Freiheits- und Einheitsdenkmal (in Bau)

  • Götzen einer links-totalitären Ideologie


    Dass Marx und Engels zu "Götzen" gemacht wurden (was leider stimmt), ist kaum deren Schuld. Marx war ein großer Sozialphilosoph und hat mehr von der Logik der kapitalistischen Gesellschaft begriffen, als Marxisten (!) und Wirtschaftsliberale je verstehen werden. "Das Kapital" gehört ohne jede Frage zu den wichtigsten Werken der modernen Geistesgeschichte – in eine Liga mit Adam Smith' "Wealth of Nations" oder Charles Darwins "Origin of Species". Auch kluge Freunde des Kapitalismus erkennen das an. Engels war als Theoretiker weniger versiert, dafür aber ein herausragender kritischer Publizist: Wenn man "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" liest, schnürt es einem bis heute den Hals zu: Die Verhältnisse, die er schildert, entsprechen ziemlich genau jenen, unter denen heutzutage in Bangladesch oder Kambodscha die Klamotten für H&M und KiK produziert werden. Ein Denkmal für Marx und Engels finde ich deshalb angemessen. Dass es ein Denkmal aus der Zeit der "Götzenverehrung" ist, verleiht ihm Spannung: Der erbärmlich-ärmliche Autoritarismus der DDR hatte nichts zu tun mit Marxens Traum von einer "freien Assoziation freier Menschen"; dass die DDR sich auf Marx berufen konnte, zeigt, dass die Kritik des Falschen noch lange nicht das Richtige hervorbringt.


    Und wer war Kaiser Wilhelm? Ein Typ, der das Glück hatte, als Sohn einer herrschenden Dynastie unter Führung eines klugen Politikers (Bismarck) zum Kaiser zu werden. Und das Pech, in einer Zeit zu leben, in der Königen und Kaisern realiter kaum noch mehr als eine symbolische Bedeutung zukam, weil der Komplexitätsgrad der Gesellschaft die aus dem Absolutismus überlieferte Herrscherfunktion längst hatte obsolet werden lassen. Stünde das Kaiser-Wilhelm-Denkmal noch, sollte man es stehen lassen – Ausdruck einer vergangenen Epoche, deren Hang zu Pomp und Pathos man staunend belächeln kann. Eine ganz andere Symbolik hätte es, den Kaiser wieder auf's Pferd zu setzen. In Koblenz hat man das bekanntlich getan, und ich finde es abstoßend. In Berlin fände ich es unerträglich.


    Die neue Volte zurück zur Wippe halte ich für amüsant bis albern: Das Ding wird so, wie es geplant ist, nicht funktionieren. Es wird ein ewiges Ärgernis bleiben. Und vielleicht ist es ja genau deshalb doch eine ganz passende Metapher für die deutsche Nation? ;)

  • Eine schlechte Nachricht für das Schlossumfeld, aber das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen: Zuerst muss der Haushaltsausschuss des Bundestags als Geldgeber zustimmen, was aufgrund der darin zahlreich vertretenen Anhänger für die Kolonnadenlösung sowie der drohenden Kostensteigerungen bei der Wippe ungewiss ist. Dann muss das Land Berlin als Grundstückseigentümer zustimmen, was aufgrund der geringen Unterstützung für die Wippe sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat ebenfalls unsicher ist.


    Schließlich bleibt noch das Problem, dass die Wippe nicht nur den denkmalgeschützten Sockel mit Mosaiken und Gewölben zerstört, sondern auch die freie Sicht auf das wiederaufgebaute Humboldtforum, das bestehende DDR-Staatsratsgebäude und die rekonstruierte Bauakademie versperrt sowie womöglich gar den UNESCO-Welterbestatus der berühmten Museumsinsel gefährdet. Will man all das wirklich aufs Spiel setzen, wo man mit dem Brandenburger Tor doch schon das beste Freiheits- und Einheitsdenkmal der Welt hat?

