ML 147, Commerzbank & das Ökohaus

  • ML 147, Commerzbank & das Ökohaus

    Die im DAF aufgekommenen Berichte über das Projekt "Grand Central", nördlich des Hauptbahnhofs und westlich der Hafenstraße, sind Anlass, wieder mal zurückzublicken, denn in den 80er Jahren stand genau diese Gegend schon einmal als Hochhausstandort im Blickpunkt der Stadtplanung.


    Zwei markante Frankfurter Gebäude stehen im Zentrum unseres Rückblicks. Sie stehen weit voneinander entfernt und haben augenscheinlich weder miteinander zu tun noch mit der Gegend zwischen Güterplatz und Bahnanlagen - und doch ist ihre Geschichte untrennbar miteinander und mit einer Liegenschaft am Güterplatz verwoben.



    Bild links: Schmittchen, Bild rechts: eigenes Bild


    Die beiden Gebäude sind gewissermaßen die steinernen Zeugen des Paradigmenwechsels in der – nennen wir es mal: Frankfurter Hochhauspolitik. Verbunden sind die beiden Gebäude durch ein Rechtsgeschäft, das überflüssig geworden war, noch bevor es vollzogen wurde. Weithin bekannt ist, dass der Eigentümer eines Grundstücks an der Mainzer Landstraße mit der Commerzbank, die es erwerben wollte, keinen üblichen Grundstückskaufvertrag schloss, sondern einen Grundstückstauschvertrag – die Mainzer Landstraße 147 gegen das Ökohaus.


    Die meisten Berichte über das Ökohaus erwähnen zwar den Grundstückstausch, lassen aber aus, was überhaupt die Commerzbank bewogen hat, ein solch untypisches – und rückblickend möchte man sagen: irrsinniges - Tauschgeschäft einzugehen; schließlich hat die Bank dort an der Mainzer Landstraße nichts Spektakuläres gebaut, was sie nicht auch anderswo hätte bauen können. Warum also überhaupt Tausch und nicht Kauf und warum die Commerzbank? Und warum dort? Die Not der Commerzbank muss jedenfalls groß gewesen sein, anders ist es nicht zu erklären.


    Commerzbank will am Kaiserplatz ein Hochhaus bauen


    Zum Verständnis der Motive bedarf es eines Blicks zurück in die Planungsgeschichte des Frankfurter Bankenviertels, die bekanntlich eng mit dem heiklen Baugeschehen im Westend in den späten 60er und frühen 70er Jahren verbunden war. Der damaligen Praxis entsprechend hatte der Magistrat Anfang der 70er Jahre auch der Commerzbank den Bau eines Hochhauses genehmigt: die Neue Mainzer Straße 32-26, 108 m hoch, 28 Stockwerke, 1973 eröffnet, ohne Bebauungsplan. Schon wenige Jahre später wollte die Commerzbank - wie andere Großbanken auch - ihren stark wachsenden Raumbedarf durch ein weiteres Hochhaus in ihrem „Commerzbank-Block“ decken. Die Großbanken hatten den Grundbesitz um ihre Zentralen herum blockweise arrondiert, die Dresdner Bank hatten den Silberturm auf den Weg gebracht, die Deutsche Bank hatte die im Bau befindlichen Zwillingstürme erworben. Dem Bauwunsch der Commerzbank stand aber der inzwischen verabschiedete Bebauungsplan B 252 entgegen, in Kraft getreten im Juni 1977.




    Abb:Entwurf des B_252, C: Institut f. Stadtgeschichte, Akten der StVV, Sig.Nr. 1



    Er sicherte zwar das bestehende Hochhaus planungsrechtlich ab, sah aber im „Commerzbank-Block“ zwischen Kirchner- und Kaiserstraße, Neuer Mainzer Straße und Großer Gallusstraße kein weiteres Hochhaus vor, nur 6- bis 8-geschossige Blochrand-Bebauung und eine Großgarage; und vor dem Hintergrund der heftigen Kritik an der Planungs- und Genehmigungspraxis der SPD-geführten Magistrate früherer Jahre war im CDU-Magistrat an eine Genehmigung unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht mehr zu denken.


