Ökonomische Perspektiven Frankfurts

  • Eine "Fusion unter Gleichen" sollte damals auch Daimler-Chrysler sein, entpuppte sich aber als Übernahme von Chrysler und als eine massive Mogelpackung gegenüber Aktionären. Als "Welt AG" wollte man neue Märkte erobern, aber die kulturellen und qualitätsrelevanten Unterschiede waren unüberbrückbar. Die Spätschäden dieses Größenwahns hätten Mercedes fast bankrottiert.


    Die Deutsche Börse AG, die schon nach Eschborn ziehen muss und 250 Stellen nach Prag "outsourced" um Geld zu sparen (FAZ Artikel März 2010), hat also auf einmal Geld um solche waghalsigen Sprünge zu machen. Auf der einen Seite muss man 100 Millionen jährlich einsparen, auf der anderen Seite will man ein "Imperium-Builder" sein. Börsenchef Reto Francioni hat den Konzern schlank saniert um jetzt eine höchst lukrative Fusion zu gestalten. Nachtigall, ich hör Dir trabsen.


    Ein Wort zum Thema Loyalität zum Finanzplatz Frankfurt. Die Vergangenheit der Deutschen Börse verdeutlicht leider ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihrem Stammsitz und verheißt nichts Gutes bei diesen Fusions-Gesprächen. Als man 2004 mit der London Stock Exchange (LSE) fusionieren wollte, war man dazu bereit die Zentrale bzw. die Hauptkompetenzen nach London zu verlegen. Die nicht vorhandene Bereitschaft Gewerbesteuern zu zahlen war dann die nächste massive Ohrfeige für die Stadt. Ebenso gibt es keine Anzeichen warum die Investoren der Börse darunter US-Hedgefonds wie Atticus Capital und Wellington Management besondere Loyalität zu Frankfurt als Hauptstandort haben sollten.


    Update: Jetzt bestätigt es auch der Spiegel als Top Nachricht. Ich bin, ehrlich gesagt, ziemlich entsetzt. Der Verdacht liegt nahe, dass die Fusion auf Kosten der Aktionäre gemacht wird. Deutsche Banken werden über höhere Handelsgebühren oder weniger Investitionen der Börse in heimische Infrastruktur den Übernahmepreis zahlen müssen. Die NYSE kann sich ins Fäustschen lachen, dass die profitable Deutsche Börse sich diesen Problemfall ans Bein binden will.

    4 Mal editiert, zuletzt von Golden Age ()

  • @ Golden Age: Geld soll ersten Berichterstattungen zufolge nicht fließen, die Fusion soll mittels Aktien(-tausch, -verteilung) erfolgen. Und der Umstand, dass der CEO von NYSE/Euronext auch der CEO des neuen Unternehmens sein soll, ist ein gutes Zeichen, denn dies verringert die Wahrscheinlichkeit, dass darüber hinaus auch der zukünftige Sitz in NY sein soll ... dass das gekaufte Unternehmen am Ende dasteht, als ob sie der größere von beiden ist/war, ist sehr unwahrscheinlich.


    Im Übrigen bin ich aber auch überhaupt nicht mit den Ereignissen/Entwicklungen der letzten Jahre bei der Dt. Börse zufrieden. Das Ganze fing letztlich zur Jahrtausendwende an, als deutsche Banken anfingen ihre Anteile an der Dt. Börse an angelsächsische (Hedge)Fonds wie TCI (= The Children's Investment ... fast schon unverschämt der Name) zu verkaufen. Die Gier dieser Aktionäre verdeutlichte sich in der ROI, die in den letzten 10 Jahren teilweise bei über 50% lag!


    Naja, trotz allem wäre es toll, wenn der (rechtliche) Sitz des neuen Unternehmens in FFM wäre!

  • Auch wenn die Fusion durch Aktientausch erfolgen soll, geht es mir eher um die bereits bestehende Verschuldung. Die NYSE hat durch die schwerste Finanzkrise seit den 30er Jahren besonders schwer gelitten. Zur NYSE Euronext gehören ebenso Börsen wie Brüssel und Lissabon, dessen Volkswirtschaften am Rande der Geschäftsfähigkeit agieren. Ich befürchte, dass sich unter den Bilanzen so manche "verschönte" Verschuldung befindet und einige "Leichen im Keller" zu finden sein werden (Stichwort "off-balance sheet items"). Solche ungewollte Schulden-Verlagerungen passieren bei Fusionen eher als Regel, denn als Ausnahme, also bin ich sehr skeptisch.


