Zeil 121 (ehm. Ott & Heinemann)

  • Zeil 121 (ehm. Ott & Heinemann) -I-

    Wer aufmerksam die Zeil nach Westen Richtung Hauptwache schlendert, wird vielleicht bemerken, dass linker Hand ein Gebäude ohne ersichtlichen Grund mehrere Meter vor der Baufluchtlinie der Zeil-Südseite steht: es ist die Zeil 121. Ich würde diesen Umstand hier nicht erwähnen, wenn er nicht das Resultat eines Rechtsstreits wäre, den die vormaligen Eigentümer gegen die Stadt Frankfurt geführt haben.


    Bild von mir


    Prolog


    Die Recherche zur Zeil 121 führt uns zunächst zum Bekleidungshaus Ott & Heinemann, in die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg und zu den Büchern von Franz Lerner „Das tätige Frankfurt“ (1955) und „Frankfurt am Main und seine Wirtschaft“ (1958). Er berichtet, dass der Wiederaufbau mit Schwierigkeiten verbunden war, ohne dies näher auszuführen. Bei Lerner liest man in der Regel Erfolgsgeschichten aus der Frühzeit des Wirtschaftswunders, Hinweise auf die Tradition der Unternehmen, verbunden mit einem Rückblick auf ihre Firmengeschichte. Dass der Bericht über Ott & Heinemann mit den Schwierigkeiten beim Wiederaufbau beginnt ohne zu erwähnen, was dort wieder aufgebaut wurde, jeder Hinweis auf die Vorkriegszeit fehlt, macht uns stutzig, denn selbstverständlich hatten Ott & Heinemann wie auch das Haus selbst eine Vergangenheit.


    Gebr. Hoff (gegr. 1825)

    1905 hatten die Gebrüder Hoff an der Liebfrauenstraße/Ecke Zeil ein großes Geschäftshaus errichten lassen, worin sie selbst ihren 1825 gegründeten Großhandel für Seiden, Manufakturwaren und Stoffe eröffneten und nicht benötigte Ladenflächen an die Fa. Gustav Carsch & Co vermieteten, die ihrerseits ein Geschäft für Herren- und Knabenmoden am Liebfrauenberg hatte und nun hier einen zweiten Laden bezog. Die Firma Gustav Carsch & Co hatte ihren Sitz nach dem Verkauf des Stammhauses in Gelsenkirchen schon in den 1870er Jahren nach Frankfurt verlegt. Nach dem Tod des Firmengründers übernahm der ältere Sohn Paul die Geschäfte und forcierte die Expansion des Unternehmens; hervorzuheben ist das 1913 gebaute Carsch-Haus in Düsseldorf. Niederlassungen gab es außer in Frankfurt und Düsseldorf noch in Höchst a.M. (Königsteiner Straße 5), in Hanau und Oberhausen.



    Bild: gemeinfrei, Auszug einer Postkarte von 1910, veröffentlicht von Mylius in wikimedia


    Gustav Carsch & Co


    Mit Einwilligung der Eigentümer Adolf und Alfred Hoff beantragte Gust. Carsch & Co am 12.10.1927 mit dem Entwurf des Frankfurter Architekten Willi Cahn (Börsenstraße 2-4) den Umbau des gesamten Gebäudes; damit einher ging die Schließung des Hoff’schen Geschäfts und Nutzung des gesamten Hauses durch die Firma Carsch.


    Balkone, Schmuckgesimse und -giebel wurden entfernt, die Fassade ganz im Stil der Zeit geglättet und mit Art-decó-Elementen versehen. Das Carsch-Haus auf der Zeil galt bei seiner Eröffnung Ende 1928 als ein Exempel des Neuen Frankfurt. Neben Verkaufsräumen im Parterre, dem 1. und 2. OG (zur Zeil hin), wurden zur Liebfrauenstraße hin in den Obergeschossen große Werkstätten für Maß- und Konfektionsschneider sowie Bügelräume eingerichtet. Das 3. OG barg Büros, die Telefonzentrale, die Kartothek, den Offertenraum und das Stoff- und Futterlager. Im Dachgeschoss gab es noch Wohnungen, die aber später zu Werkstatträumen umgenutzt werden sollten. Aus den Berechnungen der Baupolizei zur Personalstärke der Hausfeuerwehr wissen wir, dass dort etwa 70 Personen ständig arbeiteten, hinzu kamen bei Ausverkäufen und im Weihnachtsgeschäft bis zu 20 Aushilfen.


    Bild: gemeinfrei (veröffentlicht im Adressbuch von 1937)



    Abb.: Institut für Stadtgesichte, Bauaufsicht, Sig. 461Foto: Kaufhaus Carsch 1928, gemeinfrei


    Die Skizzen sind Anlagen zu Bauanträgen für Fassadenwerbeanlagen, die für Sonderverkaufsaktionen jeweils beantragt wurden. Das Foto wurde 1932 veröffentlicht in: Das Neue Frankfurt


    Bei Recherchen zum Kaufhaus Carsch wird man meistens nur auf das Carsch-Haus in Düsseldorf verwiesen, das viel größer und anscheinend auch der Sitz der Geschäftsleitung war, nachdem Paul Carsch die Firma vom Vater übernommen hatte. Die Niederlassungen im Rhein-Main-Gebiet leitete sein Bruder Siegfried, der mit seiner Familie in der Holzhausenstraße wohnte. Siegfried Carsch war ebenfalls Textilkaufmann und zuvor schon über viele Jahre Mitinhaber von „Bonn & Carsch“, bei der Eröffnung 1928 gab es noch einen Laden von „David Bonn“ im Haus.


    Eintrag im Frankfurter Adressbuch Jg. 1932


    Wer waren Hans Ott & Erich Heinemann?


    Der Erfolg des expandierenden Unternehmens war jedoch nur von kurzer Dauer. Unter dem Druck der seit 1933 nach und nach errichteten Schikanen des NS-Staates gegen jüdische Bürger und gegen jüdische Geschäfte war auch die Familie Carsch gezwungen, ihre Kaufhäuser an „Arier“ zu verkaufen. Ihre Firma wurde 1936 arisiert, d.h. nach dem Verkauf der Geschäfte und aller Liegenschaften an verschiedene „arische“ Übernehmer wurde sie liquidiert. Die beiden Frankfurter Geschäfte verkauften die Carschs an Hans Ott und Erich Heinemann, die eigens zu diesem Zweck im Jahr 1936 die Ott & Heinemann KG gegründet hatten.


    Hans Ott war ein Gutsbesitzer aus dem Saarland, verheiratet mit Ilse Hofer, die ihrerseits der Erbengemeinschaft nach Carl und Richard Hofer angehörte, die eine 40%-Beteiligung an der Gebrüder Hofer AG hielt, einem alteingesessenen Saarbrücker Druck- und Verlagshaus, das damals u.a. die Saarbrücker Zeitung herausgab. Im Zuge der Gleichschaltung der Presse waren alle Anteilseigner der Hofer AG 1935 gezwungen worden, ihre Geschäftsanteile an die NS-Treuhandgesellschaft Konkordia GmbH und die NS-Verlagsanstalt Vera GmbH zu veräußern, wie es hieß mit Verlust. Auf der Suche nach einer neuen Kapitalanlage kam er über eine Vermittlungsgesellschaft mit dem damals 40-jährigen Erich Heinemann zusammen, der bereits in Verhandlungen mit der Firma Gust. Carsch & Co stand. Da Heinemann jedoch nicht über genügend Kapital verfügte, wirkte Hans Ott als Geldgeber an der Übernahme mit, während Erich Heinemann anschließend als persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der zum Zweck der Übernahme gegründeten Ott & Heinemann KG war; über seine Herkunft und seinen beruflichen Werdegang ist nicht viel bekannt, eigentlich nur, dass er leidenschaftlicher Brieftaubenzüchter war.