    Was den Protest der Bürgerschaft entfacht hatte, war seit Mitte der 60er Jahre bekanntlich der Vollzug des sog. Fingerplans, der gewerbliche Nutzung mit einer verdichteten Bebauung entlang von Straßenachsen vorsah, die sich wie die Finger einer Hand durchs Westend zogen, entlang von Taunusanlage und Mainzer Landstraße, beiderseits des Kettenhofweges und der Bockenheimer Landsstraße und zwischen Reuterweg und Oberlindau. Die massive Kritik an der Zerstörung des Westends hatte in der Öffentlichkeit und in den Parteien eine heftige Diskussion darüber entfacht, wo der wachsende Raumbedarf der Banken und Dienstleister am besten zu decken sei, wenn nicht im Westend, der Fingerplan war inzwischen von der Realität überholt worden. Der Kernbereich des Bankenviertels war zu dieser Zeit (Ende der 70er Jahre) bereits über die Neue Mainzer Straße hinaus gewachsen und begann sich ins östliche Bahnhofsviertel, damals häufiger City West genannt, und die südlichen Randbereiche des Westends entlang der Mainzer Landstraße auszudehnen (z.B. T 11, Kempa-Bau, Silberturm).


    Die SPD präferierte die Verdichtung und Erweiterung des Bankenviertels, also die Flächen beiderseits der Taunausanlage, entlang der Mainzer Landstraße und der Friedrich-Ebert-Anlage. Die Bildung von Hochhausclustern sollte die angrenzenden Wohngebiete, vor allem das Westend, Gallus- und Gutleutviertel, wirksam vor Wohnraumzweckentfremdung und der Infiltration von gewerblicher Nutzung schützen.
    Die CDU, die seit 1977 den Magistrat stellte, lehnte das Konzept der Clusterbildung ab; die Massierung von Hochhausbauten an ein oder zwei Straßenachsen sei aus stadtgestalterischen, klimatologischen und verkehrsplanerischen Gründen nicht zu vertreten. Sie präferierte demgegenüber ein städtebauliches Gesamtkonzept, das 1983 in den vom Stadtplanungsbüro Albert Speer & Partner entwickelten City-Leitplan mündete und weiträumige Entwicklungsachsen für Büronutzung und eine Hochhausbebauung vorsah, darunter entlang der Mainzer Landstraße von der Taunusanlage bis zur Galluswarte mit Hochhausstandorten u.a. am Güterplatz, im Grunde war der City-Leitplan so etwas wie die Fortschreibung des Fingerplans im großen Maßstab. Unter Verweis auf den City-Leitplan beschied der amtierende Magistrat den Bauwunsch der Commerzbank am Kaiserplatz abschlägig.


    Commerzbank soll ihr Hochhaus am Güterplatz bauen


    Die Commerzbank, deren Abteilungen damals über etwa 30 Liegenschaften im erweiterten Innenstadtbereich verteilt waren, orientierte sich um und begann Anfang der 80er Jahre für den Neubau eines etwa 45-stöckigen Hochhauses in großem Umfang Grundstücke an der Mainzer Landstraße westlich der Hafenstraße zu erwerben; 1983 fehlte ihr praktisch nur noch die Mainzer Landstraße 147, deren Eigentümer den Verkauf an die Bank allerdings strikt verweigerte. Das konnte niemanden wundern, denn das rd. 1.600 m² große Grundstück gehörte zu Beginn der Verhandlungen Anfang der 80er Jahre noch dem KBW, dem Kommunistischen Bund Westdeutschland und der KBW wollte – kurz gesagt - lieber der Stachel im Fleisch des Kapitalismus sein als mit dem Klassenfeind kooperieren.
    Der KBW hatte das Grundstück 1977 laut FAZ für 2,7 Mio DM erworben und seinen Hauptsitz sowie seine unternehmerischen, vor allem verlegerischen Aktivitäten von Mannheim dorthin verlegt (Kühl KG - Verlagsgesellschaft Kommunismus und Klassenkampf (VKK), Buchvertrieb Hager GmbH, Caro Druck GmbH, Kommunistische Volkszeitung, Kommunismus und Klassenkampf u.a.). Die ML 147 war ein sechsgeschossiger Gewerbebau, vermutlich um 1910 erbaut, über den sich nicht mehr berichten lässt, als dass er unmittelbar nach dem Krieg die erste Coca-Cola-Fabrik in Deutschland beherbergte (Anfang der 30er Jahren gab's schon mal eine in Essen); ein, zwei Häuser weiter westlich lag die Zentra-Molkerei. Bilder von der ML 147 habe ich leider nicht auftreiben können, vielleicht hat die geneigte Leserschaft welche.


