Suhrkamp-Verlagssitz (Rosa-Luxemburg-Platz)

  • Naja, der Bau steht zwar nicht quer zum Stadtgrundriss und eine Querseite schließt an eine Bestandsbebauung an, ansonsten passt es doch ganz gut (...)


    Das sind doch keine Marginalien! Ein - auch von mir entschieden abgelehnter – Zeilenbau hätte hier quer zur Torstraße einen Monolithen hingestellt und damit der Raum total zerstört. Doch auch ein vollständiger Blockrand hätte etwas zerstört, nämlich den grünen, kleinen Park.


    Dieser Entwurf setzt - wie ein Blockbau – die Straßenflucht Torstraße und Linienstraße fort, anders als ein vollständiger Block lässt er aber einen straßenberuhigten, grünen Platz übrig. (Marginalie am Rande: Dadurch bleibt in der unbegrünten Almstadtstraße am Ende ein grüner Fluchtpunkt erhalten.) Eben das hätte hier ein Blockrand nicht getan. Der Gegensatz Zeilenbau versus Blockrand ist hier vollkommen irreführend.

    Einmal editiert, zuletzt von ElleDeBE ()

  • ^
    Schätze wir kommen hier nicht überein da ich dieser kleinen Grünfläche nicht dieselbe Bedeutung beimesse wie du es tust. Unsere Prioritäten sind völlig unterschiedlich und das ist auch ok. Für mich steht zuallererst die architektonische Qualität der Planung im Kontext zum städtebaulichen Umfeld im Vordergrund. Dass diese aus meiner Sicht nicht gegeben ist habe ich mehrmals begründet.

  • Querseite wirkt wie Fluchttreppenhaus, passend dazu die kahle Wand mit großer Sichtbetonfläche


    Diese Sichtweise leuchtet mir nicht ein. Ich finde überhaupt nicht, dass die Schmalseite vernachlässigt wäre, und in dem, was Du "Fluchttreppenhaus" nennst, sehe ich ein gelungenes, gestalterisches Element. Zum einen, weil es mit der Lücke in der gegenüberliegenden Dachlandschaft korrespondiert; zum anderen, weil der Sichtbetonteil (auf mich) wie ein tragender Pfeiler wirkt, aus dem rechts und links schwebend die hellen Alu-Baukörper herauswachsen. Im Übrigen nimmt das Gebäude sehr wohl die "Dynamik" der Kreuzung auf, indem es dem spitzen Winkel des Straßenverlaufs folgt. Wirkliche Zeilenbauten dagegen kennen eigentlich nur rechte Winkel, Lang- und Schmalseiten stehen stets in 90 Grad zueinander.


    Aber wie schon mehrfach gesagt: Wir werden uns nicht einigen. Ich sehe die genannten Details (und betone sie vielleicht zu stark), weil ich dem Entwurf auf Anhieb etwas abgewinnen konnte (ohne ihn preisverdächtig zu finden). Wem es anders geht, der entscheidet sich in gewisser Weise, es mit einem Zeilenbau zu tun zu haben, und wird alles ausblenden, was nicht zu "grüner Wiese", "Platte", "Siebzigerjahre" passt. Alle Argumente – z.B. von ElleDeBe und mir – führen nur dazu, dass er vielleicht 5 Prozent Abweichung vom klassischen Zeilenbau zugesteht, während ich höchstens Anklänge an dessen Typologie erkennen kann. Ich denke, das hat viel mit Wahrnehmungs-Psychologie zu tun. Argumentation stößt hier an Grenzen.


    P.S.: ElleDeBes Meinung, man dürfe es mit dem Blockrand auch nicht übertreiben, teile ich so übrigens nicht. Klar, der Hof vor Clärchens Ballhaus ist prima. Den Fußballplatz empfinde ich aber als Wunde in der Stadt – nur zu rechtfertigen, weil er so verdammt praktisch ist.

  • Begierde und Abscheu sind nicht nur im Beziehungsleben der Menschen omnipräsent, sondern eben auch bei der Beurteilung von Architektur.


    Genauso, wie man sich in wenigen Augenblicken entscheidet, ob man sich zu einer anderen Person hingezogen oder gar von dieser abgestoßen fühlt - da gibt es auch nichts zu "argumentieren".