    Übrigens, der Aktienwert der Deutschen Börse hatte heute kurz vor der Aussetzung 1,7 Prozent im Plus gelegen, die der New Yorker Börse 11,7 Prozent höher notiert und auch in New York über fünf Prozent zugelegt. Die Märkte haben schon längst entschieden: Der klare Gewinner dieser Fusion ist ganz eindeutig die NYSE Euronext, die sich mit einem viel attraktiveren Partner, gesund stossen können.

  • Klar, die Aktionäre der NYSE profitieren am meisten, weil sie eben deutlich mehr für ihre Anteile bekommen, als sie vor der Bekanntgabe der Fusionsverhandlungen bekommen hätten. Das entspricht auch der üblichen Vorgehensweise von Käufern mehr für das zu kaufende Unternehmen zu zahlen, als diese durch den Markt bewertet werden.


    Aber die Dt. Börse deshalb als Verlierer zu sehen, würde ich auch nicht, schließlich hat auch deren Wert zugenommen, d.h. der Kauf/das Investment wird als positiv vom Markt bewertet. In den meisten Fällen werden Unternehmen, die als Käufer auftreten, von der Börse reflexartig mit Kursnachfällen abgestraft, so dass in gewisser Hinsicht dieses geringe Kursplus deutlich höher zu bewerten ist.


    Im Übrigen wird die Dt. Börse nach dem Kauf wohl langfristig nicht nur unangefochten an der Spitze der Börsenunternehmen (nach Marktwert) weltweit bleiben, sondern in Zukunft auch den Ton bei der stattfindenden/bevorstehenden Konsolidierungswelle angeben.


    Bezüglich der hohen Handelspreise: Die sind schon heute am oberen Ende und lassen für Erhöhungen keinen Spielraum. Der Grund für die hohen Handelspreise sind im übrigen selbstverschuldet, da in Deutschland die Dt. Börse ein (vertikales) Monopol besitzt. Durch den Kauf der Clearstream ist sie zum Komplettanbieter (v.a. Clearing & Settlement) rund um den Börsenhandel geworden. Versuche dieses Monopol zu brechen (v.a. Europäische Kommission ... das Dt. Kartellamt dagegen hat sich bei dieser Angelegenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert), sind in der Vergangenheit gescheitert, was letztlich am Widerstand seitens der deutschen Politik lag, also selbst verschuldet ist.


    Übrigens: Die Dt. Börse ist mehrheitlich im Eigentum von ausländischen Kapitalgebern.

  • Ebenso eindeutig ist aber auch, dass Fusionen eine Misserfolgsquote zwischen 50 und 80% aufweisen (Bericht der Wharton Business School der sich auf hunderte von Studien beruft). Solche Übernahmen sind daher, alleine statistisch gesehen, sehr riskant. Es fängt an mit den Anreizen, die durch Sonderprämien und sogenannten "Signing Bonuses" versüsst werden (man erinnere sich an Ex-Mannesmann Vorstand Klaus Esser mit einer "Abfindung" DM 60 Mio.) und Irrationalität ins Spiel bringen. Zudem kann die Zahlung eines Übernahmebetrags der über dem Marktwert liegt, also "Goodwill", eine ohnehin schon teure Hochzeit von vorn herein schwer belasten. Natürlich hängt jetzt vieles von der neuen Strategie ab, aber ob das sich festigende Markt-Oligopol gut für den Konsumenten ist, wage ich auch zu bezweifeln.

  • Als "deutliche Stärkung des internationalen Finanzplatzes Frankfurt am Main" hat OB Petra Roth die geplante Fusion der Deutschen Börse und der New York Stock Exchange Euronext kommentiert. Reto Francioni (Vorstandsvorsitzender der Deutschten Börse) "möge seine ehrgeizigen Ziele zur Stärkung des Standorts Frankfurt realisieren können", so Roth weiter. =7782929"]Hier der gesamte Artikel.