  • Ich stand de Wippe immer reserviert gegenüber, ich teile noch immer einige hier geäußerte Bedenken, aber die Möglichkeit, dass an ihrer Stelle Kolonnaden kommen würden [...] lässt mir die Wippe mittlerweile als kleineres Übel erscheinen.


    Das geht mir auch so - und ich bin grds. ein Freund von Rekonstruktionen historischer Bauten und finde die Wippe albern.


    Aber dass man mit dem Humboldtforum/Berliner Schloss erst einen alt-modernen Hybriden baut und ihm ein Konzept verpasst, das die Weltoffenheit des modernen Deutschland symbolisieren soll, um dem Bau dann ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal vors Portal zu setzen, bei dem der Kaiser in Herrscherpose symbolisch von seinem ehem. Schloss Besitz ergreift (indem er auf das Portal zureitet), geht gar nicht. Wer ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal braucht, findet es u.a. hier:


    https://de.wikipedia.org/wiki/…l_an_der_Porta_Westfalica


    ... und hier:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Eck


    Beides sind authentische Zeugnisse ihrer Zeit und einen Besuch wert. Vors Humboldtforum/Berliner Schloss passt ein solches Monument nicht mehr, dazu ist es seiner Bestimmung nach zu sehr ein Leitbau für das moderne Deutschland, das - daran sei erinnert ;) - eine Republik ist.

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  • Die neue Volte zurück zur Wippe halte ich für amüsant bis albern: Das Ding wird so, wie es geplant ist, nicht funktionieren. Es wird ein ewiges Ärgernis bleiben. Und vielleicht ist es ja genau deshalb doch eine ganz passende Metapher für die deutsche Nation? ;)


    Nein, denn die deutsche Einheit funktioniert erstaunlich gut, nicht nur verglichen mit fragiler konstruierten Nationen mit sehr viel größeren "Dysfunktionalitäten" (von Italien über Belgien bis zum UK).


    Praxistauglich oder nicht, die Wippe ist m. E. plumper Politkitsch. Da hat die einzige erfolgreiche Revolution der deutschen Geschichte, die Freiheits- und Einheitsrevolution in Ostdeutschland von 1989/90, besseres verdient.


  • Aber dass man mit dem Humboldtforum/Berliner Schloss erst einen alt-modernen Hybriden baut und ihm ein Konzept verpasst, das die Weltoffenheit des modernen Deutschland symbolisieren soll, um dem Bau dann ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal vors Portal zu setzen, bei dem der Kaiser in Herrscherpose symbolisch von seinem ehem. Schloss Besitz ergreift (indem er auf das Portal zureitet), geht gar nicht.


    Dir ist bekannt, dass man vorgeschlagen hat, alleine die Kolonnaden, die das einstige Denkmal umrahmten, zu rekonstruieren? ;) Es war niemals die Rede davon den Kaiser selbst wieder aufzustellen.
    Es ging darum dem monumentalen Eosander Portal mit den Kolonnaden ein angemessenes, architektonisches Gegenüber und der Schlossfreiheit eine Fassung zu geben.


    Etwa so:

    (Eine schnelle Visualisierung, die ich schon vor einigen Jahren zusammengezimmert hatte.)

  • Dir ist bekannt, dass man vorgeschlagen hat, alleine die Kolonnaden, die das einstige Denkmal umrahmten, zu rekonstruieren? ;) Es war niemals die Rede davon den Kaiser selbst wieder aufzustellen.


    Das ist "formal" sicher korrekt.


    Aber erstens sieht man doch, wie hier z. T. argumentiert wird: Die Kolonnaden waren auf das Denkmal bezogen, also sollte da auch wieder ein Denkmal hin, und das kann eigentlich nur das Original sein.


    Und zweitens finde ich - ganz subjektiv - die Kolonnaden einfach scheußlich. Mit diesem spätborussischem Schwulst kann ich einfach nichts anfangen.


    Wie gesagt: Grds. bin ich ein Freund von Rekonstruktionen, hier aber nicht.

  • Und zweitens finde ich - ganz subjektiv - die Kolonnaden einfach scheußlich. Mit diesem spätborussischem Schwulst kann ich einfach nichts anfangen.


