Sonnenring
Im Kontext des Frankfurter Baugeschehens der 60er und 70er Jahre ist der Sonnenring ein Sonderfall insofern, als er eng mit zwei politischen Affären verknüpft ist: mit der Helaba-Affäre, die vor 41 Jahren mit dem Rücktritt des Hessischen Ministerpräsidenten Albert Oswald (SPD) ihren Höhepunkt erreichte, und einer SPD-Parteispenden-Affäre, die 1977 zum Verlust der jahrzehntelangen absoluten Mehrheit der SPD und zum Wahlsieg der CDU in Frankfurt entscheidend beigetragen haben dürfte. Vor diesem Hintergrund erscheint der Sonnenring als so etwas wie das Beton gewordene Menetekel für den Niedergang der Frankfurter SPD.
Das Engagement der Hessischen Landesbank in Bank- und Industriebeteiligungen sowie in zwei spekulativen Immobilienprojekten, was neben dem Sonnenring das Münchener „Schwabylon“ war, hat fast zum Ruin der Helaba geführt, der Konkurs konnte nur durch Kredite des Landes und der Hessischen Sparkassen abgewendet werden. Der „Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses 2/8 zu Drucksache 8/3060“ vom 17.2.1978 (LTDrs 8/5637) und der „Abweichende Bericht der Mitglieder der CDU-Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß 2/8“ vom 18.4.1978 (LTDrs. 8/5910) geben haarsträubende Einzelheiten zu Interna der Kreditvergabe bei der Helaba preis und zur Baugenehmigungspraxis des Frankfurter Magistrats in dieser Zeit, die CDU-Fraktion hat das in ihrem Sondervotum sehr anschaulich herausgearbeitet.
Wir schauen zurück in eine Zeit, da Frankfurt als „Bankfurt“ und „Krankfurt“ verschrien war und unter einem besonders schlechten Image litt; es war die Hochzeit des U-Bahnbaus und der Beginn des Häuserkampfs (die erste Hausbesetzung war im September 1970) gleichzeitig eine Phase der Stadtflucht, dramatischer Bevölkerungsschwund einhergehend mit massenhafter Wohnraumzweckentfremdung sowie eine extreme Hochzinsphase: für Baugeld mussten über 10% Zinsen gezahlt werden.
Nachdem vor allem im Westend der Unmut über das Bauen ohne B-Plan laut geworden war, haben die Stadtverordneten Planungsangelegenheiten an sich gezogen. 1968 beschlossen sie, in Bereichen ohne B-Plan dürfe die Bauaufsicht ohne einen zustimmenden Beschluss des Bau- und Planungsausschusses keine Baugenehmigungen mehr erteilen, so auch hier. Als der Investor Mitte der 60er Jahre seinen Bauwunsch für das Büro-Hotel-Hochhaus („Bürotel“), den Sonnenring und das sog. Trade Center bekannt gab, gab es kein Baurecht (das Trade Center lassen wir hier mal aus, es betraf die Fläche unterhalb (nördlich) der Mailänder Straße, zwischen Grethenweg und Darmstädter Landstraße, gegenüber den Brauereien) und nur Ansätze einer Planung. Zwar hatte die Stadt Frankfurt schon 1967 mit der Aufstellung entsprechender B-Pläne begonnen, aber die Tatsache, dass es dort bis heute keine Bebauungspläne gibt, zeigt allen Beteuerungen zum Trotz, dass keine Besserung eintrat, wieder sind die Baugenehmigungen ohne planungsrechtliche Grundlage erteilt worden. Und das kam so:
1. Die Planung
Der Sachsenhäuser Berg westlich der Darmstädter Landstraße war schon in den Zonenbauordnungen der Vorkriegszeit überwiegend als Baugebiet ausgewiesen, teils als Mischbauzone, teils als Wohnbau- und als Landhauszone; wäre der Sachsenhäuser Berg schon damals bebaut worden, sähe es dort vielleicht aus wie an der unteren Darmstädter Landstraße oder südlich des Mittleren Schafhofweges (Wormser, Niersteiner, Walldorfer Straße): klassische Blockrandbebauung in regelmäßigen Baublöcken.
