IBA 2020
Da es mittlerweile eine intensive Debatte über die IBA 2020 gibt, will ich einen Thread zur IBA 2020 eröffnen.
Das aktuelle Konzept des Senats folgt dem Leitthema "Draußenstadt wird Drinnenstadt". Hauptanliegen des Konzepts ist eine Aufwertung und stärkere funktionale Mischung der Außenbezirke.
http://www.stadtentwicklung.be…ba/de/draussenstadt.shtml
Ziel ist es, in den Außenbezirken attraktive, funktional gemischte Stadtteile zu schaffen.
Diese Strategie wird vor allem mit 4 Argumenten begründet:
Erstens wird gesagt, dass die erwarteten zusätzlichen 250.000 Einwohner schon aus Platzgründen nur zu einem kleinen Teil in der Innenstadt untergebracht werden können. Für die übrigen Neuberliner werden attraktive Wohnungsangebote außerhalb der Innenstadt geschaffen werden müssen, mit einem entsprechendem Gestaltungsbedarf.
Zweitens wird davon ausgegangen, dass nur eine attraktivere Gestaltung der Außenbezirke den Nachfragedruck in der Innenstadt dämpfen kann. Auf diese Weise ist es leichter, die Mietpreissteigerungen und Verdrängungen in der Innenstadt zumindest zu bremsen.
Drittens werden ökologische Argumente angeführt. Eine funktionale Mischung in den Außenbezirken führt zu einer Reduzierung der Verkehrsbelastung, weil die Bewohner nicht mehr unbedingt zur Arbeit, zum Einkauf, zur Freizeitgestaltung in die Innenstadt müssen. Auf diese Weise wird eine Reduzierung des Autoverkehrs möglich. Von dieser profitiert dann auch wieder die Innenstadt, weil die Verkehrsbelastung der Innnenstadt reduziert wird. Beim letzten Stadtforum war Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zu Gast, und er hat die traditionelle polyzentrische Struktur Berlins als ein großes ökologisches Pfund gewertet, das unbedingt gestärkt werden sollte.
Viertens werden soziale Argumente ins Feld geführt. Demnach wären funktional gemischte Quartiere auch in sozialer Hinsicht stabiler als Monostrukturen. Eine stärkere funktionale Mischung dieser Gebiete wäre daher ein probates Mittel gegen die Bildung sozialer Brennpunkte und Ghettoisierung.
Ich finde diese Argumente eigentlich sehr überzeugend und würde daher diese Strategie befürworten.
Ein alternatives Konzept unter dem Namen "radikal radial" wurde 2010 von Harald Bodenschatz und seiner Planungsgruppe DASS sowie Hildebrand Machleidt vorgestellt. Dieses Konzept plädiert für einen Ausbau der Radialstraßen. Ziel ist eine bessere Verknüpfung der Außenbezirke mit der Innenstadt durch Radialstraßen. Von dieser Verbesserung der Verkehrsverbindungen wird eine Aufwertung der Außenbezirke erwartet.
http://www.think-berlin.de/wp-…kal_radial_broschuere.pdf
Mich überzeugt dieses Konzept allerdings nicht. Meiner Meinung nach hat dieser Ansatz zwei Nachteile:
Erstens provoziert diese Strategie eine Zunahme des Autoverkehrs, der dann zu allem Unglück in der Innenstadt zusammenlaufen würde. Diese Strategie würde daher die Verkehrsbelastung insgesamt steigern und gerade in der Innenstadt Verkehrsströme provozieren, die kaum beherrschbar wären. Ökologisch wäre all dies kontraproduktiv. Sicher wäre es eine bessere Verbindung der Außenbezirke mit der Innenstadt nicht falsch, allerdings sollte diese meiner Meinung nach mit öffentlichen Verkehrsmitteln und nicht durch Straßen erfolgen.
Zweitens sehe ich nicht, dass durch den Ausbau der Radialstraßen eine bessere funktionale Mischung in den Außenbezirken erreicht werden könnte.