  • Ich frag mich allerdings, wo die Stärkung Frankfurts als Finanzplatz den herkommen soll? Das neue Unternehmen "DB NYSE" wird seinen Sitz vermutlich als SE in Amsterdam haben, kann aber weiterhin im DAX gelistet werden. Der Aktienhandel läuft in New York, der Derivatehandel in Deutschland (irgendwie ist diese Verteilung leicht paradox). Letztendlich entscheidet also ein "ausländisches" Unternehmen über die Geschicke des Börsenplatzes Frankfurt.

  • Deutsche Börse und NYSE

    Die Fusion/Übernahme ist wohl in trockenen Tüchern; heute haben die Aufsichtsräte beider Unternehmen grünes Licht für die Fusion gegeben.


    Erstaunlich: Der Verwaltungs/-Aufsichtsrat des neuen Unternehmens soll 17 (!!!) Mitglieder haben ... ziemlich viel wie ich finde. Ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die Aufsichtsräte erst spät über die Fusionsabsichten unterrichtet wurden und die Vorstände nicht das Risiko eines Scheiterns eingehen wollten (wer weiß, ob nicht der eine oder andere AR mit Nein gestimmt hätte, wenn er bei einer Fusion seinen Sitz im AR verlieren würde).


    Weitere Infos gibts zB hier und hier

  • In so trockenen Tüchern ist die Fusion auch wieder nicht. Wenn die mit Abstand größte Börsenorganisation der Welt mit fast 26 Milliarden Dollar Marktwert entsteht, haben die Aufsichtsbehörden auch noch ein Wörtchen mitzureden (allein in Europa sind es acht nationale Börsenstandorte mit rund 20 Regulierern). Da z.B. die hessische Börsenaufsicht ein Vetorecht hat, wird eine genaue Prüfung nach abzuwarten sein.


    Es ist übrigens keine Überraschung, dass OB Roth dieser Fusion mit einer Portion Lässigkeit gegenüber stehen kann. Wäre die Börse noch immer der grösste Gewerbesteuerzahler der Stadt (wie vor ein paar Jahren) würde man jetzt die Felle davon schwimmen sehen. Ich sehe allerdings große Probleme auf die Stadt Eschborn zu kommen, die einiges an sicher geglaubten Einnahmen verlieren dürfte.


    Übrigens sieht die wirtschaftsnahe FDP-Fraktion im Römer die Sache durchaus kritischer. Fraktionschefin Annette Rinn sieht voraus, dass "eine beträchtliche Zahl an Arbeitsplätzen verloren geht“ (Vergleich zur Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank werden wach, wo 4000 Arbeitsplätze überflüssig wurden). Diverse Analysten (LBBW, Merck Finck) und Anleger fordern weitere Antworten auf offene Fragen (so rutschten Aktien der Deutschen Börse am Dienstag um 1,7 Prozent ins Minus). Die FAZ bemerkt in ihrem Kommentar, dass die "Geschichte von Börsenfusionen bislang vor allem eine Geschichte des Scheiterns" sei. Das sind kaum überschwängliche Töne von der führenden deutschen Tageszeitung.

  • Am Main?

    Ich habe es gerade hier gelesen, merlinammain.


    Ein Teil Deines Namens hier im Forum taugt nicht nur zur Überschrift meines Beitrages, sondern ist auch ein guter Aufhänger für eine Frage, die zugegebenermaßen zunächst etwas ketzerisch klingt:
    Was bleibt am Main?


    Wir halten fest:

    • Zwei Unternehmen fusionieren.
    • Das eine sitzt in New York.
    • Das andere sitzt formal noch in Frankfurt am Main,
    • Den Löwenanteil seiner Mitarbeiter hat es schon steuersparend im Speckgürtel untergebracht.
    • Das fusionierte Unternehmen hat seinen Rechtssitz in den Niederlanden.
    • In Frankfurt am Main endet der klassische Parketthandel schon 2011.
    • Der alte Handelssaal bleibt lt. Artikel "durch die Präsenz der Xetra- Spezialisten" in Betrieb.


    Hat die Fusion eines New Yorker und eines de facto Eschborner Unternehmens mit neuem Sitz in Holland etwas mit den Ökonomischen Perspektiven Frankfurts zu tun?


