Wolfsburg: Phaeno - dekonstruktivistisch?

  • Wolfsburg: Phaeno - dekonstruktivistisch?

    Hallo miteinander!


    Ich bin gerade mitten in den Vorbereitungen für meine mündliche Prüfung in BK. Mein Thema lautet "Ein Vergleich der Architektur Frank Gehrys und Zaha Hadids". Um Hadids typischen Architekturmerkmale aufzuzeigen, verwende ich das Phaeno Science Center in Wolfsburg. Nun stellt sich mir die Frage, inwieweit das Phaeno dekonstruktivistisch ist, das Zaha Hadid ja mit zu den Vertretern des Dekonstruktivismus gehört?
    Kann mir da jemand weiterhelfen? Wäre echt super, wenn mir bis morgen noch jemand schreiben würde!


    Viele Grüße,
    PDM2007

  • Ich weiß nicht, ob ich dir weiterhelfen kann, fühle mich als Wolfsburger aber so geschmeichelt, dass ich ein bischen was schreiben will.
    Was am Phaeno wichtig ist, ist das EG. Die große Baumasse oben ist vergleichsweise unspektakulär, und nicht so repräsentativ für Hadids Werk.
    Du kennst es zwar schon, aber egal: Das EG besteht aus veschiedenen Pylonen, die wie Füße eines Flugobjektes wirken, kurz bevordieses vom Boden abhebt, oder kurz nachdem es gelandet ist. Stcihwort fruchtbarer Moment wäre hier ganz wichtig, weil es bei Hadid eigentlich immer um eine Bewegung geht, die in einem Moment festgehalten wird, in dem nicht klar ist, wie die Bewegung aussieht. Diese Pylonen sind, und das ist wichtig, an verschidenen Stellen eingeschnitten, abgehackt oder einfach weggenommen. Hier arbeitet Hadid ganz stark subtraktiv. In dem gesamten Geschoss ist der Zwischenraum zwischen den Baumassen wesentlich wichtiger, als die Form als solche. Diese Baumassen scheinen von der großen Halle im Innern des Gebäudes zu den Seiten gedrückt, und weichen dem Platz oder Raum aus.
    Gehry ist eher jemand der Additiv arbeitet. Seine Formen wachsen immer in den raum hinein, und die Skulptur also ihre Form ist wichtiger als der Raum dazwischen. Bei Hadid habe ich immer das gefühl, das etwas fehlt, und das Wände kleiner werden, und dadurch immer diese recht typischen "Spalten" entstehen. Gehry schneidet auch nicht so gerne in seine Geschwungenen Formen wie es Hadid tut.
    Das war jetzt ganz flachschürfend, und kann auch ganz falsch sein, ich hoffe ich hab dich aber auf ein paar kluge Gedanken gebracht. In wie weit das Phaeno dekonstruktivistisch ist ... schon so spät ... muss jetzt basteln.

  • Vielen lieben Dank für deine Antwort!
    Das ein oder andere daraus kann ich schon sehr gut verwenden, da es sich logisch an meine eigenen Überlegungen anpasst, besonders das mit der Bewegung.
    Ich hab mich auch nochmal auf Suche nach einer etwas genaueren Definition von Dekonstruktivismus gemacht, als die, die ich in der Schule gelernt hab, und siehe da: es ist viel einfacher als ich dachte! :)
    Hier ein kleiner Teil daraus:


    Schräg gestellte Wände, Stützen, die ins Leere gehen, wahllos über eine Fassade verteilte Oeffnungen und scheinbar zertrümmerte Volumina, dysharmonische Farb - und Materialkompositionen und extrem dynamisch wirkende Räume sind die Kennzeichen des Dekonstruktivismus in der Baukunst.


    Naja, ich klemm mich jetzt auch mal wieder hinter den Vortrag, will den heute noch fertig kriegen. Wenn ich nochmal ne Frage zum Phaeno hab, wende ich mich an dich, wenn du schon Wolfsburger bist ...! ;)

  • Solche Schmeicheleien zu der Stunde noch:liebe:


    Die schönste Definition ist es nicht. Mein ertes richtigs Gebäude hatte all das, was in em kleinen Text erwähnt wurde, war aber alles anere als zertrümmert oder wahllos. Ich hatte z.B. einen Ausstellungsraum im EG, der so ähnlich war wie am Phaeno, allerdings war daran rein gar nichts wahllos. Die einzelnen Pylonen, die sich immer mit einem Forschungsgebiet meines Wissenschaftlers beafassten bileten einen chronologischen Rungang. Die Ausformung ergab sich nach rein logischen un objektive Gesichtspunkten. Z.B. war der erste Pylon der der Ornitologie. Da mein Wissenschaftler die Ornitologie früh aufgeben musste war dieser einfach urchgeschnitten. Man konnte von unten in ihn hinein gucken, und entdeckte dort einen Bildschirm, auf dem man einen Film über die ornitologische Forschung sehen konnte. Schön daran war, dass er in 5m Höhe hing, und man ihn regelrecht observieren musste, wie man es in der Ornitologie mit den Vögeln tut. Ich glaube, dass der Dekonstruktivismus eine der am wenigsten beliebigen Bauformen ist, weil man sich nicht einfach ein Vorbild nehmen kann, und es an jedem Ort nachbaut, sondern sich die Formen viel stärker überlegen muss.
    Leider bauen Hadid, Gehry und Co immer öfter immer das selbe, un werden so auch allmählich immer beliebiger.


    EDIT: Was ist denn nun BK?

  • Das klingt sehr interessant.
    Mir ist auch aufgefallen, dass z.B. Gehry bei dem neuen Hotel in Spanien kaum neue Formen und Materialienverwendet, wenn man es mal mit dem Guggenheim Museum vergleicht, was ich ziemlich schade finde.


    Ich frag mich gerade auch, was du machst. Ich meine, bist du schon in nem Beruf - in deinem zarten Alter? ;)


    Mit BK meine ich Bildende Kunst. Ich bin gerade noch dabei, das mündliche Abi zu machen, ab Dienstag nachmittag ist dann alles vorbei! :D

  • Gerade mal im 2.Semester Architektur.