    1985 löste sich der KBW offiziell auf, sein Vermögen ging auf den Verein „Assoziation – Verein zur Erforschung freier Lebens- und Arbeitsformen e.V.“ über, der auf einen kurzen Nenner gebracht die „grün-alternative Bewegung“ unterstützte; manchen gilt der KBW als die Keimzelle der Grünen, weil etliche grüne Führungsfiguren Mitglied im KBW waren. Richtig dürfte sein, dass Assoziation e.V. die grünen Anfänge in Hessen finanziell maßgeblich unterstützt hat.
    Vermögensverwalter und Geschäftsbesorger des KBW und des Vereins war die Kühl KG, die im Grunde zu einer reinen Vermögensverwaltung mutierte. In dem Maße, in dem der KBW erodierte und seine politischen und verlegerischen Aktivitäten schrumpften, wurden die frei gewordenen Flächen in der ML 147 zunehmend an linke Initiativen aller Art und alternative Betriebe vermietet, es war ein „sozial-kulturell-politisch-ökologisches Zentrum“ entstanden „mit allem, was von links über ausländisch bis grün kreucht und fleucht“; seit dem 17.4.1979 wurde ein Großteil der TAZ bei Caro Druck in der ML 147 gedruckt.


    In dieser Zeit des Umbruchs unterbreitete die Commerzbank dem KBW bzw. Assoziation e.V. und seiner Kühl KG ein Angebot: Tausch der ML 147 gegen ein großes Ökohaus. Der Tauschvertrag wurde Anfang Oktober 1988 abgeschlossen und unmittelbar danach begann das Tübinger Architekturbüro Eble & Sambeth nach Vorgaben der Nutzer in der ML 147 mit der Planung für ein „multifunktionales und gemischtgenutztes Dienstleistungs,- Gewerbe- und Tagungsgebäude“1; ein Grundstück wurde am Westbahnhof in der Kasseler Straße gefunden, Bauherr war formal die FABA GmbH in Düsseldorf, eine Tochterfirma der Commerzbank. Nach einer Bauzeit von zwei Jahren zogen die Mieter und Nutzer der ML 147 Anfang Mai 1992 in die KaEins um, wie das Ökohaus wegen seiner Adresse Kasseler Str. 1 auch genannt wird. (Im Internetauftritt von Joachim Eble Architektur findet man das Ökohaus unter Projekte 1981-1988)


    Commerzbank soll am Güterplatz doch kein Hochhaus bauen


    Indessen: noch vor der Grundsteinlegung für das Ökohaus verlor die CDU die Kommunalwahl vom 12.3.1989, SPD und Grüne bildeten in der Stadtverordnetenversammlung die erste Rot-Grüne-Koalition. Eilig versuchte die Koalition in der Planungspolitik das Ruder herumzureißen. Das Amt für Kommunale Gesamtentwicklung und Stadtplanung, politisch geführt vom neuen Planungsdezernenten Martin Wentz, gab kurz nach der Kommunalwahl die Erarbeitung eines „Rahmenplans Bankenviertel“ in Auftrag, den das Planungsbüro Novotny Mähner & Assoziierte schon 1990 vorlegte; es war der Gegenentwurf zum City-Leitplan von Albert Speer & Partner. Noch vor der förmlichen Aufstellung eines Bebauungsplans wurde der Commerzbank informell signalisiert, das dringend benötigte Hochhaus doch bitte nicht am Güterplatz, sondern im Bankenviertel zu bauen. Das ließ sich die Commerzbank nicht zweimal sagen und lobte in Abstimmung mit dem Magistrat schon im Frühjahr 1991 einen internationalen Architektenwettbewerb für einen Büroturm am Kaiserplatz aus. Er sollte sich in der Höhe am rd. 145 m hohen BfG-Hochhaus orientieren. Ein knappes Jahr später war der Entwurf schon auf 185 m gewachsen und genehmigt wurden am Ende 259 m. Am 14.11.1991 beschloss die StVV mit rot-grüner Mehrheit, die Einstellung mehrerer kleinerer B-Planverfahren im Bankenviertel (B 281, B 669 und B 670) sowie die Umsetzung des vorerwähnten Rahmenplans Bankenviertel. Der B-Plan 702 „Bankenviertel“, der die Grundlage für die (Nach)Verdichtung des Hochhausclusters Neue Mainzer Str. und Umgebung bildete, trat am 25.10.1994 in Kraft.




    Abb. Auszug aus B_702, C: Stadtplanungsamt Frankfurt a.M.



