Kann man heute noch so bauen wie früher?

  • Kann man heute noch so bauen wie früher?

    Vielfach wird die Hässlichkeit deutscher Innenstädte und die moderne Bauweise kritisiert und dennoch hat man den Eindruck, dass ein Ruck in die Richtung wieder ästhetisch und form schön zu bauen oder die Stadt als Ganzes eine Art Kunstwerk darstellt, nicht wirklich festzustellen ist.
    Wie erst neulich beim LP 16 am Leipziger Platz nur zu gut ersichtlich scheint.


    Diese Thematik wird von der Welt aufgegriffen, mitsamt einer interessanten und teils doch schmerzenden Bilderfolge.


    http://www.welt.de/kultur/kuns…schoene-Staedte-baut.html


    Da nicht rein Berlin-spezifisch und damit alle im DAF was von der Diskussion haben, habe ich die beiden Beiträge hierher verschoben. Viel Spaß.
    Bato

  • Ja, die Erkenntnisse des alten Siedler haben auch heute noch ihre Gültigkeit. Das Problem ist garnicht die Bautechnik und die damit natürlich auch einhergehenden strukturellen Veränderungen. Die Moderne versucht eben seit je her den Menschen zu erziehen, anstatt sich seinen Bedürfnissen anzupassen - mit entsprechendem Resultat.

  • Interessant ist der Schluss des Artikels, in dem angeführt wird, dass "die Zeiten dieser Art von Stadtzerstörung inzwischen glücklicherweise fast überall vorbei seien". In den Vergleichsbildern wird dann allerdings auch das Negativbeispiel Marienplatz Schwerin gezeigt. Dessen kleinteilige gründerzeitliche Platzrandbebauung wurde nicht in den 60er bzw. 70er Jahren plattgemacht, sondern erst in den letzten fünf Jahren abgerissen und durch das abgebildete gläserne Einkaufscenter-Einerlei ersetzt. Die Stadtzerstörung wird daher wohl weiterhin begangen werden, ein Schlußpunkt ist leider noch nicht erreicht. Da muss man sich nur die Beiträge hier im Forum zu Altenburg anschauen.


    Und zum Thema dieses Strangs: Warum man heute nicht mehr so bauen darf wie früher, sondern aktuell auch bei Wohngebäuden nur langweilige Rasterfassaden mit bodentiefen Fenstern in Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und eigentlich auch auf der Gästetoilette entwerfen kann, hat sich mir bisher noch nicht erschlossen :confused:

  • Es gibt in einigen Städten auch Baukunstbeiräte, die an historischen Strukturen angelehnte Entwürfe ablehnen. Vielfalt im Stadtbild wird so erfolgreich unterdrückt.


    Aber wie der Artikel schon sagt, die Schönheit alter Städte machen die makrostruktren aus, also weniger die jeweiligen einzelnen Hausfassaden, sondern das gesamte Konzert aus den zueinander passenden und bezugnehmenden Gebäudehöhen, Straßen, Plätzen. Zeilenbau und Solitäre bilden nunmal keine Plätze. Umringt man einen bestehenden Platz mit Solitären, geht die Platzfunktion kaputt und das Flair verloren. Die grandenlose Priorisierung des Individualverkehrs tut dann den Rest.


    Wie könnte man das in die richtige Bahn lenken? Ich fragte mich z.B. warum Bauplätze nur selten und unzureichend parzelliert werden. So könnten z.B. 3 Bauherren eine Straßenfront gestalten anstatt nur einer. Wieso werden auch große zu entwickelnde Areale nur unzureichend parzelliert und haufenweise mit Einzelgebäuden zugestellt? In Nürnberg steht in einigen jahren die Entwicklung des sog "Tiefen Feldes" an. Heute noch ein Acker, soll dieses mehrere Hektar große Gebiet zu einem neuen Stadtviertel entwickelt werden. Und so sieht der Gewinner eines entsprechenden Wettbewerbes aus:



    Quelle: Stadt Nürnberg


    Es fehlt nahezu an allem, was daraus ein urbanes Stadtviertel werden lässt. Es folgt ganz und gar den Stadtentwicklungskonzepten der 70er Jahre.