    Edit: Ja, Golden Age, die "Portion Lässigkeit" bei OB Roth ist verständlich...

  • Danke an euch erstmal, dass auch ihr diesen Vorgang (kritisch) mitverfolgt.


    Da ich momentan wegen Umzugsstress etwas unter Zeitdruck stehe, kann ich nicht ganz so ausführlich antworten, wie ich das gerne tun würde:


    - Man kann schon sagen, dass die Fusion im Groben durch ist, denn die Aufsichtsbehörden werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Fusion als Ganzes nicht stoppen können und wohl sicherlich auch nicht wollen. Allenfalls wird man wohl Auflagen erwarten dürfen. So könnte etwa verlangt werden, dass Geschäftsbereiche verkauft werden müssen (zB im Derivategeschäft). Selbst dieses Szenario dürfte bei den Fusionsverhandlungen schon berücksichtigt worden sein, auch in der Weise, dass bei dessen Eintritt die Fusion trotzdem entsprechend vollzogen wird. Bei so einem komplexen Vorhaben sitzen nicht nur Banken sondern auch Großkanzleien (insbesondere Kartellrechtsexperten) mit am Verhandlungstisch, die helfen solche Eventualitäten abzuschätzen und mit einzubeziehen.
    Aber selbst dies muss nicht zwangsläufig geschehen, denn bei der Beurteilung, ob es durch die Fusion zu erheblichen Wettbewerbsbeschränkungen kommt (zB Marktbeherrschung) ist von zentrale Bedeutung die Marktbestimmung/-definition. Seit einigen Jahren befindet sich der Wertpapierhandel im Umbruch, so nimmt der Anteil der OTC-Geschäfte immer mehr zu. Auch neue konkurrierende Handelssysteme (zB durch Banken) sind in den Markt eingetreten und sorgen dafür, dass die klassischen Börsenbetreiber preismäßig unter Druck geraten. Deshalb könnte der in den Medien oft genannte Anteil von 93% im Derivate-Geschäft in Europa gar nicht so problematisch sein.


    - Zu "Was hat das mit der ökonomischen Perspektive Frankfurts zu tun?":
    Nun, im Ausland kennt Eschborn so gut wie niemand und in den Medien (v.a. ausländische) wird die Deutsche Börse nun mal nur mit Frankfurt in Verbindung gebracht (ich habe bisher Eschborn kein einziges Mal in der FT oder WSJ etc gelesen). Mit Eschborn/Frankfurt verhält es sich ein Stück weit wie La Defense/Paris ... man unterscheidet sie v.a. im Ausland nicht. Der so erzielte "Marketing-Effekt" ist nicht zu unterschätzen!
    Klar, die entgehenden Steuereinnahmen sind kein Kleckerbetrag, aber das (Rest)Geld bleibt wenigstens in der Region und ich betrachte trotz dieser Unzulänglichkeiten Frankfurt in dieser Hinsicht nicht getrennt von der Region, so dass ich dieser Sache immer noch etwas Postives abgewinnen kann.


    - Zu den in der Vergangenheit gescheiterten Übernahme- und Fusionsversuchen:
    Die sind in der Regel an den verantwortlichen Managern gescheitert. In diesem Falle verhält es sich aber anders, die Manager haben sich geeinigt, und zwar sowohl auf Vorstands- als auch auf Aufsichtsratsebene. Deshalb kann man guter Dinge sein, dass es dieses Mal klappt.


    - Zu möglichen Jobverlusten: In den Medien selbst wird jedes Mal darauf hingwiesen, dass mittel-/langfristig die Dt. Börse ohne Übernahme/Fusion noch schlechter dastehen würde.
    Aber selbst diese (nicht gerade rosigen) Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen, denn man muss zum einen berücksichtigen, dass die Dt. Börse das größere Gewicht im neuen Unternehmen haben wird und ganz klar die CashCow des neuen Unternehmens sein wird. Hochprofitabel ist sie letztlich nur, weil sie faktisch eine Monopolstellung in Deutschland hat, die von der Politik in den letzten Jahre geschützt wurde. Wenn diese Stellung beibehalten werden will, sollte/muss das neue Unternehmen weiterhin in Deutschland mit einem Großteil seiner Mitarbeiter vertreten sein. Ansonsten würden sie einen wichtigen Partner - die deutsche Politik - vergraulen. Veränderungen werden deshalb nur schwer durch zu setzen sein.
    Zum anderen handelt es sich bei Börsenbetreibern im Grunde um IT-Unternehmen. Und in dieser Hinsicht ist die Dt. Börse mit ihrem Handelssytem XETRA bestens aufgestellt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses äusserst erfolgreiche System mittelfristig eingestellt werden könnte. Eher im Gegenteil, es könnte durchaus die Grundlage für ein zukünftiges einheitliches Handelssystem des neuen Unternehmens werden.
    Btw.: Vor wenigen Jahren hatte die Börse in Tokio ernsthaft überlegt das Xetra-Handelssystem zu übernehmen.


