Löwen
Kurze geschichtliche Einführung
Löwen, niederländisch Leuven, französisch Louvain, liegt heute in der belgischen Provinz Flämisch-Brabant und tauchte im 9. Jahrhundert erstmals als befestigtes normannisches Lager Lovon in der Geschichtsschreibung auf. Die Stadtwerdung begann gegen 1000 mit dem Bau der ersten Peterskirche und der Burg der Grafen von Löwen, die sich bald zu den Herzögen von von Niederlothringen und schließlich von ganz Brabant aufschwangen.
Bereits gegen 1150 war Löwen ein kapitaler Knotenpunkt zwischen den größeren rheinischen und flandischen Handelzentren, das Gemeinwesen verfügte ab 1234 über die Insignien der städtischen Freiheit. Zur gleichen Zeit blüte das Textilgewerbe auf. Da sich die Führungsschicht der Stadt jedoch innerlich zerstritt und weitere Bevölkerungsgruppen nach der Macht strebten, kam es Ende des 13. Jahrhunderts zum trotz aller nachfolgenden Bemühungen unwiederbringlichen Verlust und der Abwanderung der Residenz nach Brüssel.
Ein Niedergang setzte ein, der erst 1425 mit der von Past Martin V. gestifteten und immerhin von den Landesherren finanziell unterstützten Universität aufgehalten werden konnte. Das 15. Jahrhundert war die letzte große Blütezeit der Stadt, in der auch das fantastische Rathaus entstand, danach gerieten die Stadtväter – ähnlich wie die von Brügge, die ihn sogar wochenlang ins Gefängnis waren – derart mit Kaiser Maximilian I. aneinander, dass dieser schwerste Zwangsmaßnahmen verhängte, die für Löwen den wirtschaftlichen Ruin bedeuteten.
Seit der frühen Neuzeit existierte die Stadt somit praktisch nur noch von der Universität und den selbst für belgische Verhältnisse sehr zahlreichen eigenständigen Bierbrauerein. Dem frühen Niedergang verdankte sie bis zum Ersten Weltkrieg ein jedoch sehr altes und gut erhaltenes Stadtbild. Leider meinte die deutsche Heerführung in einem Akt absolut rätselhafter Barbarei, an der Stadt stellvertretend für Belgien, das sich vermeintlich nicht an Abkommen gehalten hatte, ein Exempel statuieren zu müssen, und brannte 1914 bis auf das Rathaus und den Großteil der Kirchen praktisch den gesamten historischen Stadtkern nieder, über 1.000 Gebäude wurden zerstört. Am Schlimmsten wog jedoch die Brandstiftung der berühmten historischen Universitätsbibliothek, wo 1.000 Handschriften, 800 Inkunabeln und 300.000 Bücher unwiederbringlich (erstere sind ja bekanntlich Unikate) vernichtet wurden.
Im Gegensatz zu dem, was unserem Land nach dem Zweiten Weltkrieg angetan wurde, bekam Löwen – vor allem durch reiche Spenden aus Übersee und wohl auch Reparationen getragen – bis in die 1930er Jahre hinein jedoch einen Luxus-Wiederaufbau verpasst, von dem wir heute nur träumen können. Jedes brandgeschatzte und wiederaufgebaute Haus erhielt eine kleine Plakette mit einer Fackel und der Zahl 1914, so dass man bis heute ganz gut abschätzen kann, was alles zerstört worden ist. Dazu im Einzelnen später noch mehr.
1944 übernahmen die Briten der Rolle der Deutschen im Ersten Weltkrieg und bombardierten die besetzte Stadt, wobei das Rathaus und einige Kirchen schwer beschädigt sowie die mühsam wiederaufgebaute Universitätsbibliothek inklusive Inhalt abermals ein Raub der Flammen wurden. Glücklicherweise war der Wiederaufbau auch danach größtenteils vorbildlich, nur bei einzelnen wohl unbedeutenderen Bürgerhäusern hat man den Eindruck, dass diese hastig und halt im typischen Stil der 1950er Jahre – nur eben in Klinker – hochgezogen wurden.
