Die künftige Last der/s modernen Architektur/Städtebaus?

  • ...Es gab und gibt einen Grund, warum durch alle historischen Baustile hindurch, angefangen in der Antike bis zur "Jahrhundertwende-Architektur" a lá Jugendstil, gewisse Materialien (in gewisser Witterungsumgebung) ständig wiederholt wurden. ..


    Ich hoffe bei deinem Rundumschlag kalkulierst Du mit ein, dass gerade die Stilepochen des Historismus und Jugendstil bei der Aussendekoration mit Vorliebe auf den doch eher minderwertigen Stuck zurückgegriffen haben im deutschsprachigen und osteuropäischen Raum jedenfalls, und nicht wie in Westeuropa, vorzugsweise, Frankreich, Belgien, Grossbritannien die Außenornamentierung auch in Stein ausgeführt wurden. (Ausnahmen bestätigen die Regel)


    ... und beziehst Du jetzt unter ”Betonexperimente” wie Du es nennst, das Humboldt Forum mit ein ein, oder nicht???

  • Ich sehe keinen Zusammenhang mit dem Humboldtforum. Dass am Material für die Ornamentik oft gespart wurde ist insofern zwar im Detail ärgerlich, war aber zu verschmerzen, da man auch da auf normalen Verputz setzte und überdies im Detail auf den Witterungsschutz achtete. Sei es, indem das Stuck-Gesims ein kleines "Zinkdach" auf seiner Oberseite bekommen hat. Dazu kommt, dass man Stuckschäden recht einfach ausbessern kann.


    Beim Sichtbeton kommt dazu, dass der halt gleichzeitig auch die tragende Struktur des Gebäudes ist, was der Grund ist, dass Sichtbetonbauten des Brutalismus oft schon nach 30 Jahren nicht nur eine Kernsanierung der Fassade sondern der Konstruktion benötigen. Fast schon wie in der Medizin - da werden lauter "Zugänge" über Bohrlöcher gelegt und patentgeschützte Chemiecocktails über Schlauchinfusionen injiziert, um zB "Betonkrebs" zu "heilen". Es hat sich schon eine eigene Sparte in der Bauindustrie für die Betonsanierung entwickelt, diese Firmen verdienen super mit der Sanierung von Sichtbetongebäuden.


    All das brauchst du nicht, wenn du auf eine Mörtel-Ziegel Mauer einen mineralischen Putz gibst und darauf den Endanstrich. Schlimmstenfalls musst du den Putz abschlagen. Putz ist billig, das teuerste daran ist die Arbeitszeit.

  • Ich sehe keinen Zusammenhang mit dem Humboldtforum. ...


    Ich meine in Bezug auf den massiven Betonbaukörper wie das Humboldt Forum einen darstellt. Selten soviel Beton auf einem Fleck gesehen ;) Das macht es fast schon wieder liebenswert.

  • ^ Heute baut man nicht mehr in Sichtbeton, dennoch fehlt mir die gebotene Sensibilität - vor allem in altstädtischen Bereichen. Nehmen wir ein paar aktuelle Beispiele aus Breslau, Büroobjekte die nur rein zufällig in der Altstadt errichtet werden - ohne den geringsten Bezug zu diesen. Die Bauten hätten auch sonstwo entstehen können, dort würden sie sogar nicht ganz schlecht wirken - aber in einer Altstadt will man mehr.


    In Deutschland gibt man sich oft etwas mehr Mühe, als Beispiel das Düsseldorfer Andreasquartier - zumindest wird etwas Kleinteiligkeit angedeutet, mit Balkongeländern einige liebenswürdige Details geschaffen. Unter dem Strich ist es aber auch hier halbherzig, eher eine Pflichtübung wohl als Zugeständnis an die Kommunalpolitik. Konsequentere Projekte wie auf dem Frankfurter Dom-Römer-Areal bleiben zu selten. Dabei müsste man nicht zwingend 1:1 vergangene Bauten nachbauen - aber zumindest mit Fassadenkunst usw. etwas individuelles und einmaliges schaffen. Im ersten der Breslauer Beispiele auf der verlinkten DAF-Seite wirkt der Neubau des Hilton-Hotels plump verglichen mit dem benachbarten Hochhaus des Backsteinexpressionismus (der frühen Moderne).

