"Maßstäblichkeit" im Städtebau

  • "Maßstäblichkeit" im Städtebau

    Über diesen Begriff mache ich mir seit einer Weile Gedanken und habe nun ein wenig darüber geschrieben. Eure Meinungen würden mich sehr interessieren:


    Die Begriffe „Maßstäblichkeit“ und selbst das geläufige Wort „Maßstab“ müssen als problematisch gewertet werden. Dies gilt zudem gerade im Kontext des aktuellen, historisierenden Rückblicks auf den Städtebau seit 1945.
    Die Problematik liegt einerseits in der unmittelbaren Wortbedeutung, denn schließlich haben alle materiell errichteten Gebäude den Maßstab 1:1. Ausgesprochen wertende Worte wie „Maßstabssprung“ machen, nimmt man sie wörtlich, wenig Sinn: Hat der Architekt am Zeichenbrett hier versehentlich den Dreikantmaßstab verdreht, und mit einer anderen Skala weitergearbeitet? Daher können diese Worte zudem andererseits nur aus dem Kontext einer tendenziell undifferenzierten Kritik gegenüber jeder Art der modernen Proportionssetzung verstanden werden. Sie kommen zwar schon in der älteren Literatur regelmäßig vor, so etwa 1914 bei Albert Erich Brinckmann, in seiner Präzisierung als „optischer Maßstab“. Sie sind in Westdeutschland jedoch heute deutlich von der Stadtbaukritik seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre und von der Postmoderne vereinnahmt worden, die ihnen eine bestimmte Konnotation beigegeben haben.


    Das Wort „Maßstab“ lässt sich zwar unschwer übersetzen, als ein vorhandenes, relativ einheitliches Maßsystem, genauer: als eine Struktur von ähnlichen Maßintervallen in einem Umfeld. Der Begriff wird jedoch auffordernd benutzt, im Sinne eines „Kanons“, der eizuhalten sei. Bei diesem Forderungscharakter handelt es sich jedoch um eine Setzung. Muss ein Architekt in jeder Situation das Maßsystem der Umgegend übernehmen? Jeder Praktiker weiß, das Planung eine Auseinandersetzung mit dem Bestehenden ist und das Kontrastieren gegenüber bestehenden Maßintervallen immer zum Repertoire gehörte und gehört. Daher wird „Maßstab“ im Sinne von „Kanon“ gerade der Stadt der Nachkriegsmoderne in ihrer besonderen Form oft gar nicht gerecht. Denn der bauliche Quantitätssprung der Moderne bestand nicht alleine darin, Gebäude zunächst aus ihrer Funktion heraus höher, breiter und tiefer zu bauen. Er bestand auch in einer Gleichbehandlung dieser Funktionen, die den Anforderungen einer am Ideal der Demokratie orientierten und vielschichtigen Gesellschaft angepasst wurden. Somit kamen nun mehr und gegenüber vielen der vormodernen Gebäude größere Bauten in die Stadt. Die Architekten haben sich allerdings die Kontrastierung von Groß und Klein ebenso wirkungsvoll, „picturesque“ , zunutze gemacht, wie ihre vormodernen Kollegen. Der Unterschied bestand nun in der Gleichbehandlung aller Seiten, der Allansichtigkeit, die eine Freistellung wünschenswert machte und in der größeren Anzahl von jeweils vorzusehenden Funktionen in solchen größeren Baukörpern. Die Kontrastierung von Baumassen, von Höhen und Breitenmaßen, wurde nun deutlich häufiger angewendet, aber in der Regel ebenso bewusst wie vorher in den klassischen Bauaufgaben Kirche und Schloss.


    Es erweist sich somit als viel ergiebiger, genauer und sogar als respektvoller gegenüber einem bestehenden Ensemble, die Begriffe „Maßstab“, „Maßstäblichkeit“, „Maßstabssprung“ oder gar „den Maßstab missachten“ möglichst zu vermeiden. Sie können stattdessen durch Worte wie „Maß“, „Proportion“, „Intervall“, „Harmonie“, schließlich auch „Kontrast“, „Spannung“, oder „Asymmetrie“ ersetzt werden, welche die besonderen Eigenschaften gegenwärtiger Stadtbilder wirklich beschreibend erfassen, ihnen gerecht werden. Und auch in diesen Worten lassen sich ungünstige Proportionsverhältnisse eines Neubaus benennen, nur genauer. Ich plädiere dabei sicher nicht dafür, Maßstäblichkeit zu missachten, sondern dafür, die spezielle Maßstäblichkeit der Nachkriegsarchitektur erst einmal zu erkennen und vielleicht gar schätzen zu lernen, bevor man sie mit einem Schlagwort abtut - und glaubt, wir machten es heute etwa besser.

  • ^^ Ich finde du sprichts ein paar interessante Punkte an, aber ich behaupte mal, dass die Verwendung des Wortes Maßstab in vielen Fällen durchaus den von dir als negativ empfundenen Beiklang haben soll und so bewusst oder unbewusst von den Nutzern so verwendet wird.

  • Der Maßstab ist immer auch eine Anschauungssache, liegt im Auge des Betrachters. Wenn der Betrachter Fußgänger ist, braucht es einen anderen Maßstab, als wenn der Betrachter hinterm Lenkrad sitzt. Schon wegen der Geschwindigkeit, mit der man sich bewegt.


    Ein Autofahrer nimmt die kleinen Strukturen einer Fassade nicht wahr, das ist mehr etwas für Fußgänger. Dafür erfassen Fußgänger oft nicht die riesigen Werbeschilder, die sich an sich bewegende Autofahrer richten. Solche übergroßen Werbeschilder sprengen beim Fußgänger das Blickfeld.

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    Hey,


    Stadtmensch beschreibt das ziemlich gut, wie ich finde. Ein Maßstab ist keinesfalls so objektiv wie man es denken mag, denn alles liegt immer, wie schon gesagt, im Auge des Betrachters. So hat jeder Mensch einen anderen Maßstab für verschiedenste Dinge (auch zB bei Arbeitgebern, die halt unterschiedliche Maßstäbe haben, was die Arbeit der Arbeitnehmer angeht).


    LG

  • Das mit dem Auge des Betrachters und den Beschreibungen von Fußgängern und Autos, das gefällt mir sehr gut. Ihr habt das ganz knapp und klar rübergebracht. Es entspricht so auch meiner Erfahrung (und der gute alte Brinckmann hat es 19014 schon formuliert), dass es nicht etwa mathematische Regeln geben kann, wie, Goldener Schnitt, oder 1:2:3 oder, als generelle Regel nicht einmal die Berliner Traufkante, sondern, dass es um menschliche Blickwinkel gehen kann, die man aber zeichnerisch und am Modell durchprobieren muss, um es zu perfektionieren, man kann das nicht errechnen.