    Das blöde an Gehry ist, das er eigentlich nur noch Marketing macht. Die Entwürfe stammen meist aus der Hand seiner Mitarbeiter, was ja überhaupt ein Trend bei den großen Architekten ist. Wenn dem "Chef" ein Enrtwurf zusagt, dann segnet er den ab, und er wird Teil des Brands Gehry, Foster oder watweiß ich Hadid. Das dabei keine große Auseinandersetzung mit dem Ort stattfindet, weil alles dem Brand untergeornet wird ist wirklich schade. Bei Gehry ist es glaube ich sehr extrem, Hadid varriert da wesentlich mehr, auch wenn sie ihre Entwürfe nicht mehr selber macht.

  • So bewusst hab ich das noch gar nicht gesehen.
    Bei Hadid find ich aber das Auftreten von ihr auch ziemlich unsympathisch, was wiederum den meinerseits guten Eindruck ihrer Architektur mindert.


    Architektur war auch mal ne Richtung, die ich einschlagen wollte, irgendwie ist sie aber doch wieder von meinem Studienwahlzettel gestrichen worden. Hmm...gefällt dir der Studiengang?


    Ps: Ist Dvorak dein Nachname?

  • Hadid hätte ich fast getroffen, hab sie aber leider verpasst. Die "großen Architekten" sind auch alle recht unsympatisch, die normalen aber sind eigentlich ziemlich nett, und wurden sogar zur sexyesten Berufsgruppe gewählt.


    Der Studiengang ist total geil, wenn man sich für Kunst im Allgemeinen interessiert, und gleichzeitig auch mal etwas schaffen will, das den Menschen einen Nutzen bringt. Es ist verdammt viel was man leisten muss, dafür bekommt man ein derart umfassendes Wissen, wie es kaum ein anderer Studiengang vermittelt. In Braunschweig (unbestritten #1 Was Architektur angeht:D ) hast du Fächer wie Baukonstruktion, Baustoffkunde, oder Bauphysik, wo du halt das lernst was der Bauing macht, mediale Darstellung wo du viel Kommunikationsdesign machst, und richtige Kunstobjekte schaffst, es gibt das elementare Formen, wo du freie Kunst machst, und natürlich noch Entwerfen, wo du lernst wie man Häuser entwirft, so dass sie auch wirklich Hand und Fuss haben.
    Alleine schon die Architektinnen....


    Dvorak ist nicht mein Nachname. Antonin Dvorak war mein Ur-Ur-Ur-Großonkel, wobei ich nicht weiß, ob die Bezeichnung richtig ist. Meine polnisch-tschechisch-jüdisch-deutsche Familie stand extrem auf Kriegsfuß mit Russland, und hat deshalb nach dem 2.Weltkrieg den Namen Dvorak als Decknamen angenommen.

  • Hehe, zur sexysten Berufsgruppe? :) Werd ich mir merken...


    Mich interessiert Architektur schon sehr, aber der Berufsberatungslehrer an meiner Schule hat mir ziemlich davon abgeraten, aus verschiedenen Gründen, u.a. dass es sie "wie Sand am Meer gibt". Vor allem bin ich mir nicht so sicher, ob die Berufschancen so gut sind, dass ich Architektur studieren würde. Hast du vor danach in nem Architekturbüro zu arbeiten? Und wie war das mit nem Vorpraktikum auf der Baustelle o.ä., musstest du was in der Richtung machen?


    Ahh, danke für den kleinen Einblick in deine Familiengeschichte! ;)


    Ich werd jetzt mal so langsam gehen. Wenn ich morgen früh wieder weiterarbeiten möchte, sollte ich mich aufs Ohr hauen. Ich schau morgen mal wieder rein!
    Bis denne!


    Patricia

  • He,


    wollt Ihr die Diskussion nicht wieder ein wenig in Richtung Dekonstruktivismus lenken? Da würde ich auch gerne mitreden :)


    Kurz zu den Lehrinhalten des Architekturstudiums: es wäre schön, wenn sie etwas mehr Praxisbezug hätten. Ich halte es aus heutiger Sicht zwar für sehr unterhaltsam, Leute im Erstsemester kecke Striche machen zu lassen, die aus Kenntnismangel von (archi)tektonischen und städtebaulichen Prinzipien rückwirkend das Dekonstruktivismus-Prädikat erhalten, aber für wenig förderlich, was die Eingliederung in den späteren Büroalltag und den daraus eventuell resultierenden Erfolg angeht. Und mal ehrlich, die Inhalte, für die am Ende der Diplom-Ingenieurstitel vergeben wird, liegen erstens auf sehr niedrigem Niveau (der Beruf des Bauingenieurs behält schon seine Berechtigung) und gehen zweitens beim durchschnittlichen Absolventen links rein und rechts wieder raus (was die entsprechenden Inhalte insgesamt abflacht)

  • Ich bin der letzte der dem Bau-Ing sein Rechnen abnehmen will, und bin auch nicht er Meinung, dass es viele Architekten gibt, die das könnten. Vor kurzem war Betoninfotag der Firma Heidelberger. Im Publikum saßen 3/4 Bau-Ings, 1/4 W-Ings, und 3 Architekten. Das sagt ja schon alles ...
    Das Institut in dem man sein erstes Jahr Entwerfen macht heißt glaube ich auch Institut für experimentelles Entwerfen. Hier lernt man überhaupt erst einmal Arbetsmethoden wie man Gebäude entwerfen kann, so dass sie zum Ort und zum Bauherrn passen. Einfach frei Schnauze darf hier keiner bauen, und manchmal passt ein wenig Dekonstruktivismus halt ganz gut zum Ort oer zum späteren Nutzen des Gebäudes.
    Den Diplom-Titel zu bekommen ist wirklich nicht schwer, aber es gibt ja immer noch Noten, und die bekommt man nicht ganz so einfach.
    Was die Arbeitssituation angeht ist es ein wenig schwierig. Diejenigen, die in Braunschweig letztes jahr Diplom gemacht haben, haben alle einen Job. Angefangen beim Taxi-Fahren, bis hin zu jemandem, er nach Dänemark gegangen ist, und ein Einstiegsgehalt von sage und schreibe 18.000Euro bekommt. Achtzehnkiloeuro! Das Problem an Architektur ist ja folgendes. Wenn man vor dem Abi steht, und sich überlegt, welchen Leistungskurs man wählen soll, und wo man Prüfungen machen will, dann trauen sich viele Leute nicht an Kunst, weil sie davon keine Ahnung haben, jeder traut sich aber eine Prüfung in Deutsch zu, weil das kann er ja so halbwegs sprechen. Genauso ist es bei der Wahl der Studienfächer. Maschinenbau, Naturwissenschaften und ähnliches trauen sich nur die zu, die schon immer Ahnung davon hatten. Sozialpädagogig und Architektur sind aber Fächer, die sich viele Leute vorstellen können, alleine weil sie schon mal mit einem Menschen zusammen gelebt haben, und vier Wände mit nem Dach zeichnen können. Deshalb fangen so verdammt viele Menschen die nicht wissen was sie machen sollen Architektur an. Die, die aber wirklich Ahnung haben, bekommen auch einen Job. Wenn du bereit bist ins Ausland zu gehen, dann stehen deine Chancen ganz gut, auch was ordentliches zu finden. Außerem bessert sich die Lage am Arbeitsmarkt schon, und die Zahl der Architekturstudenten geht zurück, von aher wäre jetzt eigentlich der richtige Zeitpunkt.:D