  • ^^Heute baut man nicht mehr in Sichtbeton


    Aha, ich sage nur „432 Park Avenue“ (426m Sichtbeton) oder in Antwerpen der neue Hauptsitz des Hafenamtes, geplant von Zaha Hadid Architects. Gelesen: „Es erweist mit seinen Lichtreflexionen Antwerpen als Zentrum für den Diamantenhandel seine Referenz. Getragen wird die Stahlkonstruktion von einer Säule in schönster Sichtbetonoptik.“

  • Bei all dem wollen wir doch bitte nicht die Praxiserfahrung ausblenden. Es gab und gibt einen Grund, warum durch alle historischen Baustile hindurch, angefangen in der Antike bis zur "Jahrhundertwende-Architektur" a lá Jugendstil, gewisse Materialien (in gewisser Witterungsumgebung) ständig wiederholt wurden. Die Erfahrung zeigte halt, was sowohl bauphysikalisch wie ästhetisch "gut" alterte und was nicht.


    Wesentliche Faktoren neben dem Wissen darüber "was hält" sind aber doch:

    • Kenntnis alternativer Materialien
    • Verfügbarkeit alternativer Materialien
    • Kosten alternativer Materialien
    • Beherrschen der Verarbeitung alternativer Materialien
    • Kosten der Verarbeitung alternativer Materialien


    Schon die Römer haben massiv mit Beton gearbeitet, das Wissen darüber ging aber verloren und wurde vor gut 150 Jahre neu entdeckt (Wer weiß, was wir sonst alles an historischer Bausubstanz aus Beton hätten).


    Die Verwendung von gebrannten Ziegeln erfordert die Verfügbarkeit von Ton und beachtliche Mengen von Brennstoff. War nur eines von Beiden nicht gegeben musste man mit Naturstein arbeiten, so verfügbar.


    Die Verwendung von Naturstein für das tragende Mauerwerk erfordert einen Steinbruch und Transportmittel, dazu qualifizierte Verarbeiter und Werkzeuge, mit denen Stein bearbeitet werden kann. Hinzu kommt heute, dass Naturstein als tragendes Bauteil aufgrund seiner Variabilität entweder überdimensioniert werden muss oder grundsätzlich ausscheidet. Manche Natursteine scheiden heute auch aufgrund ihres Verhaltens bei Erhitzung aus.


    Blieb historisch der Bau aus Holzfachwerk, mit und ohne Verputz oder Verkleidung, übrig.


    Welches Material verwendet wurde, ergab sich also häufig (meistens?) weniger aus Wissen und Wollen sondern aus Haben und Können.


    Mit Beton ist es aber genauso. Man braucht geeignete Rohmaterialien, Transportmöglichkeiten und das Wissen um die korrekte Verarbeitung. Bei letzterem haben wir in den letztn 50 Jahren deutlich dazugelernt - die Bauschäden durch zu dünne Betonüberdeckung von Armierungsstählen, die sich kaum beheben ließen, haben einiges an Lehrgeld eingefordert.


    Aber was wesentlich ist: Bei jedem Material ist beim Bauen auf die Eigenschaften des spezifischen Materials zu achten - und das zu bauen, wofür dieses Material besonders geeignet ist. Quadratisch, praktisch, langweilig in Beton nutzt nur einen Bruchteil des Potentials des Materials, aber dafür kann man in Beton wunderschöne stützenlose geschwungene Treppen bauen, die kein anderer Baustoff ermöglicht (nur um mal im Bereich Wohn- und Geschäftshäuser zu bleiben).


    Die Möglichkeit, mit identischen Schalungen - oder gar Wiederverwendung der immer gleichen Schalung eine endlose Wiederholung der immer gleichen Strukturen zu bauen ist eine einerseits kostengünstige Eigneschaft von Beton, anderseits auch eine der Versuchungen, denen Architekten kaum widerstehen können und hier kommt wieder das alte Thema: Das was gebaut wird, entscheidet nicht der Architekt sondern der Auftraggeber.