    Die Kolonaden sind schwülstig, die Wippe ist lächerlich. Es ist jetzt ein Abwägen zwischen Schwülstigkeit und Lächerlichkeit. Was ist wohl das kleinere Übel?


    Ganz ehrlich, mit dieser Wippe machen wir Deutschen uns lächerlich. Die Sache mit dieser merkwürdigen Wippe wird ganz übel in die Hose gehen. Es wird genauso kommen, wie Odysseus es in Beitrag #759 beschrieben hat.

  • Wie kommst du darauf, daß eine Rekonstruktion des Kaiser-Wilhelm-Denkmals die einzige Alternative gewesen wäre? Es wäre nämlich auch möglich gewesen, die Kolonnaden ohne Standbild zu rekonstruieren. Und eine weitere Alternative, dich ich favorisiert habe, wäre gewesen, gar nichts an dieser Stelle zu bauen und den Raum freizulassen.


    Man könnte das Reiterstandbild auch ohne Reiter rekonstruieren, um sowohl die Preußenhasser wie auch die Liebhaber historischen Ambientes zufriedenzustellen...

  • Es geht ja nicht nur um ein historisches Ambiente. Der Ort hat eine unglaublich große städtebauliche Präsenz, bei dem man sich eigentlich Gedanken machen muss, warum man die Chance und das Bedürfnis, nach historischer Zusammengehörigkeit verkommen lässt. Die Wippe geht, wie man ja sieht, überall. Ein Objekt aus einem historischen Ensemble leider nicht. Nunja, die Götter haben gesprochen.


    Ich denke, einen Weltuntergang wird die Wippe auch schon nicht auslösen, wie manch einer hier ja gerne beschwören möchte. Städtebaulich ist das Teil schon vertretbar. Raumkanten werden auch einiger maßen durch den doch relativ hohen Sockel erzeugt.
    Allerdings verstehe ich den konzeptionellen Gedanken dahinter nicht und die konstruktive gestalterische Planung (laut rendering) halte ich auch für eine Katastrophe. :nono:


    Vielleicht kann mich ja da jemand aufklären. Vor allem stören mich diese "wir sind das Volk"- Sitzbänke/Stolperfallen. Was soll das sein? Wir sind das Volk und wackeln manchmal von links nach rechts? Außerdem mögen wir es gern, wenn sich jemand auf uns raufsetzt?.


    Ohne jemanden auf den Schlips treten zu wollen, aber der Satz macht diese Wippe doch erst so lächerlich. Ich finde es gut, dass eine Erinnerung erhalten wird. Aber dann doch bitte seriös und am richtigen Platz, für das Volk, nicht für die Touris oder die Postkartenindustrie. Das Holocaustdenkmal muss doch eigentlich als Klettergarten für spanische Schulgruppen ausreichen...


    Das nächste Problem sehe ich bei der Bauausführung. Laut Rendering wird sich ein Geländerhersteller eine goldene Nase verdienen.
    Die Brüstungen werden außerdem viel höher und undurchlässiger sein, damit klein Kevin nicht runter plumpst. Der Bereich unter der Wippe wird wahrscheinlich auch nicht so offen werden wie dargestellt. Zum einen muss man schauen, dass niemand sich irgendwas einquetscht. Zum anderen will man auch nicht, dass das die Wippe durch einen Gegenstand sich aufkeilt oder verklemmt.


    Fazit:


    + Wippe als skulpturelles Objekt vertretbar
    + städtebaulich raumfüllend


    - konzeptionell fehlt jeglicher Zusammenhang zum Schloss
    - politische Botschaft schlecht umgesetzt, fast schon peinlich
    - Sicherheitsfaktoren werden der Wippe die Leichtigkeit nehmen



    anyway..., könnte ich es mir aussuchen, würde statt der Wippe, Kolonnaden + Kaiser Denkmal wiederaufgebaut werden. Meiner Meinung nach, sind diese die einzigen richtigen Objekte für diesen doch sehr bedeutsamen Ort.

  • Zumindest finden sich einige Gemeinsamkeiten der Diskussion auf politischer Ebene und hier im Forum.