    Gemessen am vertraglichen Kaufpreis von 700.000 RM wird der Verkauf von Carsch & Co unter den zehn größten Arisierungen in Frankfurt aufgeführt (Benno Nietzel, Handeln und Überleben: Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main 1924–1964; Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 204, Göttingen 2012, S. 245); ob der Kaufpreis, wie in anderen Fällen, weit unter dem Wert des Unternehmens lag wissen wir nicht, Haus und Grund gehörten ja weiterhin den Gebrüdern Hoff; die Übernahmeverhandlungen sollen aber in äußerlich korrekter Form und ohne Eingriffe von Parteiinstanzen verlaufen sein (Nietzel, a.a.O., S. 249).


    Eintrag im Frankfurter Adressbuch, Jg. 1937


    Bereits im Adressbuch von 1937 gibt es in Frankfurt „Gust. Carsch & Co“ nicht mehr; das Wohnhaus von Siegfried Carsch in der Holzhausenstraße musste 1938 verkauft werden. Die Familie Carsch emigrierte 1938 in die Niederlande. Nach der Besetzung der Niederlande überlebte Paul Carsch mit seiner Familie in einem Versteck in Amsterdam. Paul Carsch starb dort 1951; was aus Siegfried Carsch wurde, wissen wir nicht.


    Schon Ende 1945 hatte der von der Militärregierung eingesetzte „Prüfungsausschuss für Arisierungsfragen“ eine Meldepflicht für alle Unternehmen eingeführt, die nach dem 30.1.1933 Vermögen, Vermögensteile oder Interessen von jüdischen Unternehmen oder aus jüdischen Unternehmen erworben haben. Zwei Jahre später wurden dann aufgrund des in der amerikanischen Besatzungszone erlassenen Militärgesetzes Nr. 59 vom 27.11.1947 über die „Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen“ die Umstände der Übernahme von Teilen des Carsch-Vermögens durch Ott & Heinemann überprüft.
    Danach bestand die gesetzliche Vermutung, dass zwischen Eigentumsübertragung und Verfolgung ein Zusammenhang bestand. Der Antragsteller hatte lediglich nachzuweisen, dass er tatsächlich verfolgt worden war. Diese Nachweispflicht entfiel, wenn der Antragsteller – wie die Familie Carsch - zu einer Gruppe gehörte, die die „deutsche Regierung oder die NSDAP wegen ihrer Rasse, Religion oder Weltanschauung aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte.“ Das bewirkte eine Beweislastumkehr, d.h. wer Eigentum von Juden erworben hatte, musste die gesetzliche Entziehungsvermutung widerlegen.


    Ott und Heinemann mussten deshalb in einer gesetzlich festgelegten Form beweisen, dass ihr Erwerb nicht auf unmittelbaren Verfolgungsmaßnahmen oder auf der allgemeinen Verfolgungssituation beruhte. Hierbei war der Zeitpunkt des Erwerbs von entscheidender Bedeutung. Hatten die „Ariseure“ Eigentum von Juden vor dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze, also vor dem 15. September 1935 erworben, reichte der Nachweis eines angemessenen Kaufpreis sowie Zahlung unmittelbar an den Verfolgten. Hatte der Erwerb nach dem Stichtag stattgefunden, hatte der Erwerber zusätzlich glaubhaft zu machen, dass der Verkauf auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus zustande gekommen wäre und er sich in besonderer Weise um die Vermögensinteressen des Verfolgten gekümmert hatte, z.B. durch aktive Hilfe beim Transfer des Verkaufserlöses ins Ausland. Scheiterte der „Ariseur“ schon am Nachweis eines angemessenen Kaufpreises, musste er seinen Besitz an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben.


    Tatsache ist, dass sich Ott und Heinemann 1948 in einem Restitutionsverfahren zur Übernahme der Carsch-Geschäfte erklären mussten; zu welchem Ergebnis dies bei der Ott & Heinemann KG führte, könnte man wohl herausfinden, es würde aber an dieser Stelle den Rahmen sprengen, immerhin ist die Ott & Heinemann KG nach dem Krieg, vielleicht infolge dieses Verfahrens, aufgelöst worden.