    ... spannende Geschichte! In ein paar Jahren wird man wohl schlauer sein.


    Grüße MaM

  • Ich stimme zwar unserer OB zu und mache mir keine großen Sorgen um die Gewerbesteuereinnahmen. Die sind sowieso schon weg für die Stadt Frankfurt. Eschborn wird wohl auch kein allzu großes Problem bekommen, da diese Steuer auf die Anzahl der ansässigen Arbeitsplätze gezahlt wird. Und der Großteil der hochqualifizierten IT-Arbeitsplätze wird in Eschborn wohl erhalten bleiben. Die größere Gefahr ist hier eher die Verlagerung nach Prag.


    Was mir aber sehr wohl Sorgen macht, ist, dass der CEO der NYSE auch der neue Chef des fusionierten Unternehmens sein wird. Das ist ein Problem für Frankfurt! Auch wenn Herr Francioni Verwaltungsratsvorsitzender wird mit Büro in Frankfurt, was hat der Verwaltungsrat schon groß zu melden? Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden zukünftig in New York getroffen, weil Mr. Niederauer dort sitzt und auch dort bleibt. Wo der Chef sitzt, ist die Unternehmenszentrale. Wenn wichtige strategische Entscheidungen künftig nicht mehr in Frankfurt getroffen werden, ist das ein großer Verlust für den Finanzplatz.


    Dass der rechtliche Sitz des neuen Unternehmens immerhin noch in Europa verbleibt, ist ein schwacher Trost.


    Die von Merlin angesprochenen alternativen Handelssysteme sind vor allem dieses und dieses hier. Es stimmt, dass die den alteingesessenen Börsen Konkurrenz machen und die Preise drücken. Unstrittig ist auch, dass XETRA das weltweit beste und effizienteste Handelssystem darstellt. Das wird sich in dem fusionierten Unternehmen mit Sicherheit durchsetzen. Aber musste es ausgerechnet NYSE Euronext sein, mit denen die Deutsche Börse fusioniert? Hätte es die Börse Warschau oder die spanische Börse nicht auch getan, um die Konsolidierung voranzutreiben und Kosten zu senken? Die Amerikaner werden sich auch hier wieder durchsetzen, so wie sie es schon zuvor bei dem Zusammenschluss mit Euronext gemacht haben. Ich sehe das Ganze für Europa im Allgemeinen und Frankfurt im Besonderen eher skeptisch.

  • Styrolution-Frankfurt wird Sitz eines neuen Großunternehmens

    Erfreuliche Nachricht: Die Chancen stehen ziemlich gut, dass Frankfurt der Sitz eines neuen, in seiner Branche/Sparte weltweit führenden Unternehmens mit mehr als 5 Mrd. € Umsatz wird. BASF & INEOS wollen ihre Styrol-Kunststoff-Geschäftsbereiche in einem JointVenture zusammenlegen, das seinen Sitz in Frankfurt haben soll. Die EU-Kommission hat dieses Vorhaben unter Auflagen auch schon genehmigt, so dass im Grunde gegen dieses Vorhaben nichts mehr im Wege stehen dürfte


    Das neue Unternehmen wird den Namen "Styrolution" haben und beiden Unternehmen jeweils zur Häfte gehören ... was die Vermutung nahe legt, dass das Unternehmen ziemlich selbstständig agieren wird/soll und, dass mittelfristig die Eigentümer sich von diesem Geschäft endgültig trennen werden (sprich ihre Anteile weiterveräussern werden ... zumindest BASF, das die Styrol-Sparte schon seit einiger Zeit nicht mehr zum Kerngeschäft zählt).