    Zum Schrägdach: Auch hier ist der "allgemeine", "historisch belegte", ästhetische Konsens so nicht gegeben. Wir finden in allen Epochen immer wieder Gebäude, bei denen das Schrägdach so flach wie technisch möglich ausgeführt und dann zur Betrachterseite hin durch Mauern versteckt wurde, um den Eindruck eins komplett flachen Daches zu erreichen. Erst seit wenigen Jahren sind wir in der Lage, ein solches flaches Dach zuverlässig dicht zu bauen.
    Andere Kulturkreise mit geringerer Niederschlagsbelastung haben die Vorzüge eines flachen Gebäudeabschlusses, der dann als Garten im städtischen Raum oder als erweiterte Wohnfläche genutzt wird, schon wesentlich füher erkannt und genutzt - Steildächer sind dagegen immer nicht nutzbare versiegelte Fläche.

  • Ich denke eines der gravierendsten Probleme moderner Architektur ist einfach der äußerst schlechte Alterungsprozess. Während viele Bauten vergangener Epochen eigentlich mit dem Alter und einer Zunahme an Patina eher gewonnen haben, ist es bei Bauten der Moderne eigentlich genau umgekehrt.


    Mit dem Tag der Abrüstung ist ihr Höhepunkt schon Vergangenheit. Die am Anfang in ihrer Reduktion strahlende cleane Optik verwandelt sich leider allzu oft bereits nach wenigen Jahren in eine ungepflegte Wirkung die dem Stadtbild zunehmend abträglich wird.


    Dies liegt auch in den verwendeten Materialien begründet. Metall, glatter Naturstein, Sichtbeton, riesige flächige Putzflächen, all dies hat eben andere Eigenschaften wie Sandstein oder viele andere Baumaterialien die vor 1920 primär verwendet wurden.


    Ein großes Problem ist ferner die fehlende Plastizität der modernen Fassaden. Die abwechslungsreichen Gründerzeitfassaden gaben in ihrem Formenspiel Alterungsprozessen einfach ganz andere Angriffsflächen als glatt verputzte Bauten der heutigen Zeit.


    Und man muss auch sagen dass noch vor 100 Jahren einfach viel nachhaltiger gebaut wurde als heute und mit viel mehr Handwerkskunst und auch mit einem ganz anderen Kostenrahmen. Man schaue sich mal den Aufbau beim Schloss aktuell an. Wie massiv und wertig das ganze ist. Heute muss leider alles billig sein. Betonkern. Dämmung drauf. Und dann verputzen oder wenn es hoch kommt dünne Natursteinplatten dran. Für mehr reicht es heute leider nicht mehr.


    Und dies ist eigentlich so schade. Wenn man bedenkt welche Wirkung Venedig oder Florenz haben. Ja gerade weil die Städte irgendwie so schön gealtert sind. Und dies geht den Bauten der Moderne in weiten Teilen leider völlig ab. Nur leider müssen Bauten eben auch noch nach 10 oder 20 Jahren nach was aussehen. Und das tun z.b. Gründerzeitfassaden. Auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit sind viele Bauten von vor 1920 den heutigen daher auch um Lichtjahre voraus. Weil sie auf Beständigkeit angelegt sind und nicht auf Mode und schnelles Geld verdienen.

  • Heute muss leider alles billig sein. Betonkern. Dämmung drauf. Und dann verputzen oder wenn es hoch kommt dünne Natursteinplatten dran.


    Odysseus, ich stimme dir in vielen Dingen zu. Das Argument, wonach alles billig sein muss, ist allerdings kein Problem, daß man nur mit moderner Architektur in Verbindung bringen sollte. Es wäre ziemlich unfair, die heutige Kostenproblematik am Bau der modernen Architektur in die Schuhe zu schieben. Denn die heutzutage in traditionellem Stil gehaltenen Bauprojekte sind ja leider viel zu häufig ebenfalls billig ausgeführt.

  • @ Architektur fan


    Da hast du recht. Habe mich da falsch ausgedrückt.der ökonomische Druck ist leider aber ein Sinnbild unserer Zeit. Früher waren Bauten mehr als ein Anlageobjekt. Sie waren Ausdruck von Gesellschaft. Von Dynastien. Von Repräsentation.


    Der Höhepunkt waren sicher die Bank-, Bahnhofs- und Warenhausbauten der Jahrhundertwende um 1900. Es ging nicht einfach darum einen Funktionsbau zu errichten in dem die eigenen Angestellten untergebracht werden mussten. Es ging darum zu zeigen zu was man in der Lage ist. Natürlich kann man diese Einstellung kritisieren. Aber es bleibt festzuhalten dass es schon immer der Repräsentationdwille war, ob nun von den Herrschenden oder dem neuen Geldadel der Gründerzeit der einfach einmalige Bauten hervorgebracht hat.