    Aus dem Handelsregister wissen wir, dass Erich Heinemann im April 1948, während das Restitutionsverfahren lief, allein oder gemeinsam mit anderen mit einem Kapital von 200.000 RM die Erich Heinemann GmbH gründete, als deren Geschäftszweck die „pachtweise Übernahme und Weiterführung des unter der Fa. Ott & Heinemann geführten Einzelhandelsgeschäfts“ angegeben wird. 1949 firmierte die Heinemann GmbH in Ott & Heinemann GmbH um und erhöhte nach und nach ihr Stammkapital, 1959 auf 500.000 DM. Rechtlich gesehen war die Ott & Heinemann GmbH eine Neugründung nach dem Krieg und keine Umwandlung der alten, 1936 zum Zweck der Arisierung des Carsch-Vermögens, gegründeten KG, nur den Namen „Ott & Heinemann“ haben sie übernommen. Hans Ott und andere Angehörige der Hofer-Familie haben nach dem Krieg ein Restitutionsverfahren auf Rückgabe oder Entschädigung ihrer Aktienanteile an der Hofer AG betrieben.


    Warum von all dem bei Lerner 1958 nichts zu lesen ist, erklärt er im Nachwort seines Buches:


    „Andererseits kann ich nicht umhin, an dieser Stelle offen zu bekennen, dass ich mich nicht mit allen Stellen dieses Buches identifizieren kann. In einer Reihe von Fällen wurden die Werbeabteilungen der Unternehmen mit der Durchsicht der Ihnen gewidmeten Abschnitte betraut. Ihrer ganzen Einstellung nach, die der Zukunft und der Gewinnung neuer Aufträge zugewandt ist, liegt Ihnen die historische Betrachtung fern. Darum haben sie vielfach eine Kürzung der die Entwicklung behandelnden Ausführungen zu Gunsten der gegenwärtigen Tatsachen gewünscht und auch manche kritische Wendung mit Rücksicht auf Ihre Bedürfnisse abgelehnt, hie und da sogar mitgeteilte Zahlen zurückgezogen. Durch die Zusicherungen, die der Verlag den Unternehmen geben musste, um Ihre Mitwirkung zu erlangen, fühlte ich mich gebunden und habe diesen Änderungswünschen soweit, wie sie mir vertretbar erschienen, nachgegeben. Bewusst habe ich mich auf keine Diskussionen eingelassen, weil ich davon nur beiderseitige Verstimmung befürchten musste. Dass ich diese Korrekturen meiner historischen Betrachtungen nur schweren Herzens gebilligt habe, wird mir hoffentlich niemand verargen. Dem kritischen Benutzer muss sich das an dieser Stelle darum offen bekennen, um mir ungerechtfertigte Vorwürfe zu ersparen. Es handelt sich jedoch nur um eine begrenzte Anzahl von Fällen (…).“ (Lerner, Frankfurt und seine Wirtschaft, 1958, S. 559)


    Einer dieser Fälle war also Ott & Heinemann, die jeden Hinweis auf ihre Beteiligung an der Arisierung des Carsch-Hauses, den Zeitpunkt und die Umstände ihrer Firmengründung vermieden.

  • Zeil 121 (ehem. Ott & Heinemann) -II-

    Bausperre und Enteignung

    Ott & Heinemann waren durch den Krieg in schwere Bedrängnis geraten. Durch die Luftangriffe wurde das Haus Zeil 121/Liebfrauenstraße 8-10 schwer beschädigt, war aber kein Totalschaden und teilweise noch benutzbar. Sie konnten deshalb als erstes Geschäft auf der Zeil schon im Mai 1945 wieder öffnen, weil im Wesentlichen die Obergeschosse zerstört worden waren; aber mit der Abgabe von Windjacken und Brotbeuteln aus Wehrmachtbeständen auf Bezugsschein war kein Geschäft zu machen. Das änderte sich schlagartig mit der Währungsreform, sofort wurde der Wiederaufbau beantragt. Als erstes wurde der Firma im Februar 1950 der Bau einer großen Werbe(Schaufenster-)anlage auf dem Gelände der zerstörten Hauptpost genehmigt, womit sie für ihr Geschäft in der Liebfrauenstraße werben konnte. Im Juli 1950 stellten Ott & Heinemann und die Erbengemeinschaft Hoff den Bauantrag für den Wiederaufbau der zerstörten Obergeschosse, womit die eingangs erwähnten Schwierigkeiten begannen. Der Antrag wurde nämlich nicht beschieden, sondern bis auf weiteres zurückgestellt. Das war die Folge von drei besonderen administrativen Maßnahmen, mit denen die Stadt Frankfurt den Wiederaufbau im Sommer 1945 begonnen hatte:


    - Als erstes beschloss der Magistrat im Oktober 1945, gemeinsam mit der Metallgesellschaft, der Philipp Holzmann AG und der Wayss & Freitag AG die Trümmerverwertungsgesellschaft mbH (TVG) zu gründen (auf neudeutsch: ein ppp, public-private-partnership); sie sollte u.a. die planvolle Freiräumung der besonders zerstörten Quartiere und das Recycling der ungeheuren Trümmermassen zu Baumaterial in städtischer Regie organisieren und durchführen.


    - Damit diese Firma ihre Arbeit aber überhaupt aufnehmen konnte, wurden als zweite Maßnahme im Dezember 1945 die „aus den Kriegshandlungen verbliebenen Gebäudetrümmer“ beschlagnahmt und die Trümmerbeseitigung zur öffentlichen Aufgabe erklärt; es war klar, dass die privaten Hauseigentümer zu einer geordneten Enttrümmerung wegen fehlender Transport- und Deponiekapazität und aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sein würden, ihre Grundstücke freizuräumen; deshalb wurde die Trümmerbeseitigung zur öffentlichen Aufgabe erklärt. Bis etwa zur Währungsreform 1948 war der Wiederaufbau primär Trümmerbeseitigung, Ruinen wurden gesprengt und riesige Mengen Schutt wurden abgefahren, um die Baufelder für den eigentlichen Wiederaufbau freizulegen.





    Die dritte Maßnahme war – es klingt paradox – eine umfassende Bausperre. Auf der Grundlage des HessAufbauG wurde am 21.3.1949 eine umfassende, bis zum 1.4.1952 befristete Bausperre beschlossen, die nach Ablauf in einigen Bereichen nochmals um drei Jahre, also bis April 1955, verlängert wurde. Sie sollte verhindern, dass durch vereinzelten Wiederaufbau an Stellen vollendete Tatsachen geschaffen wurden, an denen sie ggf. die städtischen Wiederaufbaupläne vereiteln oder erschweren würden. Die Bausperre umfasste nur die besonders zerstörten Bereiche, wozu u.a. das gesamte Gebiet innerhalb des Anlagenrings, also auch die Zeil gehörte. Für Liegenschaften in den von der Bausperre betroffenen Gebieten wurden Bauanträge anfangs gar nicht erst angenommen und Baugenehmigungen nur ausnahmsweise erteilt, wenn sie städtischen Planungen vor allem zur Verbreiterung, Neuanlage oder Beseitigung von Straßen und Plätzen und die Freilegung und Neuvermessung großzügiger Baufelder nicht behinderten. Alle Gebiete, in denen die Aufbauplanung keine Probleme bereitete, wurden nach und nach aus der BausperrVO entlassen - nicht so die Zeil-Südseite.




    Karte: geoinfo.frankfurt.de, Stadtkarte 1947, farbige Eintragung von mir


    Kurzum: die Beschlagnahme der Trümmer, die zwangsweise Niederlegung teilzerstörter Gebäude (was sind beschlagnahmte Trümmer, was noch ein Gebäude?), die Bausperre, die drohende Enteignung für den Neubau und Verbreiterung der Straßen oder Schaffung großer zusammenhängender Bauplätze sowie die damit einhergehende Entschädigungsfrage bargen ein beachtliches Konfliktpotenzial, Rechtsanwälte und Gerichte waren gut beschäftigt, allein in Frankfurt gab es unter der Geltung des HessAufbauG über 1.000 Enteignungsverfahren.