Abschließend muss man sagen, dass Löwen nach deutschen Maßstäben eine wunderschöne Stadt ist, wobei dem geübten Auge jedoch kaum entgeht, was alles im 20. Jahrhundert verlorengegangen ist, gerade wenn man Gent und vor allem Brügge gesehen hat. Klinker patiniert halt auch langsamer als die Holzbauten unserer Breiten. Auch hat man den Eindruck, dass der Wiederaufbau sich vor allem auf den innersten Stadtkern beschränkte, viele Außenbezirke wirken notdürftig gesichert oder gar verfallen. Ob dies immer noch Kriegsfolgen oder Symptome eines anderen Problems sind, weiß ich nicht. Allerdings lebt die Stadt auch mehr von den Studenten ihrer vor allem im englischsprachigen Raum recht bekannten Universität als dem Tourismus.
Wie groß die Altstadt mal war oder in Vergleich zu einer deutschen Stadt ist, vermag ich schwer einzuschätzen – um 1800 hatte die Stadt 20.000 Einwohner, heute knapp 100.000, vermutlich handelte es sich im Mittelalter um eine eher mittelgroße Stadt. Dafür sprechen auch die etwas über 1.000 1914 gebrandschatzen Altstadthäuser, die sicher über 95 % des Bestandes ausgemacht haben.
Zu den Bildern
Die Bilder entstanden zwischen dem 10. und dem 14., größtenteils am 11. Juli 2009. Leider hatte ich an diesem Tag mit dem Wetter Pech (dafür an den anderen außerordentliches Glück), es war größtenteils wolkenverhangen mit regelmäßigen Schauern, vieles ist sogar unter dem Regenschirm geschossen, entsprechend sind die nachfolgenden Bilder nicht ganz so knallig, wie sie sein könnten – andererseits ist eine derartige Wetterlage halt auch völlig normal für diese Region und man hat nach Aussagen Einheimischer selbst im Sommer fast jeden Tag damit zu rechnen.
Die Fotos habe ich wieder nicht chronologisch, sondern in einem topographisch sinnvollen Zusammenhang gestellt, also nicht wundern, wenn die Sonne von einem zum anderen Foto mal auftaucht und dann wieder verschwindet.
Noch zur Ausrüstung, wen(n)'s interessiert: Canon EOS 1Ds Mark II mit dem Canon EF 24-70mm 2.8 L USM, nachts das Manfrotto 055 PROB mit Manfrotto 329RC4-Kopf als Stativ.
Los gehts am Martelarenplein im Osten der Stadt. Das hier stehende Hauptgebäude des Bahnhofs, 1875 von H. Fouquet im historistischen Stil erbaut, ist bis heute gut erhalten, dahinter befindet sich allerdings eine riesige moderne Anlage, die erst vor kurzem errichtet wurde.
Gerade erst fertiggestellt ist das neue Verwaltungszentrum der Stadtverwaltung, das sich südlich des Bahnhofs als gewaltiger Riegelbau fast 300 Meter in die Länge zieht. Selbst die über den Martelarenplein führende Straße wurde unter die Erde verlegt und hier an eine Tiefgarage angeschlossen, so dass der Platz trotz Bahnhof und Verwaltungszentrum angenehm frei von Autos ist – vorbildlich!
Ältere Architektur, aufgrund der Brandstiftung von 1914 fast einheitlich aus den 1920ern, findet sich im Südwesten...
...im Westen...
...und im Nordwesten des Platzes.
Aus dem Westen des Platzes führt dann die sehr lange, wohl dem 19. Jahrhundert entstammende, repräsentativ bebaute und somit ein bisschen an die Kaiserstraße in Frankfurt erinnernde Bondgenotenlaan direkt ins historische Herz der Stadt, hier vom Ende, dem Maarschalk Fochplein aus gesehen.
Der Maarschalk Fochplein ist überwiegend von Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt.
Direkt gegenüber liegt mit dem Grote Markt das Herz der Stadt mit (von links nach rechts) Haus Tafelrond, dem Stadthuis (Rathaus) und der Collegialen Sint-Pieterskerk (Sankt Peterskirche).
In der Mitte des Maarschalk Fochplein steht der 1975 errichtete Brunnen Fons sapientiae (für Nicht-Lateiner: Brunnen der Weisheit) von Jef Clerhout, der den zahlreichen Löwener Studenten gewidmet ist – ob die Geste den Wissens- oder vielmehr ihren Bierdurst symbolisiert, ist Auslegungssache.