    Heute gibt es diesen Willen zur Repräsentation leider in diesem Maße nicht mehr weil der Kostendruck einfach zu groß ist und sich die Einstellung in der Gesellschaft dazu einfach geändert hat. Was früher bewundert wurde und als Fortschritt galt ist heute eben maßlos und fast dekadent.


    Und trotzdem muss festgehalten werden dass der Stil der modernen Architektur gepaart mit dem heute üblichen Kostendruck zu einer sehr problematischen Mischung für die Baukultur in der gesamten westlichen Welt geworden ist.

  • Ich glaube der Hauptgrund liegt im fortschreitenden Demokratisierungsprozess der Gesellschaft
    Früher mussten kaum oder keine Rechenschaft über Kosten oder Sinn abgelegt werden, heute sieht das ganz anders aus und Entscheidungsprozesse enden meist in Kompromissen.
    Ebenso findet durch die zunehmende Individualisierung von Leistungen eine Veränderung statt. Hat früher der Staat sehr wenig Geld für den Einzelnen ausgegeben, dafür aber mehr für die Gemeinschaftprojekte, also Parks, Häuser, Bahnhöfe, Ubahnen usw, die dann auch Repräsentationsaufgaben hatten.
    Seit hundert Jahren werden Leistungen des Staates mehr und mehr individualisiert (wenn man sich allein Sozialetat in den westlichen Ländern ansieht) dann bleibt eben relativ weniger für anderes.

  • Nein, das kann nun wirklich nicht behaupten. Ein "fortschreitenden Demokratisierungsprozess" kann ich nicht beobachten.


    Nehmen wir doch bloß einmal den Museumsbau, der in den letzten Jahren des Kaiserreiches am Ort der entstehenden James-Simon-Galerie entstehen sollte: der Preußische Staat musste seine geplante Investition vom Parlament absegnen lassen und hat den Bau nach eingehender Baugrunduntersuchung aus wirtschaftlichen Gründen abgesagt. Heute kam man zwar zu den gleichen Ergebnissen in der Baugrunduntersuchung hat jedoch trotzdem mit dem Bau begonnen. Zwei pleite gegangene Bauunternehmen und eine Baukostenverdoppelung später liegt man jetzt auf der Zielgerade. Was ist daran denn "demokratischer"? Und die vermeindlich abzlegende "Rechenschaft" ist doch ein Lippenbekenntnis - oder wer hält für die Verdoppelung der Kosten die Rübe hin? Auch das Repräsentationbedürfnis hat nicht gelitten, man protzt nur mit anderer Architektur.


    Das gleiche liesse sich bei der Lindenoper durchdeklinieren - alles ohne den BER zu erwähnen.

  • der ökonomische Druck ist leider aber ein Sinnbild unserer Zeit.


    Es gab nie eine Zeit, in der Geld keine Rolle spielte. Die Verzierungen früherer Epochen waren nicht zum Jux, sondern eine Investition in die Vermarktbarkeit - inzwischen hat sich die Kundschaft vielleicht etwas abgewöhnt und erachtet Fassadenschmuck nicht mehr als selbstverständlich. (*)


    Dennoch - wie auf der letzten Seite geschrieben, hier müsste die Wohnlage hochpreisig sein - selbst in mittleren Lagen bieten die Fassaden oft mehr. Etwa der Düsseldorfer Kentenich Hof von Ralf Schmitz (auch in Berlin tätig) - eine interessante, lebendige Fassade mit Naturstein und Putz. Man beachte nur die Geländer - sie wirken durchaus modern, aber auch interessant - viel besser als die plumpen Geländer der Häuser am Schinkelplatz.
    Interessantere Geländer bietet selbst das Haus rechts hier am Ku'damm - das linke wiederum eine sehr plastische Fassade in Naturstein, die heutzutage sehr wohl errichtet und finanziert werden kann. Wer sich keinen Naturstein leisten kann, behilft sich heutzutage mit Putzprofilen.


    Ich glaube übrigens nicht, dass Satteldächer etwas verbessern würden - interessantere Fassaden schon.