Auszug aus dem Bauzonenplan von 1910, gemeinfrei Auszug aus dem Fluchtlinienplan F 250 Bl.5 v. 20.12.1898 c: Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main
Die Aufbaupläne der Nachkriegszeit zeigten den Sachsenhäuser Berg entsprechend als Stadterweiterungsgebiet mit Wohn- und Gewerbegebietsausweisungen. Faktisch war die Gegend aber überwiegend Grünland, eigentumsrechtlich total zersplittert, was eine Bebauung ohne vorherige - private oder öffentliche - Umlegung praktisch unmöglich machte. Nach den Definitionen des damals neuen Bundesbaugesetzes vom 23.6.1960 (BBauG) war der südliche Teil des Sachsenhäuser Bergs größtenteils Außenbereich, was für die Erteilung von Baugenehmigungen zwingend eine aus dem Flächennutzungsplan (FNP) abgeleitete qualifizierte Bauleitplanung voraussetzte. Ein Gebiet durfte in einem Bebauungsplan regelmäßig nicht als Baugebiet ausgewiesen werden, solange es nicht eine entsprechende Ausweisung in einem FNP gab. Daran sollte es eigentlich nicht scheitern, denn es gab einen Aufbauplan nach dem HessAufbauG von 1949, den die Stadtverordneten in den 50er Jahren als Generalbebauungsplan beschlossen hatten und der nach einer landesrechtlichen Vorschrift als FNP im Sinne des BBauG fortgalt. Somit war eigentlich nichts dagegen zu erinnern, dass die StVV auf Antrag des Magistrats am 11.6.1970 beschloss, den FNP zu ändern:
„Die Trasse des geplanten Stadtrings einschließlich des Verkehrsknotens mit der Babenhäuser Landstraße und der vom Norden angebundenen Darmstädter Landstraße, dem verlängerten Letzten Hasenpfad und Großen Hasenpfad sind aus dem Gesamtverkehrsplan (Straße) übernommen.“
GVP 1964 StadtplanungsamtAusschnitt Süd GVP 1964
Dieser Teil des Stadtrings, die Sachsenhäuser Südumgehung, sollte die Babenhäuser Landstraße auf einer Trasse südlich des Sachsenhäuser Landwehrweges vierspurig mit der zu verlängernden Stresemannallee, Mörfelder Landstraße und Kennedyallee verbinden, die Hasenpfade sollten über neue Straßen nach Süden verlängert und an den Stadtring angeschlossen werden. Nach Osten sollte der Stadtring bei teilweiser Tunnelung des Südfriedhofs Sachsenhausen umfahren und bei der Eisenbahnbrücke das Deutschherrnufer erreichen. Die 111. Änderung des FNP, die im Detail etwas anders aussah, wurde Anfang Juli 1970 öffentlich ausgelegt.
Die Übernahme des (gegenüber dem GVP'64 etwas abgewandelten) Verkehrsknotens in die Bauleitplanung hat naturgemäß die Komplexität und Konfliktanfälligkeit des Planwerks erhöht, Verzögerungen waren vorprogrammiert, obwohl die Planer es eigentlich eilig hatten, das Baurecht für Sonnenhügel und Sonnenring zu schaffen. Das Problem war, allein durch die Verlängerung der Hasenpfade zum Stadtring wären etliche Grundstücke unbebaubar geworden. Mehrere Hundert Einwendungen sind gegen die Planung erhoben worden; von daher war eine Rolle rückwärts nur konsequent:
„Nach einer Gemeinsamen Erörterung von alternativen Trassierungen mit von der Änderung im Bereich südlich des Sachsenhäuser Landwehrweges Betroffenen erweist es sich als erforderlich, die bislang geplante Verkehrsführung im Südteil des Sachsenhäuser Berges noch einmal zu überprüfen. Um die zur Durchführung anstehenden Wohnungsbaumaßnahmen im Bereich der FNP-Änderung nicht aufzuhalten, wird dieser Änderungsbereich im Süden des Sachsenhäuser Landwehrweges neu abgegrenzt, der südlich angrenzende Bereich (vgl. gelbe Umrandung) wird ausgeklammert.“
Zusammen mit der „kleinen“ FNP-Änderung haben die Stadtverordneten am 27.5.1971 die beiden B-Pläne SO 41a Nr. 1 – Sachsenhäuser Warte – und SO 21c Nr. 1 – Südfriedhof – als Satzung beschlossen. Während der Bereich der 111. Änderung im Süden zuvor durch den Bischofsweg begrenzt war, bildete jetzt der Sachsenhäuser Landwehrweg die südliche Grenze.