    Es gibt wenige Gebäude, auf die Menschen indifferent reagieren. Meist ist die Reaktion eine deutliche Emotion, wenn sie mit einem Gebäude konfrontiert sind. Das verschließt sich nachträglich hinein gedeuteten Erklärungsversuchen einfach. Es gefällt oder es gefällt nicht.


    Und man kann zumindest einwenden, dass in engst besiedelten und genutzten Innenstadtbereichen die Spannbreite dieser Emotionen möglichst nicht zu groß sein sollte und sich bei der Mehrheit der Menschen eher im positiven Bereich befinden sollte. Vorsichtig ausgedrückt. Und daher ist der Blockrand, die Traufhöhe und der Verzicht auf extrovertierte "Brüche" kein Ausdruck von fehlender Individualität oder Kreativität, sondern von "Sozialkompetenz" eines Gebäudes. Wenn man sich in der engen Innenstadt befindet, dann muss man eben viel Rücksicht auf seine Umwelt nehmen. Nicht weniger kann man auch von Architektur verlangen.


    Und diese Einbindung fehlt mir hier einfach komplett. Ich hätte ja noch damit leben können, dass der Blockrand hier nicht geschlossen wird, auch wenn ich Batos Argumentation da gut nachvollziehen kann. Aber solch ein regelrechter Fremdkörper? Egal, was man von dem Bau als "Einzelskulptur" halten mag, er passt sich einfach nicht in seine Umwelt ein und schon damit ist er für mich ganz persönlich einfach kein guter Entwurf.

  • Ich bin hier ganz bei Bato. Das ist Architektur aus der 60er-70er Jahre Mottenkiste und dem O-Ton der Architekten folgend auch exakt so gewollt. Der Sichtbeton wird genauso reudig daherkommen, wie er ehrlicherweise schon auf den Visualisierungen dargestellt ist. Mit etwas Glück erbarmen sich ein par Sprayer oder eine Werbeagentur entdeckt die Fläche.

  • Die Geschmäcker sind halt unterschiedlich, das muss man wohl oder übel akzeptieren. Nun bekommt mir dieser karge nachkriegsmodernistische Stil in den letzten Jahren allerdings unangemessen viel Raum. Wo bleiben die frischen, dynamisch-verspielten zeitgenössischen Entwürfe, die man in anderen europäischen Städten, wie London, Paris, Hamburg oder auch in der WerkbundStadt sieht? Während anderswo neue Ideen und eine unglaubliche (Formen-)Vielfalt in der Architektur herrschen, kehrt man in Berlin in die 20er und 60er Jahre zurück (oder soll ich schreiben man verkriecht sich?), die in Berlin bereits reich vertreten sind. Das erscheint mir nicht mutig, sondern mut- und ideenlos, denn das ist alles so ähnlich schon mal da gewesen. Schade, denn auch in Berlin war man schon mal weiter. Wenn so ein Vertreter dann von mutlosen, rückwärtsgewandten Rekonstruktionen redet, kann ich das jedenfalls nicht ernst nehmen.

  • ^ und ^^^
    Es geht nicht nur um "Geschmäcker", es geht auch nicht einfach um einen irrationalen "ersten Eindruck", den man nun mal hat (sonst bräuchten wir hier überhaupt nicht mehr zu diskutieren); Die Diskussion und ihr Niveau hängen doch wesentlich davon ab, nicht beim ersten Eindruck zu verharren, dass man bereit ist, sich bei einem komplexen Entwurf wie diesen überhaupt die Mühe zu machen, ihn zu druchdringen, danach zu fragen, warum er so ist wie er ist, unabhängig davon, wie der erste Eindruck ist. Ansonsten läuft man immer Gefahr, sich durch die eigenen Stereotypisierungen ("öde Moderne"), Assoziationen (Adlerhof) oder unpassenden Begriffe ("Zeilenbau") den Blick auf das Objekt selbst zu verbauen.


    Dagegen hilft nur die Bereitschaft, sich das Ding, auch jenes, dass man zunächst nicht mag, doch erst einmal sorgfältig anzuschauen. Erst dann erschließen sich ja überhaupt dessen Eigenarten: Der von Architektenkind zu recht betonte und bislang weitgehend untergegagene spitze Winkel etwa, der ja gerade nicht typisch ist für die 60er Jahre, die "waghalsigen Auskragungen" (Baunetz), die dazu passenden Stabilitätseffekte des Sichtbetons etc.