Scharfe Kritik zum aktuellen IBA-Konzept kommt auch vom Architekturkritiker Dankwart Guratzsch. Er ist der Meinung, dass die Außenbezirke keine Zukunft hätten, weil die Bürger in großer Zahl in die Innenstadt umziehen würden. Daher würde es keinen Sinn machen, Geld in die "Aufhübschung" der Außenbezirke zu investieren, dieses wäre verlorenes Geld. Stattdessen sollten mehr Wohnungen in der Innenstadt gebaut werden, um die Wanderungswelle in die Innenstadt aufzufangen. Daher sollte sich die IBA um die Innenstadt kümmern.
http://www.welt.de/kultur/kuns…n-den-Alexanderplatz.html
Auch dieser Vorschlag überzeugt mich nicht.
Erstens halte ich den Vorschlag für völlig unrealistisch. In Berlin wohnen derzeit rund zwei Drittel aller Berliner, also mehr als zwei Millionen Einwohner, in den Außenbezirken. Selbst mit dichtesten Bebauungen dürfte es kaum möglich sein, diese Menschenmassen in der Innenstadt anzusiedeln. Zudem findet in Berlin auch keine von Guratzsch behauptete Binnenwanderung in die Innenstadt statt. Die Binnenwanderungen verlaufen umgekehrt, aus der Innenstadt in die Außenbezirke. Daher ist die Grundannahme von Guratzsch schon von vornherein völlig unrealistisch.
Zweitens sehe ich die Gefahr, dass bei einer IBA in der Innenstadt die Außenbezirke vernachlässigt werden und dass sich dort soziale Brennpunkte entwickeln. Die negativen Folgen solcher Brennpunkte kann man beispielsweise im Großraum Paris sehen.
Diese Woche wurde nun unter dem Titel: "Memorandum Perspektiven einer Internationalen Bauausstellung Stadtmitte" ein weiterer Vorschlag vorgestellt. Die Autoren sind wiederum Harald Bodenschatz und Hildebrand Machleidt sowie Benedikt Goebel und Petra Kahlfeldt. Diesmal geht es allerdings nicht um eine Stärkung der Radialen, sondern um eine "Renaissance der Stadtmitte". Dieses Memorandum schlägt vor, verschiedene Projekte in der Innenstadt, wie die Neubauten im Klosterviertel, den Petriplatz, das Humboldtforum sowie das Hackesche Quartier im Rahmen der IBA als Beispiel für eine "Renaissance der Stadtmitte" zu präsentieren. Außerdem soll eine Diskussionsplattform für Debatten über die Innenstadt geschaffen werden.
http://www.welt.de/print/die_w…in-der-Draussenstadt.html
Auch dieser Vorschlag überzeugt mich nicht.
Erstens halte ich es für sinnlos im Rahmen einer IBA Projekte zu präsentieren, die auch ohne IBA entstehen. Die IBA hat ja gerade das Ziel, Impulse zu setzen und Entwicklungen anzustoßen, die es ohne IBA nicht geben würde.
Zweitens denke ich nicht, dass die Innenstadt eine zusätzliche "Wachstumsspritze" durch eine IBA nötig hätte. Die Wohnungsnachfrage in der Innenstadt ist schon jetzt sehr stark, daher sind zusätzlich Impulse an dieser Stelle völlig unnötig.
Drittens gibt dieses Konzept keinerlei Antworten auf die Frage, was mit den Außenbezirken geschehen soll, wie diese aufgewertet und funktional vielfältiger gestaltet werden sollen.
Weiterhin frage ich mich, warum Harald Bodenschatz und Hildebrand Machleidt ihr Konzept "Radikal radial" zugunsten eines völlig anderen Konzeptes über Bord geworfen haben. Entweder haben die beiden Herren ihre Meinung radikal geändert, oder sie sehen mit dem Konzept für eine IBA Stadtmitte bessere Chancen im Kampf um die Fleischtöpfe, mit denen solch eine IBA ja auch verbunden ist.
Soweit also einige Einführungen, ich bin gespannt auf Eure Meinungen.
P.S. Am 23.5.2013 soll es um 19 Uhr in der Werkbund-Galerie in der Goethestraße 13 eine Diskussion über das erwähnte Memorandum geben.