    zum Dekonstruktivismus:
    An meinem 2.Tag an der Uni haben einige 1.Semester mit einigen 3.Semestern bei herrn Prof. Thiess im Institut für Baugeschichte gefrühstückt. Wie aus heiterem Himmel kam da die Frage auf wie weit man Hadid in die Baugeschichte einordnen könne. Also ob sie komplett etwas neues macht, oder wenn nicht wie sehr sie sich an varangegangenen Architekten orientiert. Daraus entstand dann ein (sehr) kleiner Exkurs in die Geschichte des Dekonstruktivismus.
    Zielich schnell kamen wir auf Olympia 72 un Frei Otto+Behnisch zu sprechen. Die "Olympia-Dächer" sind zwar nicht dekonstruktivistisch, zeigen aber schon ähnliche Ansätze, wie sie der heutige D. hat. Hier spielt die Konstruktion noch eine sehr wichtige Rolle für die Formfindung, sie tritt aber in den Hintergrund, wenn man sich in Nachhinein die Wirkung des gesamten Daches ansieht. Dieses scheint vollkommen frei von einer Konstruktion in der Luft zu schwingen. Die Konstruktionist hier reines Mittel zum Zweck, und dient nur dazu diese Wellenform in ihrer Bewegung einzufrieren.
    Das ist glaube ich das Grundthema des D.. Die Konstruktion wir vollkommen zweitrangig, und es tritt mehr denn je gebaute Dynamik in den Vorergrund.
    Vielleicht kann man ja Architektonische (Gegensatz)Paare bilden, wie Konstruktivismus/Dekonstruktivismus und Renaissance/Barock. Während die Renaissance sich ganz stark auf die klassische Bauform beschränkt, um ein höchstmaß an Harmonie zu erreichen, verlässt das Barock diesen Weg, wendet sich ab von der Harmonie übernimmt nur eine Art "Grundton" aus er klassischen Architektur, um darauf freier aufzubauen, und so Gefühle und Dynamik darzustellen. Schön kann man das mit Musik erklären. Renaissancemusik ist durch eine starke mehrstimmigkeit geprägt, die durch das stimmige Ineinanderfügen er Stimmen ein extrem harmonischen Klang ergibt. Das Barock ermöglicht etwas ganz neues, und erschafft die Oper. Man verzichtet auf die Vielstimmigkeit, und nimmt nur eine Stimme, dazu spielt das Orchester weniger vielschichtig, und tritt zurück. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit viel freier zu singen, und Emotionen darzustellen, indem man die ganze Bandbreite seiner Stimme nutzt, um voller Leidenschaft die Gefühle aus sich raus zu singen.
    Um das nochmal etwas anschaulicher zu machen hier ein 40-Stimmiges Stück von Tallis, einem Renaissance-Musiker, und hier Giuseppe Verdi mit la Traviata. Bezüge zwischen Architektur und Musik kommen in Prüfungen oft ganz gut an, zumindest in Kunst.
    Ich hab mich bewusst ein wenig von der Architektur entfernt, damit ich mich (noch) nicht so festlegen muss, was den Dekonstruktivismus angeht. Vieles ist sicher falsch was ich geschrieben habe, aber wir wollen ja auch diskutieren, und da darf das am Anfang auch mal sein.

  • Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

    Gilt der Dekonstruktivismus in Braunschweig noch als dominantes Entwurfskonzept?


    Ich versuche, es kurz zu machen. ;)


    Behnisch als einen Vorreiter des D. zu sehen, halte ich für gewagt (auch wenn andere dies ähnlich betrachten). Ich sehe ihn eher als frühen Vertreter eines neu aufgekeimten Konstruktivismus oder gar Strukturalismus, der sich später unter Rogers, Foster & Co. parallel zum D. entwickelte und zwischendurch mal den seltsam ungelenkigen und volkstümlichen Namen "High Tech Architektur" verliehen bekam. Offenbar im Gegensatz zu Dir sehe ich auch beim Münchener Olypiastadion zunächst ein Konstruktionsprinzip und erst in dessen Anschluss eine sich daraus entwickelnde Ästhetik des Momentes. Das entspricht m. E. auch viel eher der Herangehensweise, wie man sie selbst mit heutigen Entwurfsmitteln im Stande ist, zu leisten (das Modellieren einer Wellenstruktur z. B. geschieht über "Zugpunkte" die Behnischs Tragwerk im übertragenen Sinn entsprechen; das lose Dahinwerfen eines Stück Stoffes und anschließende "Verfüllen" mit Konstruktivität ist eher unwahrscheinlich und methodisch inkohärent )


    Beim D. ist der Entwurfsprozess komplett anders gelagert. Hier stehen die Kenntnis konstruktiver Belange bzw. Akzeptanz physikalischer Gesetze nicht im Vordergrund, sie werden statt dessen erstmalig als gegeben hingenommen und müssen sich dem Entwurfsspiel komplett unterordnen. Man könnte auch sagen, die künstlerische Seite des Architekten emanzipiert sich von den Fesseln, die ihm die Ingenieursseite auferlegt hat. Diese Verlagerung führt dazu, dass der Entwurfsprozess eine Eigendynamik entwickelt, oder boshaft gesagt: entwickeln musste, die nicht mehr das Endprodukt zelebriert, sondern den Prozess, der dahin führt.