    Anders als das meiste, was so gebaut wird, wo es schlicht nichts zu entdecken gibt und die daher das Attribut "öde" zurecht verdienen, ist dies einmal ein ziemlich komplexer Entwurf, der sich nicht sofort erschließt und dem man daher mit aus der Hüfte geschossenen Assoziationen nicht gerecht wird. Das bedeutet, wohlgemerkt, nicht, dass man ihn dann nicht dennoch ablehnen kann – architektonisch ebenso wie städtebaulich. Es geht also nicht um die Position, zu der jemand am Ende gelangt. Aber wenn sie nicht anhand der Beschäftigung mit dem Gegenstand entwickelt wurde, sondern ein "erster Eindruck" ist, dann sagt die Äußerung viel über die geschmacklichen Vorlieben desjenigen, der sie äußert aus, aber wenig über den Gegenstand.



    ElleDeBes Meinung, man dürfe es mit dem Blockrand auch nicht übertreiben, teile ich so übrigens nicht. Klar, der Hof vor Clärchens Ballhaus ist prima. Den Fußballplatz empfinde ich aber als Wunde in der Stadt – nur zu rechtfertigen, weil er so verdammt praktisch ist.


    Was ich meinte, war folgendes: Wenn es um nur um die Alternative Blockrand versus Zeilenbau ginge, würde ich wohl fast immer für den Blockrand optieren. Aber Fälle wie der vorliegende zeigen, dass diese Alternative abstrakt ist, dass es auch Lösungen gibt jenseits einer solchen Alternative, Lösungen, bei denen, je nach konkreter Situation, die Vorteile einer offeneren Lösung ihre Nachteile überwiegen können. Für die Möglichkeit, dass es solche Lösungen überhaupt geben könnte, sollte man sich zumindest offen halten, denke ich.


    Ein Wort nur zum Fußballplatz: Ich war vor vielen Jahren an einem lauen Sommerabend an einem Galery-Weekend in der Auguststraße: überall angeregte kleine Menschengruppen vor den Galerien. Und dann bemerkte ich, gleich gegenüber, zum ersten Mal, wie gleichzeitig bei Flutlicht Fußball gespielt wurde. Das war ein unvergesslicher Eindruck, das war einer dieser Kontraste, für die ich Berlin wirklich und aufrichtig liebe und die die Stadt in meinen Augen wirklich einzigartig machen. Daher gehört dieser Platz zu meinen Lieblingswunden, die ich nicht missen möchte.

  • ... sich bei einem komplexen Entwurf wie diesen überhaupt die Mühe zu machen, ihn zu druchdringen, danach zu fragen, warum er so ist wie er ist ...


    Was genau soll bei bisserl Sichtbeton, bisserl anderer Oberfläche "komplex" sein? Wie TowerMaranhão weiter oben schrieb - in vielen Städten sind sehr viele Gestaltungen wesentlich interessanter.


    Warum der Entwurf ist, wie er ist, weiß ich: Für einen interessanteren braucht man Talent und Arbeit. Copy+Paste mit etwas Geschwurbel als "theoretische Begründung" geht natürlich einfacher. Als ich zuletzt hier differenzierte Fassadengestaltung eines Straßenblocks angeregt habe, offenbarte ein Architekt ehrlich: "Wenn man mehr Leute für ein Bearbeitungsteam bekommt, auch wenn man dafür weniger verdient auch nett" Für das Verfassen der hier zitierten schwurbeligen Texte von der Architekturbüro-Webseite hat man brisanterweise genug Leute.

    2 Mal editiert, zuletzt von Bau-Lcfr ()

  • ^ Das ist ein anschauliches Beispiel für das, was ich vorher kritisierte: Die mangelnde Bereitschaft, sich überhaupt mit dem Projekt auseinanderzusetzen, führt zu entsprechend oberflächlichen Urteilen (ein "bisserl Sichtbeton" und "Copy + Paste") und zur Frage, was am Projekt komplex sein soll.

  • Der von Architektenkind zu recht betonte und bislang weitgehend untergegagene spitze Winkel etwa


    Der ist doch lediglich der Grundstücksform geschuldet.