    Die Zeil-Verbreiterung

    Ob sich der Wiederaufbau am historisch gewachsenen Grundriss der Stadt orientieren sollte, oder ob sich die Planer im Hinblick auf die geänderten Verkehrs- und Wohnbedürfnisse von den überkommenen Grundstückszuschnitten und Baufluchtlinien freimachen sollten, war eine der Kardinalfragen des Wiederaufbaus. Schon 1946 hatte die Stadt einen Ideenwettbewerb zum Wiederaufbau der Innenstadt ausgelobt. .




    Der Wettbewerbsbeitrag einer Gruppe von Stadtplanern und Architekten um den Stadtplaner Wolf Drevermann schlug neue Straßen und die Verbreiterung bestehender Straßen vor. Teile des Drevermann-Plans, den die Frankfurter Rundschau 1949 veröffentlicht hatte, hatte sich das Stadtplanungsamt zu Eigen gemacht, darunter auch die Verbreiterung der Zeil. Deren südliche Baufluchtlinie sollte um mindestens acht Meter nach Süden verlegt werden.


    Die Entscheidung dafür fiel allerdings sehr spät, was den Wiederaufbau auf der Zeil-Südseite erheblich verzögerte. Während auf der Nordseite ab Mitte 1950 ein Kaufhaus nach dem anderen eröffnete (Kaufhof, Peek & Cloppenburg, M.Schneider, Hertie), tat sich auf der Südseite rein gar nichts. Betroffen waren auf der Südseite alle Grundstücke zwischen Konstablerwache und Katharinenkirche, also auch Ott & Heinemann, Zeil 121. (aber das Bienenkorbhaus, wird sich mancher fragen, liegt das nicht auch an der alten Fluchtlinie? Ja, aber es war schon fix und fertig geplant und genehmigt und bereits im Bau, als die Entscheidung fiel und es war zu groß, um es wieder abzureissen.)



    Auf dieser Postkarte sieht man die neue Zeil 123 (Hako-Haus) und das noch beschädigte Carsch-Haus in alter Bauflucht. Auf nachstehendem Foto aus dem Jahr 1949 oder Frühjahr 1950 ist zu erkennen, dass Ott & Heinemann den Teil des Gebäudes an der Liebfrauenstraße nutzen konnten, während der zur Zeil gelegene Teil sowie ein oder zwei Obergeschosse zerstört waren. Zu sehen ist auch, dass die spätere Aufstockung des Kaufhofs schon vorbereitet war, die vertikalen Stützen ragen bereits über Dach auf und wurden zur Zeil hin nur verblendet.



    Foto: Rudi Herzog, gemeinfrei (Erstveröffentlichung FAAG 1952)


    Im November 1949 hatte die Stadt einen Fluchtlinienplan für den Bereich Hasengasse > Zeil > Liebfrauenstraße > Töngesgasse aufgelegt, der die Aufhebung und Neufestsetzung der Fluchtlinien auf der Südseite dieses Abschnitts der Zeil vorsah und für Ärger sorgte, würde die Umsetzung dieses Plans doch den Abriss aller vor der neuen Baufluchtlinie stehenden Gebäude und -reste und Abtretung oder Enteignung der Flächen zwischen alter und neuer Fluchtlinie an die Stadt bedeuten. Der entsprechende Plan für den Bereich westlich der Hasengasse war zwar genauso umstritten, kam aber schneller voran.


    Die nachstehende Stadtkarte von 1950 zeigt in Gelb die von der Verbreiterung betroffenen Flächen; gut zu erkennen ist übrigens, dass auch das unzerstört gebliebene Haus Zeil 95 (Uhren-Pletzsch) abgerissen werden müsste.



    Karte: geoinfo.frankfurt.de, Stadtkarte 1950, farbige Eintragung von mir


    Um den Widerstand der Eigentümer gegen geplante Straßenverbreiterungen – nicht nur der Zeil - zu brechen, machte die Stadt die Erteilung von Baugenehmigungen von der Übertragung der Grundstücksteile abhängig, die zur Straßenverbreiterung benötigt wurden. Dass damit der Wiederaufbau auf diesen Grundstücken abgewürgt wurde, focht die Stadt zunächst nicht an; auf Anweisung von OB Kolb beendete die Bauaufsicht diese nötigende Praxis, den meisten Eigentümern ging es nämlich weniger um den Flächenverlust an sich als um die Höhe der Entschädigung, und die konnte unabhängig von der Baugenehmigung später geklärt werden.