    Für den Architekten rundum sehr komfortabel! Schließlich sind die Übergänge von stillschweigender Akzeptanz bis Unkenntnis fließend, den lästigen Pragmatismus übernehmen nachgeordnete Instanzen und mit einem einzigen Strich kann man die sonst sehr schwer zu überschreitende Grenze zwischen Intellektuellen und Intelligenzia ohne großen Anlauf nehmen. Ganz nebenbei erleichtert es auch noch die anstrengende Auseinandersetzung mit dem Bauherren und dessen Ansprüchen, für die im dekonstruktivistischen Entwurfskosmos kaum ein Platz vorgesehen ist. Kein Wunder also, dass sich der D. seit fast zwanzig Jahren gut an den Hochschulen behauptet.


    Du stellst in Deinen Ausführungen sehr stark die Darstellung der eingefrorenen Bewegung heraus. Das ist m. E. im bildlichen Sinne aber nur ein Teilaspekt, der bei anderen Protagonisten des D. oft überhaupt nicht so vordergründig erkennbar wird (siehe so ziemlich alles von Coop Himmelblau oder Gehrys eigene Behausung). Da aber die "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" eher im philosophischen Sinne gemeint ist, hinkt Dein Vergleich mit Renaissance und Barock m. E. ein wenig. Um jedoch bei Deinen Vergleichen zu bleiben: wenn Händel der Barock ist, die Beatles die weiße Moderne und Bohlen die industriell vorgefertigte Trabantenstadt, dann ist Dekonstruktivismus in meinen Augen Punk, im besten Fall auch noch auf Zwölfton-Mucke basierend (man beachte die zeitlichen Parallelen!) Mittlerweile gehören aber auch die Stranglers zum alten Eisen ;).


    Angetreten ist der vom OMA seinerzeit postulierte D., um die Postmoderne abzulösen (was ihm aus oben beschriebenen Gründen auch ganz gut gelungen ist). Aus dessen Dunstkreis ist im Übrigen auch Frau Hadid hervorgekrochen. Aus meiner Sicht haben es seine Protagonisten sehr gut verstanden, ihn - wenn auch mit recht langem Vorlauf - salonfähig zu machen. Z. B. wurde ähnlich, wie das bei Propagandisten anderer Coleur auch üblich ist, oft präventiv im Vorfeld genau das Gegenteil dessen bekundet, was mit dieser Strömung augenscheinlich abwertend hätte assoziiert werden können. Das beginnt schon bei Hadids angeblichem Bezug auf den Konstruktivismus a la Tatlinn & Co., sogar der Eiffelturm und sein kühner Technizismus mussten schon als Wegbereiter herhalten (gehen die Dekonstruktivisten aber nicht einen völlig entgegengesetzten Weg?).


    Ich halte den D. letztlich nur für einen jungen Verwandten der Postmoderne. So ziemlich alles, was er zu negieren versucht, von der Überlagerung und Überhöhung bis zur angeblichen "Unreinheit", taucht auch bei ihm an anderen Stellen erneut auf. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen diesen konkurrierenden Richtungen auf philosphischer Ebene ist doch die um 180 Grad gedrehte Bewertung des Entwurfsprozesses. Alles andere verläuft in etwa in den gleichen egozentrischen Kategorien.


    Ankreiden muss ich dem D. zudem, dass er scheinbar nicht in der Lage ist, über Solitäre hinaus Quartiere zu bilden und mit dem Bestand zu interagieren (absolut selbstgefälliges Negativbeispiel, was den städtebaulichen Kontext betrifft, ist der UFA-Palast in Dresden von Coop Himmelblau!). Das gelang der Postmoderne doch sehr viel besser (siehe z. B. Bofills "Sozialschlösser"). Die seit beinahe zwanzig Jahren immer wieder anzutreffenden Versuche eines dekonstruktivistischen Städtebaus sind m. E. nicht umsonst bisher gescheitert. Ausserdem halte ich es für ambivalent, einerseits mit dedizierten Entwurfsprozessen zu werben, für die das Vorhandensein einer physischen, größtenteils von der Gesellschaft hervorgebrachten Umwelt immanent ist (was auch ihre bisherigen Bauten mit einbezieht!), andererseits aber alles negieren und überformen zu wollen, was uns bisher so einzuengen scheint. Da war die klassische Moderne doch weitaus kosequenter, oder?


    Die wenigen Resultate, die der D. bisher hervorgebracht hat, lassen sich interessanterweise beinahe alle nach tradierten Schemen bewerten, verlangen es geradezu. Kaum ein anderer Architektur-Ismus der letzten Jahrzehnte hat so viel breite Zustimmung in der Öffentlichkeit gefunden - und das ganz sicher nicht wegen des philosophischen Überbaus, sondern weil seine Werke als eher konventionell "schön" empfunden werden (Einzelfälle, wie Gehrys Karnickelstall mal aussenvor). Wie kann es aber sein, dass eine völlig neue Herangehensweise letzlich ein "altes" Erebnis bringt? Liegt es vielleicht daran, dass die Prozesse so verschieden voneinander garnicht sind, daran, dass das Werkzeug der Dekonstruktivisten zwar notwendig ist, aber nicht hinreichend, statt dessen weniger lautstark postulierte, konventionellere Mittel und die verhassten Korsette vonnöten sind? Oder anders: nicht jedes schiefe Haus aus den Neunzigern ist dekonstruktivistisch - auch nicht, wenn sich sein Erbauer etwas dabei dachte.


    Hadid ist auch Mathematikerin. Sie weiß mit Sicherheit, dass viele als attraktiv empfundene Proportionen - aus der sich beinahe alle klassischen Stile mal direkter und mal abstrakter ableiten lassen - natürlichen Ursprungs sind. Schon deshalb kann sich ihr Anspruch nicht so weit vom Diesseits entfernen, wie sie es aus Marketinggründen gerne hätte.


    Aufpassen muss der D., dass er nicht so endet wie es sich derzeit bei der String-Theorie abzeichnet, mit der man alles und auch nichts erklären kann. Von daher braucht es wohl tatsächlich einiger, dem ursprünglichen Anspruch widerstrebender Einschränkungen.


    Ausserdem sehe ich nur schlechte Chancen, in unserer Gesellschaft Paradigmen etablieren zu können, die zwar Geld und Arbeitsleistung verlangen, aber diejenigen weitgehend ausblenden, die sie liefern sollen. Hadids Bau für BMW in Leipzig wurde z. B. nur realisiert, weil zuvor irgend jemand hanebüchende Verträge mit ihr abschloss, aus denen man nicht mehr rauskam. Aus ökonomischen Gründen (Baukosten und spätere effiziente Nutzbarkeit!) hätte man doch lieber jemand anderen beauftragt (tat man sogar dummerweise, war nur leider umsonst). Vitra lässt einen Hadid-Entwurf sicher aus vielen Gründen bauen, übertragbar auf eine andere Klientel ist das gewiss nicht ohne Weiteres. Und zum Phaeno: hier haben wir die seltene und glückliche Konstellation, dass ein Auftraggeber den imaginären Nutzen voll abschöpfen kann, ohne zuvor aus eigener Kraft investiert haben zu müssen. Aber gut, ich begebe mich wohl gerade sehr in Richtung Populismus ;). Schluss jetzt!