  • Ja was denn nun?!

    "Kann man heute noch so bauen wie früher?"


    Um was geht es denn genau? Wo drückt der Schuh? Wann war "früher"? Was sind denn die "Erfolgselemente jener Städte oder Quartiere, die bis heute nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt haben"? Geht es bloß um Fassadengestaltung mit ornamentalen Schnickschnack oder um die kleinteilige Gestaltung ganzer Stadtquartiere, mit funktionaler Durchmischung?
    Was ist genau "schön" bzw. "hässlich"? Warum dürfen Stadträume heute nicht einfach nur funktional sein? Und waren sie das nicht früher auch in weiten Teilen?


    Das Hohelied auf eine ach so gloreiche Vergangenheit unserer Städte singen, gepaart mit diffusen Lamentierereien über die gebaute Gegenwart; das ist mir zu einfach hier im Thread!


    ZUm Artikel:


    Als grundlegende Prinzipien auf die sich augenscheinlich "alle" einigen können benennt der Artikel: "Jedes Quartier brauche einen Platz, es brauche geschlossene Baublöcke, gegliederte Fassaden direkt an der Straße, die den öffentlichen Raum bildet, und einen privaten, grünen Raum zum rückwärtigen Innenhof."


    Ja fein! So entsteht also ein Wohnquartier, an dem wir alle Freude haben.
    Als Gegenbeispiel wird dann aber eine "schön"- "hässlich" Fotoserie angeführt, die die zentralsten Verkehrsknotenpunkte der aufgeführten Städte ablichtet. Das ist doch eine ganz andere Baustelle! Hier geht es um eine belastbare Verkehrsinfrastruktur von Innenstädten und nicht um beschauliche Wohnquartiere.


    Ganz Deutschland will Autofahren, heute noch. Ganz Deutschland wollte bis vor kurzem im Reihenhaus in der Vorstadt wohnen, obwohl die Arbeit in den Städten lag. Niemand brauch sich also wundern, dass die zentralen Verkehrsplätze in deutschen Städten "von den Ideologen der autogerechten Stadt in Unorte verwandelt wurden".


    Das Problem waren und sind es bis heute nicht, die Stadtplaner selbst. Es waren und sind die Bedürfnisse nach denen sie sich zu richten haben.
    Man kann nicht mit dem SUV in die Shopping-Mal fahren wollen und sich dann wundern, dass die Innenstädte aus breiten Straßenführungen und großkubaturigen Einkaufszentren und Parkhäußern bestehen.

    Jede Gesellschaft bekommt folglich die Stadt die sie verdient! Schön dass es die, die es sich leisten können, aus der Suburb zum wohnen wieder in die Städte zieht. Solange sie aber ihr Auto und ihre suburbanen Fahr- und Lebensgewohnheiten mit in die Stadt nehmen, brauchen sie sich nicht die Augen zu reiben, dass die Sichtachsen unserer Innenstädte mit Autobahnzubringern verstellt sind.


    P.S. Den Beitrag von nothor habe ich eben erst gelesen. Das angeführte Negativbeispiel lässt aufgrund seiner fragmentarischen Zeilenbebauung tatsächlich von vornherein keinen städtebaulichen Flair aufkommen. Hier ließe sich planungstechnisch tatsächlich was machen, um ein geschlossenes, urbanes Stadtquartier entstehen zu lassen.

  • nikolas, exakt. Ich sehe den in Deutschland angebeteten Individualverkehr auch als Hauptursache dafür an, wie unsere Städte heute gestaltet werden. Die meisten lieben die Günderzeitquartiere, aber jeder führt im 2. Halbsatz an "da ists mit Parkplätzen bestimmt schwierig". Leute, die kein Auto haben, nie eines hatten, verstehen diesen Zusatz natürlich nicht, und darin liegt das Potenzial. Wenn der moderne Stadtbewohner auf ein Auto verzichten kann, bieten sich neue Möglichkeiten, behagliche Stadt zu schaffen. Das städtebauliche Problem ist letztlich, dass heute v.a. an nicht unbedingt zentralen Lagen noch autogerecht gebaut wird. Und in der Folge wollen die Leute auch wieder ein Auto. Wenn man schon 500 Meter zur nächsten Bushaltestelle laufen muss, will man schnell ein eigenes Auto. So lässt sich keine Stadt machen.


