Leipzig: Museumswinkel (realisiert)

  • Ich habe heute mal das teilabgerüstete Ergebnis in Augenschein genommen und bin zwiespältig was den Eckabschnitt des Carrés anbelangt. Zum einen ist es für sich genommen sicher keine schlechte Architektur und ich gehe davon aus, dass der fertige Bau hochwertig ausfallen wird. Auch die dem Gebäude innewohnende „Schwere“ hebt sich merklich positiv vom Ibis-Pendant ab. Auf der anderen Seite hätte der zweitplatzierte Entwurf mit seinem höheren Glasflächenanteil und der eleganten runden Ecke besser zum gegenüberliegenden Romanushaus gepasst. Wenn man mal träumen dürfte wäre es toll gewesen man hätte den Eckbau des Bernsteincarrés anstelle des Ibis-Baus verwirklicht und den zweitplatzierten Bürohausentwurf an die jetzige (Bernstein-)Ecke...

  • Jetzt wo die Gerüste fallen, muss ich sagen, dass meine Begeisterung doch substanziell schwindet. Die ganze Blockzeile ist viel zu massiv ausgefallen, das Romanushaus wird förmlich erschlagen von der Baumasse auf der anderen Seite.


    Die Farbauswahl ist auch mal wieder ein Trauerspiel, alles grau. Man soll nicht immer sagen, dass früher alles besser war, aber wenn ich mir das Romanushaus ansehe und dazu im Vergleich unsere heutigen Bau"leistungen", dann ist das Fazit extrem bitter.


    Ich finde sowieso, dass das ganze Konzept mit Museumskubus und der Randbebauung städtebaulich gescheitert ist. Bei der wirklich gut erhaltenen Stadtstruktur wirkt das ganze wie ein Fremdkörper, wie ein Gehege, dazu noch diese in weiten Teilen unglaublich schwache Architektursprache, die völlig fehlende Kleinteiligkeit, die fehlende farbliche Abstimmung mit dem Umfeld, nein, das ist nicht das, was ich mir für diese Ecke gewünscht habe.


    Besonders leid tut es einem um das Romanushaus, vielleicht das bedeutendste Bürgerhaus in Leipzig. Es wird von der Umgebung völlig zerquetscht. Echt schade!

  • ^ ich denke nicht, dass durch den gefühlten oder individuell so bewerteten Architekturmangel die --> städtebauliche Konzeption des Museums leidet. Im Gegenteil. Angesichts der gegenwärtig etwas unglücklichen Art und Weise, wie große Bauvolumina gestalterisch umgesetzt werden, ist mir lieber, in der Innenstadt maßstäblich vielfältige Baukörper zu haben. Das Museum als Großform, respektive jede x-beliebige andere vielleicht gefundene Form, erdrückt gar nichts in der empfindlichen --> Altstadt mit Barockzeile.


    Ja, die Gestaltqualität eines Hotelwinkels ist dröge, das Katharinum eher nicht, selbst das Museumsmagazin oder Aderholdhaus zeigen zeitgenössische Architektur - in Farbe.


    Das Romanushaus empfinde ich nicht durch die neuen Baukörper erdrückt. Es steht halt nicht mehr postkartenfrei. Sondern weist die Straßen auf, welche auch zu dessen Erbauungszeit diese Maßstäbe (etwas niedriger) hatten.


    Insofern warte ich mal die Gesamtwirkung ab, vor allem ob es gelingt den halböffentlichen Hofbereich zu mehr als Mülltonnenstandplatz zu nutzen.

  • Das graue Ding ist schon ein ziemlicher Klopper. Mir war gar nicht klar, dass es auch so weit in die Katharinenstraße hineinreicht. Subjektiv empfand ich diese hoch aufragende, graue Wand beim ersten Besuch am Wochenende doch ziemlich bedrückend.
    Ja, früher stand dort auch eine Häuserzeile - die historische Bebauung hat es aber (bezogen auf hist. Ansichten) vermocht, durch ihre Gestaltung die Enge der Straße aufzulockern und aushaltbar zu machen. Das gelingt einer grauen Wand naturgemäß weniger gut. Einen positiven Effekt hat die Neubebauung aber in der Ecke auf jeden Fall - sie hebt den Wert der Altbauten noch mehr hervor.

  • ^










    Fazit bis jetzt - ich sehe es ähnlich wie Odysseus, das Eckgebäude hat seine Qualitäten, aber das städtebauliche Konzept ist überwiegend gescheitert, obwohl aus den Wettbewerbsbeiträgen sowohl beim hier gezeigten Winkel als auch beim Museum selbst das jeweils noch überzeugendste Projekt ausgewählt wurde. Die Ursache liegt in der verfehlten (und nicht begründeten) Standortwahl und den sich daraus ergebenden Problemen und Widersprüchen...