    Aber Fälle wie der vorliegende zeigen,


    dass zu viel Verkopftheit schnell zur Bausünde von morgen führt.


    Was nützen die kleinen Details, wenn das große Ganze nicht stimmt?

  • ^ Gerade wollte ich auch selbst schreiben, dass der als Highlight beworbene spitze Winkel bloß als der Grundstücksform resultiert. Wenn es bereits alles sein soll, bleibt die Frage berechtigt, wo es denn die Komplexität geben soll. In vielen Entwürfen erkenne ich den Reiz in wenigen Sekunden - wenn ich hier nach tagelangen Debatten und mehrfachem Zeichnungen-Betrachten keinen sehen kann, vielleicht ist es halt so, und auch wenn jemand meine Empfindungen als "oberflächlich" diffamieren mag. Sollen die Leute tagelang auf das Ding starren und versuchen, in eine Autohypnose zu verfallen? Der Entwurf muss die Betrachter überzeugen - aber kein Betrachter muss sich bemühen, auf Teufel komm raus Gefallen am Ding zu finden.

  • ElleDeBE: Ich glaube sofort, dass der Architekt hier Arbeit investiert hat und sich etwas dabei gedacht hat. Ich würde auch nicht sagen, dass der Entwurf billig oder 0850 wirkt, jedenfalls die Südseite und dass er hochwertig wird. Aber so funktioniert das Erleben von Stadt nunmal nicht. Man schaut sich ein Gebäude nicht erst lange an und analysiert es. Das Erleben ist spontan und auch nachdem ich mir den Entwurf nun bereits einige Male angeschaut habe, wird mein Eindruck nicht positiver. Vielleicht ist es ja ein intellektueller Entwurf ist, nicht gefühls- sondern sachbetont, zum Nachdenken anregend (wenn auch nicht bei mir), aber Stadt bedeutet für mich etwas anderes. Es ist einfach zu viel Ruhe und Sachlichkeit für einen solchen Ort, wo sich das Leben abspielen sollte.

  • ^^ und ^^^ Jetzt wird es albern: Angeblich ignoriert der Entwurf die Stadt – deshalb muss alles, was sich der Stadt anpasst, nicht dem Willen des Architekten, sondern den äußeren Umständen geschuldet sein. Dabei wisst Ihr aus tausenden Beipielen der Moderne: Ein Zeilenbau wäre – ungeachtet der Grundstücksform – im rechten Winkel bebaut worden. Die freibleibende Ecke des Grundstücks hätte man gepflastert oder mit Bodendeckern gefüllt.


    Und um das zu erkennen braucht es keine "Autohypnose" oder "stundenlanges Starren" – man muss sich die Schmalseite nur eine Sekunde lang aufmerksam anzuschauen, um zu erkennen, dass der Architekt hier sehr bewusst Bezüge zum Straßenverlauf und zum Pendant gegenüber eingebaut hat. Wie er das getan hat, muss einem nicht gefallen; man kann durchaus die Auffassung vertreten, das alles außer Blockrand hier fehl am Platze ist. Aber man muss sich auch nicht verhöhnen lassen, wenn es einem gefällt: Der Bau ist nicht so simpel, wie er hier von vielen hingestellt wird, und ich leide nicht an Halluzinationen, weil ich Details sähe, die "bei nüchterner Betrachtung" nicht da wären.


    P.S.: Dank an TowerMaranhao für die differenzierte Position. So kann man diskutieren.


    P.P.S.: Jetzt rege ich mich schon wieder auf und schmeiße mich für einen Bau in die Bresche, von dem ich gar nicht rückhaltlos begeistert bin. Aber es gibt hier einen Hass auf die Moderne, der alles als intellektualistische Verblasenheit hinstellt, was man an solchen Entwürfen entdecken und schön finden kann; eine Unversöhnlichkeit, die jedes Argument für ein (neo-)modernes Gebäude als Angriff auf den vermeintlichen "gesunden Menschenverstand" abwehrt. Und diese Masche halte ich einfach schlecht aus...

  • ... dass der Architekt hier sehr bewusst Bezüge ... zum Pendant gegenüber eingebaut hat. ...


    Gemeint ist das Ding, welches er selber entwarf und von dem die Gestaltung übernommen wurde? Langsam werde ich überzeugt, dass manche Architekten monatelang nachdenken, bevor sie eine Sichtbeton-Fläche 1:1 kopieren. Ob sie im Beruf verbleiben sollten, bin ich dafür immer weniger überzeugt.