    PM der BASF


    EDIT: Beachtenswert ist, dass im Styrol-Kunststoffbereich keines der Unternehmen einen Standort in Frankfurt hat, lies hier, es sich also um eine echte Neuansiedlung handelt ... sicherlich ein weiterer Beweis für die Attraktivität des Standortes Frankfurt/RheinMain für international tätige Unternehmen!

  • Eine sehr gute Nachricht, merlinammain, insbesondere für die Stadt als Chemiestandort. Interessant wäre natürlich die Anzahl der Mitarbeiter, die in Frankfurt am Main angesiedelt werden sollen. Der Pressemitteilung ist lediglich zu entnehmen, welche Firmen sowohl die BASF als auch INEOS in das Joint-Venture einbringen wollen. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass sich eine der in den Styrolkunststoffbereichen bisher beschäftigten Mitarbeiter entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen (1460 bei BASF und 2200 bei INEOS) in Frankfurt etablieren wird - das wäre natürlich der Hammer.


    Wie auch immer, eine sehr gute Neuigkeit.

  • @ Joker


    Man kann wohl stark davon ausgehen, dass zunächst nur die Verwaltung in Frankfurt angesiedelt wird und somit strenggenommen Frankfurt als ChemieStandort gar nicht betroffen ist, da es sich ja dann um Büroarbeitsplätze ohne Produktion handeln wird.
    Bei knapp 3700 Beschäftigten werden es sicherlich nicht hunderte sein, die in FFM arbeiten werden. Aber mit Sicherheit werden es hochqualifizierte und gutbezahlte Jobs sein, die in FFM entstehen.


    Ob irgendwann "echte" Chemiearbeitsplätze folgen werden, kann aber natürlich nicht ausgeschlossen werden, zumal Frankfurt zu den größten Chemiestandorten Europas gehört.
    Folgendes noch: Grundsätzlich macht es in der Unternehmenswelt Sinn seine Verwaltung am Hauptproduktionsstandort zu haben. In diesem Falle scheint es wohl einen Hauptproduktionsstandort aber nicht zu geben, denn das Geschäft mit Styrol-Produkten muss vor Ort/beim Kunden/am Markt getätigt werden. Anders als beim Maschinenbau zB, scheidet ein Transport über lange Strecken bei diesen Produkten aus, weshalb die Konzentration der Produktion auf wenige Standorte wenig Sinn macht (deshalb auch keine Hauptproduktionsstandorte). So hat das neue Unternehmen eine Vielzahl von Standorten, und zwar verteilt über den ganzen Globus, so dass es bei der Standortwahl für die Verwaltung besonders auf die Nähe zu einem internationalen Luftverkehrs-Drehkreuz mit dem Kaliber eines Frankfurter Flughafens ankam.


    Ich bin mir sicher, dass auch in Zukunft der Frankfurter Flughafen uns indirekt weitere Unternehmensansiedlungen und hochqualifizierte Jobs bescheren wird!

  • ^ Ja, merlin, das geht auch aus der Pressemitteilung hervor, wenn man zwischen den Zeilen liest. Hatte ich vorhin vergessen zu schreiben. Wieviele es letztlich auch sein mögen, diese Arbeitsplätze hat uns der Flughafen gebracht - ein Standortvorteil, der nicht mit Gold aufzuwiegen ist.

  • Frankfurter Wirtschaftsförderung warnt vor Börsen-Merger

    In der FNP war vor vier Tagen ein interessanter Artikel zum geplanten Zusammenschluss zwischen der Deutsche Börse Group (60% der Anteile) und der New York Stock Exchange Euronext Gruppe (40%) zu lesen. Es ist ein internes "Geheimpapier" der Frankfurter Wirtschaftsförderung aufgetaucht, dass der Zeitung zugeschanzt wurde.


    Einige Zitate daraus:
    - "Es ist zu befürchten, dass die Bedeutung des Finanzplatzes Frankfurt Rhein Main durch die Fusion sinken wird"
    - "Das würde den Finanzplatz insgesamt schwächen, da bei der Deutschen Börse selbst und ihren Auftragnehmern Arbeitsplätze gefährdet wären. Das Geschäftsvolumen dürfte insgesamt sinken."