    Die "Schön - hässlich"-Fotoserie finde ich auch etwas unpassend. Sie zeigt Letztlich Vekehrsplätze, die sich überwiegend organischt entwickelt und dem Verkehr angepasst haben. Schmerzlich sind höchstens der Verlust einiger Bauten. Aber dem Artikel geht es eigentlich um urbane Wohnquartiere. Mir fallen da eben mehrere Sachen ein, die man in Gründerzeitvierteln findet, die heute in vergleichbaren Lagen (neu entwickelte Stadtviertel) aber nicht mehr berücksichtigt werden:
    - fehlende zentrale Punkte. Dort steht dann gerne ein Denkmal, ein Brunnen oder wenigstens ein paar Bäume und Bänke. Drumherum sind Geschäfte, sternförmig davon ausgehend die Wohnstraßen.
    - Blockrandbebauung mit grünen Innenhöfen. Schafft Straßenräume, mit Betonung auf Räume. Zeilenbebauung schafft Straßenlofts, ohne räumliche Gliederung.
    - Die Erdgeschosszonen verdienen besondere Beachtung. Entweder clever durch Gewerbe erschließen oder idealerweise Hochparterrewohnungen mit Vorgärten einrichten.
    - Letztlich die nicht nur funktionalen, sondern inspirierenden Wohnungen mit hohen Räumen, in denen man es lange aushalten kann.


    Regelmäßig fehlen mir diese Dinge in Neubauvierteln. Und da hat man noch nicht mit Stil, Material oder Dekor argumentieren müssen.

  • Der "ornamentale Schnickschnack" spielt schon eine große Rolle. Der Wettbewerb unter den früheren Kaufleuten rund um die Marktplätze hat in Verbindung mit den handwerklichen Fähigkeiten und den niedrigen Löhnen für manuelle Arbeit ziemlich ansehnliche Ergebnisse geliefert. Die Niederlande zeigen es noch heute, was in Deutschland eben doch ganz wesentlich vom Krieg ausgelöscht wurde.


    Man kann viel über die Nachkriegsbausünden lamentieren, aber der Krieg ist nunmal trotzdem zentrale Ursache für den Verlust von immens viel Bausubstanz. Ich denke auch, dass man viele Nachkriegsabrisse ohne den Krieg gar nicht erst durchgeführt hätte. Vergleichbares heute wieder so herzustellen wie früher, dürfte heute kaum bezahlbar sein. Und auch die handwerklichen Fähigkeiten dafür kann man nicht so einfach aus dem Hut zaubern.


    "Regelmäßig fehlen mir diese Dinge in Neubauvierteln. Und da hat man noch nicht mit Stil, Material oder Dekor argumentieren müssen."


    Die fehlen aber auch regelmäßig.

  • Also was man sagen kann
    - kleinere Parzellierungen funktionieren in Neubauvierteln ganz gut, auch mit hohen Gebäuden. Ein Haus kann auch deutlich höher wei breit sein
    - Zeilenbebauung verhindert die trennung öffentlich-Privat, die viele bevorzugen, und breaucht mehr Platz für die gleichen Flächen. Die bessere Belüftung für die sie mal in Zeiten der Braunkohlebriketts gebaut wurden, ist in Zeiten des Passivhauses mit Wärmepumpe irrelevant. Eher umgehkert - Blockrandbebauung hält Strassenmief und Lärm von den Wohnungen im Inneren fern. Fahre ich heute an 50'er / 60'er Jahre Zeilenbebauungen entlang, denke ich oft, dass es ein Gewinn für den Bestand wäre, gegen die Hauptstrasse auf der ich unterwegs bin einen Querriegel vor die Zeilenbebauung zu setzen - ggf. mit Arkaden für den Fussweg - mit Mischnutzung die den Lärm besser toleriert in den unteren Geschossen, und dahinter in den heute verlärmten und verödeten Zeilen für himmlische Ruhe sorgt - und nebenher mangelnde flächen in zentraler Lage mühelos bereitstellt. Das traut sich blos wieder keiner.....