    Aber es gibt hier einen Hass auf die Moderne


    Wenn ich mich aufrege, könnte ich glatt ein paar durchaus moderne Entwürfe aus London oder sonstwo verlinken, die optische Reizen bieten und mir auf Anhieb gefallen. Hier herrscht optische Reizlosigkeit, die man mit keinerlei Texten weg"erklären" kann.

  • Komm, ist gut. Vergiss es. Alles, was ich dazu sagen werde, bestärkt Dich in Deinem Eindruck, ich würde an fortgeschrittener Geschmacksverirrung leiden.


    P.S.: Schwarz gefärbten Beton mag ich gar nicht.

  • Aber es gibt hier einen Hass auf die Moderne, der alles als intellektualistische Verblasenheit hinstellt, was man an solchen Entwürfen entdecken und schön finden kann; eine Unversöhnlichkeit, die jedes Argument für ein (neo-)modernes Gebäude als Angriff auf den vermeintlichen "gesunden Menschenverstand" abwehrt. Und diese Masche halte ich einfach schlecht aus...


    Erstmal an die eigene Nase fassen bevor man gegen andere austeilt und Gegner dieses Projektes über einen Kamm schert.

    ^^ und ^^^ Jetzt wird es albern: Angeblich ignoriert der Entwurf die Stadt


    Häng dich doch bitte nicht so sehr an der Typologie auf. Die Gründe weshalb der geplante Baukörper m.E. so unpassend für diesen Ort ist wurden doch genannt und gelten unabhängig davon.


    Bau-Lcfr
    Man braucht sich gar nicht so weit entfernen. Selbst in Berlin, ja in unmittelbarer Umgebung, gibt es diverse Beispiele für gelungene moderne Bauten die es dennoch schaffen sich in das Umfeld zu integrieren.

  • ^^naja Architektenkind, dieses Forum ist eine Gemeinschaft meinungsstarker und selbstbewusster Männer (oder ist eine Dame unter uns?), wer von uns hat hier schonmal in einer Diskussion gesagt "Okay, ihr habt vielleicht doch recht, ich habe mich geirrt", kommt seltenst vor (ich schließe mich da durchaus ein). Keiner von uns kann für sich in Anspruch nehmen nicht eine gewisse Sturheit an den Tag zu legen. Also reagier nicht so beleidigt.


    Im Übrigen ist es die schlimmste Eigenschaft der "Architektur der Moderne" überhaupt, dass sie sich einfach mal so eben das positive besetzte Adjektiv "modern" geschnappt hat bzw. dieses darauf angewendet wurde. Das ist so eine Art ständiger, unterbewusste Suggestion (würden Suggestionen nicht funktionieren, dann würde es keinerlei Werbewirtschaft usw. geben). Somit klingt es natürlich erstmal sehr progressiv, anderen "Hass auf die Moderne" vorzuwerfen. Dennoch hat kein Architekturstil auf alle Zeiten für sich gepachtet progressiv oder "avantgardistisch" zu sein. Anstrengend an der Neomoderne ist nun einmal, dass sie und ihre Verfechter wieder mit dem Unterton der "unverstandenen Avantgarde" daher kommen. Nach dem Motto "ihr seid ja nur nicht in der Lage das Genie dahinter zu erfassen, kommt, geht zurück zu euren Butzenscheiben und Schrankwand rustikal, ihr Spießer".


    Dabei ist - für mich, aus meiner Warte - nichts so spießig und altbacken wie die Moderne der 70er und 80er. Da waren die 50er und 60er (Aufbruchsstimmung), aber auch 20er (Aufbruchsstimmung), lange davor viel mutiger und avantgardistischer. In den 70ern und 80ern hat man sich "eingebunkert", kulturgeschichtlich wird man das vermutlich mit dem Kalten Krieg, Ölkrise, RAF, "Waldsterben", diverse Umweltkatastrophen, Flüsse die so giftig waren, dass man darin nicht mehr baden durfte und anderen Unsicherheiten der Zeit, deuten können. Architektur ist immer ein Spiegel der jeweiligen Zeit gewesen.