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    (*) Dazu dieser Text von 'Die Welt', den jemand gestern als Nur-Link postete, weswegen alles im Papierkorb landete. Es geht u.a. um den Schloss (den man von den Häusern am Schinkelplatz sehen kann) und die Abkehr von der Moderne. Ich könnte wetten - beim Vermarkten der Wohnungen hier wirbt man mit dem historischen Blick aus den Fenstern ohne zu erwähnen, dass die eigene Fassade eher 0815 ist. Es scheint aber, dass den Leuten auch immer wichtiger wird, wie die Fassade des eigenen Hauses wirkt.

  • ^ ich finde die Geländer vom "Haus nähe Ku'damm" als ziemlich scheußlich.


    Ich habe gesehen, wie handwerklich aufwendig die Fassaden am Schinkelplatz gebaut wurden, was hier auch gut dokumentiert ist. Geld sparen spielte hier sicher keine Rolle. Eher habe ich den Eindruck, dass einige sich schwertun Qualität von Firlefanz zu unterscheiden. Man braucht die einfach gestalteten Fassaden nicht schön finden, aber Sparsamkeit steckt nicht dahinter.

  • Fassadenschmuck

    Früher war aber der prozentuale Aufwand für den Fassadenschmuck deutlich höher als er heute sein müßte.
    Vor 150 Jahren war es bei normalen Hausbauten üblich, für den Schmuck des Hauses 15 - 20 % der Gesamtkosten für Dekoration auszugeben.
    Bei Repräsentationsbauten lag der Prozentsatz annähernd doppelt so hoch.
    Heutzutage wäre der Anteil für vergleichbaren Fassadenschmuck deutlich niedriger.
    Schließlich bestand damals die Haustechnik nur aus ein paar Schornsteinen, Wasser- und Abwasserleitungen und spielte bei den Gesamtkosten eine eher untergeordnete Rolle.
    Mit der ganzen Elektrik und Heizingstechnik, Aufzügen, Telefon und Medientechnik und gar Klimaanlagen ist der Mehrkostenanteil für Dekoration sicherlich nicht höher als fünf bis zehn Prozent anzusetzen.
    Ein gutes Beispiel ist das Humboldtforum, wo für die komplette Außenhülle, den Kuppelaufsatz und den überbordenden Barockschmuck aus Sandstein keine 20 % der Gesmtkosten aufgewendet werden.


    Wen heutzutage moderne Gebäude kaum Dekoration aufweisen, dann liegt das bestimmt nicht an dem Aufwand dafür. ;)

  • Der Fassadenschmuck ist das Eine, am Ende zählen doch die Gesamtkosten der Fassade. Dass die Haustechnik heute viel mehr ausmacht ist unstrittig, will man dann noch ein Museum reinbasteln wirds mit Klima etc. richtig teuer.


    Aber auch "moderne" Bauten haben ungeheure Fassadenkosten. Stahl-Glas-Fassaden sind in der Regel teuerer als ein Poroton oder Kalksteinbau mit harter Fassade (Putz). Wenn jede Scheibe zur Sonderanfertigung wird komt es eben teuer - da muss nicht jede schablonengezogene Lisene teurer sein.

  • Die entscheidende Frage ist immer noch nicht geklärt. Warum ist Bauen so schrecklich teuer? Andere Handwerke leiden unter einem Preisverfall. Bestes Beispiel ist das Bäckerei-Handwerk. Bäckereien stehen untereinander in extremen Wettbewerb, da es beim Brot einen jahrzehntelangen Preisverfall gibt. Der Trend zu Großbäckereien ist ungebrochen. Brot ist heute vergleichsweise preiswerter als vor 100 Jahren, da der prozentuale Anteil des Einkommens für das Grundnahrungsmittel Brot immer kleiner geworden ist. Das Bauen von Häusern ist nicht preiswerter geworden, vergleichen am prozentualen Anteil des Einkommens.

  • Prostituierte sind auch preiswerter geworden, seitdem die Ostgrenze offen ist. Ich fürchte mit solche Vergleichen kommen wir nicht weiter.


    Die Ursachen sind vielfältig:


    1) Technikkosten: Die Haustechnik ist in puncto Ansprüche und Kosten enorm gestiegen. Bei Museen und Opernhäusern macht das viel aus. Auch für die Bühnentechnik kann man viel ausgeben - der mechanische Schnürboden ist wohl ausrangiert.