    Im Fall Uhren Pletzsch hatte sich der Eigentümer mit der Stadt auf die Gestellung eines Ersatzgrundstücks geeinigt, der daraufhin das unbeschädigte Haus abriss und seinen Neubau entsprechend zurücksetzte. Genau das verlangte die Stadt auch von Ott & Heinemann und der Erbengemeinschaft Hoff, sie sollten den unzerstört gebliebenen Teil der Zeil 121 abreißen und die Gebäudefront auf die neue Baufluchtlinie zurücknehmen. Sie weigerten sich im Hinblick auf das Nachbargrundstück Zeil 123 – und bekamen keine Baugenehmigung, obwohl der Wiederaufbau der Zeil 123 ohne Zurücknahme der Gebäudefront auf die neue Baufluchtlinie genehmigt worden war.


    Es folgte ein mehrjähriger Rechtsstreit, der vor dem OLG Frankfurt 1955 mit einem Vergleich beendet wurde:


    - Ott & Heinemann bekommt die Baugenehmigung für den Wiederaufbau, aber
    - die Gebäudefront zur Zeil wird abgerissen und 2,00 m hinter der alten Baulinie neu gebaut,
    - die Schaufensterfront im Erdgeschoss wird auf die neue Fluchtlinie zurückgenommen,
    - der Bürgersteig vor dem Schaufenster wird dadurch auf voller Länge mit einer 6,00 m breiten Arkade überbaut
    - für die Arkade (Flurstück 24/2) wird ein Gehrecht zugunsten der Öffentlichkeit bestellt und grundbuchlich gesichert.



    Foto: Postkarte von 1950


    Mit diesem Kompromiss ist die leidige Entschädigungsfrage umschifft worden, denn das überbaute Flurstück 24/2 blieb im Eigentum der Erbengemeinschaft Hoff, wurde also nicht enteignet, sie musste für die Zeilverbreiterung nur einen etwa 2,00 m breiten Streifen, also rd. 70 m² abgeben.



    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stand 04.2019, © Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation, gelbe Markierung von mir


    Statt das beschädigte Carsch-Haus, wie zunächst beantragt, für 200.000 DM (Rohbausumme) in alter Silhouette wiederaufzubauen, wurde der an Zeil gelegene Gebäudeteil abgerissen und um zwei Meter verkürzt neu aufgebaut. Während die Zeil 121 nur 2,00 m hinter der alten Baufluchtlinie neu errichtet wurde, stehen alle Neubauten östlich davon 8,00 m hinter der alten Fluchtlinie, die Zeil 121 springt deshalb 6,00 m vor. Der mit einer Rohbausumme von 1.325.700 DM kalkulierte Entwurf von Ernst Balser wurde schon 1956 fertig gestellt. Nach Abschluss des Rechtsstreits begann die Stadt 1957 auch mit dem Straßenumbau, die neue Baufluchtlinie, einschließlich der Arkade von Ott & Heinemann, wurde 1958 verbindlich festgeschrieben, die kleinen Grundstücke östlich von Ott & Heinemann wurden zu größeren Parzellen zusammengelegt und mit neuen Hausnummern versehen.


    Epilog


    1958 verkaufte die Erbengemeinschaft Hoff die Zeil 121 an Ott & Heinemann; die GmbH wurde Ende 1970 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die mit der H. Dyckhoff KG aus Köln einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag schloss; Dyckhoff wandelte Ott & Heinemann 1972 wieder in eine GmbH um, diese wiederum Mitte 1973 in eine KG und machte Ott & Heinemann zu einer Zweigniederlassung der Dyckhoff KG. Dyckhoff ging im Frühjahr 1997 pleite und im Zuge dieser Insolvenz wurde auch die Ott & Heinemann KG schließlich durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 19.6.1997 aufgelöst.