    Und was für ein Zufall, auf die zarten Pflänzchen einer Nachmoderne in den sehr optimistischen 1990ern, siehe was da am Potsdamer Platz aus dem Boden gestampft wurde, folgt nun ein Megaretro-Trend einer Neomoderne, in erneut zutiefst unsicheren Zeiten (nachdem man sich zwischenzeitlich schon wieder hinter Rasterfassaden verschanzt hatte, die wie die Gitter von Gefängniszellen aussahen, vgl. die monotonen Rasterfassaden der letzten Jahre, kommt jetzt der ultimative Schutz, der Sichtbetonbunker, zurück). Nein, kein Zufall. So banal ist das mit der Architektur. Hinter diesen Moden steckt kein größeres Genie, sondern soziokultureller Kontext. Tut mir leid, wenn ich die vermeintlich unverstandene Avantgarde a lá "des Kaisers neue Kleider" entzaubern musste.


    Der Trend der Neomoderne dürfte gerade erst begonnen haben, wenn er auch nicht homogen auftritt, vgl. zB zeitgleich das Riesenprojekt "Four Frankfurt" (vgl. hier im FFM Forum), das sich jeglicher Einordnung in hergebrachte Architekturepochen entzieht. Und das ist dann letztlich das, was mich hier so enttäuscht. Die Avantgarde findet woanders statt. Berlin betreibt Retro.

  • Aber es gibt hier einen Hass auf die Moderne


    Es gibt doch diesen Hass auf "die" Moderne gar nicht, so wenig wie es "die" Moderne gibt. Es gibt vor allem eine Abneigung gegen die starre, undynamische, sachlich-ruhige, oft repititive Art Moderne, die gerade in Berlin im Zentrum wieder so en vogue ist und die einfach keine urbane Atmosphäre zulässt. Dieser deutsche Widerstreit Blockrand-Klassik vs. Moderne muss eine Nachwirkung der 30er Jahre sein und er wirkt auf mich konstruiert. Zum Beispiel gibt es doch dieses wunderbare Projekt in der Mediaspree mit Streamline-Anklängen, dass hier von allen Seiten hoch gelobt wurde. Es ist nämlich gar nicht so schwer hier auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

  • @ Bato
    "Der ist doch lediglich der Grundstücksform geschuldet."


    Genau, aber der Architekt berücksichtigt sie, statt sie zu ignorieren, wie dies jene schlechte Moderne tat, mit der dieser Entwurf fortwährend vermischt wird, und die (siehe etwa die Kleine Alexanderstraße unweit dieses Ortes hier) wahre Unorte geschaffen hat.


    @ Bato "Was nützen die kleinen Details, wenn das große Ganze nicht stimmt?"


    Ja, da mag was dran sein. Auch ich bin (wie ich von Anfang an sagte) nicht vollkommen überzeugt, und vielleicht ist das der Grund: Der Bau ist komplex, (für mich) intellektuell anregend, er antwortet in vielschichtiger Art auf die Umgebung, aber vielleicht genau deswegen bleibt er, isoliert als Bau betrachtet, in sich heterogen und wirkt auf mich nicht ganz stimmig.


    @ TowerMaranhão "Man schaut sich ein Gebäude nicht erst lange an und analysiert es."


    Man kann es gewiss mit der Komplexität übertreiben, eine solche führt nicht notwendig zu gelungenen Ergebnissen. Aber wenn sich Architekten umgekehrt nur dem oberflächlichen Blick des desinteressierten Passanten anpassen, kommt garantiert nichts Gutes heraus.


    @ Bau-Lcfr "Der Entwurf muss die Betrachter überzeugen - aber kein Betrachter muss sich bemühen, auf Teufel komm raus Gefallen am Ding zu finden."


    Nein, natürlich nicht, und niemand hat hier dafür plädiert. Das einzige was ich (und Architektenkind) einforden ist eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung.


    @ Pumpernickel:
    "Hinter diesen Moden steckt kein größeres Genie, sondern soziokultureller Kontext. Tut mir leid, wenn ich die vermeintlich unverstandene Avantgarde a lá "des Kaisers neue Kleider" entzaubern musste."


    Gut, dass Du jenen Geniebegriff entzauberst, den kein anderer als Du selbst hier in die Diskussion eingebracht hat (und der übrigens vor Dir schon die Moderne verabschiedet hat).