  • Ich verstehe nicht was hier einige Erwartet haben? Das ist trotz guter Fassade halt ein Investorenobjekt was keinen Zentimeter verschenkt. Man kann froh sein das es noch ein Setback hat, aber auch nur weil das reguliert ist. Und früher war es dort auch nicht besser, das ist bei subjektiven Formaten wie S/W Fotos (die ein falsches Lichtbild suggerieren) gern so gedeutet aber unwahr. Aber das übersehen die Herren Postkartenanbeter immer nur zu gern um ihre Ideologien zu Hätscheln.
    Zumal es doch eine Straße weiter mit dem Klotzigen Primark-Kasten und seiner Verschattung auch nicht besser ist. Wie indifferent die aussagen doch manchmal sein können. Zumal die dortige Naturstein-Plättchen der Betonöberfläche des bernsteincarree ziemlich ähnlich sind in ihrer Wirkung. Die Filigranität (wenn auch abgeschwächt gegenüber dem Wettbewerbs) macht halt den Unterschied, als auch eine Fehlende Plastikwerbung ala Primark, welche für mich das Bernstein zum großen Gewinn machen. Auch wenn man mal den Block umrundet. Ich denke da besonders an das Rote, zerfallende Stadtgeschichtliche Museum und seine vetternschaft zum Kaufhaus Klotz neben der Uni....

  • Wie zu erwarten, wirkt das Gebäude nach Freilegung der Eckfenster weniger kopflastig und auch die Fassadenwellung wirkt inklusive Fensterlaibungen m.E. nicht weniger filigran als im Entwurf dargestellt. Ob das Konzept städtebaulich gescheitert ist, wird man sehen, wenn auch dieser Winkel fertiggestellt und sämtliche Durchwegungen möglich sind. Problematisch wäre eher, wenn die beiden neuen Winkel den innenliegenden Teil ähnlich wie das Katharinum nur als Hinterhof Links liegen lassen (was beim Loben desselben leider oft vergessen wird).

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  • Da das Bernsteincarré ja die Gastronomie (wie auch das Aderholdhaus) auch zum Hof hin öffnet, wird das sicher gelingen.
    Ich finde das städtebauliche Konzept weiterhin großartig, genau wie das Museum selbst, und es stellt eine Bereicherung für die Innenstadt dar. Wenn die Katharinenstraße sich dann bald als neue Gastromeile etabliert hat, ist auch dieser Teil der Innenstadt wunderbar entwickelt.

  • [...]Ob das Konzept städtebaulich gescheitert ist, wird man sehen, wenn auch dieser Winkel fertiggestellt und sämtliche Durchwegungen möglich sind. Problematisch wäre eher, wenn die beiden neuen Winkel den innenliegenden Teil täglich wie das Katharinum nur als Hinterhof Links liegen lassen (was beim Loben desselben leider oft vergessen wird).


    Kann man schwerlich zum Vorwurf machen. Die Flächen zwischen Museum und Winkeln sind an Unattraktivität auch kam zu überbieten. Wer sitzt oder flaniert schon gern eingezwängt zwischen den Neubauten und dieser Glaswand?

    2 Mal editiert, zuletzt von Saxonia ()

  • Naja - das städtebauliche Konzept basiert auf einer Vermittlungswirkung zwischen umgebender Stadtstruktur und abstrahiert-idealisiertem Kern (MuBiKü). Ob diese Art sakralisierte und abstrahierte Auffassung von Kunst (in der Architektur ausgedrückt) angemessen ist oder nicht, ist schon länger ein Diskussionsgegenstand der Kunsttheorie. Dieser Entwurf von Hufnagel Pütz Rafaelian hat sich aber eindeutig und explizit auf diesen Standpunkt gestellt und behandelt Kunst als etwas kontemplatives, abgerücktes, aus dem Alltag enthobenes, stilles. Daher mehrere "Schutzhüllen" um den Kunstkern: Die zwischen städtischem Leben und kontemplativer Betrachtung vermittelnde "Winkelbebauung", die transitorische Zwischenzone, die Glashülle um den Kubus, die Betonkuben in der Glashülle... - Daher ist es wie Lesen von Blinden oder Singen von Sprachlosen zu fordern, wenn das Museum in das tosende Alltagsleben integriert werden sollte... - Ein Ort der Betrachtung, abgeschieden vom nahen, ihn umgebenden Stadtalltag will es von entwurfsansatz sein. - Wie gesagt - es gibt auch andere Museumskonzepte - nur hat sich damals die Wettbewerbskommission für dieses Konzept entschieden, was die Entwerfer schon damals völlig transparent so kommuniziert haben...

