Nationalsozialistische Architektur

  • Nationalsozialistische Architektur

    Um die Dimensionen des nationalsozialistischen Grössenwahns zu versinnbildlichen, kann man ganz einfach den Berliner Fernsehturm durch die «Grosse Halle des Volkes», eine lächerliche Fehlinterpretation römisch-griechischer Vorbilder, ersetzen. Die beiden haben nämlich in etwa dieselbe Höhe:


    http://i57.tinypic.com/dbp1et.jpg


    (Berliner Fernsehturm)



    http://i59.tinypic.com/21m902a.jpg


    --------------------
    Hinweis der Moderation: Die Einbindung der Bilddateien wurde in Links geändert. Bitte künftig auf die Richtlinien für das Einbinden von Bildern achten! Vielen Dank.
    Bato


    (Grosse Halle, hier ohne Adler mit Weltkugel auf der Spitze)


    Die Deutschen meinten: Pathetisch!


    Wir sagen heute: Neoklassizismus ist schön und gut, aber das hier? Pathetic (erbärmlich, lachhaft, jämmerlich)!

  • Mal eine Frage an die Experten:


    ich hatte neulich eine Diskussion mit einem Berliner Stadtführer, wir sprachen über das Detlev-Rohwedder-Haus (heute Finanzministerium, ganz früher NS-Reichsluftfahrtministerium).


    Ich meinte, die NS-Ästhetik würde einem bei diesem Bau direkt ins Gesicht springen.
    Er wandte ein, dass man das Gebäude durchaus als Neo-Klassizistisch resp. in Teilen der neuen Sachlickeit zuordnen könne.
    Ist das so? Gründet meine Anmutung lediglich auf dem historischen Wissen um die politischen Umstände (und wäre somit unsachlich) oder gibt es bestimmte bauliche Aspekte und/oder Stilelemente die man ausschließlich dem NS zuordnen kann?

  • ^
    Die NS-Architektur für so große repräsentative Gebäude wie dem Reichsluftfahrtministerium bezog sich im Wesentlichen auf den Neoklassizismus. Nur fiel der bei den Nazis deutlich monumentaler aus als bei vergleichbaren NK-Gebäuden in anderen Ländern.
    Die Gebäude zeichneten sich durch strenge, kantige Formen, mit wenig Ornamentik aus die sich dennoch an den klassischen Ordnungen orientierten. Gebäudeform und Fassadenmaterial (meistens Stein) sollten letztlich Macht und Härte ausstrahlen.

  • ^ Dass der Neoklassizismus mit der Moderne vermischt wurde, war schon richtig und wurde hier (auch im Berliner Unterforum) an verschiedenen Stellen erwähnt. Da ich gerade Zeit nur für's schnelle Googeln habe - ein Baunetz-Text über Mussolinis Kinderferienheime "im Stile des Rationalismus, also der italienischen Spielart der internationalen Moderne". In Deutschland wird zwar ständig die Ausreise einiger wenigen politisch ungenehmen Architekten mythenbildend erwähnt, doch viele sind geblieben und Einflüsse sind deutlich sichtbar. Hier ein Foto eines Wohnhauses aus der Zeit in Leverkusen - es ist eindeutig Moderne, kein Neoklassizismus. Nur einige wenigen Prachtbauten hatten einen höheren Klassizismus-Anteil, doch auch da sind die Einflüsse der Moderne nicht zu übersehen.

  • ^
    Es geht um Repräsentationsbauten des NS Staatsapperats. Und die wurden im NS-Deutschland überwiegend vom Neoklassizismus beeinflusst.

  • Abgesehen von Bauschmuck wie Adlern mit Hakenkreuz oder einschlägigen Bildprogrammen in Wehrmachtsästhetik, kann ich eigentlich nichts spezifisch nationalsozialistisches an der Architektur erkennen, auch nicht an der bewusst repräsentativen.
    Man schaue sich nur mal das Eccles Building der amerikanischen FED an. http://www.federalreserve.gov/…-buildings.htm#ad-image-0


    Das steht in der Ästhetik und Wuchtigkeit NS-Bauten in nichts nach. Daher finde ich es auch immer etwas plump, offenbar im Wissen der größenwahnsinnigen Germaniapläne, auch die aus meiner Sicht gelungene Reichskanzlei als völlig aus der Zeit gefallen und quasi prototypisch für die Ästhetik des deutschen NS-Staats anzusehen. Ein Gebäude wie die Reichskanzlei hätte ohne viele Abstriche auch in den USA entstehen können.