    Fazit: ich mag in weiten Teilen die Bauten des Dekonstruktivismus, jedoch nicht dessen Protagonisten und deren Dogmen.

  • ^^Das war ein sehr guter Beitrag. Was die städtebauliche Inkompetenz betrifft denke ich sehr ähnlich.
    Andererseits ist die Strömung doch sehr heterogen. Was ist z.B. mit jemandem wie Peter Eisenman? Auch er legt großen Wert auf den Prozess des Entwerfens, in dem er seine Entwürfe anhand gegebener Parameter entwickelt.
    Da sind doch Welten zwischen Eisenman, Hadid und Ghery? Zumindest aus Architektensicht fällt es mir schwer solche Protagonisten zusammenzuwerfen.


    Wichtig erscheint mir eher die prinzipielle Feststellung, dass es ein großes Bedürfnis in der Szene gibt, die sich aus der Konstruktion bedingende Form, die Grundsätze der Moderne hinter sich zu lassen - ohne historisierenend und reaktionär zu werden. In gewisser Weise ein Spiegel unserer Gesellschaft, die ständig nach neuem, aufregendem verlangt.
    Derartiges lässt sich aber auch in den Strömungen der "High-Tech-Architektur" erkennen. Neben Foster und auch noch Calatrava wird auch die klassische Schuhschachtel heute anders aufgefasst.
    Ich meine, so ziemlich jeder Architekturstudent hat mal was strukturalistisches, modularisiertes Entworfen. Ich sitze auch grad an so einem Ding drann. Interessanterweise werden hier die Prinzipien vom Prof viel freier interpretiert als von mir selbst. Aus Boxen werden so aufgeständerte Platformen, es entsteht der Eindruck von Ambivalenz in der Tragstruktur. Wenn man es so will hat das dann auch Dekonstruktivistische Züge, trotz rechter Winkel.
    Und um damit zu schließen: Ich habe manschmal das Gefühl, der D. wird eher durch die Ablehnug des rechten Winkels und einige wenige "Stars" definiert, als durch logische Dogmen. Als Dogma oder Stil schränkt es insofern nur ein. Außerdem versagt dieser Stil, bei Eisenman zumindest, grandios im Städtebau - Stichwort Rebstockgelände in ffm!

  • mik,


    ich weiß ja nicht, was aktueller Stand der Forschung ist, aber nach meiner Kenntnis hat Eisenman selbst das D.-Prädikat für seine Tätigkeit stets abgelehnt. Sicher, auch er bemüht sich, die klassischen Zwänge zu überwinden und die Arbeit des Architekten näher an jene der bildenden Künstler heranzuführen. Ich kann mich aber nicht erinnern, etwas über seine Prozessorientierung erfahren zu haben. Ausserdem gehen seine noch heute gültigen Ansätze auf eine Zeit zurück, in der Koolhaas und Co. noch keine Rolle spielten. Da ist es nur logisch, dass er das Wechselspiel aus These und Antithese, das die gesamte Branche befruchtet und Generation für Generation am Überleben erhält dazu nutzt, sich von seinen jüngeren Nebenbuhlern zu distanzieren. Und als jemand, dessen theoretische Arbeit (auch) den Anspruch auf zeitlose Vollkommenheit erhebt wird das besonders verständlich. Aber immerhin unterscheidet sich Eisenman darin von vielen Kollegen, dass er seine Entwürfe als einer der wenigen maßgebenden Architekten direkt auf Kosten des Plebs anfertigt - statt den Umweg über utopistische Gesellschaftideale zu gehen.



    Vielleicht lassen sich die Strömungen in der Architektur viel direkter als Spiegelbild der jeweiligen gesellschaftlichen Umstände lesen, als man es allgemein zu akzeptieren bereit ist? Ich begebe mich jetzt mal mal auf's Glatteis und stelle eine Beziehung zwischen den 68ern und den Dekonstruktivisten am einzelnen Beispiel her: Erstgenannte sind damals ausgezogen, die verkrusteten gesellschaftlichen Nachkriegsstrukturen aufzubrechen, gegen monopolistische Diktate anzukämpfen und die Freiheit des Individuums und dessen Entfaltung zu gewährleisten. Die übereifrige Schaffung von unhaltbaren Feindbildern ("alle Über-Dreißigjährigen sind potentielle Nazis") kam dabei sehr gelegen. Damit einhergehend wurden jedoch aktiv Strukturen geschaffen (siehe "Marsch durch die Institutionen") , die im Folgenden auf diffizilere Art die eigenen Ansprüche gegen die Vergangenheit und (erstmalig!) auch gegen zukünftige Entwicklungspotentiale manifestierten. Mittlerweile sind viele daraus entstandene Werte verstaubter, als es die Bundesrepublik anno 1968 gewesen sein konnte. Oder banaler: heutige Outfitzwänge (die letztlich auf den revolutionären Idealen beruhen), sind in vielen Fällen desaströser, als es der Krawatten- bzw. Kostümzwang an den Universitäten der späten sechziger Jahre war. Ein damaliger "Gammler" konnte sich - wie die Geschichte zeigt - leichter gesellschaftlich etablieren, als es heute für einen konservativen Jugendlichen in der Großstadt möglich ist.


    Architektonische Strömungen, wie eben auch der Dekonstruktivismus, haben ihre Entwicklungschancen oft ebenso vielschichtig interpretierbaren Umständen zu verdanken, gegen die sie anschließend - bewaffnet mit jeder erdenklichen Menge an ideologischem Ballast (der im Folgenden wunderbar der Machterhaltung dient) - zu Felde ziehen. Ein Befreiungs-Postulat (das in der Architektur erstaunlich häufig vorkommt!), erweist sich auch hier stets als effektvoll. Dem Dekonstruktivismus könnte man seine Attitüde fast abnehmen - gäbe es da nicht diesen kleinen Fauxpas aus dessen Frühphase, als seine Daseinsberechtigung zunächst machtinstinktiv mit der Ablösung der Postmoderne begründet wurde. Aber die Geschichte zeigt ja zum Glück, dass nach einer Phase des aktiven Generationen-Clashs (m. E. Ursache und Triebfeder der meisten "Revolutionen"), eine friedliche Koexistenz der, sich irgendwann auch wieder umkehrenden Tendenzen möglich ist.