    Vielen Befürwortern der Wippe geht es nicht um ein Freiheits und Einheitsdenkmal.
    Vielmehr wollen die nur das alte Nationaldenkmal bzw. wenigstens alles historische (Kolonnaden) verhindern, auf Teufel komm raus.
    Ich könnte jede Wette abschließen, daß die meisten aus diesem Lager auch aus den gleichen Motiven keine Schlossfassade haben wollten.


    Nun ist diese Position aus diesen Motiven heraus auch eine legitime Meinung, nur eben durch die zahlreichen, scheinheiligen Argumente genauso verlogen.


    Anstatt zumindest unvoreingenommen mit unserer politischen Vergangenheit und deren Sichtbarkeit in Denkmalen umzugehen wird nur wieder ideologische Rosinenpickerei veranstaltet.
    Es wird wieder ideologisch separiert welches Denkmal würdiger, wertvoller und politisch passender erscheint.
    Der größte Irrglaube dabei ist, daß es eine Rangordnung der Epochen und ihrer Denkmale gäbe.


    So sollte sich die Frage ob es ein Denkmal für z.B. Luther, einen deutschen Kaiser, Marx & Engels, Bismarck, Thälmann usw. heute noch geben darf garnicht stellen dürfen. Das gilt natürlich auch für unsere Nationaldenkmale, alte wie neue.
    Alle haben bei unvoreingenommener Betrachtung ihre Berechtigung und vorallem nationale geschichtliche Bedeutung, ob man nun will oder nicht.


    Ich bin wie weiter oben geschrieben ein unbedingter Forderer eines Freiheits und Einheitsdenkmals.
    Ich finde auch die Innschriften auf diesem Denkmal (allerdings nicht der Wippe) "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" könnten für ein solches Denkmal nicht passender sein.


    Nur fühle ich mich als aktiver Teilnehmer der ersten Leipziger Demos '89 vom ideologischen Hickhack dieser heuchlerischen Diskussion verschaukelt bzw. betrogen.


    Würden die Befürworter eines Freiheits und Einheitsdenkmals wirklich ehrlich zu einem solchen Denkmal stehen, könnten die vielleicht ebenso wie ich etwas großes und bedeutendes fordern bzw. uns schmackhaft machen um den bedeutenden Ereignissen '89/'90 gerecht zu werden.
    Aber lieber mißbraucht man die Notwendigkeit eines solchen Denkmals um sich am denkmalgeschützen Sockel eines historischen Nationaldenkmals abzuarbeiten, und diesen auch noch nachhaltig zu beschädigen.


    Es gibt für den denkmalgeschützten Sockel eben nicht nur entweder neues oder altes Denkmal (welches ich mir wünschen würde) oder Kolonnaden ja oder nein, sondern zuallererst die unbedingte Pflicht den denkmalgeschützten Sockel wieder in den Zustand vor seiner Beschädigung vorletzten Jahres zurückzuversetzen.



    Gruß, Jockel


  • Du widersprichst dir binnen weniger Sätze selbst und kannst trotzdem nicht verstehen, wieso ich darauf hinweise? Wir diskutieren hier doch nicht postfaktisch, sodass es "Haarspalterei" ist, darauf hinzuweisen, dass der Bundestag eben nicht bechlossen hat, diesen Entwurf/dieses Denkmal zu bauen. Sondern irgend eines. Welches, das wurde an die Ausschüsse verwiesen - und könnte dort auch nach wie vor geändert werden (es gab übrigens auch keinen Bundestagsbeschluss für einen zweiten Wettbewerbsdurchgang, nachdem man mit dem ersten nicht zufrieden war).


    Du und andere Befürworter des Denkmals führen einen vermeintlich verbindlichen Bundestagsbeschluss für die Wippe wie eine Monstranz vor euch her, in einer Art Totschlagargument (der Subtext, der dabei sinngemäß bei mir rüberkommt, lautet: "eure Diskussionen sind ja alle schön und gut, aber der Bundestag, der hochheilige, göttliche, unfehlbare, superwichtige Bundestag, der hat beschlossen!!!").