    Ich denke, ein Gebäude, was diesen Übergang von 20er Jahre Moderne hin zu einem strengen und monumentalen Neoklassizismus gut zeigt, ist das Dresdner Hygiene-Museum von Wilhelm Kreis aus dem Jahr 1930.

    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hygienemuseum.jpg


    Allein an seinem Schaffen, lässt sich die Entwicklung gut nachverfolgen. 1938 wurde bspw. das damalige Luftgaukommando IV von ihm fertiggestellt, ebenfalls in Dresden.

    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dresden-LGK4-Hof.jpg

  • ^^
    Mit Neuer Sachlichkeit verbinde ich vielmehr schlichte, schnörkellose Architektur die sich äußerlich "zurückhalten" will und rein auf die Funktion reduziert ist. Sicherlich trat bei den Repräsentationsbauten des NS-Staats die Funktion auch mehr in den Vordergrund. Das äußere Erscheinungsbild spielte jedoch eine genauso große Rolle und spiegelt genau das Gegenteil der Intention der Neuen Sachlichkeit wieder.
    Gut beschrieben wird das bspw. in dieser Magisterarbeit Seite 36-37: PDF


    Saxonia
    Interessanterweise findet man zu Paul Philippe Cret folgenden Eintrag in Wiki:

    Witold Rybczynski has speculated that Cret is not better known today due to his influence on fascist and Nazi architecture, such as Albert Speer's Zeppelinfeld at the Nuremberg Nazi party rally grounds.[10]

  • Nicht unwesentlicher für das Thema sind die nachfolgenden Punkte der Arbeit. Insbesondere Punkt 2.3.4.4 Nationalsozialistische Auslegung der „Sachlichkeit“.

    Saxonia
    Interessanterweise findet man zu Paul Philippe Cret folgenden Eintrag in Wiki:


    In der Tat interessant. Der in der Referenz angeführte Artikel von Rybczynski ist scheinbar erst wenige Tage alt. http://tmagazine.blogs.nytimes…rchitect-federal-reserve/


    Das verdeutlicht aber meiner Ansicht nach, dass wir es hier mit einer internationalen Bewegung zu tun haben.

  • Ich bedanke mich erstmal für diese Rückmeldungen, möchte mir die Verweise/Beispiele in Ruhe ansehen. Den Nazis war ja grundsätzlich zu eigen, dass sie sich hinsichtlich ihrer "Kultur" aus allen möglichen Töpfen bedienten, so auch offenbar architektonisch, ohne tatsächlich dabei einen Stil zu kreieren.


    Hab übrigens zwischendurch noch ein paar andere Beispiele gegoogelt, man landet dabei relativ schnell auf rechtsradikalen I-Seiten...

  • eine wirklich umfassende Seite über NS-Bauten ohne zweifelhaftes Gedankengut (wird von einem Amerikaner betrieben) ist diese hier: http://www.thirdreichruins.com/


    Die vielen und ungeschönten Originalbilder aus der Zeit sind möglicherweise nichts für schwache Nerven (dokumentieren aber den ganzen NS-Irrsinn eindrucksvoll).


    Ein wirklich typischen Baustil konnte ich daraus nicht ableiten. Im eher dörflichen Umfeld war in Hessen beispielsweise Fachwerk sehr schick, siehe das Rathaus in Allmendfeld. Hier ging es wohl vor allem darum, regionaltypische Baumerkmale hervorzuheben.

  • Bei der Betrachtung von monumentalen NS-Repräsentationsbauen wie z.B. dem Detlev-Rowedder-Haus habe ich den Eindruck, dass die Verhältnisse zwischen Vertikalen und Horizontalen unproportioniert sind, zugunsten der Vertikalen.* Und dass das nicht durch andere bauliche Akzente gegengewichtet wird. (Sockelgebäude z.B.)


    Doch trotz der betonten Vertikalen wirkt der Bau enorm schwer, klotzig und statisch und lässt keinen Bezug zu seinem Inneren zu, er nimmt sich nicht zurück bzgl. seiner (sachlichen) Funktionalität (Ministerium), sondern repräsentiert das, was er repräsentieren soll: Macht des Regines gegenüber dem eingeschüchterten Bürger, so kommt es mir vor, nachdem ich nun mehrere Gebäude aus der Zeit verglichen habe.


    Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Verwendung des Natursteins, dessen Farbigkeit - ein stumphes Grau - weder etwas nach außen Leuchtendes noch nach Innen Transparentes hat. Der Blick wird einfach geschluckt.


