In memoriam: Raab-Karcher

  • In memoriam: Raab-Karcher

    Wenn in moderner Maklerprosa vom „Lindley-Quartier“ die Rede ist, sprechen wir von einer bedeutenden Adresse der Frankfurter Industriegeschichte. Das Gelände war ursprünglich Standort einer Fabrik der elektrotechnischen Fabrik Voigt & Haeffner AG, die zunächst in Bockenheim produzierte und um den Ersten Weltkrieg herum an der Hanauer Landstraße 152-158 eine Spezialfabrik für elektrische Starkstromapparate errichtete. Im Zuge des Wiederaufbaus wurde das Werk, in dem 1953 etwa 5.000 Personen arbeiteten, u.a. um einen Küchen- und Kantinentrakt und ein Wohnheim für 150 Personen erweitert. 1969 wurde die Voigt & Haeffner AG durch die Continental Elektroindustrie AG übernommen, die das Schaltanlagenwerk 1971 an die Siemens AG veräußerte. Siemens produzierte dort bis zum Umzug in das neu gebaute Schaltanlagenwerk im Fechenheimer Mainbogen, am Ende der Carl-Benz-Straße, im Jahr 1984.


    Speer-Plan hatte in seinem City-Leitplan (1983) ua. empfohlen, die Hanauer Landstraße zwischen Osthafenplatz und Ratswegkreisel mit hochwertiger, dichter Bebauung für den tertiären Sektor zu einer der künftigen Entwicklungsachsen der Stadtentwicklung aufzuwerten. Daraus wurde an dieser Stelle bekanntlich nichts – jedenfalls für die folgenden (fast) 30 Jahre; stattdessen spielte das Grundstück die zentrale Rolle in einer Frankfurt-Offenbacher Stadtplanungsposse mit dem Namen Kaiserlei.


    Etwa 1983 hatte sich die zum VEBA-Konzern gehörende Raab-Karcher AG, die Anfang der 70er Jahre Baustoffhandel und Baumärkte in großem Stil aufzuziehen begann, auf die Suche nach einem Standort für ihre Frankfurter Niederlassung begeben. Gesucht wurde der Standort für ein Baustoffzentrum mit Flächen für die Zentralverwaltung, Ausstellungsräume und ein Auslieferungslager. Im Offenbacher Kaiserlei-Gebiet wurde sie fündig. Raab-Karcher erwarb 1983 – wie es hieß von der Helaba für 600 DM/m² - ein rd. 20.000 m² großes Grundstück mit einer Option auf weitere 13.000 m² unmittelbar westlich des Kreisels und südlich der Strahlenberger Straße; das ist die Fläche gegenüber des Großmarktes (einst Massa, später Praktiker-Baumarkt). Um Raab-Karcher nach Offenbach zu holen, war die zügige Erteilung einer Baugenehmigung erforderlich, der jedoch die rechtliche Grundlage fehlte.


    Die von Raab-Karcher angestrebte Nutzung galt als großflächiger Handelsbetrieb, deren Ansiedlung damals schon strengen Restriktionen unterlag. Nachdem die Ansiedlung von Fachmarktzentren und Großmärkten auf der grünen Wiese seit Ende der 60er Jahre Land auf, Land ab dramatische Auswirkungen für den innerstädtischen Einzelhandel zu zeigen begann (siehe z.B. Frankfurt-Höchst und das MTZ), hatte der Gesetzgeber sozusagen die Notbremse gezogen. Aufgrund des neuen § 11 Abs. 3 BauNVO 1977 waren großflächige Einzelhandelsbetriebe (damals > 1.500 m² Geschossfläche, heute > 1.200 m² Geschossfläche) nur noch in besonderen Sondergebieten möglich, deren Ausweisung aber unzulässig war (und ist), wenn sie u.a. nachteilige Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben würden (dasselbe Thema wie bei der Ansiedlung von Segmüller in Bad Vilbel). Daraus folgt, dass man Einzelhandelsansiedlungen mit Raumwirkung nur noch gemeinsam planen kann (dem dient z.B. das regionale Einzelhandelskonzept des Planungsverbandes Frankfurt-Rhein-Main) . Die Offenbacher fackelten indessen nicht lange und erließen statt eines mit Frankfurt und anderen abgestimmten B-Plans für ein Sondergebiet „großflächige Handelsbetriebe Kaiserlei“ nur eine Art „Ortsrandsatzung“ mit einer entsprechenden, sozusagen einfachen Gewerbegebietsausweisung.