    Habe ich das zu sehr überspitzt?




    Dvorak,


    ich lese Deine Beiträge eigentlich sehr gerne. Hoffentlich hat's Dir wegen der hier grassierenden Kontra-Dekonstruktivismus-Haltung nun nicht die Sprache verschlagen :)

  • Danke AeG. Ich finde die Diskussionen mit dir immer als Bereicherung. Gleiches glit auch für mik. Das ist immer eine nette Abwechslung zu den gefällt mir - gefällt mir nicht Diskussionen.
    Deshalb will ich auch ein wenig ausführlicher Antworten, hab aber dazu nicht die Zeit gefunden. Modelbauen, Schnitte machen, ... Außerem klemmt mein d. Werde aber sicher noch antworten.


    PS: Mein Prof für Tragwerkslehre hat bie Frei Otto gearbeitet, und war an den Planungen für das Olympia-Gelände beteiligt, den wollte ich noch ein wenig ausquetschen. Ist ja auch nicht uninteressant.

  • @ Aeg
    Ich dachte jetzt, Eisenman würde eher zu den "Dekonstruktivisten" (oder zumidest als Wegbereiter in Verbindung zum D.) eingeordnet werden - da hab ich mich wohl geirrt.
    Nichts desto trotz unterstützt es meine These, dass der Dekonstruktivismus eher auf der Selbstzuordnung einiger Architekten beruht, als auf einer eindeutigen und klar definierten Grundlage.
    Es gibt eben zu viele Überschneidungen mit Leuten wie Eisenman. Hinzu kommt, dass andere, wie z.B. Foster die "Form follows function"-Prinzipien ebenfalls verlassen. Ein Gebäude wie die Gurke in London ist in ihrem Design ein gutes Stück von früheren Bauten (Hongkong Bank,Commerzbank) entfernt. Die Architektur ist zwar anders als beim D., aber die gesellschaftlichen Vorstellungen sind nicht so weit auseinander! Der EZB-Neubau in Frankfurt wird wahrscheinlich, trotz andermen Stil, ähnlich wahrgenommen werden und wahrgenommen werden wollen, wie das Londoner Teil.


    Letztendlich bleibt das ganze somit eine sehr lockere Strömung, deren Protagonisten die Stilbezeichnung eher aus provokativen Gründen verwenden, anstatt aus einer homogenen Überzeugung - die vor allem exklusiv dem D. innewohnen müsste.
    Das Ziel der Revolution ist Revolution um ihrer selbst Willen. Insofern hast du Recht, wenn du den D. mit Punk vergleichst. Coop Himmelb(l)au waren dann früher mal sozusagen die "Autonomen".
    Wirkliche Eigenständigkeit, und mehr als revolutionäre Energie kann ich aber hier nicht erkennen. Es fehlt eine gesellschaftliche Utopie. Dieses Fehlen zum Prinzip zu erheben, bildet keinen Ausweg. Nur weil Utopien nicht ereichbar sind, heißt das nämlich nicht, dass sie nicht nötig wären. Der Architektur zumidest würde es mit einem klaren Fernziel sicherlich besser ergehen.
    Aber vielleicht träume ich auch nur etwas von den glanzvollen Tagen der weißen Moderne, als noch klar war, wann ein Haus gut ist und wann nicht und als das entwerfen noch einfach war... ;)

  • Wegbereiter einer Strömung zu sein, sich aber gleichzeitig von ihr zu distanzieren (schon, da sie nicht von einem selbst initiiert wurde), schließt sich ja nicht aus.


    Hadid sieht es sicher anders, was die Greifbarkeit und Abgrenzung von anderen Stilen betrifft, schon aus egomanen Beweggründen. Aber im Prinzip stimme ich Dir zu. Es liegt ja auch in der Natur der Sache, dass wir die Bauten im Ergebnis beurteilen und daher weniger ausgeprägt differenzieren können, was Intentionen und Entwurfsprozesse angeht, als z. B. die Dekonstruktivisten es aus eigener Perspektive tun können. M. E. eines der größten philosophischen Probleme, die der D. besitzt und mit denen er, nüchtern betrachtet, ins offene Messer der "romantischen Kritiker" rennt.


    Vielleicht lassen sich auch hier Parallelen ziehen, z. B. zur Musik oder zur Jugendkultur. Je weniger Abgrenzung faktisch gegeben ist, desto stärker wird sie auf mentaler Ebene erfunden. Man schaue nur mal auf die verschiedensten Splitterungen von Heavy Metal oder Techno. Was für den nicht Involvierten alles irgendwie das Selbe ist, artet in der Szene in teils erbitterte Grabenkämpfe aus. Dabei lässt sich als Triebkraft oft nur der Wille zur Abgrenzung von bzw. der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen ausmachen, die über die jeweils genehmste Aussenwirkung verfügen. Der sonstige Überbau ist dagegen Makulatur. Gleiches gilt für die Zugehörigkeit zu Pop-Kulturen. Während tatsächlich die Musik, die Kleidung und vor allen Dingen die Gepflogenheiten der eigenen Peergroup dazu führen, dass beinahe jeder Heranwachsende, der sich politisch oder kulturell noch in der frühen Entwicklungsphase befindet, zu positionieren genötigt sieht, werden die gebräuchlichen Erklärungsmuster hierzu von ihnen selbst und Teilen der Gesellschaft auf eine viel gewichtigere Ebene gehievt.


    Ich schweife zu sehr ab.