    Und solange dem Gekungle, diesem ach so demokratischen und parlamentarischen Verfahren von hochteutscher Tradition, kein wirklich neuer Beschluss, sei es des Haushaltsausschusses, wirksam gefolgt ist, brauchen wir das "gecancelt" auch nicht revidieren. Nach zig Kehrtwenden bei diesem Projekt ist gar nichts sicher, bis es sicher ist.

  • Dass Marx und Engels zu "Götzen" gemacht wurden (was leider stimmt), ist kaum deren Schuld.


    Also die oft gehörte Haltung von Apologeten, die Sozialismus ist in der Theorie gut, er wurde nur immer und immer und immer falsch realisiert? Eine Ideologie, die in der Praxis noch nie ihre Theoreme heilsbringend umsetzen konnte, ist wertlos. Und diese beiden Herren, die in vielen Menschen offenbar solch ein Feuer mit ihrer Ideologie geweckt haben, dass viele Menschen immer wieder bereit waren und sind, (teils wörtlich) über Leichen zu gehen, um das neue Utopia, das diese versprachen, zu erreichen - "der neue Mensch" wurde versucht auf den Leichenbergen "alter" Menschen zu konstruieren, ein Homunkulus nach den Bauplänen von Marx und Engels - diese sollten endlich vom Sockel gestoßen werden.


    Man darf mit Fug und Recht kurios finden, dass ausgerechnet Ideologen, deren Idee zigfaches Leid verursacht haben, ein eigenes "Forum" im Herzen der demokratischen Republik und ihrer Hauptstadt ihnen zu Ehren geweiht haben, der Kaiser, dessen Weltanschauung gegen das, was Marx und Engels vom Zaun gebrochen haben, geradezu harmlos wirkt, der - ob du ihn magst oder nicht - aber eine große Rolle in der historischen Einigung des heutigen Deutschlands spielte, der bleibt verbannt?


    Ich finde weder das Marx Engels Forum toll, noch das Wilhelm Standbild. Mit Götzenverehrung gleich welcher Art kann ich nichts anfangen. Aber dann doch bitte konsequent, zB eine Versetzung auch dieser Götzen in ein Museum mit begleitender Dokumentation.


    Dass aber so am "Marx Engels Forum" festgehalten wird, während andernorts schon ein Wappen von Wilhelm auf den Bodenmosaiken gereicht hat, diese abbrechen zu lassen, das ist von vorne bis hinten ein inkonsequenter und selektiver Umgang mit Geschichte und Denkmälern. Und daher ist es einfach keine Unterstellung von Historienfans, dass mit der Wippe gezielt und dauerhaft das alte Nationaldenkmal überformt werden soll - nicht weiterentwickelt, sondern überformt, aus den Augen, aus dem Sinn. Falls es dazu noch eines stichhaltigen Belegs bedurfte, dann wurde dieser mit dem bilderstürmerischen Abriß der Mosaike geliefert. Zu solch einem Umgang mit Geschichte und historischer Bausubstanz können wir, gerade als Architekturinteressierte, einfach nicht die Hand reichen, ob einem ein konkreter Einheitsdenkmalentwurf gefällt oder nicht, meine ich.


    Ich hätte mir von unserer Gemeinschaft hier eine geschlossene, kritische Haltung gewünscht - jenseits der Frage, ob man ein Fan der Wippe ist oder nicht. Die kann man ja von mir aus woanders errichten, wo sie keine historische Substanz überformt, wenn es denn zwingend die Wippe sein "muss". Das ist gar nicht mein wichtigster Punkt hier. Es stünde uns gut zu Gesicht, einen reifen Umgang mit unserer Geschichte zu haben und zu Brüchen und Widersprüchen zu stehen. Muss man dazu Wilhelm rekonstruieren? Gewiss nicht. Müsste man dazu die Reste des Nationaldenkmals inkl. Mosaiken fachgerecht restaurieren und präsentieren und öffentlich zugänglich machen? Unbedingt. Solange noch nicht die Bagger aufgefahren sind ist es noch nicht zu spät und eine kritische Öffentlichkeit kann evtl. noch eine Änderung in letzter Minute bewirken.