    Daraufhin nahm Frankfurt – platt gesagt: – Offenbach in Zange und klagte gegen die Baugenehmigung. Zugleich erwarb die Stadt Frankfurt, um Raab-Karcher in Frankfurt zu halten und die Übersiedlung von Arbeitsplätzen und Gewerbesteuer nach Offenbach zu vereiteln, von Siemens das weit über 40.000 m² große Grundstück an der Hanauer Landstraße, um es an Raab-Karcher weiterzuveräußern. Teil des Deals war auch, dass Raab-Karcher seine Planungen für das Offenbacher Gelände an der Hanauer Landstraße sollte verwirklichen können, ohne im Sinne der im Frankfurter Osten angestrebten Verdichtung aufwändig umzuplanen. Heraus kam, was den hochfliegenden Plänen für den Frankfurter Osten spottete und zu Recht allerheftigst kritisiert worden war, von Speer-Plan und vielen anderen.


    Damit unterlief Frankfurt den Offenbacher Versuch, das Kaiserlei-Gebiet auf Offenbacher Seite im Alleingang in seinem Sinne zu entwickeln. In dem von der Stadt Frankfurt angestrengten Verwaltungsstreitverfahren musste Offenbach in der mündlichen Verhandlung vor dem HessVGH erfahren, dass es in diesem Rechtsstreit wenig zu gewinnen haben würde. Mitte Februar 1987 wurde in einem Spitzengespräch beider Magistrate verabredet, das Kaiserleigebiet in einer abgestimmten Bauleitplanung gemeinsam zu entwickeln.


    Daran wurde bekanntlich weitere 20 Jahre laboriert, bis schließlich das herauskam, was wir heute im Kaiserleigebiet beobachten: Mercedes-Benz, die Mehrzweckhalle und der Umbau des Kreisels zu einer Doppelkreuzung. Es war ein schmerzlicher Prozess, in dessen Verlauf es auch an einer Offenbacher Retourkutsche nicht fehlte. Zu erinnern ist an das Scheitern des Honsell-Dreiecks, an dessen Ausweisung als Einzelhandelsfläche Frankfurt aus denselben Gründen scheiterte wie einst Offenbach im Fall Raab-Karcher.


    Natürlich war der Frankfurter Magistrat damals für den Raab-Karcher-Deal heftigst kritisiert worden, denn es war (und ist) keineswegs ausgemacht, ob das für die Stadt Frankfurt wirklich ein gutes Geschäft war: weder ist der Preis bekannt, den die Stadt an Siemens zahlte, noch der Preis, den Raab-Karcher zahlte, also weiß bis heute eigentlich niemand, ob die Stadt hier nicht Raab-Karcher in fragwürdiger oder gar rechtswidriger Weise subventioniert hat; ob Raab-Karcher wirklich in nennenswertem Umfang Gewerbesteuer zahlte, ist auch nicht bekannt. Immerhin soll sich die Stadt Frankfurt eine Option auf das Raab-Karcher-Grundstück an der Strahlenberger Straße gesichert haben...

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  • Am Ende ist die Verwaltung von Raab Karcher doch nach Offenbach gelangt. Im Februar 2015 eröffnete die Saint-Gobain Building Distribution Deutschland ihre neue Zentrale am Offenbacher Hafen. Kaum ein dreiviertel Jahr später begann der Abbruch des bis dahin genutzen Bürogebäudes Hanauer Landstraße 150. Die Gesellschaft ist ein Unternehmen der Compagnie de Saint-Gobain, Paris, und Inhaberin des als Handelsmarke geführten Baufachhändlers Raab Karcher.