    Größte Kritikpunkte:
    1.) Arbeitsplätze
    Man befürchte einen Exodus der Finanzdienstleister: Rechtsanwaltskanzleien, Broker, Beratungsunternehmen und Firmen der IT-Branche. So rechnet man mit einem Abbau von hochqualifizierten 10.000 Arbeitsplätzen (!!!). Laut einer Statistik der Deutschen Bundesbank sei der Anteil der Beschäftigten im Bankgewerbe in Frankfurt ohnehin schon gesunken. Er nahm in Bezug auf die Gesamtbeschäftigten in der Stadt von 10,8% im Jahr 2001 auf 9,9% 2010 ab.
    2.) Konzernleitung im Ausland
    Da der Schwerpunkt der Konzerntätigkeit und der Konzernleitung ins Ausland (d.h. New York, London, Paris) verlegt werde, verliere man die Handlungshoheit. Der Machtanspruch über ein neues Börsen-Unternehmen von CEO Duncan Niederauer steht jedenfalls außer Frage.
    3.) Neues Handelssystem
    Außerdem würde das in Frankfurt entwickelte und recht erfolgreiche Handelssystem Xetra durch das amerikanische lizenzpflichtige UTP-System ersetzt werden. Daher müsse man dem Lizenzgeber neue Lizenzgebühren zahlen, die Gewinne von Deutschland ins steuerbegünstigte Ausland verlagern.


    Fazit:
    Zuletzt hatten sich bereits die Mittelstandsvereinigung der hessischen CDU und der Sozialflügel der Partei gegen die Fusion ausgesprochen. Im Januar entscheidet die EU über die Fusion und anschließend die hessische Landesregierung. Es wird also noch viel Gesprächsbedarf geben angesichts der nicht ganz unrealistischen Szenarien wie oben beschrieben. Das Marktumfeld einer Fusion ist zudem stark eingetrübt, daher stehen die Ampeln hoffentlich so langsam auf dunkelrot.

  • Weitere Berichte zur Börsenfusion in der FAZ

    1) Marktverzerrung durch fusionierte Börse
    Bei einer Fusion würde das neue Unternehmen Deutsche Börse-NYSE-Euronext:

    • 90% des börslichen Handel in Europa durch Tochtergesellschaften dominieren (der Eurex und der Liffe)
    • wenn man den außerbörslichen europäischen Derivatehandel berücksichtigt, liegt der Marktanteil unter 20%


    Dies wird bei Anhörungen in der EU eine Rolle spielen, da man beweisen muss, dass es keine Wettbewerbsverzerrung gibt. Um eine Marktbeherrschung zu vermeiden, will die EU Kommission als Wettbewerbshüterin notfalls die Abspaltung des Börsenhandels zur Auflage machen. Die Entscheidung soll bis zum 22. Dezember verkündet werden. (Quelle: FAZ vom 15.11.11).


    2) Aufgabenverteilung sehr ungleich
    Obwohl die Deutsche Börse 60% des neuen Unternehmens besitzen soll, ist man unzufrieden mit dem selbstbewussten bis großspurigen Auftreten der amerikanischen Kollegen in den Integrationsteams. So fällt es schwer eine "Day one readyness“ zu erreichen. Zentrale Aufgaben wie Personal, Marketing und Kommunikation sollen direkt unter die Verantwortlichkeit von CEO Duncan Niederauer fallen. Zudem könne er die übrigen Vorstandsmitglieder abberufen. Er fiel zuletzt negativ auf mit der Aussage "Kapital ist nicht patriotisch“ um eine geplante Finanztransaktionssteuer in Europa zu umgehen.


    3) Hessische Börsenaufsicht wartet auf EU Kommission
    Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP), u.a. Aufseher der Frankfurter Wertpapierbörse, steht ein Vetorecht der Fusion zu. Er will erst über seine Zustimmung entscheiden, wenn das Ergebnis der Kommission vorliegt. Der Fortbestand und Weiterentwicklung des Börsenhandels in Frankfurt muss gefährdet sein, um die Fusion verhindern zu können.