  • Ich vermisse in der ganzen Dikussion und zwar von Beginn an, von politischer Seite und hier speziell von Seiten des Kulturstaatsministers/in einen intelektuellen Diskurs! Ich meine so ein Denkmal muss doch auch zutiefst gewollt sein, es muss ein Grundkonsens in der Gesellschaft vorhanden sein über Sinnhaftigkeit, Ausdruck und Standort. Ich fordere dass die betreffenden Stellen in Politik und Kultur endlich sich dieser Sache annehmen und es nicht nur den Gremien der Administration des Staates, der Stadt und einem Förderverein, überlassen hierüber zu befinden. Ich meine, es geht um ein Denkmal für das wichtigste Ereignis dieses Landes und somit von uns allen, dem es zu Gedenken gilt. Ich fordere einen Niveauwechsel in der Diskussion!


    Meine ganz und gar persönliche Einstellung entnehmen sie bitte diesem Statement:
    http://www.deutsches-architekt…hp?p=554128&postcount=698

    3 Mal editiert, zuletzt von Camondo ()

  • Also ehrlich Camodo
    über dieses Denkmal würde über 20 Jahre gestritten, diskutiert, es ging die Feuilletons rauf und runter, zu sagen du vermisst einen intellektuellen Diskurs darüber ist für mich nicht mehr nachvollziehbar.
    Es ist ALLES über dieses Denkmal gesagt worden was man nur sagen kann, mit typisch deutscher Gründlichkeit und Obsession wurde jeder noch so abstruse und erdenkliche Aspekt durchleuchtet und analysiert.

  • ^ allerdings gab es nicht die breite gesellschaftliche Debatte wie sie beim Denkmal für die ermordeten Juden Europas stattgefunden hat.


    Als an Architektur interessierter Person ist mir nicht bekannt, daß über ein Einheitsdenkmal seit 20 Jahren eine breite gesellschaftliche Debatte geführt worden ist. Diese Diskussion muss ich jedenfalls verpasst haben.

  • ^das Einheitsdenkmal ist stets ein Elitenprojekt geblieben und ist es ja auch jetzt, bis zum Schluss, siehe die Einigung hinter verschlossenen Türen im Gespräch der Fraktionsvorsitzenden.


    Schon nach dem ersten, verkorksten Wettbewerb hätte man es anders aufziehen müssen. Bürgerdialoge, Bürger in Workshops Ideen entwickeln lassen. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass im 2. Wettbewerb überhaupt nur einen Sieger gekürt hat, weil man die Blamage, nun wieder zu scheitern, um jeden Preis vermeiden wollte.


    Nicht einmal die Architektenlyrik der Wippe ergibt nämlich Sinn. So soll die Wippe oder Wage, je nach Sichtweise, einen Ausgleich vermitteln oder eine langsame, reformatorische Veränderung, wenn sich die Bürger absprechen und sich mehrheitlich auf einer Seite versammeln, damit die Hydraulik die Schale langsam abwärts bewegt (auch eine schöne Metapher: "für die Mehrheit geht es abwärts! Die Minderheit wird dabei von den Mühen der Mehrheit angehoben!" - eher ein unfreiwilliges Mahnmal für die aktuelle soziale Schieflage im Land, als ein Einheitsdenkmal).


    Nur, wie soll das an den Umsturz 1989 erinnern? Da ging es nicht um einen Ausgleich, da wurden die Bonzen gestürzt - und reichlich alte Kader trauern ja bis heute der DDR nach, wo sie als Blockwart oder Stasi Offizier was galten und furchteinflößend waren und Macht und willkürlich (zumindest psychische) Gewalt über Mitmenschen ausüben durften. Die hat man nicht "mitgenommen" und auch nicht "vermitteln" wollen - ganz im Gegenteil. Die hat man abgesetzt, rausgedrängt, Tschüssi. Und der Umsturz war alles, nur keine graduelle Reformagenda.