    In der oben verlinkten Magisterarbeit wird ziemlich gut dargestellt, dass die NS-Machthaber sich architektonisch auf preussische Repräsentativbauten beziehen wollten, allerdings in deren Weiterführung was neue Monumentalität angeht, die Moderne aber wiederum als "Undeutsch" abgelehnt wurde. Stattdessen die Antike zitiert wurde als Vorbild für das angetrebte Großreich.


    Das ist letzlich genau mein Eindruck bei diesem Bauwerk, nämlich dass es weniger ein Vertreter des Baustils der Moderne und auch nicht des Klassizismus ist, sondern viel eher ein ziemlich vulgärer und grober direkter Rückgriff auf die Formsprache der antiken Klassik ist.
    Ist nur mein Eindruck, also keine Fachmeinung.



    *bzgl. der Fassadenaufteilung

    Einmal editiert, zuletzt von Zadar () aus folgendem Grund: Fußnote hinzugefügt

  • hans.maulwurf


    Vielen Dank für den Link, der nicht nur bzgl. der NS-Architektur interessant ist, sondern insgesamt hochinterssante historische Fotos zeigt. Ja, es sind auch einige furchtbare Aufnahmen dabei.

    Einmal editiert, zuletzt von Zadar () aus folgendem Grund: Rechtschreibung

  • Neue Reichskanzlei

    Über die Qualitäten der Neuen Reichskanzlei in Bezug auf die Architektur kann man vortrefflich streiten.


    Interessantes fördert derweil die Bildzeitung zu Tage.


    So wird berichtet, dass die beiden überlebensgroßen Pferde, die einst die Außenanlagen der Neuen Reichskanzlei schmückten nach über 26 Jahren bei einer Razzia wieder entdeckt wurden, nachdem man scheinbar vergeblich verucht hatte, diese am Schwarzmarkt zu verkaufen.


    Die Skulpturen "schreitende Pferde" stammen von Josef Thorak, neben Arno Breker der Hauptkünstler der Nazionalsozialisten wenn es um idealisierten skulpturalen Schmuck ging.


    Allein der Materialwert wird auf mehrere huntertausend Euro pro Plastik geschätzt. Der künstlerische Wert als unbezahlbar beziffert.


    Bis 1989 standen die Skulpturen auf einem von Sowjets genutzten Sportfeld in Eberswalde, wie viele andere Plastiken des Dritten Reichs wurden sie gern auf Sportplätzen verteilt, später aber auch oft neben anderen Kunstwerken am Kunstmarkt für Devisen verkauft.


    Man geht heute davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit relativ hoch ist, dass DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski im Jahr 1989 mit dem Verschwinden der Skulpturen in Verbindung steht.


    Wie es sich nun mit den Eigentumsverhältnissen verhält ist zur Stunde noch unklar. So kann neben der Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgestaat des Dritten Reichs unter Umständen auch die Erbengemeinschaft von Thorak Anspruch auf die Skulpturen anmelden.


    http://www.bild.de/news/inland…-kunst-41018018.bild.html


    Egal wie man zur Architektur der Nazis steht, so ist der Fund doch sehr bemerkenswert und kunstgeschichtlich nicht uninteressant, weil die Epoche nach länger Zeit des bewussten Vergessens langsam in der Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung rückt und die hier gesicherten Arbeiten zumindest für die Epoche zu den absoluten Topstücken zählen dürften.


    Für nicht-projektspezifische Themen die Lounge nutzen.
    Bato

  • ^^
    Ja, bei der Neuen Reichskanzlei überwiegen 3 Betrachtungsweisen: 1. die Verdammung des Gebäudes mit politisch-begründeten Unterton, die frühere "Heroisierung" und die moderene Legendenbildung.


    Diese geannten Ansichten bewerten aber das Gebäude nicht architektonisch sondern beurteilen das Gebäude aus Sichtweisen mit politischer Vorurteilen. Das ist schade, und wird so dem Gebäude nur teilweise gerecht.


    Man sollte nicht vergessen, dass der Bau auch Qualitäten hat und sehr hochwertig ausgeführt wurde. So hatte der Bau ein ausgeklügeltes aufwändiges Beleuchtungssystem. Viele Gegenstände wurden in aufwändiger Handarbeit von kleinen Manufacturen hergestellt. Wer einmal eine Bauzeitung aus den Zeiten mal anschaut, wird überrascht sein über die vielen Anzeigen von Handwerksbetrieben, die mit ihrer Teilhabe am Bau werben. Der Bau war sehr teuer, und kompomisslos hochwertig umgesetzt.