  • Was Braunschweig angeht, hätte ich gestern noch gesagt, dass man den D. hier eigentlich ganz gerne mag, heute war aber Präsentation der Diplomarbeiten, und seitdem denke ich doch anders. Das waren fast alles Kisten und Klötzchen, und Entwürfe mit anderen als rechten Winkeln habe ich vielleicht 5 gesehen.
    Was die Lehrinhalte angeht, kann ich das nach fast 2 Semestern schlecht beurteilen, dass es eine tendenz richtung D. gibt, glaube ich aber nicht. In den Vorlesungen hören wir etwas über Frank Wright, dann über Greg Lynn, ein wenig Postmoderne wird dann eingemischt, und es schließen Eisenman und Gehry.
    Bauen ürfen wir auch alles was wir wollen, solange wir es logisch mit Genius Loci, dem Bauherrn... begründen. Was aber in BS wichtig ist, und das ist wohl schon ein wenig D., ist die Begeisterung für den Prozess des Entwerfens, wobei ein gutes Endergebnis immer mindestens genauso wichtig ist.
    Solange man den D. aber nicht wirklich klar definieren kann, ist es schwer zu sagen in wie fern er hier an der Uni wichtig ist.


    Ich hab mir nochmal zu Behnisch und Frei Otto Gedanken gemacht. Meinen Prof hab ich nicht dazu gefragt.
    Ich glaube, dass Frei Otto ganz klar nicht mit Konstruktivismus in Verbindung zu bringen ist, wie du meinst. Er arbeitet zwar mit tragwerkplanerischen Mitteln, aber nicht konstruktiv, sondern "missbraucht" sie zur Formfindung. Ähnliches machte Gaudí bei der Sagrada Familie, als er mit hängenden Seilen, die man zur Tragwerksplanung benutzte seine natürlichen, geschwungenen Formen erschuf. Ziel war es dabei ja nicht, eine Aesthetik durch gelungene Konstruktion zu erreichen, sondern dadurch etwas Schönes zu schaffen, dass er die Natur nachahmte. Dass man mit tragwerksplanerischen Mitteln die Natur gut nachformen kann, weil diese den gleichen Prinzipien folgt, qualifizierte sie nunmal dazu. Er benutze die Konstruktion dort als Werkzeug, um seine Formen zu schaffen.
    Genauso verfährt Otto bei seinen Dächern. Wie du es ja sagst, ist die Formfindung von konstruktiven Prinzipien geprägt, allerdings genau wie bei Gaudí sind sie nur Mittel zum Zweck, weil am Ende immer die fließende Wellenform stehen sollte. Das Olympiastadion ist eigentlich auch gar kein so gutes Beispiel für Frei Ottos Werk. Viel besser erkennt man auch, was ich mene, wenn man sich die Multihalle ansieht, wo auch konstruktive Prinzipien für den Entwurf herangezogen wurden, diese aber überhaupt nicht mehr ablesbar sind. Als Architekt kann man das Tragwerk vielleicht noch erkennen, dem Laien wird die Art und Weise der Formfindung aber nie erkennbar sein. Die Konstruktion ist vollkommen verschwunden, und man sieht nur noch das dahingeworfene Tuch.
    Zumindest Frei Otto ist für mich ein Vorreiter des D., bei Behnisch magst du Recht haben, das Hysolar Institut von B ist aber schon sehr d..


    Die Bewegung finde ich in fast allen D.istischen Bauten, einschließlich denen von Coop z.B.
    Der Dachaufbau in der wiener Falkestrasse ist ja ziemlich dynamisch. Das Vorbild für den Bau war auch eine "Vision" eines Architekten, den du bestimmt kennst, dessen Namen ich aber vergessen hab. Ich weiß nur noch, dass er Berlin weiträumig mit Wohntunneln untergraben wollte, und das er nie etwas gebaut hat. Das Vorbild für den Dachausbau war eine Art über den Gebäuderand wachsende Struktur, die Richtung Boden zu wachsen oder fallen schien. Ansonsten finde ich fast nur bewegte dynamische Bauten von Coop. Der Ufa-Palast wirkt auf mich, als wollten die einzelnen Teile der Kostruktion aus dieser Ausbrechen, und aus Dresden flüchten.
    Ich finde die meisten Coop-Bauten sehr bewegt, und unterstelle ihnen auch, dass diese Bewegung Entwurfsprinzip war. Wenn nicht diese Bewegung, was denn dann :confused: .
    Weniger Bewegte Gebäude wollen mir nur schwer einfallen. Der Gasometer in Wien von Coop vielleicht? Oder Gehrys Bauten im Medienhafen wirken auch nicht gerade dynamisch. Sehr dekonstruktivistisch finde ich die aber auch nicht gerade, auch wenn sie einige Charakteristika des D. aufweisen.


    Das vieles nicht neu ist, wie die natürlichen Proportionen, oder der fruchtbare Moment, der ja seit Jahrtausenden zumindest in der Kunst immer wieder auftaucht, und spätestens mit der Gotik Einzug in die Architektur gefunden hat ist ja nichts schlimmes, auch wenn es Hadid gerne so darstellt, als würde sie alles neu machen. Diese natürlichen Grundprinzipien habe ich mit dem "Grundton" zu beschreiben versucht, der in meinem Bespiel der Musik auch etwa so zu finden war. Man nimmt sich das, was man noch braucht, ja was unumstößlich immer Grunprinzip sein muss, weil ein die Aesthetik immer wieder zu diesen Prinzipien zurück-führt, und baut darauf etwas ganz neues auf. Das das Fundament das gleiche ist, ändert aber nichts an der Tatsache, das ja doch etwas neues geschaffen wurde.
    Das dier D. als Rektion auf die Postmoderne entstanden ist, mag ich auch nicht wirklich glauben. Ich bin generell ein Feind so ziemlich aller Actio=Reactio-Gedanken, weil sie für mich nicht die Entstehung von etwas neuem erklären. Es entspricht auch rein gar nicht dem, was ich einmal machen möchte. Das der D. sich durch seine Opposition zu etwas anderem definiert will ich ihm genauso wenig unterstellen, wie ich der Moderne unterstellen will, sie wolle nur die alten klassischen Regeln brechen.