    Das heißt nicht einmal die Architektenlyrik "funktioniert" als Einheitsdenkmal. Und nur weil man dort den Schriftzug Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk. anbringt ist es noch lange kein überzeugendes Einheitsdenkmal, das wirkt fast wie ein hilfloser Versuch irgend einen Bezug zur Einheit herzustellen (fehlt nur die Beschriftung "Hinweis: das ist ein Einheitsdenkmal").


    Das drängt sich doch sehr deutlich auf. Einer breiten Diskussion würde der Entwurf IMHO daher niemals standhalten. Das ist ein Elitenprojekt und kein Bürgerdenkmal. Das "Raumschiff Berlin" baut sich eine kleine Landungsfähre und setzt sie zwischen G20 Gipfel und Eurorettung mal kurz vor dem Humboldtforum ab, "so, hier habt ihr". So wirkt das.


    Es ist in unserer Republik populär, zu versuchen durch (langatmige) Formal-Prozesse politische Legitimation zu erzeugen. Nach dem Motto, das ging jetzt durch zig Gremien und verwaltungsrechtliche Verfahren (gem. § Art. 123 Halbsatz 2b der Verordnung zum Wettbewerb zur zum zur - Kurz VOzWzzz mit öffentlicher Auslage an jedem dritten Hexensabbat im Kopierraum des Amtsgebäudes nach Voranmeldung) und dementsprechend gab es ja auch pflichtgemäße Berichterstattung in den Medien, also sei der Prozess ja auch "öffentlich" gewesen. Und Basta. Genau so lief es auch hier. Schema F durchzuziehen (Bundestagsbeschluss, Ausschuss-Beschluss, Wettbewerbsverfahren, Wettbewerbssieger, Ausführungsplanung,...) und die Öffentlichkeit darüber gelegentlich in Kenntnis zu setzen ist aber keine öffentliche Diskussion!


    Camondo hat mit seiner Kritik also vollkommen recht.

    6 Mal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • Theseus532


    Lies bitte was ich geschrieben habe. Ich vermisse einen intellektuellen Diskurs von politischer Seite speziell von Seiten eines Kulturstaatsministers. Wo wenn nicht hier wäre sein/ihr originäres Betätigungsfeld. Ich meine nicht das übliche Für und Wider im deutschen Blätterwald. Wenn Dir das als intellektuellen Diskurs genügt... es sei Dir unbenommen.

    Einmal editiert, zuletzt von Camondo ()

  • Wir reden uns hier die Köpfe heiß, aber was soll getan werden?


    Es gibt einen politischen Prozess, dessen Ergebnis diese Waage/Wippe ist. Und nun? Wer soll entscheiden, dass das alles Murks ist? Unser Forum hier wird dazu sicher nicht befragt.


    Soll die Bevölkerung darüber abstimmen? Wenn ja welche? Die Berliner, die deutsche, die ostdeutsche oder nur die, die an der friedlichen Revolution beteiligt waren? Und kann man sicher sein, dass der Massengeschmack besser ist als der einer "qualifizierten" Jury?


    Wenn es gebaut wird, jammern alle, dass niemand es wollte. Wenn es nicht gebaut wird, fragst man sich, für was wir eigentlich eine repräsentative Demokratie haben.


    Was hier schon mehrfach kritisiert wurde ist, dass wir eigentlich gar nicht genau wissen, wie diese "Einheitsschale" ganz genau aussehen soll. Es gibt etliche verschiedene, aber keine endgültigen Renderings, keine Videos, die einem das Projekt schmackhaft machen könnten. (Was ich nicht für vollständig ausgeschlossen halte).


    Sie Sache ist so verfahren, dass man entweder sofort mit dem Bau der vermaledeiten Schale anfängt, oder man (wieder die Frage: wer eigentlich?) sich auf ein 10jähriges Moratorium einigt, in dem weder Schale noch Kolonnade gebaut werden.