  • @ Kent


    ich kann dir da nur zustimmen. Architektonisch war die Neue Reichskanzlei im Vergleich zu anderen geplanten Bauten des zukünftigen Germania äußerst positiv proportioniert und hielt noch Maß zu den umgebenden Bauten, was man z.B. von der großen Halle nun wahrlich nicht mehr behaupten konnte.


    Ich finde, dass die Neue Reichskanzlei, wenn man nur die architektonischen Parameter beachtet, ein sehr interessanter und in Teilen sehr bemerkenswerter Bau war, der sicher auch kunsthistorisch, wenn er heute noch stehen würde, wohl einen einmaligen Stellenwert einnehmen würde, weil er Sinnbild einer ganzen, wenn auch kurzen Epoche war.


    Nur leider, und das sieht man ja bei der Garnisonkirche, fällt es dem Menschen schwer, zwischen dem Bau an sich und den Menschen, die darin ihr Unwesen trieben, zu trennen. Es ist daher leider nur schwer möglich, über Kunst und Architektur des Dritten Reichs zu sprechen, weil man sich sehr schnell auf sehr dünnem Eis bewegt, was eigentlich schade ist, weil ich abseits der Diskussion, ob es nun gute oder schlechte Kunst war, finde, dass es immer besser ist darüber zu sprechen als es zum Tabu zu machen.


    Es wird sich zeigen, wann die Zeit reif ist, dass man etwas selbstverständlicher auch diese Thematiken diskutieren kann.


  • Es wird sich zeigen, wann die Zeit reif ist, dass man etwas selbstverständlicher auch diese Thematiken diskutieren kann.


    Ich befürchte es wird nicht lange dauern, bis Du genau hier in diesem Thread erleben kannst, wie unreif einige Menschen bei diesem Thema sind.


    Die Menschen, die dort "ihr Unwesen trieben" sind aber auch treibende Kraft der architektonisch-ideologischen Umsetzung, und dort liegt eindeutig das Problem mit solchen Gebäuden. Bei der neuen Reichskanzlei denke ich zwangsweise an Mega-Globus, Marmor, riesige Türen und einen gigantischen sehr langen Gang zum einschüchtern der Besucher. Wie die Umsetzung im Detail erfolgt ist, das geht dann natürlich leider unter. Aber was wiegt denn schwerer?

  • Ich finde, dass man in der Lage sein sollte, Inhalt und Form zu trennen. Natürlich entstand der Bau im Geiste der Nationalsozialisten und die von dir beschriebenen Dinge wie lange Gänge und hohe Türen haben natürlich ihren Ursprung in Aspekten, die mit der gewollten Wirkung des Baus im Zusammenhang stehen.


    Trotzdem finde ich, dass man in der Lage sein muss, zumindest partiell den Bau als Baukörper und die Inhalte, die in diesem Bau passierten, zu trennen.


    Ich persönlich finde den Bau von außen für einen Bau des Dritten Reichs und wenn man bedenkt was da alles sonst noch geplant war, bemerkenswert gut proportioniert und für einen Bau des Neoklassizismus durchaus monumental, aber noch in einem vertretbaren Maß. Eine Tugend, die z.B. der Großen Halle völlig abging.


    Aber es ist eben ein sehr sehr schwieriges Thema!

  • Dann wollen wir diesen Gedanken mal auf die Spitze bleiben und dabei sogar beim Thema bleiben: Stell dir eine Diskussion um die technischen gut gemachten Aspekte der "Duschen" im KZ Auschwitz-Birkenau vor. Und dort fällt dann der Satz: "Trotzdem finde ich, dass man in der Lage sein muss, zumindest partiell den Bau als Baukörper und die Inhalte, die in diesem Bau passierten, zu trennen."


    Ich habe wahrhaftig keine Probleme mit Nazi-Architektur - ich finde die persönlich äussert ästhetisch. Ich habe auch beruflich täglich mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun.
    Diese ganze Belastungs-Problematik kann man zwar persönlich einfach ausblenden, man sollte aber nicht der Meinung sein, es könnte deswegen einfach jedem anderen Menschen zugemutet werden. Das wird nicht funktionieren und man kann es auch nicht erwarten. Es muss zwangsläufig immer im Kontext erfolgen, nur dann funktioniert es - und dabei kann man auch problemlos in alle Details gehen.