    Was den Städtebau angeht, ist der D. wirklich noch ein wenig arm, an herausragenden Ergebnissen. Das finde ich extrem schade, weil ich schon oft Studienarbeiten gesehen habe, die wirklich was taugten. Ich bin aber ganz zuversichtlich, und glaube noch an eine Besserung. Den Ansatz den Eisenman mit seinen überlagerten rastern hat finde ich sehr interessant. Ich habe mal ein Foto von einem afrikanischen Dorf gehabt, das nur ein paar Hütten hatte. Der enorme Platz dazwischen war durchzogen von kleinen Wegen, die die Hütten immer direkt miteinander verbanden. Die Ergebnisse die solche chaos-theoretischen Ansätze liefern sind oft sehr schön, und ich kann sie mir auch gut gebaut vorstellen. Es ist aber die konzeptionelle Weise des Herangehens, dass die Architekten oft hemmt, und die Ergebnisse negativ beeinflusst. Eisenman ist ja hoch akademisch und arbeitet ja fast wissenschftlich, was glaube ich auch manchmal eine seiner schwächen ist. Diese Begeisterung für den Entwurfsprozess lässt das Endergebniss zu oft in den Hintergrund treten, und Menschen wie Eisenman&Co sind sich dann oft zu fein, sich nochmal Gedanken über ihre Gedanken zu machen, und vielleicht auch diesen wissenschftlichen und sehr strengen Weg ein wenig zu verlassen, um auch mal ein wenig freier arbeiten zu können. Der D. beschränkt sich durch seinen speziellen Entwurfsprozess selber ein wenig. ***Welch schöne Ironie***


    Mit der Diversität des D. sehe ich es genauso wie ihr beiden. Einklares Bild, von dem was den D. ausgemacht het, wird man wohl erst haben, wenn er längst vorbei ist.



    Morgen fahre ich zur Documenta, und dann kann ich ganz neue Bewegungen verbauen. Will mir unbeingt die Tänzer in dem Kletterseil ansehen.

  • Dienstleister oder Stilvertreter?

    Danke für die ausführlichen Bezugnahmen.



    Kein Wunder, dass spätestens mit der Prof- und Themenwahl sowie der anschließenden Herangehensweise an das Diplom der Boden des universitären laisser fairs verlassen wird. Schließlich muss man seine Arbeit nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Entwerfens verteidigen. Ausserdem bewirbt sich in der Branche niemand mit seinen Noten. Die Arbeiten (im speziellen eben die Diplomarbeit) sind da schon interessanter. Und die Fähigkeit, Pläne falten zu können, Skizzen in vermaßte CAD-Dateien zu verwandeln oder EnEV-Nachweise zu berechnen, werden bisher nicht gerade als Domäne der Philosphen gehandelt ;)



    Über Frei Otto könnten wir sicher noch lange diskutieren. Gut, er unterwirft die Form nicht den bis dato gängigen, sehr gestaltdominaten Konstruktionsregeln. Aber nach meiner Auffassung werden seine Entwürfe dennoch von dem Gedanken geprägt, das Machbare in Einklang mit der formalen Gestalt zu finden. Er entlehnt seine Konstruktionen jedoch oft einem völlig anderen Kontext, um Einzigartiges zu schaffen. Beim heutigen Dekonstruktivismus hingegen spielt ja diese Seite überhaupt keine Rolle. Da kann es schon vorkommen, dass die elaborierte Leichtigkeit im Hintergrund mit den fettesten Trägern erkauft wird, die das Walzwerk liefern kann oder dass eine organisch anmutende Struktur von drei verschiedenen Auftragnehmern zehnmal neu gefertigt und montiert werden muss, bis endlich alle Probleme in Sachen Materialeigenschaften und Fertigungstechnologie behoben sind und der gewünschte Eindruck entstanden ist. (habe ich alles bereits im Falle eines auch in diesem Thread schon genannten "Superstars" erlebt). Bei Frei Otto sollte das so nicht der Fall gewesen sein, da er methodisch vollkommen anders vorgegangen ist. Bei ihm ist die Konstruktion maßgeblich, statt notwendiges Übel zu sein. (1)



    Coop Himmelb(l)au. Architektur schafft im Regelfall visuelle Ergebnisse. Folglich muss jede Strömung auch visuell diversifizierbar sein. Gerade eine prozessorientierte Bewegung hat es aber schwer, schnell auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Die offerierte Dynamisierung, wie ich sie an den bisherigen Entwürfen des Büros festmache, hat m. E. nicht viel mit dem von Dir in Beitrag #2 Beschriebenen zu tun. Da erkenne ich doch eher das Prinzip Gotik mit umgekehrten Vorzeichen. Dekonstruktivismus wird hier noch recht plakativ sehr wörtlich genommen. Erst bei den jüngeren, oft noch garnicht realisierten Entwürfen von Coop Himmelb(l)au entdecke ich die Dynamisierung, wie sie z. B. für Hadid typisch ist. [modus=ironie] Eisenman hat ausgedient. Dank neuester schnukeliger Entwurfswerkzeuge aus den Softwareschmieden kommt das Futuristische Element wieder ins Spiel. [/modus] Was den Berliner Tunnelgräber angeht, da muss ich passen. Voll erwischt! ;)


    Die Fundamente des Alten für das Neue zu benutzen, wie Du es beschreibst, erscheint mir als durchaus opportun. Diese jedoch zum eigenen Vorteil gegen ihre Schöpfer zu verwenden, darauf sogar angewiesenen zu sein, halte ich für inakzeptabel.



    Quellen für die Aussage, der Dekonstruktivismus entstand als Gegenbewegung zur Postmoderne, liefere ich nach.



    Im Wesentlichen sind wir ja bei der Beurteilung des D. einer Meinung. Man sollte die Protagonisten und deren Intentionen losgelöst von den Resultaten betrachten. Aber auch das ist in der Architekturtheorie nicht wirklich neu.




    (1) Wo wir gerade dabei sind, ich habe regelmäßig mit Vertretern einiger Gewerke zu kämpfen, um vermeintlich unkonventionelle Entwürfe gegen deren Aufbegehren durchzusetzen. Mein Motto: das Endprodukt ist nicht dazu da, die Bequemlichkeit des Handwerkers zu unterstützen. Wenn etwas am Ende nicht im Interesse des Auftraggebers entsteht oder von Dritten kritisiert wird, interessiert sich niemand mehr dafür, ob der Tischler seine CNC-Fräse nicht gescheit programmieren kann oder der Maler zu bequem war, etwas dreimal anzuschleifen. Was der AG wünscht, von ihm vergütet wird, geltendes Recht nicht verletzt und im Einklang mit der Vergabeintention steht, wird nach besten Kräften umgesetzt. Und jetzt wieder zum Dekonstruktivismus: dem Genannten hat sich nach meiner Auffassung auch der Entwerfende unterzuordnen! Andernfalls sollte man Architektur nicht der Erwerbstätigkeit zuordnen. Das bedeutet nicht, König Kunde darf sich gegenüber dem Architekten wider die Faktenlage als Absolutist aufführen (ebenso wenig, wie er einen Anspruch darauf hätte, vom Arzt geheilt oder vom Anwalt freigeboxt zu werden).