  • ^sagen wir so, es gibt derzeit eine riesige Latte an verschiedensten Projekten, die von der Groko gerade noch durchgeschoben werden. Selbst die halbgare PKW Maut, von der man bis heute nicht abschließend weiss ob und wie sie funktionieren soll und ob sie rechtmäßig ist, wurde in Gesetzesform gegossen.


    Es gibt eine gewisse "Torschlusspanik", weil der Ausgang der kommenden Bundestagswahl offensichtlich für informierte Kreise noch viel ungewisser ist, als für die allgemeine Öffentlichkeit. Und jetzt alle Politiker ihre Schäfchen, die sie in den letzten Jahren gehütet haben, noch ins Trockene bringen wollen.


    Dass diese Eile kein guter Ratgeber ist versteht sich von selbst. Man möchte eben noch möglichst viele vollendete Tatsachen schaffen, bevor im Herbst die Groko - so das erklärte Ziel aller Parteien - endet und ganz enorm Personal durchgewechselt wird.


    Das heißt, wenn die das jetzt nochmal auf die lange Bank schieben, dann ist das Projekt in der Form tot. Gerade weil es bisher ein Elitenprojekt ist, das von einigen wenigen, herausgehobenen Politikern besonders protegiert wird, es steht und fällt also mit diesen Eliten. Das wissen diese. Darum nun die hektische Betriebsamkeit, bevor demnächst der Bundestagswahlkampf einsetzt und nichts mehr groß passiert.


    Das ist sachlich alles also nachvollziehbar, warum jetzt auf einmal solcher Druck gemacht wird. Aber einem Einheitsdenkmal ist das nicht würdig.


    Was also getan werden soll - ist erstmal am besten nichts und es bei der aktuell noch gültigen Beschlusslage belassen (die wurde auch nicht im Hinterzimmer zwischen den Fraktionsvorsitzenden rechtswirksam verändert, selbst wenn die Presse titelt, die Groko hätte jetzt doch die Umsetzung des Einheitsdenkmals "beschlossen"), nämlich dem Projektstopp. Und dann sollen sich die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bund nach der Bundestagswahl neu mit dem Projekt befassen. Hoffentlich dann mit mehr Weißheit (echter Bürgerdialog). Ob das Endprodukt einer Bürgerbeteiligung dem Feuilleton besser gefällt ist dabei irrelevant. Das Wesensmerkmal eines Einheitsdenkmals muss es nämlich sein, dass sich das Volk, dem da ein Denkmal gesetzt werden soll damit identifiziert - es wird keinem Herrscher, keinem Wilhelm, keinem Marx, keinem Götzen und keinem Helden ein Denkmal gesetzt, sondern dem Volk, vom Volk, für das Volk. Wie das aussehen kann, keine Ahnung. Und wir müssen dieser Bürgerbeteiligung auch gar nicht vorausgreifen.


    Ich teile das hierzulande verbreitete, vorauseilende Mißtrauen gegenüber jeglicher Bürgerbeteiligung genauso wenig, wie die Annahme, dass die Funktionseliten das alles immer besser hinbekommen. Schau dir doch nur den desaströsen ersten Wettbewerb und den nicht wirklich befriedigenderen zweiten Wettbewerb an. Die Eliten und Bürokraten haben es auf ihre Weise versucht und sich blamiert.

  • KaBa1
    völlig Deiner Meinung. Es gibt ja schon Verwirrung bei der Bennenung daraus folgen dann die Punkte die Du angesprochen hast. Ist es Einheitsdenkmal? dann betrifft es uns alle. Ist es ein Denkmal für die Montagsmarschbewegung, dann betrifft es nur einen Teil.
    In diesem Bezug ist auch auf die angedachte Inschrift hinzuweisen. >Wir sind das Volk<, betrifft natürlich auch nur einen Teil.
    Und, wie kann es dann sein, das ein Denkmal mit der Inschrift >Wir sind das Volk< quasi per Dekret von einer Regierung dem ganzen Volk aufs Auge gedrückt wird?
    Solange derlei Ungereimtheiten existieren bleibt es in meinen Augen unerlässlich von staatlicher Seite her einges klarzustellen von all den technischen Dingen abgesehen, damit können sich andere befassen.