    Aus der Insolvenzmasse wurde die Zeil 121 Mitte der 90er Jahre verkauft, das aufstehende Gebäude 1998/99 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Was folgte, ist bekannt - Marks & Spencer, Saturn-Hansa, Esprit, was blieb, ist der unharmonisch anmutende Vorsprung in der Bauflucht und die Arkade. Abriss und Neubau des Gebäudes haben die Stadt anscheinend nicht veranlasst, die Bauflucht auf der Zeil-Südseite zu begradigen. Es bleibt uns also diese Ecke als Sinnbild für die Irrungen und Wirrungen der Aufbauzeit bis auf Weiteres erhalten.



    Foto: epizentrum

    3 Mal editiert, zuletzt von tunnelklick () aus folgendem Grund: Luftbild eingefügt

  • Danke Tunnelklick,
    wieder eine sehr schöne Zusammenstellung der damaligen Vorgänge, die ich sehr spannend fand. Denn O&H war, für meinen Geschmack zumindest, immer das schönste Geschäftshaus aus der Wiederaufbauära auf der Zeil. Und nicht nur wegen seiner Fassade, auch die Innenraumgestaltung war ja spektakulär. Nur hielt ich die Tatsache, daß das Gebäude in die Zeil vorsprang, immer für eine städtebauliche Geste - zur Betonung der Ecksituation und Vermittlung mit der Flucht des Hako-Hauses. Aber offensichtlich war's doch wieder nur ein, wenn auch positives, Ergebnis des traditionellen Geschachers zwischen Eigentümern und Stadt. Man lernt immer wieder dazu.

  • Zeil-Verbreiterung (vorher - nachher)

    Wir hatten im zweiten Teil des Ott & Heinemann-Berichts erwähnt, dass die Zeilverbreiterung östlich der Hasengasse schneller von statten ging.



    Karte: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Derselbe Kartenausschnitt heute:



    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stand 04.2019, © Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation


    Das Luftbild zeigt den Blick von Ost nach West. Auf den anderen Bildern ist zu erkennen, dass nicht nur das unzerstört gebliebene Haus von Uhren-Pletzsch der Zeilverbreiterung weichen musste, sondern auch die Gebäude Zeil 65-73, die dort standen, wo heute das Bienenkorb-Haus (heute Zeil 65) und Leder Gabler (heute Zeil 69) stehen. Da die zerstörte Kleinmarkthalle in städtischem Eigentum stand war es leicht möglich, die Zeil-Südseite in diesem Bereich komplett abzureissen. Das Peek & Cloppenburg-Kaufhaus steht zur Hälfte auf dem ehemaligen Kleinmarkthallen-Grundstück, die Häuser Zeil 71 und 73 wurde dafür abgerissen.



    Foto: Rudi Herzog, gemeinfrei (Erstveröffentlichung FAAG 1952)


    Hinter der Zeil stand, zwischen Baugraben und Reineckstraße, seit 1878 die Kleinmarkthalle, die 1944 vollständig zerstört worden war. Es war schnell entschieden worden, dass sie im Hinblick auf die Zeilverbreiterung nicht wieder aufgebaut werden würde, ihr Grundstück würde für die Bebauung der neuen Zeil_Südseite benötigt werden.


    Der Blick nach osten Richtung Konstablerwache...




    ...und in die Gegenrichtung Richtung Hauptwache



    Fotos: Kurt Liese / Robert Strouhal, mit freundlicher Genehmigung von harald-reportagen


    Als erstes Wiederaufbauprojekt hatte der Magistrat den Bereich zwischen Neuer Kräme > Töngesgasse > Fahrgasse > Schnurgasse (Heute Berliner Straße) ausgewählt; es lag auf der Hand, dass dieser vollständig zerstörte Bereich in seiner kleinteiligen Struktur nicht wieder aufgebaut werden würde. Die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse ermöglichte den Neubau der Kleinmarkthalle südlich der Töngesgasse.



    Karte: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Derselbe Kartenausschnitt heute:



    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stand 04.2019, © Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation