Deutsche Kleinstädte
Während meiner Interrail-Reise durch Deutschland, die Schweiz, Belgien, Frankreich und Spanien besuchte ich über 20 verschiedene Städte. In Deutschland konzentrierte ich mich dabei auf kleine und mittlere Städte, da ich fast alle großen Städte Deutschlands schon mehrmals besucht habe. Die deutschen Kleinstädte werde ich hier in einem gemeinsamen Thread präsentieren, die größeren Städte nach und nach in eigenen Threads. Heute fange ich mal mit derjenigen Kleinstadt an, die mir am besten gefallen hat:
Konstanz
Eine auf drei Seiten von schweizerischem Territorium umschlossene Enklave und mit rund 80 000 Einwohnern die größte und vermutlich schönste Stadt am Bodensee. Konstanz ist wirklich mit allen Vorzügen gesegnet, die eine Stadt in sich vereinen kann: Von atemberaubender landschaftlicher Schönheit mit dem hier noch ganz klaren, sauberen Rhein, Bodensee und Alpenpanorama, mit hier und da fast schon mediterran wirkender, wegen der urbanen Verschmelzung mit dem schweizerischen Kreuzlingen von den Bomben verschonter historischer Altstadt, außergewöhnlich mildem Klima, dazu wohlhabend, makellos sauber bis in die Außenbezirke und durch seine Universität und den dadurch bedingten hohen Studentenanteil von jungen und kultivierten Menschen bevölkert (In Kleinstädten wirkt sich das Vorhandensein oder Fehlen einer Universität natürlich viel stärker auf die Atmosphäre aus als in einer Metropole). All diese historischen süddeutschen Kleinstädte mit ihrer reizenden landschaftlichen Umgebung, ihren kulturhistorischen und architektonischen Schätzen und ihrer Sauberkeit, kurz mit all ihrer bildungsbürgerlich verfeinerten Spießigkeit wecken Lust, wieder eine Weile in einer schönen Provinzstadt zu leben.
Das Münster ist sicher einer der faszinierendsten Kathedralbauten Deutschlands mit seiner sonderbaren Stilmischung aus ottonischer Krypta, romanischem Langhaus, Westwerk und Seitenschiffen der Gotik und barockem Gewölbe. Das Westwerk (Ein gotisches Westwerk!) dürfte ein kunsthistorisches Unikum darstellen, ansonsten war dieser typisch karolingische Bauteil ja schon in der Hochromanik weitgehend verschwunden, von der Gotik ganz zu schweigen. Zugegeben sei natürlich - ich habe mich über die Baugeschichte noch nicht tiefer informiert - die Möglichkeit, dass hier eigentlich eine Doppelturmfassade geplant war, die ähnlich wie in Straßburg auf einem massiven Block ruhen sollte (Dass das seltsame, im 19. Jahrhundert aufgesetzte neugotische Mitteltürmchen den mittelalterlichen Originalplänen entspricht, kann ich mir kaum vorstellen). Während der Straßburger Fassadenblock allerdings mit einem überreichen Dekorationsgespinst überzogen ist, weist die Konstanzer Fassade einen für die hohe und späte Gotik ganz ungewöhnlich strengen, schmucklosen Stil - aus manchen Perspektiven ließe sich kaum erkennen, dass es sich hier um einen gotischen Bau handelt. Das Innere des Münsters ist dann etwas enttäuschend, trotz oder gerade wegen der vielen interessanten Einzelstücke der Ausstattung aus allen Bauphasen ergibt sich kein stimmiger Gesamteindruck. Die romanischen Säulen und Würfelkapitelle, die gotischen Fresken und Kapellen, die Renaissance-Orgelempore und das barocke Gewölbe sind kaum aufeinander abgestimmt, an jeder Stelle ein abrupter Stilbruch nach dem anderen.
Da gebe ich noch fast den von der bayerisch-österreichischen Barockisierungspest des 18. Jahrhunderts infizierten mittelalterlichen Kirchen den Vorzug, in deren Innerem zwar so gut wie jede Spur ihrer ursprünglichen Erscheinung ausgetilgt wurde, die dafür aber ein einheitliches, reines Bild des Stils ihrer Zeit liefern. Dafür direkt an das eigentliche Münster anschließend drei wahre Perlen: Der gotische Kreuzgang, die ottonische Krypta und die Mauritiusrotunde. Die Krypta aus dem 10. Jahrhundert ist ein archaisches Relikt, eine äußerst grobschlächtige, dumpfe Kammer mit nur marginalen Zeichen bewussten architektonischen Gestaltungswillens. Unterstrichen wird dieser Charakter von einem Metalltondo mit den in Gold eingelegten Gestalten Christi und zweier Engel über dem Altar, der wie das rohe Götzenbild irgendeines primitiven, blutrünstigen Stammeskultes wirkt (Mit welcher Assoziation man vom Wesen des nordalpinen Christentums des 10. Jahrhunderts wohl nicht allzu weit entfernt ist). In der Phantasie steigen unwillkürlich Bilder bizarrer Opferriten an dieser Stelle auf. Wenn mich einmal die fatale Lust anwandeln sollte, einen historischen Roman zu schreiben, werde ich an das Konstanzer Götzenbild denken.
Der Aufstieg von der Krypta zur Mauritiusrotunde, einer herrlichen Nachbildung des Heiligen Grabes aus dem 13. Jahrhundert, ist ein Aufstieg um mehrere Kulturstufen. Die individuellen, technisch meisterhaften und von hohem künstlerischem Reflexionsvermögen zeugenden Figurengruppen der Rotunde lassen alles rein Handwerkliche hinter sich und fallen schon in den Bereich ihrer selbst bewusster Hochkunst, in der Kunst des 13. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum höchstens mit Bamberg und Naumburg vergleichbar. Besonders gefangen nahm mich eine in sich gekehrte, grübelnde Frauengestalt, die in Denkerpose mit aufgestütztem Kopf am Betrachter vorbei in etwas Unausgesprochenes schaut. Die Farbfassung ist noch ungewöhnlich frisch und verleiht ihr eine fast unheimliche Lebendigkeit (Die Farbe könnte natürlich auch von der Restaurierung im 17. Jahrhundert stammen, scheint mir eher noch mittelalterlich zu sein).
Aber genug der Worte - hier die Bilder: