrmals verlinkt wurde. München hat die Zukunft von Zürich oder City of London aber immer noch die vergleichsweise niedrigen deutschen Immopreise - wenn auch am oberen Ende.


    Es tut absolut Not dass die Stadt auch Wohnraum für eine Mittelschicht fördert. Sonst wird aus München wirklich mal eine cleane Yuppiehauptstadt, mit ein paar Sozialwohnungen als "Feigenblatt", bajuwarischer Kulisse und keiner Bevölkerungsgruppe mehr "dazwischen". Bei allem Gekümmere um die "untersten 5%" werden all zu gerne die "mittleren 50%" vergessen die es auch (noch!) gibt...

    8 Mal editiert, zuletzt von bayer ()

  • Hätte ich Geld "übrig" würde ich in münchnerisches Betongold investieren, komplett egal ob ein 70er Betonbunker oder ein alter Schuppen. Es wird sich auszahlen. Und genau darum bewerten Immoinvestoren - die denken ja in Zeiträumen von Jahrzehnten was ihre Profite angeht - München derzeit auch als attraktivsten Immostandort in ganz Europa, wie hier im Forum ja auch schon mehrmals verlinkt wurde.


    ...zumindest in Deutschland, wenn es um Wohnimmobilien geht, was eine aktuelle Studie von Aberdeen Research zu bestätigen scheint:


    http://www.cash-online.de/immo…doch-wo-investieren/20301
    http://www.haufe.de/immobilien…207438.63&chorid=00571807