Vom Architekten des Rathauses, Matthijs de Layens, stammt auch Haus Tafelrond, das an dieser Stelle 1470–1487 als gemeinschaftlich genutztes Zunfthaus errichtet wurde. Im Klassizmus, der wenig für die Gotik übrig hatte, brach man das Haus für einen Neubau ab, in der Wiederaufbauphase nach dem Ersten Weltkrieg wurde es dann nach den alten Plänen bis 1927 totalrekonstruiert! Es diente bis vor kurzem als Sitz der Nationalbank.
Der unzweifelhaft architektonische Höhepunkt der Stadt ist das Rathaus, das eigentlich ein ganzer Komplex verschiedener Bauten ist, von dem jedoch die Schauseite am Grote Markt durch ihre Bedeutung hervorragt.
Der Bau begann mit dem östlichen, hier links angeschnittenen Flügel an der Boekhandelstraat unter Sulpitius van Vorst, der auch die Pläne ausgearbeitet hatte, 1439, der jedoch noch im selben Jahr starb. Es übernahm Jan Keldermans II., der den schmucklosen, hier im Bild zu sehenden Treppenturm fertigstellte, bevor auch er 1445 verstarb. Nun übernahm Matthijs de Layens, der auf das im wahrsten Sinne des Wortes fundamentale Problem stieß, dass sich unter den Kellern des Bürgerhauses, das am Grote Markt für den Rathausbau abgebrochen worden war, ein Sumpf auftat. Der Plan von Sulpitius van Vorst sah jedoch, wie für flandrische Rathäuser typisch, einen monunmentalen Belfried vor, den der Untergrund jedoch nicht tragen konnte. Man entschied sich daher zu einer völligen Änderung der Pläne und versah das Gebäude nun mit sechs kleinen Türmen sowie einem erhöhten Detailgrad. Mit den Anbauten an der Naamsestraat waren die Bauarbeiten des Mittelalters 1469 beendet.
Erst 1852–1913 kamen im Zuge von Restaurierungen die 236 (!) Figuren in die Nischen, wobei die im Erdgeschoss Persönlichkeiten der Löwener Stadtgeschichte, im ersten Stock Heilige und Namenspatrone und die im zweiten Stock Grafen der Grafschaft Löwen und Herzöge von Brabant zeigen. Die biblischen Szenen, die mit einem unglaublichen und nach oben hin auch nicht abnehmenden Detailgrad in den Großteil der Auflagekonsolen gearbeitet sind, stammen dagegen noch aus dem 15. Jahrhundert. Im Ersten Weltkrieg blieb das Gebäude von der Brandschatzung verschont, im Zweiten Weltkrieg wurde die Fassade von Sprengbomben schwer beschädigt und musste bis in die 1980er hinein saniert werden.
Das Innere des Rathauses ist reich spätbarock und neogotisch ausgestattet, Bilder davon kann ich leider nicht anbieten. Wegen eines Festivals auf dem Grote Markt (die zusammengefahrene Bühne ist links im nachfolgenden Bild zu sehen), hätte ich fast kein vernünftiges Foto machen können, weswegen die Aufnahme bei Nacht entstand, als ausnahmsweise mal nix los war.
Detail der Ostseite, Erdgeschoss.
Detail der Fassade zum Grote Markt zwischen Erdgeschoss und erstem Stock.
Detail der Ecke zur Naamsestraat, Erdgeschoss – man beachte den Detailgrad!
Direkt gegenüber liegen die Häuser des Grote Markt, alles Totalrekonstruktionen, da 1914 sämtlich zerstört. Die Originale dürften im wesentlichen aus dem 17. und 18. Jahrhundert gestammt haben. Handwerklich sind die Rekos allererste Sahne, so finden sich z.B. in den Erdgeschossen, die zumeist Gaststätten sind, vielernorts Balkendecken, es wurde also durchgängig mit den alten Materialien gearbeitet.
Nochmal die Häuser der Südseite mit dem Rathaus.