    4) Verlust der Gewinne an Holding in Amsterdam
    Die Gewinne der Deutschen Börse würden künftig nach Amsterdam in die Holding abgeführt werden. So entgehen der Region Einkommens-, Umsatz-, Körperschafts- und Gewerbesteuern. Frankfurt bzw. Eschborn würde zudem einen Dax-Konzern verlieren – schlecht für das Prestige.


    5) Durch Abgang der Börse gehen viele Aufträge der "Zulieferer" verloren
    Obwohl offiziell nur noch 1500 Angestellte für die Deutsche Börse arbeiten, sind viele externe Berater im Gebäude angestellt. Ebenso verdienen viele Wirtschaftskanzleien hohe Gebühren durch lukrative Langzeit-Aufträge. Rund um die Entwicklung neuer Produkte für das Handelssystem Xetra sind außerdem einige externe Mitarbeiter beschäftigt. Zum Vergleich: Nach der Übernahme der Euronext durch die Nyse ist die Hälfte der Stellen in Paris weggefallen und die Bedeutung der Börse stark gesunken.


    Was nun?
    Nach HR Info Bericht ist der hessische Ministerpräsident Bouffier heute in New York zu Verhandlungen. Dort wurden viele Kritikpunkte angesprochen und man ist weiterhin nicht überzeut. Der Grundtenor heisst: Eine Fusion um jeden Preis wird es nicht geben, besonders wenn amerikanische Vertreter die Fusion schon als ausgemachte Sache ansehen.

  • Ich denke und hoffe, dass diese Fusion tatsächlich zurzeit eher am Kippen ist. Wir haben es in diesem Forum von Anfang an festgestellt: Fusion mit den Amerikanern heißt de facto Aufgabe der Leitungsfunktionen aus Europa heraus, denn der CEO säße in New York und genau dahin würden auch sämtliche wichtigen Positionen abwandern - genauso wie nach dem "Merger of Equals" mit der Euronext. Es gibt aber keine Merger of Equals, das ist reines Marketing-Bla-Bla. Einer gibt immer den Ton an, und hier scheinen es eindeutig die Amerikaner zu sein. Ich hoffe, dass sich die Deutsche Börse hier nicht im wahrsten Sinne des Wortes unter Wert verkauft.


    Das langfristig Schlimmste an der Sache für die Region wäre meiner Meinung nach, neben dem symbolischen Bedeutungsverlust und den entgangenen direkten Steuereinnahmen, dass XETRA durch ein schlechteres amerikanisches Börsenhandelssystem abgelöst werden würde. XETRA ist so ziemlich die effizienteste und beste Börsenplattform weltweit, und daran hängen nicht nur direkt bei der Börse angesiedelte IT-Arbeitsplätze, sondern auch viele Zulieferer. An das amerikanische System würde vermutlich aus Rhein-Main niemand mehr zuliefern...


    Das Argument, was die beiden fusionswilligen Börsenbetreiber bei den Wettbewerbsbehörden vorbringen, weswegen angeblich der kombiniert immens hohe Marktanteil kein Problem sei, ist nicht stichhaltig. Es lautet, dass heutzutage die größte Konkurrenz für einen Börsenbetreiber nicht von anderen Börsenbetreibern ausgeht, sondern von Direkthandelsmarktplätzen von Finanzmarktakteuren untereinander (OTC-Handel). Da mag vielleicht heute was dran sein, aber die Politik ist aufgrund der Erfahrungen aus der Finanzmarktkrise zurzeit zurecht dabei, den OTC-Handel einzuschränken bzw. den Handel von vielen Wertpapieren nur noch auf Börsen zuzulassen, weil diese Börsen viel leichter reguliert werden können. Gerade die Produkte, die nicht an Börsen, sondern "over the counter" gehandelt werden, können für das Finanzsystem als Ganzes gefährlich werden.


    Fazit: Börsen werden in Zukunft wieder wichtiger, OTC-Handel wird (hoffentlich) zurückgehen. Damit ist das Hauptargument bzgl. Wettbewerbsverzerrung hinfällig --> die Wettbewerbshüter werden daher hoffentlich hohe Hürden für eine Fusion auferlegen --> diese Hürden (z. B. Verkauf von wichtigen Geschäftsteilen) werden hoffentlich für die NYSE und die Deutsche Börse zu hoch sein --> die Fusion wird hoffentlich abgesagt.