  • Kann man schwerlich zum Vorwurf machen. Die Flächen zwischen Museum und Winkeln sind an Unattraktivität auch kam zu überbieten. Wer sitzt oder flaniert schon gern eingezwängt zwischen den Neubauten und dieser Glaswand?


    Ich zum Beispiel oder andere Leute, die auch nichts dagegen haben, "eingezwängt" auf Freisitzen in Hinterhöfen und Gassen zu sitzen - zumal auf relativ hochwertiger Pflasterung samt Baumbestand. Insofern ist die Einordnung als maximalst möglicher unattraktiver Ort deine rein persönliche Meinung. Unabhängig davon, was macht eigentlich die stets gut gefüllten Freisitze an der Reichsstrasse so attraktiv? Für mehr Urbanität sorgen sie allemal, und genau darum ging es.

  • Naja - das städtebauliche Konzept basiert auf einer Vermittlungswirkung zwischen umgebender Stadtstruktur und abstrahiert-idealisiertem Kern (MuBiKü).


    Mich erinnert das Museum mit seinen Winkeln am ehesten an das Straßburger Münster - das ist auf drei Seiten von sehr eng stehenden, hohen Gebäuden umgeben, was dazu führt, dass man durch die Gassen laufend sehr plötzlich vor dem riesigen Kirchenbau steht. Das funktioniert hervorragend und ich finde, dass das Leipziger Museum diesen Effekt ganz gut kopiert. Natürlich hat der einfach gehaltene Museumsbau nicht den gewaltigen Effekt des Straßbürger Münsters (insbesondere der Westfassade), aber das Prinzip ist jetzt mit den bebauten Winkeln durchaus erkennbar.

  • @Dave
    Natürlich ist das meine Meinung, ich habs ja auch geschrieben. Ob sie so exklusiv ist, wird sich zeigen. Es macht wohl schon noch einen Unterschied, ob man an einer beidseitig belebten Gasse oder in einem urigen Hinterhof sitzt. Hinter den Winkeln gibt es nichts davon. Der Glaskubus wirkt nur erdrückend und nicht umsonst versucht man die Ansicht durch hochwachsende Bäume zu verstecken. Die brauchen halt noch etwas, dann kann man es da bestimmt aushalten.
    Ich lass mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen, Winkel und Museum stehen ja nun sowieso einmal.

  • Gutes Projekt

    Ich habe das Projekt nun mit großer Spannung verfolgt und finde es nach wie vor gelungen. Städtebaulich wirkt der Winkel sehr heterogen. Das Sichtbeton-Facing für das Eckhaus war, meiner Meinung nach, eine mutige Entscheidung. Ich denke dieses ästhetische Mittel braucht Licht und Raum, um seine volle Wirkung (und seinen monolithischen Charakter) voll zu entfalten. Nun ist die Bebauung doch sehr dicht und auf mich wirkt der Bau in Gegenüberstellung zu seinem Barock-Nachbarn etwas Dominant. Insgesamt gefällt mir die Formensprache weiterhin und ich bin gespannt wie sich die Fassade halten wird.

  • Das letzte Foto hat finde ich was Gaudì'esques. Diese...Rippen oder wie auch immer man das nennen will, erinnern mich irgendwie an die Schornsteine der Casa Milà.


    also Gaudi wäre mir da jetzt nicht eingefallen... :D dieser Effekt ist in der Realität auch nicht ganz so eindrücklich.
    Mich erinnert der obere Teil ein bisschen ans Stadthaus in Dresden...



    Quelle: http://www.das-neue-dresden.de/stadthaus-dresden1923.html


    ...aber auch am Grassimuseum gibt es ähnliche Rippen-Strukturen an der Fassade.



    Neue Bilder:


    Zunächst der Blick zum Markt...



    ...und zur Bernstein-Ecke:





    Nun ist die Bebauung doch sehr dicht und auf mich wirkt der Bau in Gegenüberstellung zu seinem Barock-Nachbarn etwas Dominant.

    Wobei man sagen muss, dass das ein Grundproblem der Gesamtkonzeption ist - das Bernsteincarre ist diesbezüglich noch der verträglichste und niedrigste Entwurf.










    Dieser Entwurf von Hufnagel Pütz Rafaelian hat sich aber eindeutig und explizit auf diesen Standpunkt gestellt und behandelt Kunst als etwas kontemplatives, abgerücktes, aus dem Alltag enthobenes, stilles. Daher mehrere "Schutzhüllen" um den Kunstkern: Die zwischen städtischem Leben und kontemplativer Betrachtung vermittelnde "Winkelbebauung", die transitorische Zwischenzone, die Glashülle um den Kubus, die Betonkuben in der Glashülle...


    Ein Ort der Betrachtung, abgeschieden vom nahen, ihn umgebenden Stadtalltag will es von entwurfsansatz sein. - Wie gesagt - es gibt auch andere Museumskonzepte - nur hat sich damals die Wettbewerbskommission für dieses Konzept entschieden, was die Entwerfer schon damals völlig transparent so kommuniziert haben...

    Kann man das noch irgendwo nachlesen?
    Meine Vermutung geht eher dahin, dass sich das Winkel-Konzept aus den widersprüchlichen Anforderungen des Wettbewerbs ergeben hat und nicht so sehr aus einer "Kunst-Entrückungs"-Vorstellung...



    Die LVZ hat es sich auch nicht nehmen lassen, ein bisschen Werbung für das Carré zu machen,
    ein paar Zitate daraus:


    "Fachleute versprachen sich sogar Tourismus-Effekte, wie sie das spanische Bilbao mit dem ... Guggenheim-Museum erzielen konnte."


    Bei solch fulminanten Kenntnissen bleibt zu hoffen, dass wir diese "Fachleute" nicht als Betteltouristen vorm Museum wiedersehen werden...

    "Vor allem können die Besucher ... in Zukunft die Raffinesse des 20 Jahre alten Architekturentwurfs in der Realität erfahren."


    Als ob das nicht auch bisher schon möglich gewesen wäre, nur erfüllt das Ergebnis eben nicht die überzogenen Ansprüche und Vorstellungen, die unnötigerweise mit diesem Bau verknüpft wurden...
    In dem Zusammenhang darf auch daran erinnert werden, dass mit diesem Museum ein Betonpflock ins Herz der umliegenden Shoppingcenter gerammt werden sollte (frei zitiert nach Engelbert Lütke-Daldrup).


    Dennoch blieb der Bau lange bei vielen Einheimischen unverstanden, weil die im Entwurf von 1997 eingeplanten vier Winkel des "Bilderrahmens" ringsum fehlten."

    Klar, die Einheimischen sind einfach zu blöd, als dass sie sich diese komplexen Winkel vorstellen könnten... anders kann es gar nicht sein...

    Der Passagengedanke und die Einladung zum Flanieren durch die Höfe und Terassen seien endlich in diesem Zusammenhang erlebbar."

    dazu der Originalentwurf...



    ...der übrigens auch eine kleinteilige Struktur der Winkel vorsah, um den angestrebten "Kathedralen-Effekt" zu erreichen,
    aber wen interessieren schon solche Kleinigkeiten, wenn man die Grundidee mit einem hingeschluderten IBIS-Hotelbunker effektvoll konterkarieren kann?
    Die LVZ-Hof-Berichterstatter jedenfalls nicht...


    "ein kleines Wunder des Städtebaus"

    Dieser permanente Marketing-Sprech, der fröhlich an der offensichtlichen Realität vorbeipalavert, macht die Sache auch nicht besser.
    Sicherlich werden die auch hier schon diskutierten Freisitze an dieser Stelle genutzt werden, aber eben erst, wenn die attraktiven Plätze in der Stadt schon besetzt sind (oder irgendwas Besonderes vom Gastronomen angeboten wird), das architektonische Umfeld wird dazu wenig bis gar nichts beitragen.



    (Bilder vom letzten Mittwoch, ich hätte auch welche aus dem Winter nehmen können :D )


    "Zur Grundsteinlegung des Museums waren viele Häuser ringsum unsaniert und Geschäfte verwaist, erinnert sich OBM Burkhard Jung, Heute pulsiert hier Großstadtleben."


    Und was hat das mit dem Museum zu tun? Dieser Bereich hätte sich auch ohne den Neubau problemlos so entwickeln können, wie der größte Teil des übrigen Zentrums, während sich der Leuschnerplatz mit dem Museums tatsächlich bereits in einer ganz anderen Situation befinden könnte - und das nun schon seit gut 13 Jahren.



    ...hier pulsiert der Bär! :D

    2 Mal editiert, zuletzt von Rundling ()

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    Laut dem Entwurf von '97 soll man ja quasi durch das Museum flanieren können, sodass man eben nicht wie bisher durch die Öffnungen in der Umbauung direkt auf eine Glaswand zumarschiert. Sind denn dahin schon Schritte unternommen worden? Scheint mir nicht so.


    Ansonsten zeigt sich jetzt, da die Katharinenstraße ostseitig wieder bebaut ist, die Schwäche der Brühl Höfe. Vom Markt kommend, marschiert man auf einen finsteren, schwarzen Block zu.