    Als das Ökohaus im Mai 1992 bezogen wurde und dem lange erstrebten Abriss der ML 147 nichts mehr im Wege stand, hatte sich die baurechtliche Situation grundlegend geändert, die Notwendigkeit, ausgerechnet dieses Grundstück noch erwerben zu müssen, hatte sich verflüchtigt – nur: es gab kein Zurück. Der Tauschvertrag war gültig und musste vollzogen werden; alle Beteiligten blieben vertragstreu.


    Die Commerzbank ließ zwar offiziell verlauten, es sei kein Fehler, an den Bauplänen am Güterplatz festzuhalten, aber zugleich hat die Commerzbank bis heute keine offizielle Stellungnahme zu dem im Nachhinein völlig überflüssigen und vor allem irre teuren Tauschgeschäft abgegeben. Wieviel der Deal die Commerzbank tatsächlich gekostet hat, ist nicht bekannt. Da sie ein schlüsselfertiges Haus übergeben hat, kennt nur der Bauherr die tatsächlichen Kosten, in der Öffentlichkeit kursierten deshalb nur Schätzungen, die von 20 Mio DM bis zu 40 Mio DM reichten..


    Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man es als Posse abtun und überspitzt sagen, das Ökohaus am Westbahnhof gibt es nur, weil Mitte der 80er Jahre in Frankfurt die CDU regierte, oder umgekehrt: es gäbe das Ökohaus heute in dieser Form nicht, wenn SPD und Grüne schon 1985 den Magistrat gestellt hätten. Dann nämlich hätte die Commerzbank ihr Hochhaus von Anbeginn dort planen können, wo es heute steht und hätte keinen Grund für das Tauschgeschäft „Ökohaus gegen ML 147“ gehabt.


    Die Commerzbank hat dort noch gebaut, aber bekanntlich kein Hochhaus, stattdessen ein großes Rechenzentrum und den Händlersaal nebst Büros.

    2 Mal editiert, zuletzt von tunnelklick () aus folgendem Grund: Stockwerkszahl von 33 auf 45 geändert

  • Einen Teil dieser Geschichte hat Martin Wetz während der Hochhausausstellung im DAM im Rahmen eines Vortrages erzählt. Dort hieß es, er und Novotny Mähner & Assoziierte seien bereits zur Zeit des Wahlkampfes mit der Idee des Rahmenplans Bankenviertel und eventuell sogar einem Modell bei der Commerzbank gewesen. Die Message an die Commerzbank muss in etwa gewesen sein: "Wartet mal ein bisschen ab, wenn wir die Wahl gewinnen dürft ihr dort bauen, wo ihr es doch eigentlich wollt...". Verrückte Zeiten damals!

  • Das nur 33 Stockwerke an der Mainzer Landstrasse geplant waren, wundert mich.


    Im Buch "Stadtgestalt Frankfurt - Speers Beiträge zur Stadtentwicklung 1964 - 1995" sind Skizzen über die Entwicklung dieses Gebiets zu sehen, da erscheint der geplante Commerzbankturm eher an die 200m.


    Zu sehen sind da weiterhin die Projekte am Güterplatz, ein Hochhaus für die Bahn auf dem Tower 1 Grundstück, ein Turm an Stelle des Pollux für einen Touristikkonzern ( Name vergessen ), der Campanile und an der Galluswarte zwei kleinere Türme, einer davon für die Colonia Versicherung.

  • Hier gibt's was zum KBW-Haus in der Mainzer Landstr. 147, u.a. mit Foto aus dem Jahr 1989:


    Website "Orte der Revolte, Frankfurt 1965 bis 1980"
    http://orte-der-revolte.de/mainzer-landstrasse-147/


    EDIT: Es gibt hierzu noch mehr im Netz, wie z.B. im Spiegel-Artikel aus Jan. 2001 (mit einigen Ungenauigkeiten) "Salz in der Grünen Suppe", Ausschnitt:
    "Die Zentrale des KBW in der Mainzer Landstraße 147 in Frankfurt am Main, in den Siebzigern eine Festung mit kugelsicherem Glas und massiven Stahltüren, erwies sich als ein Filetstück der Bankenstadt. Die Commerzbank verlor als Erste die natürliche Scheu und bot rund zehn Millionen Mark für das Grundstück. Dem KBW lag aber mehr am nachhaltigen Wirtschaften als am schnellen Geld. So baute das Kreditinstitut im Tausch das so genannte Ökohaus. Geschätzter Wert: mindestens 30 Millionen Mark."


    Der Vertrag mit der Coba wurde allerdings erst 1988 geschlossen, drei Jahre nach der Auflösung des KBW.

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