Nun zur schräg gegenüberliegenden Kirche. Mit dem Bau im Stil der sogenannten Brabanter Gotik wurde 1410 unter Sulpitius van Vorst und Jan Keldermans II. beim Chor begonnen, schrittweise ersetzte man den romanischen Vorgängerbau unter Verwendung des charakteristischen hellen Lediaansandsteins. Nach dem Tode der beiden vorgenannten Baumeister (s. auch Rathaus) ging es mit dem ebenfalls am Rathaus tätigen Matthijs de Layens weiter, 1475 wurde mit dem romanischen Langhaus das letzte romanische Bauteil abgebrochen. Unter Joost Metsys wurde Anfang des 16. Jahrhunderts der Abschluss mit einer im Mittelteil 168 Meter hohen Dreitürmefassade geplant. Die war für den sumpfigen Untergrund jedoch genauso überdimensioniert wie für den geplanten Belfried des Rathauses, was man jedoch erst 1571 einsah, als der nur knapp über 50 Meter hinausgekommene Turm einstürzte, und dann 1612 seinen heutigen, eher traurig wirkenden Abschluss erhielt. Unvollendet blieb auch das Südportal am Grote Markt.
Im Inneren: Sint-Pieter ist eine dreischiffige Basilika mit Umgangschor und siebenstrahligen Kapellenkranz. Die Ausstattung hat seit der Französischen Revolution mehrmals auf das Schwerste gelitten, so dass man sich über die Vielzahl der verbliebenen Ausstattungsgegenstände wirklich wundern muss. In der Zeit der Säkularisation wurde der Kirchenschatz geplündert und fast alle mittelalterlichen Glasfenster zerstört, im Ersten Weltkrieg wurden die barockisierten Seitenkapellen gezielt in Brand gesteckt, einige wenige blieben nur deswegen erhalten, weil die Soldaten durch die auf die Erde krachenden Glocken vertrieben wurden. Schließlich zertrümmerte ein Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg das Südquerhaus mit der Orgel aus dem 16. Jahrhundert sowie weiteren Kunstschätzen, die teilweise rekonstruiert werden konnten.
Das Westwerk von Innen mit für die Brabanter Gotik typischen Maßwerksformen, unten links eine der 1914 zerstörten und somit leeren Seitenkapellen.
Nachfolgend zwei erhaltene Seitenkapellen im nördlichen Querschiff.
Gestalterisches Highlight ist wie so oft die Kanzel, um deren Prachtentfaltung vor allem im 18. Jahrhundert in Flandern wohl geradezu ein Wettbewerb zwischen den Städten geherrscht zu haben scheint. Auch diese, 1742 von Jacob Bergés, ist eines der prächtigsten Exemplare, das ich gesehen habe, stammt allerdings aus der Prämonstratenser-Abtei in Ninove.
Der Sockel thematisiert entsprechend die Bekehrung des Ordensgründers, Norbert von Xanten: ein Blitzschlag reißt ihn auf einem Ritt zum Frauenstift Vreden zu Boden, was er als göttliches Zeichen interpretierte, sein Leben zu ändern.
Die rückseitige biblische Szene, wohl aus dem Leben Jesu, kann ich nicht zuordnen.
Das größte erhaltene und noch bauzeitliche Ausstattungsstück ist der gotische Lettner, 1488–1940 vermutlich von Nicolaas de Bruyne und Geraard Goris, der darüber befindliche Kalvarienberg ebenfalls vom Ende des 15. Jahrhunderts vom Brüsseler Bildhauer Jan Bormann.
Das wohl bedeutendste Ausstattungsstück, das man außerhalb des nur gegen Bezahlung zugänglichen Chores bewundern kann, ist diese Gottesmutter mit Kind (sedes sapientiae). Der romanische Eindruck trügt, allerdings hat sich Nicolaas de Bruyne 1445 wohl sehr eng an eine viel ältere Vorlage gehalten, und das Haupt des Christuskindes stammt sogar von dieser. Die Figur wurde bei der Zerstörung des Querhauses im Zweiten Weltkrieg in kleinste Stücke gerissen und aus eben diesen in einer beeindruckenden Leistung wieder zusammengesetzt.
Weitere Ausstattungsstücke, die es nur im Chor zu sehen gibt, in dem ich nicht war:
Bauzeitliches Modell des geplanten Westturmabschlusses – sollte eigentlich im Querhaus stehen, stand da aber nicht da?
Bedeutendster Altar der Kirche, der Abendmahlsaltar von Dieric Bouts aus dem Jahr 1415.
Spätromanische Grabmäler Heinrich I. von Brabant (gest. 1235), seiner Frau Mechthild (gest. 1211) und ihrer gemeinsamen Tochter Maria (ges. 1260).