    2) Hypertrophie der Handelnde: Gegenüber dem Baugrund ging man sorglos vor. Jeder Schulatlas aus der Kaiserzeit hätte zudem Hinweise auf den Operngraben geben können - Geschichte hält man allerdings für unwichtig. Diese Ignoranz hat auch bei der Simon-Galerie die Kosten verdoppelt, wo schon zur kaiserzeit wegen der Probleme im Baugrund nicht gebaut wurde. Aber jetzt sind wir ja klüger (siehe 3).


    3) Arroganz der Technik: Unterirdische Gänge für Bühnenbilder und angeblich wasserdochte Wannen gegen Grundwassen - statt Respekt vor den Naturgewalten zu haben hält man diese für Untertanen. Mich erinnert das an das "Lied der jungen Naturforscher" aus DDR-Tagen (Unterstreichung von mir):
    "Wir brechen in das Dunkel ein, verfolgen Ruf und Spur.
    Und werden wir erst wissend sein, fügt sich uns die Natur.
    Die Blume öffnet sich dem Licht, der Zukunft unser Herz.
    Die Heimat hebt ihr Angesicht und lächelt sonnenwärts
    ."


    4) Fehlerhafte Planung: Da Planung in der Regel Geld kostet wird diese nicht oder nur unzureichend vor der Entscheidung über die Baumaßnahme erbracht.


    5) Völlig naive Verwaltung: Schon die Vergabe ist eine Wissenschaft für sich, Auskömmlichkeit und Effizienez spielen kaum mehr eine Rolle. Und da meist ohnehin etwas anderes gebaut wird als ausgeschrieben (siehe 4) kostet es immer mehr.

  • ^ Dein Punkt 3) ist selbst Ausdruck der unter 2) beklagten Gesichtsvergessenheit: Die "Arroganz der Technik" beginnt ja nicht mit dem 20. Jh., erst recht nicht mit der DDR, sondern ihre philosophischen und mathematischen Grundlagen gehen (mindestens) auf den Beginn der Neuzeit zurück, auf Francis Bacons „natura vexata“, Descartes' Naturverständnis als unbeseelte "res extensa" etc. Hier bereits wurde vorgedacht und programmatisch formuliert, was dann später, besonders im 19. Jahrhundert als "Arroganz der Technik" triumphierte - auch gegenüber der "Kultur" übrigens. Der Standort des Kölner Hauptbahnhofs in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kölner Dom geht auf Entscheidungen Mitte des 19. Jh. zurück. Und, um das jetzt nicht ins Offtopicale entgleisen lassen, sondern zumindest topologisch wieder zurückzukehren: Auch die Stadtbahntrasse quer durch die Museumsinsel (letztes Viertel des 19. Jh.), kann nicht unbedingt als Ausdruck einer Bescheidenheit der Technik verstanden werden.

  • Früher waren Bauten mehr als ein Anlageobjekt. Sie waren Ausdruck von Gesellschaft. Von Dynastien. Von Repräsentation.[...]
    Heute gibt es diesen Willen zur Repräsentation leider in diesem Maße nicht mehr weil der Kostendruck einfach zu groß ist und sich die Einstellung in der Gesellschaft dazu einfach geändert hat.


    Das ist der Kern der klassischen Moderne: Statt Repräsentation, Präsentation, nicht sein wollen, sondern sein. Anstatt mit einer Fassade etwas zu zeigen, was es meist nicht gab, wie z.B. bei vielen Gründerzeithäusern, die nach vorne Schloss und nach hinten Kaserne waren, hat man den Inhalt zum Thema gemacht. Das hat aber nicht in erster Linie mit Baukosten zu tun, sondern mit einem allgemeinen, modernen Verständnis der Dinge. Die Entwicklung unseres modernen Staatswesens geht da Hand in Hand mit der Entwicklung der Architektur. Ein Gebäude wie der Kanzlerbungalow, mit seiner völlig offenen Gestalt ist da deutlich "repräsentativer" für eine Demokratie, als es ein wiederaufgebautes Märchenschloss wäre. Es ist heute wie damals ein Ausdruck unserer Gesellschaft, nur ist die nicht heute wesentliche egalitärer.