    Was mir auch diese Diskussion wieder deutlich gezeigt hat ist, dass der Unterschied nicht verläuft zwischen "Moderne" und was auch immer, sondern zwischen der Bereitschaft, sich vertieft mit Entwürfen auseinanderzusetzen und die mangelnde Bereitschaft dazu. In Deinem langen Post etwa ist, anders als beim von Dir kritisierten Architektenkind, nicht eine Beobachtung, die mir hilft, etwas an dem Objekt, um das es hier geht, besser zu verstehen oder zu erkennen.

  • in erneut zutiefst unsicheren Zeiten [...] kommt jetzt der ultimative Schutz, der Sichtbetonbunker, zurück). Nein, kein Zufall. So banal ist das mit der Architektur.


    Seit zwei Tagen bitte ich die Gegner des Hauses, es sich anzusehen, bevor sie es verreißen. Hilft nix, Du nimmst "Sichtbeton" wahr, assoziierst "Bunker" und stellst den Entwurf als Ergebnis einer kollektiven Angstneurose hin. Was Dir dabei entgeht: Dutzende Quadratmeter geweißtes Aluminium, ein fast komplett verglastes Erdgeschoss, ca. 130 bodentiefe und meterbreite Fenster, neun Balkone und zwei Dachterassen. Weil Du die Gleichung Beton=Bunker aufmachen willst, musst Du vier Fünftel des Gebäudes ignorieren.


    Ich habe heute Vormittag schon geschrieben, dass ich meine Wahrnehmung gelungener Details ein Stück weit relativiere, weil mir an dem Entwurf auf den ersten Blick manches zusagt und ich deshalb vielleicht zu großzügig gegenüber den Mängeln bin. Ich würde mir auch von einigen der Gegner hier wünschen, ihre eigene Wahrnehmung nicht absolut zu setzen.


    Zitat von TowerMaranhao

    Es gibt vor allem eine Abneigung gegen die starre, undynamische, sachlich-ruhige, oft repititive Art Moderne, die gerade in Berlin im Zentrum wieder so en vogue ist und die einfach keine urbane Atmosphäre zulässt. Dieser deutsche Widerstreit Blockrand-Klassik vs. Moderne muss eine Nachwirkung der 30er Jahre sein und er wirkt auf mich konstruiert.


    Sagen wir Bauhaus-Moderne (was aber auch nicht unproblematisch ist). Die ist als städtebauliches Konzept aus den 1920er Jahren ohne Frage gescheitert und Ende der Siebziger zurecht aufgegeben worden. Dass sie einst als utopisches Konzept Antworten auf reale Probleme suchte, steht auf einem anderen Blatt – wiederhaben will ich so etwas trotzdem nicht. Das ändert aber nichts daran, dass klassisch-moderne Architektur ganz fantastische Gebäude hervorgebracht hat. In diesem Sinne darf man gern an diese Tradition anknüpfen.


    In dem Suhrkamp-Bau sehe ich einen Zwitter: Städtebaulich schließt er sehr wohl die Lücke in der Torstraße, greift die Gebäudekanten seiner Pendants sowohl in der Tor- wie in der Rosa-Luxemburg-Straße auf, schließt die Brandmauer zum Altbau in der Linienstraße, zitiert dessen Balkon-Erker (oder wie das heißt), etc. Ein dem Städtebau der Moderne verpflichteter Architekt hätte einen rechteckigen Solitär mitten auf das Grundstück gestellt, vor dem Gebäude vielleicht noch Platz für Parkplätze gelassen und fertig.


    Andererseits ist der Entwurf von der Formensprache her deutlich modern, verzichtet auf den Schluss des offenen Blocks, ignoriert in der Torstraße die Traufhöhe und will – gemeinsam mit dem Schwarzbeton-Gegenüber – ein extrovertiertes Statement abgeben, die große Geste eines Architekten. Das finde ich in der Tat ein bisschen aufdringlich, und da hätte ich mir mehr Zurückhaltung gewünscht. Andererseits bindet der Entwurf den derzeit ziemlich isolierten Schwarzbetonler in einen Kontext ein, was städtebaulich wieder interessant wirken könnte.


    Wie man sieht: Es ist kompliziert, und auf ein simples "gefällt mir/gefällt mir nicht"-Urteil lasse ich mich nicht ein.